Bernhard Jaumann - Steinland

  • Verlagstext

    «Die Steine schrien aus dem Grau der Nacht. Sie seufzten nicht und jammerten nicht, es war kein Flüstern, kein Tuscheln, kein sachtes Wispern im Wind. Sie brüllten so laut, dass es in Elsa Rodensteins Ohren gellte.» Es ist eine klare, kalte Winternacht in Namibia. Elsa Rodenstein, das Gewehr quer vor der Brust, bewacht in stummer Verzweiflung den Leichnam ihres Mannes. Am nächsten Morgen nimmt Kriminalinspektorin Clemencia Garises die Aussage der Witwe und der deutschstämmigen Nachbarfarmer auf. Alles deutet auf einen Raubüberfall hin. Auch von dem Sohn fehlt jede Spur. Ist er das Opfer einer Entführung geworden? Nach einer wilden Verfolgungsjagd durch das Windhoeker Township Katutura gelingt es Clemencia zwar, einen Verdächtigen festzunehmen, dieser erzählt jedoch eine völlig andere Version der Ereignisse jener Nacht. Schon bald ist klar, dass es hier um viel mehr geht. Die von der Enteignung bedrohte Farm Steinland spielt offenbar eine Schlüsselrolle in den undurchsichtigen politischen Auseinandersetzungen um die Landreform in Namibia. Doch was die junge Kriminalinspektorin mindestens genauso umtreibt wie die politische Brisanz ihres neuesten Falls ist die Tatsache, dass ihr Bruder Melvin an dem Verbrechen beteiligt gewesen sein soll. Sie befürchtet Schlimmes, zumal Melvin verschwunden ist.


    Der Autor

    Bernhard Jaumann wurde 1957 in Augsburg geboren. Er studierte in München und war zehn Jahre Lehrer für Deutsch, Geschichte und Italienisch in Bad Aibling. Nach längeren Aufenthalten in Italien, Australien und Mexiko-Stadt ist er grade wieder aus Windhuk/Namibia zurück. Bisher erschienen "Hörsturz", "Sehschlachten", "Handstreich", "Duftfallen", "Saltimbocca" (Friedrich-Glauser-Krimipreis 2003), "Die Vipern von Montesecco", "Die Drachen von Montesecco sowie "Die Augen der Medusa" (Deutscher Krimipreis 2009). Für seinen Kurzkrimi "Schnee an der Blutkuppe", erschienen in "Zum Sterben schön" (Hrsg. Petra Hammesfahr), erhielt er 2008 den Friedrich-Glauser-Preis für Kurzgeschichten. "Die Stunde des Schakals" war der erste Roman um die namibische Kriminalinspektorin Clemencia Garises, er wurde mit dem Deutschen Krimipreis 2011 ausgezeichnet.


    Inhalt

    Wenn hundertfünfzig Kilometer von Windhoek entfernt auf einer Farm nachts gewildert oder gestohlen wird, ist nicht zu erwarten, dass deshalb die Polizei ausrückt. Die Polizei ist nicht besonders gut angesehen in Namibia - sie kommt gar nicht, ermittel laienhaft oder lässt Verdächtige bald wieder laufen. Als Clemencia Garises und ihre Kollegen von der Serious Crime Unit vormittags auf der Farm Steinland eintreffen, ist nach einer nächtlichen Auseinandersetzung um einen Diebstahl Farmer Rodenstein tot, sein Sohn nach Aussage Elsa Rodensteins und der Nachbarn von drei Schwarzen entführt worden. Clemencia, die ihr ganzes Leben im Windhoeker Stadtteil Katutura verbracht hat, findet zu den weißen Farmern nur schwer einen Draht. Die Zeugenaussagen zu den Ereignissen dieser Vollmondnacht erscheinen Clemencia sonderbar. Die Ermittlerin hat in Südafrika studiert und ein Praktikum bei der finnischen Polizei absolviert. Sie kennt effektive Ermittlungsarbeit, doch die alltäglichen Schlampereien im Staatsdienst Namibias türmen ständig neue Hindernisse vor ihr auf. Noch nicht einmal eine DNA-Probe kann Clemencia ohne Probleme untersuchen lassen - das ist nur in Südafrika möglich - umständlich und kostspielig. Clemencia - jung, qualifiziert, schwarz - hat die gläserne Decke über sich als Bremse ihrer Polizeilaufbahn bereits deutlich zu spüren bekommen. Der Fall Rodenstein entpuppt sich für sie komplizierter als gedacht; denn der alte Farmer sollte im Zuge der Landreform von der regierenden SWAPO gezwungen werden, sein Land zu verkaufen. Dass auf der Farm Steinland schwarze Farmer einmal ihren Lebensunterhalt verdienen werden, glaubt niemand. Wer sich an dem günstig zur Hauptstadt gelegenen Farmgelände wohl bereichern möchte? Clemencia steht unter Druck; sie befürchtet, dass ihr nichtsnutziger Bruder Melvin an der Tat beteiligt war. Sie muss Täter und Hintermänner möglichst schnell dingfest machen - oder wegen Befangenheit die Ermittlungen abgeben.


    Fazit

    Bernhard Jaumann hat wieder äußerst sorgfältig recherchert und versteht es, seinen Lesern die Eigenheiten der verschiedenen Nationalitäten zu vermitteln, die in Namibia zusammen leben. Jaumanns zweiter Namibia-Roman fordert Aufmerksamkeit für Zwischentöne und Nebensätze, um beispielsweise aus dem Mund von Clemencias weißem Kollegen Robinson zu erfahren, was er von der Affirmative-Action-Politik der schwarzen Regierung hält. Die stürmische Beziehung zwischen der schwarzen Ermittlerin und ihrem deutschstämmigen Liebhaber Claus Tiedtke, Redakteur der Allgemeinen Zeitung, konzentriert die harten Kontraste der namibischen Gesellschaft wie in einem Brennglas. In kursiv gesetzten Einschüben rollt der Autor die Geschichte der Farm und die der Familie Rodenstein auf. So bekommt man als Leser gleich zu Beginn der Handlung das Land und den besonderen Menschenschlag deutschstämmiger Farmer nahegebracht, der sich - unbeirrt von politischen Umwälzungen und wirtschaftlichen Rückschlägen - im namibischen Hochland seit Generationen der Viehzucht verschrieben hat. Während "Die Stunde des Schakal" für einen Krimi ungewöhnlich tief den politischen und historischen Hintergrund der Ereignisse beleuchtete, punktet der Nachfolgeband mit der psychologisch glaubwürdigen Charakterisierung der Figuren. Steinland fand ich deshalb spannender als den ersten Band um Clemencia Garises, die Figuren interessanter.


    Textauszug

    "Der Wind kam aus Nordosten. Er bog die Spitzen der paar dürren Gräser, die noch aufrecht standen, und trieb Schleier feinen roten Staubs vor sich her. Aus dem Schatten eines Hakkie-Busches bewegte sich langsam ein Chamäleon hervor, verharrte dann im Schritt, als wäre unvermittelt die Zeit angehalten worden. Es war ein Namaqua-Chamäleon, das sich vor kurzem gehäutet hatte. Noch hingen Fetzen des gesprengten alten Schuppenkleids über der frisch glänzenden bräunlichen Haut. ... Der Kopf war massig und wurde fast bis zum Halsansatz von einer dünnen Linie durchzogen, die verriet, wo sich das Maul öffnen würde, wenn es galt, einen Käfer oder eine kleine Eidechse zu verschlingen." (S. 270/271)


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