Gail Jones - Der Traum vom Sprechen / Dreams of Speaking

  • Über die Autorin

    Gail Jones ist gebürtige Westaustralierin. Sixty Lights erschien 2004 und war für den ›Booker Prize‹ nominiert. Bereits ihr erster Roman, Black Mirror, wurde vielfach ausgezeichne Gail Jones unterrichtet Englisch, Kommunikation und Kulturwissenschaft an der University of Western Australia.


    Verlagstext

    Für Alice Black ist es ein großartiges Gefühl: »Der gewölbte, endlose schwarze Himmel und weit unten ein Teppich unregelmäßiger Lichter, dicht und wunderschön. Leuchtende Formen schlossen sich zusammen und rutschten unter ihnen weg. Muster aus grellem, glühendem Leuchten« – so empfindet die junge Australierin den Landeanflug auf Frankfurt. Schon als kleines Mädchen in ihrer Heimatstadt voller Kohlegruben und Industrie war sie von Maschinen und Technik fasziniert. Jetzt schreibt sie in Paris über die Erfinder jener Gegenstände, die uns täglich umgeben: Zellophan, Neonreklamen, Kopiergeräte und dergleichen. Als Alice Mr. Sakamoto kennen lernt, einen Überlebenden des Atombombenabwurfs auf Nagasaki, entwickelt sich zwischen beiden eine inspirierende Freundschaft.

    In eindringlichen Bildern entfaltet Gail Jones die Familien- und Lebensgeschichten zweier ganz unterschiedlicher Menschen und erzählt zugleich von Glück und Verheißung, von Schrecken und Gewalt der Moderne. Wie sich dabei Mitgefühl und distanzierte Betrachtung beständig abwechseln und durchdringen, ist ebenso beeindruckend wie die eigenwillige Sprache, die den Leser in ihren Bann zieht. Gail Jones' Bücher gewannen bereits zahlreiche Preise, dieser Roman ist für den Orange Prize 2006 nominiert. Eine starke literarische Stimme, die es in Deutschland zu entdecken gilt!


    Inhalt

    Die Australierin Alice ist in einer abgelegenen westaustralischen Stadt aufgewachsen. Befremden bei den Erwachsenen löste in ihrer Kindheit ihr spontan ausgesprochener Wunsch aus, dass sie später entweder Astronautin oder Surferin werden wolle. Eine selbstbewusste kräftige Sportlerin überstieg in Alices Heimatort die Vorstellungskraft. Alice war das Ausnahmekind, die begabte Torschützin, ihre Schwester Norah dagegen war bei anderen Kindern die Beliebtere. Das Verhältnis zwischen Alice und der nur ein Jahr jüngeren Norah ist von eifersüchtigem, aggressivem Gerangel bestimmt. Die Eltern fragen sich, wie sie wohl diese kriegerischen Kreaturen herangezogen haben. In Rückblenden tauchen immer wieder Szenen aus Alices und Norahs Kindheit auf und man fragt sich, warum die Schwestern sich als Erwachsene so weit auseinanderleben konnten.


    Alice ist zu einem Studienaufenthalt nach Paris gekommen und schreibt offenbar ein Buch. In Paris lernt sie den älteren Japaner Mr. Sakamoto kennen, wie sie eine äußerst schillernde Persönlichkeit. Alice gewinnt durch diese Beziehung neues Selbstvertrauen. Sakamoto stammt aus einer wohlhabenden Familie; er hatte sich als junger Mann zunächst gegen den Familienbetrieb und für ein Literaturstudium entschieden. Die Technik scheint ihn nicht losgelassen zu haben; denn Sakamoto erzählt mit Feuereifer von diversen Erfindungen und aus dem Leben prominenter Erfinder wie Alexander Graham Bell. Das Geheimnis der besonderen Beziehung zwischen Sakamoto und Bell liegt offenbar in ihrer Biografie. Bell hat wie Sakamoto sein Leben lang mit dem Verlust geliebter Menschen gehadert. Sakamoto zeigt eine besondere Begabung, den Menschen hinter dem Wissenschaftler wahrzunehmen. Sakamotos Geschichten wirken symbolhaft, deuten bisher Verschwiegenes aus seinem eigenen Leben an. Über den Tod fast seiner gesamten Familie spricht S. selten, obwohl er für einen Japaner erstaunlich offen in Gesprächen Gefühle erkennen lässt, seine Alpträume und seine Depressionen andeutet. Alices Faszination durch Sakamato mag sich u. a. daraus entwickelt haben, dass er ein exzellenter Beobachter ist; er selbst führt diese Fähigkeit auf seine Beschäftigung mit der Form des Haiku zurück. Die Geschichten Sakamotos klammern das ungleiche Paar in seiner platonischen Beziehung förmlich aneinander. Eine Frau wie Alice scheint das ideale Pendant zu Sakamoto zu sein, hatte sich doch ihr erster australischer Freund über ihr unweibliches Interesse an Technik ereifert. Ich musste mich während der Handlung immer wieder darauf konzentrieren, dass Mr Sakamoto kein Zeitreisender aus einem anderen Jahrhundert ist, sondern als kleiner Junge den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki miterlebte. Sakamoto, der auf die 70 zugeht und sich auf sehr poetische Weise an die Landschaften seiner Kindheit erinnert, wirkte auf mich altertümlich, nicht von dieser Welt.


    Als Alice den nach Japan zurückgekehrten Sakamoto in seiner Heimat besuchen will, ist er bereits schwer erkrankt und Alice kann ihn nicht mehr treffen. Die auf Alice fremd wirkende Familie kümmert sich rührend um die Besucherin. Bevor Alice endgültig nach Australien abreist, besucht sie die Gedenkstätte von Nagasaki. Nach diesem verstörenden Erlebnis scheint es schwer vorstellbar, dass sie sich wieder in die gewohnte Struktur ihrer Familie einpassen kann. In ihrer Trauer um Sakamoto hat Alice die schwere Erkrankung ihrer Schwester eine Weile verdrängt und welche Konsequenzen diese Krankheit für sie persönlich hat.


    Fazit

    Die Figur des älteren Mister Sakamoto, der sein Leben lang mit Biografien und Erfindungen beschäftig ist, die Menschen die Kommunikation miteinander erleichtern, könnte das verbindende Element zu Jones früheren Romanen sein, in denen es ebenfalls um Kommunikation und Erinnerungen geht. Der Traum vom Sprechen ist ihr dritter von bisher fünf Romanen, dessen Sprache mich faszinierte und der für mich der rätselhaftere der drei von ihr gelesenen Romane blieb.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

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    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow