Atiq Rahimi – Les Porteurs d’eau

  • Kurzmeinung

    tom leo
    Talibane in Afghanistan. Geschichten zweier Männer zwischen Paris und Kabul. Ende von Welten?
  • Original : Französisch, 2019

    Behelfsübersetzung auf Deutsch : Die Wasserträger


    IN ALLER KÜRZE :

    11 März 2001 : Die Talibane zerstören die zwei monumentalen Buddhastatuen von Bamiyan (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/Buddha-Statuen_von_Bamiyan ), Afghanistan. Am selben Tag ändern sich das Leben eines Wasserträgers in Kabul und eines Exilafghanen zwischen Paris und Amsterdam…


    BEMERKUNGEN :

    Die 30 Kapitel schwenken in strikter Regelmäßigkeit von einem zum anderen Hauptprotagonisten und Handkungsort. Man könnte sie zwar durch ihre afghanische Abstammung und denselben Stichtag auf einen Nenner bringen, aber auch in Versuchung sein, hier zwei total gegensätzlich verlaufende Stränge zu erahnen :


    Da wäre hier Tom, der schon einfranzösisierte Tamim, der mit seiner Frau seit mehr als zwanzig Jahren, anscheinend erfolgreich, in Paris lebt. Prima Job als Kaufmann einer Firma, ständig unterwegs zwischen Paris, Amsterdam, Deutschland und Belgien. Hat er sich von seiner Frau entfremdet (mit der er gemeinsam geflohen war) ? Er bricht am erzählten Stichtag ohne Abschied auf nach Amsterdam. Er will zur geheimnisvollen Nuria, einer Kunstrestauratorin...


    Und auf der anderen Seite haben wir halt den Yusef, seines Zeichens Wasserträger im von den Talibanen beherrschten und geprägten Kabul. Wir begleiten ihn am selben Tag durch seinen Alltag. Und da ist die schwere Arbeit, die ihn früh alt gemacht hat. Sein Bruder ist schon vor Jahren « verschwunden ». Und er hat sozusagen die Pflicht, sich um seine Schwägerin zu kümmern. Er schwankt zwischen der Treue zum Bruder, den eigenen teils uneingestandenen Wünschen und dem sich bahnbrechenden Ärger gegen sie, die anscheinend mit dem ein oder anderen Nachbarn Ehebruch begeht ? Oder versteht er da was falsch ?


    Betrachtet man dann die Kapitel näher, stehen diese unterschiedlichen Leben auf seltsame Weise in einer Art von «Wechselbeziehung/Muster ». Trotz der ganz verschiedenen Rahmen antworten aufeinander Motive, geht es oft in den aufeinanderfolgenden Kapiteln in leichten Variationen um die selben Themen. Kontrast UND Parallelen – das ist schon kunstvoll gemacht. Man könnte derer mehrere ausmachen :


    - der Platz der Fantasmen, Träume, Wünsche – zwischen Realität und Täuschung

    - der Platz der Frau, sei es in der Gesellschaft, sei es als Person, sei es als (mehr oder weniger) « Objekt » der begehrenden Männer

    - und was ist für diese beiden eigentlich « Liebe » ? Wie hier beide etwas lernen...

    - Mythen, Märchen, Legenden und Poesie als uns begleitende Komponenten

    - begleitende Personen – für den einen eine Jüdin, für den anderen ein Hindu-Buddhist, die erhellen, begleiten oder auch Falschheiten offenlegen ?

    - das « Scheitern » an den umgebenden Verhältnissen oder auch Entscheidungen der anderen

    - das Entdecken der eigenen Identität als Bejahung der Wurzeln

    - Sprache und Schweigen

    ...und wohl noch einiges mehr.


    Der Roman kommt in einfachem Gewand daher, und entpuppt sich als komplexer, geheimnisvoller und reicher als gedacht. Einige Dinge liessen mich stutzen, da sie etwas (orientalisch?) « mystifizierend » wirken, doch das ändert nichts am positiven Gesamteindruck.


    AUTOR:

    Atiq Rahimi (* 26. Februar 1962 in Kabul) ist ein französischer Schriftsteller und Filmregisseur afghanischer Herkunft. An der Universität Kabul begann er ein Literaturstudium und war als Filmkritiker tätig. Während des Bürgerkriegs in Afghanistan suchte Rahimi Zuflucht in Pakistan und floh 1984 nach Frankreich. Dort ersuchte er politisches Asyl. An der Sorbonne in Paris promovierte er in audio-visueller Kommunikation. In dieser Zeit wird sein Bruder in der Heimat ermordet… Die ersten drei Romane schrieb er zunächst auf Persisch. Sein erster Roman, Erde und Asche, erschien 2000 und thematisiert den Krieg in Afghanistan; Rahimi hat ihn 2004 auch selbst erfolgreich verfilmt. Sein weiteres Œuvre kreist ebenfalls um die kulturellen und politischen Verhältnisse in Afghanistan, vorrangig um die (Selbst-)Befreiung der Frauen in Afghanistan aus ihrer traditionellen Rolle.


    Rahimi ist afghanischer und französischer Staatsbürger und seit den 2000er-Jahren auch wieder in Afghanistan kulturell aktiv. Für seinen ersten Roman in französischer Sprache Syngué Sabour. Pierre de patience („Der Stein der Geduld“) erhielt Rahimi 2008 den Prix Goncourt.



    Broché: 288 pages

    Editeur : P.O.L (3 janvier 2019)

    Collection : FICTION

    Langue : Français

    ISBN-10: 281803812X

    ISBN-13: 978-2818038123