Simo Hiltunen - Die Stunde des Wolfs / Lampaan vaatteissa

  • Verlagstext

    Es ist mehr als eine Schlagzeile: Ein Polizist ermordet seine Familie und schließlich sich selbst. Lauri Kivi, ein Reporter, der sich auf Verbrechen spezialisiert hat, ist entsetzt. Zu Gewalt hat er eine besondere Einstellung – in seiner Jugend wurde er von seinem Vater so misshandelt, dass er auf einem Ohr taub ist. Je mehr er recherchiert, desto genauer erkennt er ein Muster. Jemand scheint hinter diesen Morden zu stecken und sie den Familienvätern in die Schuhe zu schieben. Da ihm niemand glaubt, versucht Lauri, den Täter zu provozieren, um selbst ins Fadenkreuz zu geraten. Doch der Mörder nimmt jemand anderen ins Visier: das Mädchen Aava, Lauris heimliche Tochter.


    Der Autor

    Simo Hiltunen, Jahrgang 1977, stammt aus dem Norden Finnlands. Er arbeitet als Journalist in Helsinki. Die Übersetzungsrechte an »Die Stunde des Wolfs«, seinem ersten Roman, wurden in zahlreiche Länder verkauft.


    Inhalt

    In Nordkarelien soll ein Polizist seine Familie und sich selbst getötet haben. Die Angehörigen beharren darauf, dass es keine familiären Konflikte gab und diese Taten sich mit der Persönlichkeit des Mannes nicht vereinbaren lassen. Die verstörende Tat ist nicht der erste „Familienmord“ des Jahres und die finnische Öffentlichkeit könnte sich allmählich fragen, wie ein solches Ausmaß an Gewalt entstehen konnte. Auch die anderen Familienväter waren ganz normale Bürger, denen niemand die Tat zutraute. Lauri Kivi, der Polizeireporter der örtlichen Tageszeitung, für seine ausführlichen Reportagen bereits preisgekrönt, vereinbart mit seinem Chefredakteur eine umfangreiche Analyse der Familienmorde für die monatliche Beilage der Zeitung. Wie andere Printmedien auch ist die Zeitung vom Abonnenten-Schwund bedroht und muss geschickt lavieren, welche Inhalte sie gratis online stellt und welche nur gegen Bezahlung. Lauris Aufgabe ist es, die Gier der Leser zu befriedigen und gleichzeitig das Privatleben der Opfer weitgehend zu schützen.


    Gewalt ist Lauri nicht fremd; denn er wurde als Kind vom Vater brutal misshandelt und musste Gewalt gegen seine Mutter und seinen Bruder mit ansehen. Als Folge der Misshandlung ist Lauri seit seiner Kindheit auf einem Ohr taub und auf dem anderen Ohr schwer hörbehindert. Seine Kollegen mussten sich daran gewöhnen, dass er oft sein Hörgerät herausnimmt, um sich gegen seine Mitmenschen abzuschirmen. Lauri lebt allein, seit er Frau und Tochter verlassen hat, um sie vor seiner eigenen latenten Gewalttätigkeit zu schützen. Aus Rache hat seine Exfrau der gemeinsamen Tochter Aava erzählt, ihr Vater wäre tot. Seine Recherchen konfrontieren Lauri mit seiner Misshandlung durch den Vater, dem jahrelangen komplizenhaften Vertuschen der Gewalttaten durch seine Familie und der Frage, was aus seinem Bruder Tuomas geworden ist. Dem Vater wäre zuzutrauen, dass er Tuomas getötet und irgendwo verscharrt hat. Mehrere Rückblenden werfen die Frage auf, um welches Kind oder welche Kinder es sich in den grausamen Szenen handelt. Zeitweilig scheint das Tempo der Handlung sich zu verlangsamen, die Morde scheinen aus dem Blick zu verschwinden und der Roman dreht sich offenbar hauptsächlich um einen Polizeireporter der finnischen Gegenwart. Als Lauri selbst in Verdacht gerät, als Serienmörder die Familien abgeschlachtet zu haben, nimmt die Handlung jedoch wieder Tempo auf. Lauri hat Insiderwissen über die Tatorte, dessen Herkunft er nicht aufdecken will, und er zeigt bei seinen Recherchen als kriminalistisches Wunderkind Kompetenzen, die zu seiner Persönlichkeit als versehrter Einzelgänger nicht zu passen scheinen. Die Aufklärung der Familienmorde schlussendlich verdient keinen Preis für Nachvollziehbarkeit, ist jedoch durchaus akzeptabel. Die Verbindung von Lauris Schicksal mit der Stunde des Wolfes, der kältesten Stunde der Nacht, erzeugt zwar eine extrem düstere Stimmung, die Notwendigkeit für den Plot hat mich jedoch nicht überzeugt.


    Fazit

    Obwohl ich in Krimis kein Freund drastischer, expliziter Gewalt an Kindern und von offener Frauenverachtung bin, hat sowohl Lauri als Persönlichkeit mich gefesselt, als auch die Frage, was sein Recherche-Thema bei ihm ganz persönlich bewirken wird. Sprachlich finde ich „Die Stunde des Wolfes“ originell; denn offenbar wird im Finnischen hemmungslos über Doppeldeutigkeiten von Vor- und Familiennamen gespottet. Wer sich der Gewaltszenen vor der Lektüre bewusst ist, den erwartet ein nachdenklich machender Text über Rollenzuschreibungen, über die Entstehung von Gewalt und welchen Anteil Medien an der aktuellen Entwicklung haben, die Gewalttäter zu Popstars stilisieren.


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