Olivier Adam - Die Summe aller Möglichkeiten / Peine Perdu

  • Verlagstext

    »Das ist das Problem mit dem Leben, dachte Antoine. Dasjenige, das man hat, ist immer zu eng, und das, das man gern hätte, ist zu groß, um es sich auch nur vorstellen zu können. Die Summe aller Möglichkeiten ist das Unendliche, das gegen Null tendiert.«

    »Olivier Adam ist einer der spannendsten Schriftsteller der letzten fünfzehn Jahre.« Niklas Bender, Frankfurter Allgemeine Zeitung

    Was bleibt vom Zauber der Côte d‘Azur, wenn die Touristen abreisen? Der Amateurfußballer Antoine wird beinahe tot geschlagen, seine Heimat, ein kleiner Badeort, von einem Sturm verwüstet. Am Strand taucht eine junge Frau auf, sie spricht kein Wort, und mehrere Männer verschwinden spurlos. Der Fußballtrainer, die Sozialarbeiterin, der Kommissar, Antoines Freunde und Familie, seine Mannschaft und deren Gegner, seine Feinde – sie alle versuchen zu ergründen, was geschehen ist. Sie sind auf sich selbst zurückgeworfen, kreisen um Träume, Pläne, die Liebe. Olivier Adam zeichnet das Panorama eines Frankreichs in der Krise und empfiehlt das Gegengift: Mitgefühl.


    Der Autor

    Olivier Adam, geboren 1974 und in der Pariser Banlieue aufgewachsen, hat zahlreiche Romane, Jugendbücher und Erzählbände veröffentlicht. Viele seiner Romane wurden verfilmt. „Keine Sorge, mir geht's gut“ erlangte in Frankreich und Deutschland Kultstatus. Adam lebt mit Frau und Kindern in Paris.


    Inhalt

    An der französischen Côte d’Azur hat ein gewaltiger Sturm Kneipen und Strandcafés davon gefegt und einige Todesopfer gefordert. Antoine, der Jeffs Campingplatz fit für die Touristensaison machen sollte, wird im Sturm schwer verletzt und von einem Unbekannten auf einer Bank vor dem Krankenhaus abgelegt. Um die Zerstörung herum lässt Olivier Adam Antoines Familie, Chefs, Kollegen, seine und die gegnerische Fußballmannschaft mit ihren 22 unterschiedlichen Perspektiven andocken. Die Figuren kennen sich zum großen Teil seit ihrer Kindheit, wissen, was sie voneinander zu halten haben. Antoine hätte ein zweiter Zidane werden können, wenn er seine Fußball-Karriere durch seine Aggressivität nicht vergeigt hätte. Auch seine Ehe und seinen letzten Job hat er leichtsinnig aufs Spiel gesetzt. Antoine muss Jeff dankbar sein, dass der ihn auf dem Campingplatz wohnen und arbeiten lässt. Wie fast alle Kneipen gehört der Campingplatz Serge Perez, der im Schnittpunkt konkurrierender Mafia-Clans hinter der Fassade des Tourismus noch andere Aktionen laufen hat.


    Antoine steht für die einfachen Leute, die Waren verkaufen, Dinge in Ordnung halten und Patienten pflegen – und die trotz ihres Jobs auf keinen grünen Zweig kommen. Marion, seine Ex, die sich zwischen zwei Halbtags-Jobs aufreibt, rechnet wie auch andere weibliche Figuren des Romans zur Verlierer-Seite. Marion verlässt Antoine, weil mit ihm ihre bescheidenen Träume nicht zu verwirklichen sind. Aus Antoines Generation ist bisher niemand auf die Idee gekommen, aus dem Ort wegzuwollen, obwohl sie alle gern sichere Jobs und weniger Plackerei hätten. Oliviers Figuren sind Maurer, Wachleute, Anstreicher, Gepäckträger, Busfahrer, Pflegekräfte und Zimmermädchen. Niemand von ihnen hat die Muße, das Meer oder die Landschaft zu genießen, „Das Leben, das man hat, ist zu groß, um es sich auch nur vorstellen zu können,“ meint Antoine.


    Auf der anderen Seite stehen Ferienhaus-Besitzer und Leute wie Perez, die Jobs zu vergeben haben. Unter den Besuchern sind Paul und Helène, die früher im Ort ein Ferienhaus hatten und mit Kindern und Enkeln kletterten und schwammen. Nun ist Helène schwer krank und Paul würde am liebsten gar nicht mehr ans Meer kommen, um nicht mit dem Verfall des Alters konfrontiert zu werden. Neben dem Kern aus Antoines Bezugspersonen treten weitere vielschichtige Personen auf, denen Adam allen eine individuelle Stimme gibt. Herausragend die ältere Generation, Antoines Vater Serge und Helène und Paul.


    Aus dem Netz der Beziehungen tritt schließlich das Kernproblem einer Gesellschaftsschicht hervor, die sich an den Rand gedrängt fühlt. Auch wenn professionelle Kümmerer wie Delphine sich für ihre Klienten ein Bein ausreißen, kommen sie nicht gegen deren erlernte Hilflosigkeit an und gegen tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Polizei, Lehrern, Sozialarbeitern, der Arbeitsagentur und natürlich der französischen Regierung und Europa. Je schutzbedürftiger jemand ist, umso misstrauischer wird er agieren und umso dringender braucht er einen Schuldigen, um seine persönliche Misere zu rechtfertigen.


    Fazit

    Aus zahlreichen Perspektiven legt Olivier Adams Roman außerordentlich treffend dar, warum nicht nur in Frankreich die arbeitende Bevölkerung sich von den regierenden Politikern immer weniger repräsentiert fühlt. Adam formuliert direkt, ohne falsche Rücksichten, gibt seinen Figuren unterschiedlicher Generationen und Milieus jeweils authentische Stimmen – und jongliert gekonnt mit 22 Erzählperspektiven.


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