Alice Pung - Ungeschliffener Diamant / Unpolished Gem

  • Verlagstext

    »Ungeschliffener Diamant«, 2007 als bestes australisches Debüt ausgezeichnet, erzählt von den Herausforderungen des Erwachsenwerdens in einer globalisierten Welt: Als Tochter chinesisch-kambodschanischer Einwanderer wächst Alice mitten in Melbourne zwischen Hausgöttern, Aberglauben und strengen Traditionen auf. Doch schon bald kommt ihr die Welt der Eltern exotischer vor als die neue Heimat. Mal ernst und verzweifelt, dann wieder augenzwinkernd ironisch entfaltet dieses erzählerische Juwel seinen unwiderstehlichen Charme.


    Die Autorin

    Alice Pung (*1981) lebt als Anwältin und Schriftstellerin in Melbourne, engagiert sich an Schulen und hält zahlreiche Vorträge an Universitäten in aller Welt. »Ungeschliffener Diamant« ist ihr erster Roman, er erschien 2006, stand auf zahlreichen Shortlists und wurde 2007 als bestes australisches Debüt ausgezeichnet.


    Inhalt

    Die Geschichte des Mädchens Alice begann schon vor ihrer Geburt als sie im Bauch ihrer Mutter aus einem Flüchtlingslager in Vietnam nach Australien kam. Alices chinesischstämmige Großmutter Huyen muss viele Male die Familiengeschichten erzählen, ehe Alice versteht, warum Mutter und Großmutter nach Jahren in Australien noch immer nur Teochew, den Dialekt der chinesischen Provinz Guangdong, sprechen. Die Oma kam aus China nach Kambodscha; arbeitete, wurde die zweite Frau eines erheblich älteren Mannes. Vor dem Pol-Pot-Regime und dessen Killing Fields floh die Familie nach Thailand. "Australien oder Kanada?" wurde Alices Vater im thailändischen Flüchtingslager gefragt. "Austalien", antwortete er, da er wusste, dass es in Kanada Schnee gibt. So kam es, dass Alices Eltern zu Fuß durch drei asiatische Staaten marschierten und schließlich nach Melbourne gelangten. Großeltern, Tanten und Cousinen folgen der jungen Familie, sobald sie es sich leisten können. Um in Melbournes Asiaten-Viertel Footscray zurechtzukommen, muss man die Kunst des knallharten Handelns beherrschen, aber nicht unbedingt Lesen und Schreiben können. Angesehen ist hier, wer auf dem Markt den frischesten Fisch erkennt und Hühner lebend kauft.


    Alices Eltern arbeiten und sparen, bis der Vater ein eigenes Geschäft eröffnen kann. Die Mutter produziert zu Hause Goldschmuck; der Großvater bestellt den Garten hinter dem Haus. Man will ja keine Schande über die Rasse bringen, darum bleiben die chinesischen Küchenkräuter streng außerhalb der Sichtweite der Nachbarn. Alice wird von der Großmutter betreut, die sie in kleine wattierte Maoanzüge und seltsame Schlafanzugteile kleidet. Das Verhältnis zwischen Mutter und Großmutter ist alles andere als harmonisch, Enkelin Alice fühlt sich wie eine Informantin, die zwischen Oma und Mutter die Fronten wechselt und von den Gegenparteien ausgehorcht wird. Im Rückblick wird es Alice so vorkommen, als wäre ihre Mutter ständig erschöpft von der Arbeit und immer schwanger gewesen. Als Älteste ist sie mit nur 9 Jahren für ihre beiden jüngeren Schwestern verantwortlich, oft todunglücklich über die wenige Freizeit, die ihr bleibt. Mädchen in asiatischen Familien reifen schnell. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, wenn sie so früh Verantwortung tragen müssen.


    Nach dem Tod der Großmutter, die Alice wie eine Wortzauberin mit ihren Geschichten eine Identität gab, verstummt Alice ihrer Mutter gegenüber, die noch immer kaum Englisch spricht. Alice kann inzwischen zu wenig Chinesisch, um einer Erwachsenen Australien zu erklären. Erst viel später wird Alice verstehen, warum ihre Mutter, die in Kambodscha nur ein Jahr zur Schule gegangen war, ihren Englisch-Anfängerkurs wütend aufgibt. Wer seinen Lebensunterhalt immer selbst als Markthändlerin verdient hat, kann in diesem Kurs nichts für sein Leben lernen; denn Geschäfte werden in Footscray auf Ehrenwort und ohne Schriftkram gemacht. Als das Familiengeschäft längst erfolgreich ist, kann Alices Mutter nicht loslassen - welchen Sinn sollte ihr Leben ohne Arbeit haben? Umgeben von Wohlstand wird sie depressiv. Auch Alice wird nach ihrem Schulabschluss in tiefe Depressionen versinken, weil sie sich trotz allerbester Leistungen zunächst kein Studium zutraut.


    Fazit

    Alice Pung erzählt mit ihrer Biografie ein Auswandererschicksal, das den Lebensläufen vieler Immigranten ähnelt. Die Treffsicherheit, mit der die junge australische Autorin ihre Gefühlswelt als kleines Mädchen oder als Schülerin zeichnet, macht Pungs Erinnerungen zu einer herausragenden Biografie. Punktgenau trifft sie den lüstern-verschämten Ton, in dem Familiengeschichten über weggegebene Kinder und Zweitfrauen erzählt werden und lästert mit dem altklugen Zynismus Pubertierender darüber, wie sie mit 12 Jahren und ihrer ersten Nähmaschine aus Begeisterung für das Nähen zur Produktpiratin wurde. Die Autorin zeigt sehr kritisch und dabei völlig unlarmoyant den Druck auf Kinder asiatischer Familien auf, ihre Dankbarkeit gegenüber ihren hart arbeitenden Eltern durch beste Schul-Leistungen zu zeigen. Bis sie heiraten - natürlich einen Partner asiatischer Herkunft - werden die Töchter als "ungeschliffener Diamant" streng von der Familie gehütet. Das tiefe Verständnis der erwachsenen Alice Pung für die Situation ihrer Großmutter und ihrer Eltern bewundere ich; es macht mir ihre literarische Figur Alice so sympathisch, dass ich deren Weg zum persönlichem Glück gern noch ein paar Kapitel länger verfolgt hätte.


    Fortsetzung unter dem Titel Her Father's Daughter


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ein Mädchen mit Prokura

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Buchdoktor

    Hat den Titel des Themas von „Alice Pung Ungeschliffener Diamant / Unpolished Gem“ zu „Alice Pung - Ungeschliffener Diamant / Unpolished Gem“ geändert.
  • :winken: Ich auch. Kannst du es bearbeiten in Unpolished Gem?

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ein Mädchen mit Prokura

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


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