Marina Lostetter - Die Reise / Noumenon

  • Großartige Science Fiction.


    Inhalt und meine Meinung – Achtung hier wird aus dem Inhalt berichtet:

    Zuerst muss ich gestehen, dass mir anfangs der Titel nicht so ganz zugesagt hat; ich fand ihn irgendwie zu profan, zu langweilig.

    Aber eigentlich ist er genau richtig.

    Denn er drückt alles aus, worum es in diesem Roman geht.

    Und er komprimiert den Inhalt ganz konkret auf das Wesentliche.


    In dem Roman geht es um folgendes:

    Als ein Wissenschaftler im Weltall ein interessantes Objekt entdeckte, allerdings sehr weit entfernt, wurde beschlossen einen Konvoi zur Untersuchung dieses Objektes dorthin zu entsenden. Es sollen mehrere Schiffe sein, weil man befand, dass es für die Menschen an Bord ein Gefühl des nicht-so-eingeschlossen-seins sei, wenn sie von einem Schiff auf ein anderes wechseln zu könnten. Da die Reise sehr lange dauern würde, beschloss man die Mannschaft ca. alle 10 Jahre neu zu klonen. Allerdings stellte sich schon bald heraus, dass nicht jeder geklonte Nachfahre genauso „funktioniert“ wie sein Vorgänger oder das „Original“; dies lässt sich auf die einfache Tatsache zurückführen, dass jeder Klon einfach seine eigenen Erfahrungen macht. So ist es eigentlich auch nicht weiter verwunderlich, dass die zweite oder dritte Generation an Bord an ihrer Mission zweifelt bzw. an ihrem Dasein fast verzweifelt, da sie diejenigen sind, die nicht mehr die Stimmung des Aufbruchs und die Hoffnungen ihrer Erden-Menschen direkt mit auf den Weg mitbekommen haben – und sie sind auch die Generation, die definitiv nicht beim Objekt, das sie besuchen wollen, ankommen werden. Denn der Konvoi ist ca. 100 Jahre unterwegs – aber bis sie zur Erde zurückkommen werden sind dort ca. 1000 Jahre vergangen.

    Eine interessante Konstellation.


    Vom Inhalt war ich sehr überrascht, denn beim Lesen fand ich viele großartige Momente!


    Die erste Offenbarung hatte ich, als die Autorin beschreibt, wie der Konvoi zu ihrer Reise aufbricht und die Erde verlässt. Die gesamte Besatzung verfällt in ein Kind-Stadium, als hätten sie „sturmfreie Bude“, denn endlich sind sie alle den Bestimmungen und der permanenten Überwachung durch die Erden-Menschen, die sie auf ihre ach so wichtige Mission vorbereitet haben, los und schon treten all die übersprudelnd-negativen Eigenschaften hervor, weil sie alle hemmungslos die „Sau rauslassen“.


    Auch von der Künstlichen Intelligenz an Bord war ich positiv überrascht.

    Ich hatte immer mal wieder die Befürchtung, dass sie sich zum Negativen entwickeln könnte.

    Aber nein, sie blieb immer den Menschen gegenüber positiv eingestellt.

    Und ich fragte mich das ein und andere Mal, wer denn nun „menschlicher“ war: die Künstliche Intelligenz oder die allzu korrekte Mannschaft an Bord.


    Die Autorin hat das Talent gruppendynamischen Prozesse sehr realistisch in ihre Story einzuweben.

    Denn sie hat wirklich ein sehr feines Gespür dafür, wie sich Gesellschaften oder in welche Richtung sich Individuen entwickeln können.


    So manch gekonnte Formulierung erfreute mich beim Lesen:

    „Der Blickwinkel verändert die Fakten.“ (S. 221)


    „Was konnte ich tun? Ich war in mir selbst eingesperrt, aber ich konnte auch nicht tatenlos dasitzen und meinen Servern beim Summen zuhören.“ (S. 202)


    „Der erste schreckliche Gedanke war, dass … verstorben sei. Das löste zunächst egoistische Schadenfreude aus, doch gleich darauf trat an ihre Stelle ein Vakuum der Trauer – mit genügend Sogkraft, um den Neid eines schwarzen Lochs zu wecken.“ (S. 498)


    Was mich störte, waren zwei oder drei Situationen beim Lesen, bei denen ich mir einen besseren Übergang oder eine zusätzliche Information gewünscht hätte.


    Dass jetzt nicht so sehr viel Augenmerk auf das unbekannte Objekt oder andere wissenschaftliche Themen verwandt wurde, hat mich hier nicht weiter gestört – ich denke jeder Autor hat so seine eigenen Schwerpunkte, die er im Buch unterbringen möchte.


    Auch das Ende hat mich völlig überzeugt.

    Sowohl die Ankunft auf der Erde als auch das, was danach kam – nämlich der Wiederaufbruch. Sehr gute Idee.


    Fazit: Echt gelungen!


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Marina Lostetter - Die Reise“ zu „Marina Lostetter - Die Reise / Noumenon“ geändert.
  • Schade, da wäre mehr drin gewesen.


    In dem Science-fiction-Roman „Die Reise“ von Marina Lostetter macht sich die Menschheit auf, ein geheimnisvolles Objekt im All zu erkunden, das Wissenschaftler entdeckt haben. Die Reise dorthin ist mehrere Menschenleben lang, eine Schwierigkeit, die durch das zyklische Klonen der Besatzung gelöst wird. Doch unterscheiden sich die Generationen von Klonen, bringen ihre eigenen Besonderheiten und Vorstellungen mit, was zu unvorhergesehenen Problemen führt.


    Ein spannendes Konzept, an dessen Umsetzung die Autorin meiner Meinung nach schon aufgrund der Kürze des Buches (561 Seiten) scheitern muss. Mir fiel es sehr schwer, mich in das Erleben und die Charaktere der einzelnen Klongenerationen hineinzuversetzen, da diese zu schemenhaft und nur oberflächlich beschrieben werden. Kaum hatte ich mich in die eine Klongeneration hineingefühlt, schon kam ein Zeitsprung und die nächste Generation übernahm das Geschehen. Konflikte und scheinbar ausweglose Situationen werden nicht aufgelöst, sondern durch Zeitsprünge in die Zukunft beendet, ohne dass der Leser den Lösungsweg nachvollziehen kann. Auch die vielen aufkommenden soziologischen und psychologischen elementaren Fragen des menschlichen Daseins, z.B. wer bin ich? was ist der Sinn meines Lebens?, wie gestaltet man das Leben in einer Gruppe?, werden von Lostetter zwar angerissen, jedoch aufgrund des begrenzten Seitenumfangs nur oberflächlich ausgebreitet, zumal auch noch wissenschaftliche Thematiken im Bereich von Astrophysik und Technik behandelt werden.


    All diese Ansatzpunkte hätten hochinteressanten und vielschichtigen Stoff für ein mehrbändiges Epos gegeben. Schade, dass Lostetter versucht, dies alles in einem Buch zu verarbeiten. Ich habe mir mehr versprochen, hoffe aber nun auf die Fortsetzung, denn Potential ist vorhanden!

    Wirklich ärgerlich sind für mich die vielen Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, hier sollte bei einer Neuauflage noch einmal Zeit seitens des Verlags investiert werden.