Ewald Arenz - Alte Sorten

  • Verlagstext

    Sally und Liss: zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sally, kurz vor dem Abitur, will einfach in Ruhe gelassen werden. Sie ist wütend auf alles, hasst alles: Angebote, Vorschriften, Regeln, Erwachsene. Fragen hasst sie am meisten, vor allem nach ihrem Aussehen.

    Liss bewirtschaftet allein einen Hof zwischen Weinbergen und Feldern. Schon beim ersten Gespräch der beiden stellt Sally fest, dass Liss anders ist als andere Erwachsene. Kein heimliches Mustern, kein voreiliges Urteilen, keine misstrauischen Fragen. Liss bietet ihr an, bei ihr auf dem Hof zu übernachten. Aus einer Nacht werden Wochen. Für Sally ist die ältere Frau ein Rätsel. Was ist das für eine, die nie über sich spricht, die allein das Haus bewohnt, in dem doch die frühere Anwesenheit anderer zu spüren ist? Während sie gemeinsam Bäume auszeichnen, Kartoffeln ernten, Bienen zuckern und Liss die alten Birnensorten in ihrem Obstgarten beschreibt, deren Geschmack Sally so liebt, nähern sich die beiden Frauen einander an. Und erfahren nach und nach von den Verletzungen, die sie beide erfahren haben.


    Der Autor

    Ewald Arenz, 1965 in Nürnberg geboren, hat englische und amerikanische Literatur und Geschichte studiert. Er arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane und Theaterstücke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Nähe von Fürth.


    Inhalt

    Sally ist aus einer Klinik weggelaufen und findet sich zwischen Weinbergen wieder. Dort kämpft gerade Liss ihren Anhänger aus einer schlammigen Spur heraus. Spontan bietet sie Sally an, bei ihr auf dem Hof zu wohnen. Sally/Sarah hatte ein Problem mit Erwachsenen und mit dem Essen, das wird schnell klar. Bei Liss stellt das Mädchen verwundert fest, dass der Druck vom Anspruch anderer gefesselt und gegen ihren Willen festgehalten zu werden, in Liss Haus nicht zu spüren ist. Der Hof, auf dem Wein, Obst und Kartoffeln angebaut werden, ist ein guter Ort für Sally. Die titelgebenden alten Obstsorten wachsen im Obstgarten, der noch immer die Handschrift des Vorbesitzers trägt. Liss wartet geduldig ab, wie es eine Tante tun würde, der man für einen Ferienaufenthalt eine schwierige
    Nichte angekündigt hat. Vielleicht ist die Nichte bei Tante Liss ja gar nicht schwierig … Liss erkennt sich in Sally, besonders ihren eigenen Hass, den sie als Jugendliche empfand, auf alles, das Dorf, den Hof, ihren Vater, darauf, dass sich nie etwas ändern würde.


    Nachdem Sally einige Tage ungestört mit der Seele gebaumelt hat, wird ihr deutlich, wie schwer die Hofarbeit für eine einzelne Person ist. Ernten, Keltern, Schnapsbrennen, Brotbacken, Hühner und Bienen versorgen, Sally hat von diesen Dingen und den Wörtern dafür noch nicht gehört. Sie begreift als absoluter Neuling jedoch sofort die Abläufe und bringt genau die beiden Hände mit, die Liss bisher auf dem Hof gefehlt haben. Dass Sally diese Stärke noch niemand bewusst gemacht hat, scheint mir ein aktuelles Problem unserer Gesellschaft zu sein, die zu viel über Defizite und zu wenig über Stärken spricht. Die gemeinsame Arbeit der beiden Frauen wirkt wie ein Museum für Kompetenzen, mit denen eine Familie früher autark leben konnte. Für Sally sind die Abläufe zugleich Erinnerungen an
    den Zwang, den sie als Jugendliche stets fühlte, wenn ihr Vater Fachwissen in sie hinein füllte.


    Wie ein roter Faden durchzieht Sallys Frage die Geschichte, warum Liss allein auf dem Hof lebt und warum die Dorfbewohner deutlich Distanz zu ihr wahren.


    Fazit

    Ein guter Roman spricht seine Leser individuell an. Ich habe mich hier stark von den handwerklichen Abläufen fesseln lassen. Deshalb war mein Highlight der Moment, als Liss erkennt: All das, gegen das ich mich als Jugendliche gewehrt habe, fliegt Sally einfach so zu, niemand muss sie zwingen. Zwei Frauen, die sich als Jugendliche ungeheuer ähnlich sind im Hass auf Zwang und Routine, nähern sich hier behutsam einander an. Ein starker Roman vom Überleben – im Dorf und in der Familie.


    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: --

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Dieses Buch würde ich schon allein aufgrund des Titels und des Covers kaufen... :lol: Ist also sofort auf die Liste gewandert.

    Danke für die neugierig machende Rezi! :D

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Dietrich Krusche (Hg.) - Haiku (Reread)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Dieses Buch würde ich schon allein aufgrund des Titels und des Covers kaufen... :lol: Ist also sofort auf die Liste gewandert.

    Danke für die neugierig machende Rezi! :D

    Es ist Lackoptik ...

    :bounce:

    Und hier gibt es noch mehr Entschleunigendes

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: --

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Eine Liste... :lol:

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  • Von alten Birnensorten und dem Finden eines Weges in die Welt


    Als Liss in ihrem Weinberg der 17jährigen Sally begegnet, braucht sie Hilfe. „Bist du stark?“, will sie von Sally wissen, und diese packt überrascht mit an. Liss stellt kaum Fragen, nimmt das Mädchen bei sich auf und gewährt ihr Unterschlupf. Im Gegenzug hilft Sally bei den täglichen Arbeiten auf dem Hof.

    Liss erkennt sehr schnell, dass Sally ohne Halt, wütend und gegen jeden und jedes ist. Aus ihrer Sicht versteht sie niemand, nicht ihre Eltern, die Lehrer in der Schule. Sie lehnt sich gegen Normen und Regeln auf, denen sie bislang ausgesetzt war. Sie will nirgendwohin, sondern vielmehr von allem weg. Darum ist sie aus einer Klinik abgehauen, in die ihre Eltern sie wegen ihrer psychischen und angeblichen Ess-Probleme gebracht hatten.

    Hier auf dem Bauernhof verläuft das Leben in einem anderen Tempo. Der Alltag ist ein anderer als der, den Sally aus der Stadt gewohnt ist. Liss, eine Mittvierzigerin, wirtschaftet allein, backt ihr eigenes Brot, hat Hühner, Bienen und einen Garten mit alten Birnenbäumen, aus den Früchten brennt sie selbst Schnaps. Die Gelassenheit, mit der sie Sally behandelt, irritiert diese zunächst. Doch Sally beginnt sich hineinzufinden und lernt eine unbekannte Seite des Daseins kennen, mit der sie bisher wenig in Berührung gekommen ist. Sie entdeckt die Erfüllung in der Arbeit auf dem Feld, im Weinberg, dem Obstgarten und mit den Hühnern und Birnen. Sie hat wieder Freude am Essen. Und deshalb verschwinden mehr und mehr ihr Misstrauen und ihre Protesthaltung.

    Indes haben Sallys Eltern die Suche nach ihrer Tochter nicht aufgegeben. Und außerdem gibt es einen Grund dafür, dass Liss den anderen Dorfbewohnern fern bleibt und nicht gern gesehen ist. Sowohl Liss als auch Sally werden mit ihrer Vergangenheit konfrontiert...


    „Alte Sorten“ ist ein leises Buch, wenn auch vor allem dessen junge Heldin Sally laut(stark) ihren Unwillen und ihren Frust zum Ausdruck bringt. Der Roman wirft einen Blick auf das Exstienzielle, und Ewald Arenz lässt den Leser in einer stimmungsvoll wechselnden Wortgewandtheit und mit atmosphärisch dicht beschriebenen Naturbildern teilhaben an einem entschleunigten Leben auf dem Land, wo vieles noch so abläuft, wie es schon immer gewesen ist.

    „Im sattgrünen Laub leuchteten die Äpfel wie Farbtupfer. Wie gut es sich manchmal anfühlte, einfach am Leben zu sein. Nichts sonst. Einfach nur am Leben zu sein.“ (Seite 63)

    Er erzählt von den Mühen der Arbeit, der Schinderei, des Eingebundenseins in einem Rhythmus, der Teil der Natur ist und sich dieser anpasst, außerdem von der Glückseligkeit, mit dem von eigener Hand Geschaffenen zufrieden zu sein, weil es einen Grad der Unabhängigkeit ermöglicht. Von den Momenten der Stille. Den Blick auf das verschwindende Licht des Tages. Dem Hinsetzen. Miteinander reden. Schweigen. Zuhören. Verstehen. Auch die ungesagten Dinge.

    „Das Schweigen um sie wurde tiefer, aber nicht schwerer. Es war gut, dass sie beide nichts sagen mussten.“ (Seite 47)

    Es ist ein Geschichte, die Gerüche, Geräusche und Geschmäcker bis zum Leser transportiert. Es ist eine Geschichte, die vollgepackt mit aufwühlenden und reichhaltigen Emotionen ist und mehr als eine Seite im Inneren zum Klingen bringt.

    Ewald Arenz erstes Bild seiner Protagonistinnen Liss und Sally kann nicht gegensätzlicher sein. Auf der einen Seite die wortkarge, verschlossene Bäuerin auf ihrem Hof auf dem Land, die geringen Kontakt zu den anderen Dorfbewohnern hat. Auf der anderen Seite das aufmüpfige Mädchen aus der Stadt, das schnell aus der Haut fährt und sich von seinen Eltern verfolgt fühlt.

    Gleichwohl offenbaren sich im Laufe des Geschehens, das sich lediglich auf wenige Wochen beschränkt, viele Gemeinsamkeiten.

    „Sie dachte an die Bienen. Manchmal fühlte es sich gut an, zusammenzuarbeiten. Weil der andere bewirkte, dass man einen eigenen Platz im Ganzen erkannte. Dass man auf einmal Bedeutung in einem Ganzen hatte und nicht einfach nur existierte.“ (Seiten 81 f.)

    Beide sind einsam, empfindsam, glauben sich von ihrer Umwelt missverstanden. Besonders Sally reagiert oft grob und unflätig. Aber Liss nimmt bezüglich Sally Parallelen zu dem jungen Mädchen wahr, das sie einmal gewesen ist. Sie empfand sich einst ebenfalls als gefangen auf dem Hof ihres Vaters, weil sie nicht der gewünschten Norm entsprach, wurde enttäuscht von ihr nahe stehenden Bezugspersonen. Was folgten, waren Verletzungen und innere seelische Konflikte, die bis in die Gegenwart reichen.

    Und während Liss Sally mit mildem Gleichmut und Respekt behandelt, vertieft sich das Band der Freundschaft zwischen ihnen, und darüber hinaus vermag es Sally, die Liss' einschnürenden Knoten zu lösen und den Weg aus dem Schweigen und für Verzeihen und Vergeben freizumachen. Liss und Sally werden aufeinander aufpassen...


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Auch ich habe diesen Roman gern gelesen, aber aufgrund der begeisterten Rezis vielleicht zu hohe Erwartungen gehegt.


    Hinsichtlich der vielen Details zur einerseits entschleunigten, aber dennoch pausenlos mit Arbeit erfüllten bäuerlichen Lebensweise bin ich völlig auf meine Kosten gekommen - die Details zur Kartoffelernte, Bienenhaltung und Birnenvergeistigung :lol: habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Auch die spezielle Mentalität einer in traditionellen Bahnen denkenden Dorfgemeinschaft wurde auf interessante Weise angedeutet.

    Auf der anderen Seite jedoch waren mir die Charaktere zu flach angelegt, die Parallelen der beiden Hauptfiguren wurden vor allem im ersten Teil des Buches für meinen Geschmack viel zu plakativ präsentiert. Hier hätte es dem Roman meiner Ansicht nach gut getan, wenn der Autor sich mehr Zeit genommen hätte, diese Parallelen, aber auch die Unterschiede in Wesen und Entwicklung der beiden Frauen langsamer zu entwickeln und zu zeigen, statt sie nur zu behaupten. Diesen Aspekt habe ich ungefähr ab der zweiten Hälfte des Buches als gelungener wahrgenommen.


    Vielleicht hatte der Roman es auch ein bisschen schwer bei mir, weil eine ähnliche Grundidee mit zwei Frauen aus verschiedenen Generationen, die eine Art Familie ineinander finden, bereits von Dörte Hansen in „Altes Land“ sehr subtil und vor allem vielschichtiger als hier umgesetzt wurde.


    Dennoch schöne :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:.

    :study: Jutta Aurahs - Katzen :cat:

    :study: Han Kang - Griechischstunden

    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

    :montag: Dietrich Krusche (Hg.) - Haiku (Reread)

    :montag: Deb Olin Unferth - Happy Green Family (Reread)





  • Schweigen können

    Klappentext

    Sally und Liss: zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sally, kurz vor dem Abitur, will einfach in Ruhe gelassen werden. Sie hasst so ziemlich alles: Angebote, Vorschriften, Regeln, Erwachsene. Fragen hasst sie am meisten, vor allem die nach ihrem Aussehen.

    Liss ist eine starke, verschlossene Frau, die die Arbeiten, die auf ihrem Hof anfallen, problemlos zu meistern scheint. Schon beim ersten Gespräch der beiden stellt Sally fest, dass Liss anders ist als andere Erwachsene. Kein heimliches Mustern, kein voreiliges Urteilen, keine misstrauischen Fragen. Liss bietet ihr an, bei ihr auf dem Hof zu übernachten. Aus einer Nacht werden Wochen. Für Sally ist die ältere Frau ein Rätsel. Was ist das für Eine, die nie über sich spricht, die das Haus, in dem die frühere An-wesenheit anderer noch deutlich zu spüren ist, allein bewohnt? Während sie gemeinsam Bäume auszeichnen, Kartoffeln ernten und Liss die alten Birnensorten in ihrem Obstgarten beschreibt, deren Geschmack Sally so liebt, kommen sich die beiden Frauen näher. Und erfahren nach und nach von den Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden.

    Meinung

    Wie sehr können Worte verletzen, wie sehr kann Schweigen verwunden, was macht Sally wenn sie sich überall fremd fühlt, was ist das für Liss ein Gefühl angebunden zu sein?

    Liss fühlt sich eingesperrt in einer Umgebung wo der eine sagt wo es lang geht und alle anderen müssen hinterher und wehe nicht. Sally möchte dann essen, reden oder schlafen, wann sie möchte nicht dann, wenn andere meinen es ist die passende Zeit.

    Beide können die Worte hinter dem Schweigen der anderen hören. Beide spüren die Verletzungen der anderen und verstehen sie. Beide fragen nicht und bekommen trotzdem Antworten.

    Anders sein dürfen, wie Bäume die nach der Sonne wachsen, frei nicht an Pfähle angebunden.

    Verschieden sein wie alte Sorten Birnen, wo jede anders schmeckt.

    Ein selbstbestimmtes Leben, ohne Vorgaben, wie das haben wir immer so gemacht oder was sollen die Leute sagen.

    Der Autor spielt mit dem Geschmack der Birnen, mit der Arbeit auf einem Hof, er vermittelt die Wärme der Sonne, das Gefühl vom Regen im Gesicht, er lässt uns warme Erde fühlen, einen Bienenstich erwarten.h

    Er zeigt aber auch die Hilflosigkeit der Eltern, der Umgebung wenn jemand anders fühlt als es "normal" ist.

    Alles zusammen hat ein sehr intensives Buch ergeben, das ich nach dem durchlesen, eigentlich sofort wieder anfangen wollte. Es ist ein Buch das den Leser gefangen nimmt und nie wieder los lässt.

    Eines der Bücher die man immer wieder liest und wenn es dann irgendwann auseinander fällt, neu kauft.

  • Die siebzehnjährige Sally ist wütend auf die Welt, auf alle, die ihr vorschreiben wollen, was sie zu tun hat. Aber sie ist auch wütend auf sich selbst. Dann begegnet sie Liss. Die ältere Frau fragt sie, ob sie mal eben helfen kann, den Anhänger des Traktors aus dem Graben zu ziehen. So eine einfache Frage wirft Sally etwas aus der Bahn. Ansonsten stellt Liss keine Fragen zu Sally als Person, sondern bietet ihr an, auf ihrem Hof zu übernachten. Es bleibt nicht bei einer Nacht. Liss lebt sehr zurückgezogen und spricht nicht über sich selbst. Doch die Frauen arbeiten gemeinsam und kommen sich näher.


    Dieses Buch habe ich inzwischen schon zweimal gelesen und es hat mich wieder gepackt. Die Sprache ist schnörkellos und doch einnehmend.


    Sally ist abgehauen, weil sie es satt hat, immer die Erwartungen der anderen erfüllen zu sollen. Ihre eigenen Wünsche bleiben dabei auf der Strecke. Das macht sie wütend und hilflos. Sie fühlt sich unverstanden. Dann trifft sie auf Liss, eine Frau, die in sich ruht, aber auch ihre Verletzungen davongetragen hat. Liss hat keine Erwartungen an Sally, sie stellt keine Fragen. Sie nimmt Sally, wie sie ist. Beim gemeinsamen Arbeiten erfährt Sally, dass Bäume in den Himmel wachsen dürfen und die alten Sorten Birnen aussehen dürfen wie Eier. Nichts muss, alles kann.


    Obwohl beide Frauen die andere nichts fragen, kommen sie sich näher und es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft. Irgendwann fühlt Sally sich zugehörig und es fühlt sich richtig und gut für sie an.


    Es ist eine wunderschöne emotionale Geschichte über zwei verletzliche, aber auch starke Frauen, die erfahren, dass mehr in ihnen steckt, als sie selbst erkannt haben.


    Ich liebe dieses Buch und werde es sicherlich noch öfter lesen. Absolute Leseempfehlung!

  • Liss ist über vierzig und bewirtschaftet ganz allein einen Hof mit Weinbergen, Obstgarten und Waldstück. Im Dorf ist sie nicht gerade beliebt, nur die alte Anni, die sie schon aus ihrer Kindheit kennt, spricht überhaupt noch mit ihr. Doch dann taucht eines Tages die 17-jährige Sally auf. Frisch aus einer Klinik ausgerissen, in der sie wegen einer Essstörung und Selbstverletzung behandelt wurde, ist sie voller Wut auf die Welt und vor allem auf die Erwachsenen. Als die beiden Frauen sich begegnen, scheint es wie Schicksal, denn Liss ist die erste, die Sally nicht ständig kontrollieren will und auch sie scheint umgekehrt etwas in Liss auszulösen.


    Ewald Arenz gelingt es, mit "Alte Sorten" den Spätsommer vor meinen Augen zum Leben zu erwecken, seine Sprache ist sehr metaphorisch und bildhaft und dennoch einfach. Liss' Leben auf dem Hof erscheint zunächst idyllisch und voller Freiheit, mit ihrer ruhigen Art bringt sie auch Ruhe in die Handlung und vor allem in Sallys Alltag. Endlich ist da jemand, der sich ihren Wutanfällen stellt und der sie einfach nur sie selbst sein lässt. Betrachtet man diese beiden Frauen ein wenig genauer, so wird schnell deutlich, dass sie sich ähnlicher sind als zunächst gedacht. Beim gemeinsamen Arbeiten nähern sie sich an und wir erfahren, dass Liss in Sally ihr jüngeres Ich erkennt. Die beiden harmonieren miteinander, doch ewig wird ihre Gemeinschaft so nicht weiter bestehen können. Schließlich sind da noch Sallys Eltern und Liss' Vergangenheit, die sie einzuholen droht.


    Was wie eine nette Geschichte über das Landleben beginnt, entwickelt sich im Verlauf der Handlung zu einer tiefgründigen Mahnung daran, was geschieht, wenn junge Menschen sich nicht frei entwickeln dürfen, wenn sie wie ein Obstbaum stur in eine Richtung gebunden werden. Und während am Anfang noch Sally diejenige ist, die Liss' stumme Unterstützung zu brauchen scheint, ist sie es letztendlich, die wichtige Gedanken und Veränderungen bei Liss anstößt und erkennt, wie es hinter deren starker Fassade wirklich aussieht. Auch das - für mich - Fazit dieses tollen Romans zieht Sally selbst: Manche Wunden werden sich niemals vollständig schließen, aber auch wenn sie schief zusammenwachsen und manchmal schmerzen, lohnt es sich, ihnen die Zeit zum Heilen zu geben. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ich kann mich den allgemeinen Begeisterungsstürmen nicht so ganz anschließen und bin sogar etwas überrascht, dass der "anspruchsvolle" Büchertreff-Block so darauf abfährt. Sicher, "Alte Sorten" ist in recht ansprechender Sprache verfasst, auch wenn diese immer wieder durch Sallys Ausbrüche unterbrochen wird, aber unter dem Strich gibt die Geschichte für mich jetzt nicht so viel her als dass ich mich zu einer höheren Bewertung durchringen könnte. Zwei unterschiedliche Charaktere treffen aufeinander und stellen fest, dass es doch so einiges gibt, das sie verbindet. Das ist nicht gerade neu. Die beiden Protagonistinnen sind im übrigen so ziemlich die einzigen Personen, von denen die Handlung bestimmt wird. Andere Charaktere kommen so gut wie nie vor bzw. werden zu absoluten Randfiguren degradiert, was mir im Nachhinein erst so richtig auffällt, ich aber ziemlich interessant finde. Vom Hocker konnten mich Sally und Liss aber nicht reißen und zu beiden konnte ich nicht wirklich einen Bezug herstellen. Waren sie doch auch ziemliche Stereotypen, vor allem die magersüchtige, wütende, ritzende Sally ist schon ziemlich aus dem Baukasten für schwierige Jugendliche. Am Schönsten fand ich die Beschreibungen des Bauernhofs, der alten Gerätschaften und dem Ablauf der Arbeiten. Da kam für mich die meiste Idylle auf und da gerieten dann auch die eher unspannenden Charaktere in den Hintergrund. Die wilde Birnengarten, das Ernten der Trauben, die Lokomobile...das waren meine Highlights.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

  • Original : 2019


    Ich ärgere mich über die Floskel des Klappentextes:


    «Sally und Liss: zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten ...»


    Das schwimmt ja nur so an der Oberfläche, denn schon bald ist klar, wie verwandt beide in vielen Dingen auch sind. Zwar stehen sie an verschiedenen Lebenspunkten – also doch unterschiedlich ? - doch zumindest Liss erkennt sich schnell in der aufbrausenden Sally wieder. Denn in ihrer Jugend war sie ähnlich aufmüpfig. Den beiden « Lebenseinstellungen » sind nahezu eigene Sprachgebräuche zugeordnet. Und da läßt sich Arenz meines Erachtens etwas leichtfertig gehen, biedert sich nahezu beim « coolen » Leser an, indem er als 54-jähriger Autor hier oft eine Pseudo-Aufbraus-Sprache benützt, nahe dran am Vulgären. Das paßt irgendwie nicht rein. Für mich. Und ärgert mich. Es wirkt dann fast gekünstelt « jugendstilmäßig ». Hätte r das anders lösen können?


    Was mir wiederum sehr gefallen hat ist die Einbindung in das alltägliche Leben auf einem Weingut und kleinen Bauernhof : die Wohltat, seine Hände in der Erde zu haben, sich zu vererden ! Und die einfachen Handgriffe zu verinnerlichen. Das ist wirklich toll.


    Insgesamt kommt das Buch bei mir zu dreieinhalb bis knappen vier Sternen.

  • Wow, was für ein Buch :applause: :pray:

    Und, wieder mal interessant wie unterschiedlich die Empfindungen doch sind.

    Für mich hat so ziemlich alles gepasst. Es hat mich mitgenommen und ich konnte nicht aufhören zu lesen. Es war an so vielen Stellen sehr realistisch was Sally betrifft. Gerade diese verbalen Ausrutscher haben alles noch authentischer gemacht. Sie ist keine schwierige Jugendliche, sondern krank. Und es war an so vielen Stellen treffend beschrieben was da in einem passiert. Das zumindest ist bei mir angekommen.

    Die Vergangenheit von Liss zeigt einem auf wie man noch Misshandelt werden kann -> Psychische Gewalt. Zuerst der Vater dann der Mann.

    Unglaublich wie kraftvoll dieses Buch bei mir angekommen ist :!:


    Aufjedenfall eine Leseempfehlung :thumleft:


    Von mir gibt es:  :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:



    Zum Schluss noch was allgemeines zu Rezesionen. Hätte ich diese hier vor dem Buch gelesen, wäre das Buch mit Sicherheit nicht so bei mir angekommen oder evt garnicht erst gelesen worden.

    Diese Erfahrung hab ich 2 oder 3 mal gemacht. Das "schlechte" Rezesionen die Lust aufs Buch versaut haben. Oder extrem gute meine Erwartung so hoch angesiedelt haben das der Fall tief und hart war. Seit dem lese keine mehr vor dem Buch :) :wink:

    Ein Freund ist ein Mensch, der mich so nimmt wie ich bin -
    und nicht so,
    wie er am wenigsten Schwierigkeit mit mir hat!!

  • Ewald Arenz holt mich mit seinen Büchern direkt ab, so auch mit diesem. Charaktere wie Sally und Liss sind mir schon mehrmals begegnet, aber niemand hat sie so dargestellt wie es der Autor tut. Er schafft es, mit nur wenigen Worten mir zu vermitteln, was sie denken und fühlen.


    Das Zusammenleben der beiden entwickelt sich langsam, Sally muss sich erst in der ungewohnten Umgebung zurecht finden und Liss muss lernen, einen fremden Menschen in ihr Leben zu lassen. Erst danach erzählt Ewald Arenz die Geschichten der beiden Frauen.


    Der Autor braucht dazu nicht viele Worte. Aber mit diesen wenigen Worten malt er Bilder in meinem Kopf. Ich kann mir den Hof nur zu gut vorstellen, die Sommerhitze und die staubigen Felder. Für mich ist Ewald Arenz eine der Entdeckungen dieses Jahres.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: