J.L. Carr - Ein Tag im Sommer / A Day in Summer

  • Peplow wird an diesem Sommertag einen Mann töten und sich anschließend das Leben nehmen. Mit dem Dampfzug ist der Kriegsveteran an die britische Küste unterwegs. Sein Opfer arbeitet beim Jahrmarkt und der Treffpunkt der beiden Männer scheint willkürlich wählbar. Peplow wollt nie im Mittelpunkt stehen; durch den Unfalltod seines 10jährigen Sohnes wurde er in die Öffentlichkeit gezerrt. Peplow konnte nicht ahnen, dass er in Great Minden ausgerechnet zwei seiner Kameraden antreffen wird, mit denen er im Zweiten Weltkrieg in der Air Force diente. Herbert Ruskin sitzt im Rollstuhl und erkennt durch sein Fernglas Peplow schon beim Aussteigen aus dem Zug; der ehemalige Frauenschwarm Bellenger liegt im Sterben. Zu Anfang könnte man als Leser vermuten, der Plot würde Peplows Weg folgen - zum vollendeten Ziel oder zum Scheitern seiner Pläne. Doch so wie Besucher auf einen Jahrmarkt strömen tauchen nach und nach weitere Personen auf, deren Beziehungen zueinander vom außenstehenden Leser erst ergründet werden müssen. Im Geflecht des Dorfes gibt es einige Leerstellen, Menschen, die einfach verschwanden, Beziehungen, von denen bis heute nur die Beteiligten wissen, und damit Zusammenhänge, die sich dem Leser wie in einem Krimi-Ratespiel erst Schritt für Schritt erschließen.


    In der Woche vor Kirchweih liegen im Dorf die Nerven bloß. Peplow sieht durch sein Fernglas alles und nervt diejenigen, die sich beobachtet fühlen. Sein Ausschnitt aus dem Dorfleben ist dabei erheblich weiter gefasst als gut für die Beteiligten sein kann. Der Pfarrer als zugezogener Städter fühlt sich von seiner Gemeinde und vom Kirchenvorstand Lamb nicht respektiert; seine Frau Georgie macht ihn mit ihrer Untreue zum Gespött der Menschen. Der kleine Nicholas Bellinger ahnt, dass er nach dem Tod seines Vaters kein Zuhause mehr haben wird. Lehrer Croser ist noch in der Probezeit an der privaten anglikanischen Dorf-Schule und spielt mit dem Feuer, indem er aus mehreren Liebesbeziehungen den maximalen Profit für sich herauszuschlagen sucht. Wie einen Schakal, der wartet, dass von der Beute anderer etwas für ihn abfällt, sieht Ruskin den Lehrer. Crosers Direktorin trauert einer Jugendliebe nach und in der Familie Thickness schiebt das Familienoberhaupt seine Arbeitsscheu dem zwanzig Jahre zurückliegenden Krieg in die Schuhe. Die Leute in Great Minden brauchen kein Fernsehen und keine Bibliothek, der lüsterne Dorfklatsch genügt hier völlig, meint Georgie zu Peplow. Doch das System Dorf und Peplows Männerbund aus der Kriegszeit könnten sich als Steine auf seinem Weg entpuppen. Die Handlung spielt an einem einzigen Tag und steuert auf den möglichen Höhepunkt zu, ob Peplow den Mann erschießen wird, der direkt vor der Tür der Peplows ihren Sohn totgefahren hat. Schauplätze sind Privathäuser, Schule, Frisörsalon, der Friedhof und das Jahrmarktsgelände.


    Fazit

    Die Zusammenführung aller Handlungsstränge zum Finale gelingt Carr in seinem ersten Roman (1964) souverän, wenn auch einige Lösungen aus dem Zylinder gezaubert wirken und nicht alle Personen tiefgründig charakterisiert werden. Für einen Romanerstling (der als drittes Buch Carrs auf Deutsch erscheint) finde ich den Plot und die Analyse des Systems Dorf grandios; aber man sollte komplexe Beziehungen vieler Figuren mögen.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Und der Autor:

    J. L. Carr auch Joseph Lloyd Carr (geboren 20. Mai 1912 in Carlton Miniott, North Yorkshire; gestorben 26. Februar 1994 in Kettering) war ein britischer Schriftsteller.




    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker: