Hannes Köhler - Ein mögliches Leben

  • Kurzmeinung

    Juliannah
    Sehr nah und toll geschrieben.
  • Kurzmeinung

    wiechmann8052
    ein Buch das lange nachwirkt und sehr nachdenklich macht
  • Als Franz Schneider 1944 bei Cherbourg von der US-Army gefangen genommen wird, rettet das sein Leben. Hundertausende seiner Generation werden den Zweiten Weltkrieg nicht überleben, viele Schicksale bleiben bis heute ungeklärt. Franz und seine Kameraden befürchten zunächst, die Amerikaner würden ihre Gefangenen bei nächster Gelegenheit erschießen. Doch er gelangt ins Gefangenenlager Camp Hearne in Texas, arbeitet in der Landwirtschaft und wird später Baumwolle pflücken. 70 Jahre später wünscht sich der fast 90-jährige Franz eine gemeinsame Reise mit seinem Enkel Martin. Martin hatte bis zu diesem Zeitpunkt ein distanziertes Verhältnis zu seinem Großvater, wie vor ihm schon seine Mutter Barbara. Franz Spurensuche in Texas führt ihn in die kleine Gedenkstätte des Camps und weckt Erinnerungen an seinen Freund Paul. Pauls Eltern waren Einwanderer aus Deutschland, die völlig schockiert reagierten, als ihr Sohn sich für einen Kriegseinsatz im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Deutschen meldete. Paul wird von den eigenen Landsleuten gefangengenommen, übernimmt im Camp eine Mentoren-Rolle für den jungen Bergmann aus dem Ruhrgebiet und stellt damit die Weichen für Franz weiteres Schicksal. Wer in Camp Hearne Freund und Feind ist, war anfangs weder für die Bewacher noch für die Gefangenen leicht zu durchschauen.


    Auf mehreren Zeitebenen (1936, 1944, 1947, 1968 und 2014) erzählt Hannes Köhler über vier Generationen der Familie Schneider. Anders als der Klappentext vermuten lässt, steht nicht das Verhältnis Enkel-Großvater im Mittelpunkt des Romans, sondern ein allwissender Erzähler fügt Szenen aus Franz Schneiders Leben zu einem Gesamtbild. Im Laufe der Handlung stellen sich zahlreiche Fragen, die am Ende alle schlüssig beantwortet werden. Warum war das Verhältnis zwischen Franz und seiner Tochter Barbara so kühl, was geschah wirklich, als er seinen Ringfinger verlor – und vor allem: warum ist Franz nicht in die USA ausgewandert, als sich nach dem Krieg die Gelegenheit dazu bot?


    Mein Wissen über deutsche Kriegsgefangene ist u. a. durch die Fotos geprägt, die meinen Vater und meine Onkel bei ihrer Rückkehr aus Russland und England zeigen. Auch wenn amerikanische PW-Lager nicht zu meiner Familiengeschichte gehören, finde ich es heute noch erstaunlich, wie stark ihre Erzählungen aus der Gefangenschaft mein Bild von anderen Nationen geprägt haben. Hannes Köhler löst mit einzelnen Szenen in meinem Kopf ganze Geschichten aus – auf der Basis durchschnittlicher Geschichtskenntnisse. Franz, der am Strand von Cherbourg auf seine Verladung wartet; Franz, dem bei der Ankunft die texanische Hitze entgegenschlägt und seine Erlebnisse wieder lebendig macht; der Uhrturm eines deutschen KZ; das allgegenwärtige PW-Zeichen auf der Kleidung uvm. Sehr glaubwürdig und treffend gezeichnet wirkt auf mich das Vater-Tochter-Verhältnis, das das Schweigen und die Verbitterung zwischen der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration auf den Punkt bringt. Gespräche mit meinem eigenen Vater kreisten jahrelang um die Frage, was wäre gewesen wenn?, warum hast du nicht? Auf emotionaler Ebene ist mir hier noch einmal deutlich geworden, warum die um 1920 geborene Generation sich in diesen Gesprächen nicht öffnen konnte.


    Das Titelbild gefällt mir nicht, weil im Mittelpunkt des Romans eine Einzelperson und ihre Familie stehen. Einige Szenen würden durch erklärende Fußnoten gewinnen. So bin ich mir z. B. nicht sicher, ob nach 1970 geborene Leser das Bild der schwarzen und feldgrauen Uniformen einordnen können.


    Fazit

    Insgesamt ein berührender Roman, der die Sprachlosigkeit zwischen Kriegsgeneration und deren Nachkommen erfahrbar macht.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Toibin - Long Island

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Hannes Köhler - Ein mögliches Leben

    Reifeprozess

    Ein Roman der nachdenklich macht, der eine Zeit lebendig werden lässt, die lange vorbei ist. Aber ist sie das wirklich ? Das Buch ist in klarer Sprache geschrieben und erzeugt nach einer anfänglichen Durststrecke einen deutlichen Sog. Man wird in eine Geschichte hineinkatapultiert, die sehr spannend geschrieben ist, die einen langen Nachhall besitzt.


    Der Roman beginnt mit einer Reise von Franz, dem Großvater und Martin, dem Enkel. Man bemerkt gleich zu Anfang das in der Familie der Beiden deutliche Abgründe lauern. Beide reisen nach Texas, weil Franz an den Ort seiner Gefangenschaft zurück möchte. Und in dem Museum des ehemaligen Lagers in Texas angekommen, beginnt er sich zu erinnern, an seine Gefangenschaft in Amerika am Ende des zweiten Weltkrieges. Es geht um die deutschen Gefangenen und ihre unterschiedlichen politischen Auffassungen. Und es geht darum, was politische Ideologien mit Menschen machen, oder was Menschen mit sich machen lassen und anderen Menschen antun. Der Großvater erzählt von seiner Zeit in diesem Lager, bis er ein Trauma erlebt. Die Hauptperson durchlebt in seiner Zeit im Lager und besonders durch das erlebte Trauma einen Gesinnungswandel, verändert sich langsam, aber kontinuierlich.


    "Die Innenseiten seiner Augenlider sind die Bildfläche, die er seinem Hirn nicht geben darf. Die Zugfahrt über hat er hinausgestarrt, zunächst in die Wüste, auf die gelben Felsen Arizonas, später in das leuchtende Rot im Süden Utahs, aber auch die Farben sind nicht mehr neutral, auch das Rot wollte erzählen, von den schneeweißen Verbänden, die es gefärbt hat, davon, wie es erst sehr hell und leuchtend war und dann fast schwarz werden konnte; wie es zurückkehrte, auch wenn man die Verbände wechselte, wie es schien, als verließe mit dem Rot wirklich alle Farbe den Körper neben Franz, den Körper, über den er wachte."


    Er wird daraufhin in ein anderes Lager in Utah verlegt. Als die Beiden dann im Jetzt nach Utah reisen, beginnt sich eine Veränderung heraus zu kristallisieren. Der ehemals so verschlossene Großvater beginnt sich zu öffnen und erscheint dem Enkel wie ein neuer Mensch. Ein gegenseitiges Verstehen beginnt und es bröckeln viele Missverständnisse, die über die Zeit in der Familie entstanden sind. Und bald erfasst dieses Bröckeln die ganze Familie, Mauern fallen, werden eingerissen.


    Es geht um Reifeprozesse, die die Personen des Romans durchleben. Es zeigt wie Ereignisse, die vor langer Zeit einer Person widerfahren, noch lange Zeit später in den weiteren Personen einer Familie spürbar/fassbar sind und die weiteren Auswirkungen im familiären Rahmen. Aber es zeigt auch die Kraft der Veränderung, und das es sich immer lohnt diese zuzulassen.


    Ein tolles Buch !

  • Klappentext

    Ein Wunsch, den Martin seinem Großvater Franz nicht abschlagen kann: eine letzte große Reise unternehmen, nach Amerika, an die Orte, die Franz seit seiner Gefangenschaft 1944 nicht mehr gesehen hat. Martin lässt sich auf dieses Abenteuer ein, obwohl er den Großvater eigentlich nur aus den bitteren Geschichten seiner Mutter kennt. Unter der sengenden texanischen Sonne, zwischen den Ruinen der Barackenlager, durch die Begegnung mit den Zeugen der Vergangenheit, werden in dem alten Mann die Kriegsjahre und die Zeit danach wieder lebendig. Und endlich findet er Worte für das, was sein Leben damals für immer verändert hatte.
    Meinung

    Das Buch beginnt in der Gegenwart Martin, sein Großvater und seine Mutter führen ein Leben wie viele von uns es kennen, bis zu der Reise und der Großvater auf einmal Erinnerungen zulässt. Diese Erinnerungen werden für den Leser in der Jetztzeit geschrieben und wir bekommen einen besonderen Einblick über das Leben in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager wo Nazis, Mitläufer, Resignierte und Gegner des deutschen Regimes auf engsten Raum zusammen leben müssen.
    Man lernt die Brüche zu verstehen die bei dem Alten durch die Erinnerungen und das Schweigen darüber entstanden sind. Das schlechte Verhältnis zur Tochter und das Reden mit dem Enkel macht die Folgen begreiflich die der Krieg auch für nachfolgende Generationen hat.
    Es ist ein unaufgeregtes Buch das den Leser aber lange nicht los lässt und vielleicht im Nachhinein doch noch Verständnis für die Eltern, Großeltern möglich macht.