Tommi Kinnunen - Wege, die sich kreuzen / Neljäntienristeys

  • Kurzmeinung

    ManuH
    Familiengeschichte aus hintereinander erzählten 4 Perspektiven, nur Episoden mit großen Zeitsprüngen.
  • Lahjas Mutter Maria Tuomela wusste schon immer, was sie wollte: einen Beruf als Hebamme im hohen Norden Finnlands, eine eigene Kate und ein Fahrrad. Ob auch ihr Leben mit Kind und ohne Partner so geplant war, wissen ihre Nachkommen nicht; denn in der Familie wurde über heikle Themen stets ausdauernd geschwiegen. So erfahren wir als Leser zwar, wer der Vater von Marias Tochter Lahja war, aber nicht, ob Lahja davon wusste. Maria musste sich ihre Ausbildung und Berufstätigkeit hart erkämpfen. Um 1900 wurden zu Entbindungen zuerst alte, erfahrene „Wehmütter“ aus der Nachbarschaft gerufen. Erst wenn die alten Frauen nicht weiter wussten und Mutter und Kind bereits mit dem Tod rangen, wurde die Hebamme geholt. Wegen ihrer Jugend traute man Maria anfangs wenig zu. Die junge Hebamme legt auf Skiern oder im Rentiergespann bis zu 100km zu einer Entbindung zurück. Wie Maria sich als erste im Dorf ein Fahrrad bestellt und sich selbst das Fahren beizubringen versucht, das muss sehenswert gewesen sein. Warum sollte eine Frau mit Berufsausbildung nicht Radfahren können, fragt Maria sich selbstbewusst.


    Anders als Maria gibt ihre Tochter Lahja viel darauf, was die Leute sagen. Sie arbeitet als Fotografin, auch eine Pionierin in ihrem Beruf, und will mit einem Partner zusammenleben, koste es, was es wolle. Zu dieser Zeit geht eine Frau auf der Dorfstraße noch immer ein paar Schritte hinter ihrem Mann. Maria, Lahja, deren Mann Onni und deren drei Kinder wohnen inzwischen gemeinsam im Haus mit Blick auf die Straßenkreuzung. 1944 wird das Dorf im Krieg evakuiert; das Holzhaus brennt bis auf den gemauerten Schornstein ab. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Maria auf ihren Wegen zu Entbindungen schon mehr über den Kriegsverlauf erfahren, als andere Finnen wissen dürfen. Den Neuanfang nach dem Krieg erlebt die Familie zunächst in einem einfachen Unterstand, den Soldaten in die Erde gruben. Onni, der nie Held sein wollte, kehrt verändert von der Front zurück. Auch wenn er noch immer ein wunderbarer Vater ist, drängt es ihn zunehmend aus der Vernunft-Beziehung mit Lahja heraus. In den 60ern fühlt Lahja sich von streng religiösen Dorfbewohnern kontrolliert, denen ihr Lebenswandel zu selbstbewusst und zu weltlich ist. Man könnte annehmen, dass Lahja in der Gegenwart weniger frei lebt als ihre Mutter vor einem Jahrhundert.


    Das Zusammenleben von drei Generationen unter einem Dach zeigt sich nach dem Wiederaufbau ihres Hauses alles andere als konfliktfrei. An Marias Körper und ihrem Geist haben die Jahre in bitterer Kälte Spuren hinterlassen. Für ihre Mitmenschen ist sie zur Last geworden. …


    Auch Tommi Kinnunens Großmutter war Hebamme; er stammt aus einer Fotografen-Familie. Mit wechselndem Focus auf Maria, ihrer Tochter Lahja, deren Schwiegertochter Kaarina und Lahjas Mann Onni erzählt der Autor über einen Zeitraum von 100 Jahren deren Familiengeschichte. Icherzähler und allwissender Erzähler wechseln, die Handlung verläuft nicht chronologisch. Briefe werden im Nachlass Marias gefunden, die weiße Flecken in der Familiengeschichte füllen können. Die Kapitel enden häufig mit verblüffenden Wendungen, hinterlassen jedoch Lücken in der Familiengeschichte. Selbst wenn die Lebensläufe sich allmählich verzahnen und Onnis Geschichte aus gutem Grund am Ende steht, bleiben Fragen offen.


    Immer wenn es zu Konflikten mit „den Leuten“ und ihren Konventionen kommt, wird bei Maria und ihren Nachkommen ausdauernd geschwiegen. Wer schweigt, kann seine Last jedoch nicht mit anderen teilen. „Genau so war es“, haben begeisterte Leser auf Tommi Kinnunens Roman reagiert – ob sie außer den Lebensbedingungen im hohen Norden auch diese Schweigsamkeit gemeint haben?


    In Finnnland scheint nun einer zweiter Band erschienen zu sein - Lopotti.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Toibin - Long Island

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Das Original

    Hardcover, 334 pages

    Published March 2014 by WSOY

    Original Title: Neljäntienristeys
    ISBN 9510403822 (ISBN13: 9789510403822)
    Finnnish

    Series (goodreads.com) Sukutarina #1

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    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Danke für die Erstrezi, Buchdoktor , dann kann ich meinen nicht ganz so ausführlichen Text jetzt anhängen. :)



    Das Buch entführte mich in eine mir bisher literarisch weitgehend unbekannte Region dieser Welt, nämlich in das ländliche Finnland vergangener, zum Teil weit vergangener Zeiten, zeichnete also ein für mich ungewöhnliches und spannendes Gesellschaftsbild.


    Der Autor hat mit einer faszinierenden Erzählweise die Lebensgeschichten von vier Figuren – zunächst der Hebamme Maria, dann ihrer Tochter, der Fotografin Lahja, deren Mann, dem Soldaten und Zimmermann Onni, und der Schwiegertochter Kaarina – ineinander verwoben: In jeweils mehreren ledglich bruchstückhaften Ausschnitten aus den jeweiligen Leben wird die Entwicklung der Figuren gezeigt; in den nacheinander erfolgenden und oft erst später zu verstehenden Überkreuzungen wird diesen Entwicklungen der nötige Hintergrund oder manchmal auch ein nur im Nachhinein zu durchschauender Sinn verliehen. Diese vielfachen Kreuzungen der Lebenswege (siehe Titel) und die damit verbundenen unterschiedlichen Perspektiven und ihre Verknüpfungen haben für mich einen Großteil des Reizes von diesem Buch ausgemacht.


    Aber auch die Lebenswege an sich fand ich lesenswert, spannend und zum Teil sehr berührend (zum Inhalt hat Buchdoktor schon genug geschrieben), manche Details aber auch nicht so recht nachvollziehbar:


    Ansonsten habe ich dieses eher ruhig erzählte und trotzdem nicht weniger bewegende Buch sehr gern gelesen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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    :musik: Satoshi Yagisawa - Die Tage in der Buchhandlung Morisaki

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  • Ich habe es mir erklärt aus einer Mischung zwischen: sonst würden die Leute reden und einer Unlust, eine Entscheidung zu treffen. In einer Familie mit einer so couragierten Ahnin wirkt das reichlich seltsam, das sehe ich auch so.

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  • (...) und einer Unlust, eine Entscheidung zu treffen (...)

    Diese Erklärung hatte ich auch im Kopf. Aber dann kann es doch noch nicht ganz so schlimm gewesen sein? Allerdings, wenn man sich so anguckt, was da ablief, frage ich mich: Was hääte die Gute denn noch alles gebraucht, um endlich mal die Reißleine zu ziehen?


    ... ich muss nicht alles verstehen. :lol:


    Es war ja trotzdem ein sehr schönes Buch. :D

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  • Hast du den Folgeband schon gelesen?

    Ist das ein Folgeband? Der Kurzbeschreibung kann ich nicht entnehmen, dass es um dieselbe Familie geht.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Hast du den Folgeband schon gelesen?

    Ist das ein Folgeband? Der Kurzbeschreibung kann ich nicht entnehmen, dass es um dieselbe Familie geht.

    Doch, es geht um dieselbe Familie. Das finde ich auch seltsam; also, dass es der Beschreibung nicht zu entnehmen ist. Ich lese das Buch ja gerade und denke, wenn ich den Vorgänger nicht kennen würde, hätte ich ohne den Stammbaum am Anfang des Buches große Schwierigkeiten, die familiären Verhältnisse zu durchschauen oder die Handlungsweisen und Äußerungen der Figuren einzuordnen. Damit will ich nicht sagen, dass es unmöglich ist oder dass man den Vorgänger gelesen haben muss. Ich finde allerdings, dass es in diesem Fall durchaus sinnvoll wäre. Komisch, dass der Verlagstext das nicht kenntlich macht. :-k

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  • Wenn ich mich richtig erinnere, wurde das erste Buch als Teil einer geplanten Trilogie angekündigt, goodreads und der BT führen die Bücher als Serie. Da im ersten Band schon die Enkel der Hauptfigur geboren waren, können die Folgebände durchaus in anderen Familienzweigen spielen.


    Vom dritten Buch weiß ich noch nicht, ob es in die Reihe passt oder selbstständig ist.

    Pintti

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  • Da im ersten Band schon die Enkel der Hauptfigur geboren waren, können die Folgebände durchaus in anderen Familienzweigen spielen.

    Bisher bleiben sie sogar im gleichen familiären Setting: Lahjas Tochter Helena als Kind und als Erwachsene, Lahjas Sohn Johannes als Kind und dessen und Kaarinas Sohn Tuomas als Kind...

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  • Doch, es geht um dieselbe Familie. Das finde ich auch seltsam; also, dass es der Beschreibung nicht zu entnehmen ist.

    Danke. Der Beschreibung nach macht es nur den Eindruck, dass die Protagonisten jeweils aus der gleichen Gegend in Nord-Finnland kommen.

    Unsere Onleihe hat beide Romane im Bestand, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, zuerst den ersten Band auszuleihen.

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    (Francis Bacon)
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  • Doch, es geht um dieselbe Familie. Das finde ich auch seltsam; also, dass es der Beschreibung nicht zu entnehmen ist.

    Danke. Der Beschreibung nach macht es nur den Eindruck, dass die Protagonisten jeweils aus der gleichen Gegend in Nord-Finnland kommen.

    Unsere Onleihe hat beide Romane im Bestand, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, zuerst den ersten Band auszuleihen.

    Das würde ich dir auf jeden Fall empfehlen. Viel Freude mit den Büchern! :winken:

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