Zum Produkt:
220 Seiten
Verlag Edition Epoca
erstmals erschienen am 1. August 2004
Zum Autor (Quelle: HP des Autors):
Alain Claude Sulzer wurde am 17.2.1953 in Riehen (bei Basel) geboren.1972 entstand sein erstes Hörspiel, 1983 erschien sein erster Roman „Das Erwachsenengerüst“, für den er den Rauriser Literaturpreis erhielt. Neben vielfältiger schriftstellerischer Tätigkeit übersetzte er aus dem Französischen und arbeitete als freier Autor für Zeitungen und Rundfunkanstalten.
Alain Claude Sulzers eigentlicher Durchbruch auf der internationalen literarischen Bühne erfolgte 2004 mit dem Roman „Ein perfekter Kellner“, der, wie auch „Annas Maske“ (2001) und „Privatstunden“ (2007) im Zürcher Verlag „Edition Epoca“ erschien und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. 2008 wurde er dafür in Paris mit dem renommierten Prix Médicis étranger ausgezeichnet. Im selben Jahr erschien sein Roman „Zur falschen Zeit“ im neu gegründeten Berliner Verlag Galiani, in dem auch die Romane „Aus den Fugen“ (2012) und „Postskriptum“ (2015) erschienen. Letzte Veröffentlichung: „Die Jugend ist ein fremdes Land“ (2017).
Von 2008 bis 2011 war Alain Claude Sulzer Juror bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ (Ingeborg-Bachmann-Preis) in Klagenfurt. Er schreibt regelmäßig essayistische Beiträge für die Neue Zürcher Zeitung.
Alain Claude Sulzer lebt in Basel, Vieux Ferrette und Berlin.
Mein Leseeindruck:
Der Roman spielt in den 60er Jahren des letzten Jhdts und führt durch die Erinnerungen des Protagonisten zurück bis in die 30er Jahre. Erzählt wird eine unendlich traurige Geschichte: die große Liebe des Kellners Erneste zu seinem jungen Kollegen Jakob, das bittere Ende der Beziehung, die große Enttäuschung, eine 30 Jahre dauernde Wartezeit mit dem ständigen Blick auf das vergangene Glück und schließlich das Wiederaufflammen dieser Liebe.
Damit schlägt der Autor, literaturgeschichtlich gesehen, keine neuen Themen an. Mich hat der Plot sehr an ein Gedicht Heinrich Heines aus dem Buch der Lieder erinnert, wo es in der letzten Strophe heißt:
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Sulzer verlagert die "alte Geschichte" in den Bereich der Liebe zwischen zwei Männern, und vor allem die besondere Art und Weise, in der er sie erzählt, machen das Buch zu einem besonderen Lese"vergnügen".
Erneste, der Protagonist, wird uns vorgestellt als ein Mensch, den man nicht sieht, der wie ein Schatten seine Pflicht in einem Schweizer Grand Hotel erfüllt, der quasi mit der Tapete verschmilzt, immer präsent, immer zu Diensten, immer den Gast beobachtend, ein Mensch, der in seinem Beruf aufgeht und dort seine Erfüllung findet. Niemand sieht ihn als Individuum, er hat keine Freunde, er lebt zurückgezogen und hat keinen Kontakt zu Eltern und Geschwistern. Erneste ist eine subalterne Nebenfigur, was den Betrieb des Hotels angeht, aber hier im Roman wird er zu einer sorgsam und äußerst einfühlsam skizzierten Hauptfigur. Der Leser erfährt von dem täglichen Einerlei seiner Arbeit, von der Gleichförmigkeit und Anspruchslosigkeit seines Lebens, und zugleich erfährt er Stück für Stück vom großen Glück seines Lebens, das ihm nach wie vor jeden Tag präsent ist und seinen einförmig-grauen Alltag damals, vor 30 Jahren, leuchtend überstrahlt hatte: das Jahr seines Zusammenseins mit dem charismatisch-schönen jungen Jakob.
Die Art und Weise, wie die Handlung entfaltet wird, hat mir überaus gut gefallen. Der Erzähler bewegt sich scheinbar mühelos zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin und her, und er verschränkt diese Zeitebenen so souverän, dass der Leser niemals die Orientierung verliert.
Äußerst diskret wird der Leser mit der Homosexualität des Erneste bekannt gemacht - schade, dass der Klappentext so lautstark und vorlaut ist! Zunächst sind es nur unverbindliche Anmerkungen, bis nach dem ersten Drittel des Buchs der Leser Bescheid weiß. Diese sprachliche Diskretion passt sehr gut zu der offiziell erzwungenen Diskretion im Zusammenhang mit der Kriminalisierung der (männlichen) Homosexualität während der 30er Jahre ff. Natürlich darf bei den Stichworten Homosexualität - Schweiz - Exil auch Thomas Mann nicht fehlen, der dem Leser in einer anderen, älteren Figur quasi zuwinkt - was mir allerdings weniger gut gefallen hat. Diese Anspielung hätte das Buch nicht nötig gehabt.
Insgesamt hat mir die sprachliche Unaufgeregtheit des Buches hervorragend gefallen. Jedes Wort ist überlegt und sitzt, jeder Satz ebenso. Die traurige und am Schluss dramatische Geschichte um ein großes Gefühl wird unprätentiös und stets leise erzählt, niemals wird der Erzähler larmoyant oder schnulzig, und dadurch wahrt er konsequent einen ganz besonderen melancholischen Grundton.
Fazit: ein besonderes kleines Buch um eine traurig-schöne Liebe, diskret erzählt, eine Entdeckung.