Klappentext:
Es ist 1942. Friedrich, ein stiller junger Mann, kommt vom Genfer See nach Berlin. In einer Kunstschule trifft er Kristin. Sie nimmt Friedrich mit in die geheimen Jazzclubs. Sie trinkt Kognak mit ihm und gibt ihm seinen ersten Kuss. Bei ihr kann er sich einbilden, der Krieg sei weit weg. Eines Morgens klopft Kristin an seine Tür, verletzt, mit Striemen im Gesicht: "Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt." Sie heißt Stella und ist Jüdin. Die Gestapo hat sie enttarnt und zwingt sie zu einem unmenschlichen Pakt: Wird sie, um ihre Familie zu retten, untergetauchte Juden denunzieren? Eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht – über die Entscheidung, sich selbst zu verraten oder seine Liebe. – Amazon
Zum Autor:
Takis Würger, geboren 1985, ist Redakteur beim Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Im Alter von 28 Jahren ging er nach England, um an der Universität von Cambridge Ideengeschichte zu studieren. Dort boxte er als Schwergewicht für den Cambridge University Amateur Boxing Club und wurde Mitglied in verschiedenen studentischen Klubs. – Amazon
Allgemeine Informationen:
Fiktive Liebesgeschichte um eine historische Figur, Stella Goldschlag, die als Jüdin untergetauchte Juden an die Gestapo verriet, nach dem Krieg verurteilt wurde
Zeit der Handlung: 1942
Ort der Handlung: Berlin
Eingeteilt in Kapitel, die jeweils abgesetzt sind mit Ereignissen der Zeit und Zeugenaussagen aus dem Prozess gegen Stella Goldschlag
Ich-Erzählung von Friedrich
224 Seiten
Meine Meinung:
Ein Autor schreibt eine Liebesgeschichte über einen naiven Jüngling als männlichem Protagonisten – Schweizer, aufgewachsen mit ständig abwesendem Vater und alkoholkranker Mutter - und einer fröhlichen, unbekümmerten und lebhaften Frau, die sich gerne in Bars herumtreibt und auf der Bühne singt. So weit, so gut.
Brisant wird das Ganze jedoch, weil die Frau die historische Stella Goldschlag ist.
Wagen wir den Versuch, nehmen die Brisanz heraus und betrachten das Buch einmal nur unter dem Aspekt einer Liebesgeschichte. (Was im Übrigen nicht schwer fällt, weil der Autor mehr als sparsam mit Emotionen von Angst, Schrecken und Gefahr umgeht.)
Was bleibt, ist der Entwicklungsroman eines behüteten Schweizer, der in eine fremde kriegsgeplagte Stadt zieht, um Kunst zu studieren, dort der großen Liebe begegnet, die ihn in den Himmel katapultiert und wieder abstürzen lässt. Arglos ist er, der junge Friedrich, kindlich, unschuldig und blauäugig. Mit ihm würde jede Frau leichtes Spiel haben, und auch der homophile SS-Mann Tristan von Appen gewinnt seine Freundschaft im Nu mit exquisiten Speisen und Getränken jenseits der Lebensmittelkarten. Kristin / Stella ist genau der Gegensatz zu ihrem unbedarften Geliebten, ein Kind der Großstadt, zuhause in Bars und Clubs, furchtlos, gewieft und clever. Dass Friedrich ihr bald aus der Hand frisst, wundert niemanden.
Weil der Autor einen Schweizer in die Geschichte schickt, schafft er sich einen Freiraum, den er bei einem deutschen Protagonisten nicht hätte. Friedrich droht von den Nazis keine Gefahr. Ihn schickt niemand in den Krieg. Obendrein ist er reich, lebt auf großem Fuß in einem Hotel, Papa zahlt.
Die Handlung wirkt, als spiele sie sich hinter einem Vorhang ab: Dass Friedrich irgendwann seine ersten sexuellen Erfahrungen macht – der Leser vermutet es. Was genau mit Tristan läuft – läuft was? läuft nichts? Die Folter der Gestapo, die Stella ertragen muss – Friedrich erzählt dem Leser, was Stella ihm erzählt hat. In den wirklich tragischen Momenten ist der Leser ein Außenstehender, er hat nicht teil am Geschehen selbst.
Liebe und Zweisamkeit bringt der Autor zu einem Ende, das sich gerade so mit der Historie verträgt.
Und wenn man die Brisanz zufügt? Was ändert sich? Bekommt man als Leser einen Bezug zur historischen Stella Goldschlag, kann man verstehen, was sie umtrieb? Empfindet man als Leser den Druck, die allgegenwärtige Bedrohung durch die Nazis und die Angst vor der nächsten Bombennacht?
Was vom Grauen bleibt, sind die Zeugenaussagen aus dem realen Prozess, die zwischen die fiktiv-belletristischen Kapitel geschaltet sind.
Neben „Deutsches Haus“ von Annette Hess ist dies das zweite Buch eines deutschen Autors, der mit seinem Roman Schrecken und Gewalt der Nazizeit an der Oberfläche streift.
Sehen so die Bücher aus, die in unserer Zeit angeblich so wichtig geworden sind als Gedenken an die Opfer und als Mahnung und Warnung vor einer Wiederholung?