Jocelyne Saucier - Niemals ohne sie / Les héritiers de la mine

  • Herzzerreißend

    Was zunächst gut getarnt als tumultöser Schelmenroman sich präsentiert, entpuppt sich sehr schnell als Familientragödie. Die unendliche Weite Kanadas mit den reichen Bodenschätzen bildet den Hintergrund für das Handlungsgerüst, und der Clan der Familie Cardenal zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Mitglied, Vater und Mutter ebenso wie die einundzwanzig Kinder, über ein mehr als zugespitztes Charakterprofil verfügt. Raffiniert verschränkt die Autorin die Zeitebenen, die Gegenwart des Treffens bei der Erzsuchertagung in dem schäbigen Hotel, mit den unterschiedlichen Stadien der Kindheit, die sich zwangsläufig dadurch ergeben, dass bei dieser großen Kinderzahl sich die Verhältnisse, die Beziehungen der Geschwister kontinuierlich verschieben. Ebenso raffiniert, jedes Kapitel von einem anderen Familienmitglied berichten zu lassen und es dem Leser zu überlassen, die genaue Perspektive selbst zu entschlüsseln, da keine Überschrift den Namen des Sprechenden verrät. Erst im Laufe des Romans enthüllt sich die volle Wucht des Geschehens, aus Andeutungen wird die herzzerreißende Wahrheit, die jedes einzelne Familienmitglied zu einem Leben unter einer düsteren Wolke der Schuld und der Scham verurteilt.

    Mein Urteil: 5 Sterne

  • Darum gehts:

    Die Cardinals sind keine gewöhnliche Familie. Sie haben den Schneid und die Wildheit von Helden, sie haben Angst vor nichts und niemandem. Und sie sind ganze dreiundzwanzig. Als der Vater in der stillgelegten Mine eines kanadischen Dorfes Zink entdeckt, rechnet der Clan fest mit einem Anteil am Gewinn – und dem Ende eines kargen Daseins. Aber beides wird den Cardinals verwehrt, und so schmieden sie einen explosiven Plan, der, wenn schon nicht die Mine, so wenigstens die Ehre der Familie retten soll. Doch der Befreiungsschlag scheitert und zwingt die Geschwister zu einem Pakt des Schweigens, der zu einer Zerreißprobe für die ganze Familie wird. - Amazon

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Batyr Ich zitiere mich mal selbst mit einem Post vom Januar :|

    Batyr die ISBN-Nummer gehört in die Eingabezeile, die Du unter dem Reiter "Buch" findest, nicht in die Titelzeile. Ich habe sie jetzt nachgetragen und den Titel unseren Gepflogenheiten angepasst, denn auch der Verlag gehört dort nicht hin. Bitte achte beim nächsten Mal darauf. Außerdem wäre es schön, wenn Du Deine Bewertung noch direkt beim Buch abgeben könntest, indem Du auf die Sterne klickst

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Niemals ohne sie - Jocelyne Saucier - Insel Verlag Berlin - ISBN 978 3 458 17800 2“ zu „Jocelyne Saucier - Niemals ohne sie / Twenty-One Cardinals“ geändert.
  • Ja, ich bin nah dran zu sagen, dass es doch schade wäre, wegen der ein wenig kurzen Rezi an diesem Buch vorbeizuschlendern. Nach dem ziemlichen Erfolg des ersten von Saucier übersetzten Buch (siehe unten) kann man auf was Gutes gefasst sein. Oder? Insofern merkte ich auf als ich den Fredtitel las... Mal sehen, ob sich andere Leser einfinden werden?

  • Bei mir ist es schon auf der Wunschliste gelandet. Mein Mann war von "Ein Leben mehr" sehr angetan. Das muss ich mir demnächst mal aus seinem Regal stibitzen.


  • Da die Autorin eine französisch schreibende Kanadierin ist lautet der Originaltitel: Les héritiers de la mine

    und hier das Original

    Leider nicht

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Jocelyne Saucier - Niemals ohne sie / Twenty-One Cardinals“ zu „Jocelyne Saucier - Niemals ohne sie / Les héritiers de la mine“ geändert.
  • Die Cardinals haben 21 Kinder, was man durchaus als etwas Ungewöhnliches betrachten kann. Der Vater hat sein Leben lang nach Erz gesucht und als er in einer stillgelegten Mine Zink entdeckt, rechnet er mit einem großen Gewinn und dem Ende des ärmlichen Daseins der Familie. Doch man verwehrt ihm seinen Anteil. Das können die Cardinals nicht so hinnehmen. Sie schmieden einen Plan, doch es gib dann eine Tragödie.

    Die Autorin Jocelyne Saucier schreibt interessant und ausführlich. Die Perspektiven wechseln ständig, was es anfangs nicht leicht macht, zu erkennen, wer der vielen Familienmitglieder denn nun erzählt. Überhaupt ist es bei so vielen Personen, die mal mit Namen und mal mit Spitznamen benannt werden, nicht einfach alle auseinander zu halten.

    Die Cardinals haben sich bei einer Mine in einem kleinen Dort in Kanada niederlassen. Einundzwanzig Kinder zu versorgen, ist nicht einfach. Der Vater versucht immer den großen Fund in einer Mine zu finden und zieht sich oft in den Keller zurück, wo er seine Funde katalogisiert. Die Mutter steht ständig am Herd und leidet unter Erschöpfung. Die Kinder bleiben sich selbst überlassen, die Großen erziehen die Kleineren – so ist das in kinderreichen Familien. Bei einer solchen Anzahl Kinder bleibt es aber auch nicht aus, dass es aufgrund der großen Altersunterschiede nicht immer geschwisterliche Beziehungen gibt. Die und doch werden

    Die Charaktere sind authentisch, aber nicht besonders sympathisch. Sie sind aggressiv, angstfrei und manchmal sogar grausam. Die Familie bedeutet alles, man hält zusammen. Ich habe zu keinem eine tiefere Beziehung aufbauen können.

    Die Tragödie zerreißt die Familie. Es wird auch nie darüber gesprochen, was geschehen ist. So können die Kleinsten nicht wissen, was geschehen ist, obwohl es doch so großen Einfluss auf die Familie hatte. Erst nach Jahrzehnten treffen alle wieder zusammen, da ihr Vater eine Auszeichnung erhalten soll. Doch es fehlt eine Person.

    Es dauert lange, bis man erfährt, was geschehen ist.

    Die Geschichte ist tragisch und spannend; sie hat mich gleich gepackt.

  • Familiengeheimnisse!


    Ende der 50er, Anfang der 60 er Jahre: Denis, der Matz genannt wird, wächst als der jüngste Sohn von 21 Kindern der Familie Cardinal auf. In der Grossfamilie, die in Nerco in einem Haus auf vier Wohnungen verteilt lebt, heisst das Leben vor allem Verzicht. Verzicht auf die Aufmerksamkeit der Eltern, Verzicht auf persönliche Gegenstände, materielle Güter, Kleidung … ein eigenes Bett. Und trotzdem fühlt sich die Familie zufrieden und jedes neue Baby fügt sich automatisch in das Familienleben ein.

    Als der Vater in einer Mine Erz entdeckt, sieht sich die Familie am Ende des entbehrungsreichen Lebens. Doch es kommt ganz anders als gedacht und ein dunkles Geheimnis überschattet die Familie.


    Das Leben in einer Grossfamilie. Was heisst das für die 21 Kinder, den Vater, die Mutter? Ich mochte sehr, wie die Autorin diese Seite einer Grossfamilie ausgearbeitet hat. Mich hat berührt, wie die ältestes Tochter automatisch jedes neue Baby in ihre Obhut nimmt. Wie die Mutter als sehr beschäftigt, die vielen hungrigen Mäuler zu stopfen, dargestellt wird. Und doch unendlich liebevoll, den Schlaf ihrer Kinder bewacht. Schockierend, wie der Vater zum ersten Mal überhaupt in seinem Leben am siebten Geburtstag mit seinem Jüngsten spricht. Und dann Matz, der als Jüngster immer mitgeschleppt wird und doch ein Leben lang um die Anerkennung der älteren Geschwister kämpft. " In Nirco waren wir die Kings" … dies ein Satz aus der Perspektive von Matz. Die Verherrlichung einer Grossfamilie oder nur ein sehr gesundes Selbstbewusstsein, dass dem Jüngsten der Familie mitgegeben wurde? Stoff zum Nachdenken bietet diese Geschichte reichlich. Sätze wie "Meine Träume waren zu gross um wirklich geträumt zu werden" findet man viele. Wunderbar, wie Jocelyne Saucier uns Leser in das Leben der Familie Cardinal blicken lässt. In wechselnden Perspektiven einiger der Kinder liest man über dieses Leben zu der Zeit als Matz klein ist. Und dann, nach einem Zeitsprung, als der Vater mit 81 Jahren eine Medaille für Erzsucher im Jahre 1995 verliehen wird. Und sich die Familie nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder trifft. Fast vollzählig, denn in der Vergangenheit gibt es ein Familiengeheimnis, über das nicht alle in der Familie Bescheid wissen. Gerade dieses Geheimnis, das zurückhaltend eingeflochten wurde und immer mehr Platz einnimmt, fand ich sehr spannend. Der Schreibstil der Autorin ist unheimlich spröde. Die direkte Rede wird sehr rar eingesetzt und dadurch wirkt die Geschichte wie eine Erzählung. Die Figuren haben damit nicht unbedingt Tiefe und wirken teilweise leblos und oberflächlich. Schade fand ich, dass die Story gegen Mitte sehr langatmig wird. Es geht hauptsächlich um Erz und den Fund von dem Gestein. Etliche geologische Details habe ich überflogen, da sie mich schlichtweg nicht interessierten. Erst gegen Schluss geht es leider erst wieder um die Familie Cardinale und die Beziehungen innerhalb der Grossfamilie.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Dieser Roman ist VOR dem sehr erfolgreichen « Ein Leben mehr » erschienen, und zwar als Sauciers zweiter im Jahre 2001. Der jetzige deutsche Titel wirkt auf mich « romantisch-dramatischer » und verweist schon auf eine quasi fehlende Hauptfigur, was in den aufeinander folgenden Kapiteln, schon im zweiten, dritten Kapitel, recht klar angedeutet wird. Auch wenn das ganze Ausmaß des Geschehens natürlich erst nach und nach enthüllt wird. Der Ursprungstitel bezieht sich aber auf was anderes, und könnte mit « Die Erben der Mine » übersetzt werden. Erben der Mine, und einer ganzen damit verbundenen Geschichte.


    Letztlich ergeben sich die Identitäten der jeweiligen Ich-Erzähler doch recht schnell aus dem Zusammenhang, bzw in der beiläufigen Nennung des Namens. Das jeweilige Kapitel gibt jeweils wie ein Sprungbrett für das folgende, selbst wenn die Perspektiven je verschieden, vom jeweiligen Charakter gepräagt sind und einander ergänzen.


    Vom Hauptthema war schon die Rede in den anderen Rezis, bzw Kommentaren… Ich vermutete eingangs einfach entweder eine Kritik oder eine Hymne an kinderreiche Familien. ME ist weder das eine noch das andere der Fall. Der Matz zB sieht alles aus einer naiven Erwartungshaltung heraus, wäre froh, stundenlang von seiner Familiengeschichte hören zu können. Wohl aus Ignoranz… ? Allen gemeinsam unter den Kindern : Wann werde ich wie wahrgenommen als Einzelne(r) in meiner Individualität ? Gehe ich nicht einfach in der Menge verloren ? Schaut man näher hin, ergibt sich ein interessantes Urteil : Wir bleiben einzigartig. Jede(r) Einzelne fehlt, kann fehlen. Oder gehört eben dazu!? In dem Zusammenhang ist auch die Beschreibung der zwar träumerisch-labilen, und dennoch total ihren Kindern präsenten Mutter interessant. Man meint, dass die Zusammenkunft in den 90iger Jahren eventuell der Mutter etwas Neues enthüllen würde, dabei wußte sie genau Bescheid.


    Im Zentrum aber steht die Frage, was an JENEM Tag genau passiert ist, und es ist beeindruckend, dass Saucier den Spannungsbogen quasi bis zur letzten Seite hinüberziehen kann. Tragödie, Schuldgeschichte – oder auch … : « Heilsgeschichte » ?!


    Das Schweigen war/ist nicht die Lösung. Hätte man nicht früher ein « Geheimnis » auflösen müssen, das nur die Familie im wahrsten Sinne des Wortes explodieren, oder implodieren ließ ?


    Toll aufgebaut, mehr als ein Nachdenken wert ! Prima !!!


    AUTORIN :

    Jocelyne Saucier ist eine kanadische Schriftstellerin französischer Sprache. Sie wurde 1948 in Clair/Nouveau-Brunswick geboren und studierte zunächst Politikwissenschaften mit dem Abschluß Baccalauréat an der Universität Laval. Sie lebt seit 1961 in Rouyn-Noranda im Westen der Provinz Québec. Sie schlug eine Laufbahn als Journalistin in Abitibi ein und veröffentlichte seit 1996 vier Romane, die alle in Quebec angesiedelt sind. Einen unveröffentlichten Kinderroman hat sie 2007 zum Theaterstück umgeschrieben.