Lars Myttings Roman bietet interessante und schöne Einsichten in die Baukunst, das Handwerk und Kunsthandwerk (z.B. die Schnitzerei und die Webkunst) im Norwegen des vorletzten Jahrhunderts sowie in Rückblenden auch des Mittelalters. (Es handelt sich schließlich auch um einen Autoren, der tatsächlich etwas von Holz versteht. ) Schon allein um dieser anschaulichen Beschreibungen willen hat sich die Lektüre für mich gelohnt. Auch die detaillierten Einblicke in das alte bäuerliche Leben im Gudbrandsdal tief im norwegischen Inland, gern im Kontrast dargestellt zur völlig anderen Mentalität der KüstenbewohnerInnen, fand ich spannend und habe mich nie gelangweilt, auch wenn diese Darstellungen gelegentlich den Fortgang der eigentlichen Handlung übers nötige Maß hinaus gebremst haben.
Mir ist in diesem Buch nochmals bewusst geworden, wie stark in diesen Zeiten die Spannung zwischen Heimatliebe und Fernweh gewesen sein muss, da häufiges Reisen für die Mehrheit der Bevölkerung durchaus keine Selbstverständlichkeit darstellte und man sich beim Gedanken z.B. ans Auswandern für immer zwischen der Heimat und der Ferne entscheiden musste.
Der bäuerliche und handwerkliche Alltag der Menschen im Gudbrandsdal rund um Geburten, ein oft karges Leben, manchmal grausames Sterben und wiederum neue Geburten wird darüber hinaus mit den nicht immer gerade verlaufenen Wegen der skandinavischen Kirchengeschichte verknüpft, die lange genug eine Mischung aus Christentum und traditionellen germanischen Kulten bildete. Dies bündelt Mytting in der Figur eines ehrgeizigen Pfarrers im tiefsten Hinterland, seinem Alltag, seinen Aufgaben, Nöten und offenbar eher seltenen Freuden. Erfolg und Scheitern liegen in dieser Geschichte nicht nur beim Pfarrer Kai Schweigaard so nah beieinander, dass sie teilweise kaum klar voneinander zu unterscheiden sind; dies gilt ebenso für Astrid Hekne und Gerhard Schönauer mit ihren Wünschen, Plänen und Motiven. Alle Figuren zeichnet der Autor vielschichtig, in ihrem Wesen und Charakter ambivalent, kraftvoll, aber auch fehlbar und zerbrechlich, fähig zu Reue und Vergebung. Nur wird für meinen Geschmack leider viel zu viel gestorben...
Die religiösen, metaphysischen, ja auch magischen Elemente im Roman haben mich persönlich nicht gestört. Was ich aber nicht verstehe, ist,
wie ein Pfarrer, der angesichts erlebten Leids Gott aus seinem Leben und seinem Dienst ausklammert und die Gemeinde einfach nur noch (wenn auch sorgfältig) verwaltet, als der beste Gemeindepfarrer bezeichnet werden kann, den der Ort je hatte. Ich selbst weiß natürlich auch nicht, warum Gott Leid zulässt, würde von TheologInnen auch nicht unbedingt eine belastbare Antwort erwarten , dafür ist die Frage doch recht schwierig; ich hätte jedoch einen gewissen Anspruch, was die seelsorgerliche Zuwendung durch PfarrerInnen in entsprechenden Grenzsituationen des Lebens betrifft. Wenn diese Zuwendung dann darauf beschränkt ist, ähnliche Erfahrungen selbst gemacht zu haben (was sicher zu Empathie befähigt), jedoch keine weitere in einen religiösen Kontext eingebettete Hoffnung vermittelt werden kann, dann frage ich mich wirklich, warum Kai Schweigaard den Priesterkragen, den er schon unter seinen Schuhen zertreten hatte, wieder angelegt hat. Darüber werde ich noch ein bisschen nachzudenken haben. Ist das seine selbstauferlegte Buße? Vielleicht bietet die Fortsetzung des als Trilogie angekündigten Romans ja Antworten darauf.
Sprachlich fand ich den Roman durchwachsen, weiß aber nicht, ob das am Original oder an der Übersetzung liegt. Ich bin vielen Gedanken und Formulierungen gern gefolgt, aber öfter auch auf seltsame, gar unverständliche Satzteile gestoßen, auf falschen Gebrauch der Zeitformen und auf Kommafehler.
Und besonders schade: Der norwegische Titel "Die Schwesterglocken" passt meines Erachtens viel besser als "Die Glocke im See", wird dem gesamten Buch gerecht und verrät auch noch nicht so viel.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es mit der Trilogie weitergeht.