Chris Ware - Jimmy Corrigan, der klügste Junge der Welt / Jimmy Corrigan, the Smartest Kid on Earth

  • Kurzmeinung

    Farast
    Leider eine viel zu kleine Schrift, deshalb Abbruch. Ansonsten wäre es genial, wenn auch deprimierend.
  • Der Autor (Q: Verlagsseite und Wikipedia): Chris Ware wurde am 28. Dezember 1967 in Ohama, Nebraska geboren. Während seines zweiten Jahres an der Universität in Austin fiel Ware dem Cartoonisten, Verleger und Designer Art Spiegelman auf, der ihn dazu einlud, Comics in seinem einflussreichen Magazin RAW zu veröffentlichen. Dies führte zu weiterer Bekanntheit und Anerkennung, und schließlich zu Wares Verbindung mit Fantagraphics Books. Seither hat Chris Ware mit einem einmaligen Gespür für Bildrhythmus, Gestaltung und Stimmungen den Comic im Alleingang zu neuen Horizonten geführt. 2001 wurde Chris Ware für Jimmy Corrigan mit dem Guardian First Book Award ausgezeichnet. In den letzten Jahren hat Ware auch bei der Herausgabe und dem Design verschiedener Bücher und Bücherserien mitgearbeitet. Außerdem spielt er Banjo und Klavier.


    Kurzbeschreibung (Q: Verlagsseite): Als Chris Ware Jimmy Corrigan zur Milleniumswende veröffentlichte, löste er damit weit über die Grenzen der Comicwelt hinaus Begeisterung aus. Seitdem gilt das Buch als „Jahrhundertcomic“, der die Ausdrucksmöglichkeiten von Bild und Wort radikal ausschöpft und damit beweist: Es gibt große Literatur, die sich nur als Comic erzählen lässt.
    Jimmy Corrigan ist ein linkischer und dauerkränkelnder Enddreißiger, der ein Dasein als unauffälliger Büroangestellter fristet. Sein soziales Leben beschränkt sich auf die täglichen Kontrollanrufe der Mutter – und findet ansonsten in seinen tagträumerischen Heldenfantasien statt. Ein Brief seines Vaters, der nach jahrzehntelanger Abwesenheit die Beziehung wiederbeleben möchte, reißt ihn schließlich aus seinem lethargischen Alltag heraus.

    Auf nahezu 400 Seiten breitet Chris Ware die generationenübergreifende Geschichte der Familie Corrigan aus, die bis ins Chicago des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurückreicht. Eine epische Erzählung über hundert Jahre Einsamkeit – in Bildern von berührender Tiefe.


    1995 bis 2000 veröffentlichte Ware Teile des Comics in der Zeitung New City aus Chicago und in seiner eigenen Comicreihe Acme Novelty Library in den Ausgaben 5, 6 (1995), 8, 9 (1996-1997), 11 (1998), 12, 13 (1999) und 14 (2000). Im Jahr 2000 wurden diese acht Teile der gesamten Erzählung im Verlag Pantheon Books in Buchform veröffentlicht. Drei Jahre kam es sogar noch zu einer amerikanischen Taschenbuchausgabe als Pantheon-Reprint. (Ich würde allerdings eine hartgebundene Ausgabe klar bevorzugen!) 2013 erschien die deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen von Heinrich Anders und Tina Hohl als Jimmy Corrigan – Der klügste Junge der Welt, handgelettert von Michael Hau im Verlag Reprodukt in Berlin. Das hartgebundene Buch umfasst 384 Seiten mit Lesebändchen, aber ohne Seitenzahlen. Der Schutzumschlag lässt sich in Postergröße auseinanderfalten. Die Maße des Buches haben das ungewöhnliche Format von 20,5 Zentimetern Breite mal 16,5 Zentimetern Höhe.


    Achtung: Die Schrift ist manchmal unglaublich winzig. Und der Inhalt ist ausgesprochen deprimierend.:wink:


    Vorne auf dem Bucheinband findet sich ein schöner Satz, eine Art Fake-Werbezeile oder Gebrauchsanweisung von Chris Ware für seine Leser: "Ein kühnes Experiment: Wie viel hält ein Leser aus? Getarnt als bunt illustrierter Abenteuerroman, in dem kleine Bilder zum Leben erwachen, tanzen, singen und weinen. Ausführliche Gebrauchsanweisung inwendig." Und in die Innenseite des Vorderdeckels des Buches gedruckt findet sich unter anderem ein Schnellkurs im Comiclesen. Quintessenz: Erkenne, wer wem gerade auf den Kopf haut. :wink:Abschließende Frage: „Hast Du Mitleid mit der Figur, die im letzten Panel am Boden liegt?“ Richtige Antwort: Nein.:loool:Was nicht nur für einen Lacher gut ist, sondern auch als Lesehaltung für die folgende Geschichte taugt: Ein Leben wie in der Petrischale. Hat denn der Forscher im Labor Mitleid mit den zappelnden Einzellern unter dem Mikroskop? Weniger Mitleid, als vielmehr Entsetzen über die deprimierenden Zustände im Leben Jimmy Corrigans macht sich zunächst beim Leser breit. Wie wir alle als kleines Kind mit Hoffnungen ins Leben gestartet sind, nun sehet, was daraus geworden ist.


    Ich brauchte ein wenig Einlesezeit, um mich bei all den eingeschobenen Erinnerungen, Gedanken und Wunschvorstellungen zu orientieren, wer da gerade was erlebt. Ist da wirklich gerade ein Mann im Supermankostüm vom Dach gesprungen? :-? Der Autor hat zuerst in loser Folge einige Geschichten mit Hauptfigur Jimmy Corrigan verfasst, aus denen mit der Zeit ein ganzer Comicroman wurde, der das Scheitern der Beziehung der 35-jährigen Hauptfigur zu seinem Vater erzählt, den der schüchterne, einsame Sohn gerade erst kennenlernt. Und wie die Annäherung gleich vom Start weg den Bach hinuntergeht. Parallel wird von der schrecklichen Kindheit seines Urgroßvaters unter der Fuchtel dessen Vaters aus der Zeit der Weltausstellung von Chicago 1893 berichtet. Wie als Spiegelung des Charakters vor dem Hintergrund seiner Familiengeschichte, also der zwischenmenschlich auch schon eher verkümmerten Väter und Vaterväter.


    Und wenn man erst einmal eine Weile an Jimmys Seite durch sein Leben gestapft ist, ihm – einer Witzfigur (dem klügsten Jungen der Welt? Wir sind ALLE die klügsten Jungen der Welt! ALLE!) – dabei zusieht, wie er als Trauerkloß ständig ins Fettnäpfchen hineintappt und versucht, alles, was nach Aufregung und Sozialkontakt aussieht, zu vermeiden, gelähmt von Schuldgefühlen und verschüchtert – nach außen vielleicht ein Pechvogel oder ein Sonderling, eine lustige Marionette zu unserer Erbauung -, dann fliegt einem als Leser (mir jedenfalls, und hoffentlich noch vielen anderen!) nach einiger Zeit plötzlich alle Distanziertheit um die Ohren, spätestens, als ihn seine Halbschwester Amy, von der er erst seit kurzem weiß, im Krankenhaus vom Stuhl schubst.:shock: Was es damit auf sich hat, werde ich nicht verraten.:-# Jedenfalls nachdem sämtliche sich anbahnenden Möglichkeiten für und mit Jimmy, das Elend hinter sich zu lassen, die Angebote und Chancen, zu einem Quentchen Normalität zu gelangen, ungenutzt verstreichen. Vielmehr: Jimmy lässt sie einfach verstreichen. Als reine Klischeeversprechen aus Melodramen, müssen sie geradezu verstreichen, anstatt doch noch ein glückliches Ende zu präsentieren, wenn auch nur unter der Maßgabe, dass es die Romanfiguren auch wirklich wollen (aber davon gehen wir doch aus, nicht? Davon wollen wir doch bitte alle ausgehen, dass die Menschen glücklich sein wollen!):wink: Vergesst es! Über den eigenen Schatten zu springen, ist eben doch mitunter die größte Schwierigkeit von allen. Denn bei Jimmy ist das Nicht-Können tatsächlich so stark, dass es wie ein Nicht-Wollen daherkommt, glücklich zu sein. Wenn er sich vom Glücksversprechen abwendet, kann ihm niemand das Gegenteil beweisen; dass er wirklich glücklich geworden wäre.


    Denn er krankt nicht nur an sich selbst, sondern an allen Vätern und Müttern vor ihm und an allen Menschen um ihn herum. Das Kind ist schon lange in den Brunnen gefallen. Und wer so zartfühlend ist, alles Versagen um sich herum zu spüren, der muss verzagen und sich wie Jimmy in sich selbst zurückziehen. So wird für den Leser schließlich aus dem Entsetzen, das man zunächst über die Zustände in Jimmys Gefühls- und Alltagsleben empfand, tatsächlich Mitgefühl für den „klügsten Jungen der Welt“, der nichts so macht, wie es Romanfiguren "in seiner Situation" machen sollten; genauso wie für Jimmy aus Empathie mit der Welt und den damit verbundenen Rückschlägen irgendwann ein Entsetzen über das menschliche Dasein erwuchs. Und so ist er immer auf der Flucht vor dem Gefühl und dem Schmerz. Oh ja, der Comicroman trifft mich am Ende tief im Herzen! Ein Bild des modernen, komplexigen Lebens und der Schwierigkeiten, Nähe und Vertrauen in einer Welt zwischenmenschlicher Erfolgszwänge und sozial gewünschter Dauerfröhlichkeit aufzubauen, erzählt aus der Sicht eines verdrucksten, traurigen, früh vom Leben ermüdeten Versagers. Völlig zurecht in Allzeit-Comic-Bestenlisten! Ein unvergessliches Buch, „in dem kleine Bilder zum Leben erwachen, tanzen, singen und weinen.“:applause:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Das amerikanische Original ist als "Jimmy Corrigan, the Smartest Kid on Earth" im Jahr 2000 als Hardcover bei Pantheon Books in New York erschienen.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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  • Die französische Übersetzung besorgte Anne Capuron. Der Titel scheint dem amerikanischen Original zu entsprechen.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Chris Ware - Jimmy Corrigan, das klügste Kind der Welt / Jimmy Corrigan, the Smartest Kid on Earth“ zu „Chris Ware - Jimmy Corrigan, der klügste Junge der Welt / Jimmy Corrigan, the Smartest Kid on Earth“ geändert.