Hiromi Kawakami - Die zehn Lieben des Nishino / Nishino Yukihiko no koi to boken

  • Nishino Yukihiko hat viele Beziehungen, oft auch mehr als eine auf einmal - allein ist er somit nie. Dennoch erfasst ihn manchmal eine unendliche Traurigkeit und Einsamkeit, denn er ist der festen Überzeugung, unfähig für die Liebe zu sein. Und so fällt er gleichsam von Liebelei zu Liebelei, immer in der Hoffnung, dass es dieses Mal "die eine" sein wird.

    Hiromi Kawakami hat eine interessante Technik gewählt, um von Nishino zu erzählen. Es ist nicht der Frauenheld selbst, der aus seinem Leben berichtet, sondern es sind die Frauen, mit denen er zusammen war, aus deren Perspektive wir den Protagonisten kennen lernen. Von seiner Kindheit bis ins hohe Alter, von der Schulfreundin zur Vorgesetzten - alle Geschichten sind vertreten. Da sind Frauen, die Nishino vergöttern und solche, die bis zum Ende der Beziehung keine tiefen Gefühle für ihn entwickeln können, doch für Nishino ist am Ende das Ergebnis stets dasselbe: er kann sie nicht lieben, nicht so, wie sie es verdient hätten.

    "Die zehn Lieben des Nishino" ist kein stringenter Roman, sondern eine Aneinanderreihung episodenhafter kleiner Liebesgeschichten. In manchen Szenen fühlt man sich an Murakami erinnert - sie sind voller Poesie und Magie, andere kommen sehr profan und weltlich daher. Nishino bleibt bis zum Ende ungreifbar, so als wäre er durchscheinend und nicht richtig in dieser Welt verankert; zum Teil ergibt sich ein deutlich klareres Bild der weiblichen Charaktere in diesem Buch. Und trotz allem blättert man Seite um Seite um, weil die Handlung einen doch gefangen hält.

    Fazit: Ein poetischer kleiner Roman, dessen Protagonist ein Mysterium bleibt :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Poetischer Bilderbogen


    Dass man von Hiromi Kawakami keinen geradlinigen Roman erwarten durfte, war mir schon von vornherein klar. Und doch – obwohl es sich hier, bei „Herrn Nishino“, eher um zehn Kurzgeschichten handelte denn einen Roman, habe ich das Buch als stimmiger und als menschlich zugänglicher empfunden als manches ihrer vorigen Werke. Kawakami bedient sich generell eher einer experimentellen Schreibweise, bei der viel Symbolhaltiges und Traumnebelhaftes verwendet wird. Das ist auch bei „Nishino“ nicht ganz verschwunden; doch scheint sie in diesem Mittelding zwischen Anthologie und Roman zu ihrer optimalen Form gefunden zu haben.


    Es handelt sich um zehn Mosaikstücke, von verschiedenen Frauen aus dem Leben Nishinos erzählt. Sie alle schildern Nishino aus ihrer Sicht. Dabei sind die Erzählhaltungen durchaus unterschiedlich; die jobbende Studentin hat schlicht einen anderen Ton als die Hausfrau im gesetzteren Alter. Immer haben sie Nishino zunächst wie beiläufig kennengelernt, haben dann irgendwann ihr Herz für ihn entdeckt, bevor sie an seiner Unzugänglichkeit scheiterten.


    Die Chronologie ist dabei aufgebrochen: Es beginnt – kurioserweise – mit einer Episode vom Lebensende Nishinos; geht dann über seine Kindheit (Schulzeit, 8. Klasse) und seine mittleren Jahre, über sein – relatives – Alter von 50 Jahren wieder zu seinem Tod. Die Partnerinnen von Nishino sind dabei mindestens ebenso seltsam wie er selbst. Ein junges Mädchen vergräbt Erinnerungsstücke auf einem leeren Brachfeld; eine andere schläft auf dem Fußboden neben dem Kühlschrank; wiederum eine andere ist selber eher nymphoman veranlagt.


    Und auch die Bedeutung der Episoden liegt nicht immer in der Schilderung der eigentlichen Beziehung zu Nishino. Es sind eher die abwegigen Details, die Wichtiges verraten. Alle Episoden sind eher assoziativ miteinander verknüpft. Es sind Dinge wie ein Frosch, ein Goldfisch, Telefonanrufe, Namen, oder Lokale, die motivisch in den einzelnen Geschichten wiederkehren. Die Technik ist nicht ganz unähnlich Julian Barnes‘ „Geschichte der Welt in 10 ½ Kapiteln“. Oder Daniel Kehlmanns „Ruhm“.


    Ich persönlich war von dieser schwebenden und doch tiefgründigen Schreibweise schlicht hingerissen! Nach jeder Geschichte konnte man, wenn man wollte, pausieren, und sich seine Gedanken zu Nishino machen. Wie viele Facetten „Liebe“ doch hat: Freundschaft, Bekanntschaft, Sex, häufige Telefonate, Mitteilsamkeit, gemeinsame Depression, Suche nach Sinn. Dabei wird klar, dass noch längst nicht dasselbe gemeint ist, wenn zwei Personen von „Liebe“ sprechen. Über Nishino konnte man sich als Frau sicherlich aufregen. Doch steht er hier eher für eine Haltung, eine Strömung der Zeit. Und ganz am Ende steht vielleicht die – sehr japanische – Einsicht, dass im Fragmentarischen mehr Wahrheit zu finden ist als im Epos.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)

  • Nishino Yukihiko fällt es nicht schwer, Frauen kennenzulernen. Fremde, Kolleginnen und andere diverse Bekanntschaften: Immer wieder gelingt es ihm, eine Bettgefährtin zu finden. Nicht selten läuft sogar mit mehreren gleichzeitig etwas. Er ist ein scheinbar guter Liebhaber, doch keine Beziehung kann er lange aufrechterhalten. Obwohl er durchaus an einer ernsthaften Liebe interessiert ist, will sich keine längere Zeit mit ihm binden. Doch woran liegt das?


    „Die zehn Lieben des Nishino“ ist ein gelungener Roman von Hiromi Kawakami.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus zehn Kapiteln – jedes ist einer Frau zugeordnet. Erzählt wird jeweils in der Ich-Perspektive aus der Sicht der früheren Liebschaften Nishinos – allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. Dieser Aufbau gefällt mir sehr gut.


    Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman beeindruckt. Der Schreibstil ist klar und schnörkellos, aber doch poetisch, bildhaft und eindringlich. Mit nur wenigen Sätzen gelingt es der Autorin viel auszudrücken. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir leicht.


    Nishino steht klar im Mittelpunkt der Geschichte. Seine etwas unterkühlte Art und sein häufiges Fremdgehen haben mir ihn nicht gleich sympathisch gemacht. Allerdings ist er ein absolut reizvoller Charakter, der bis zum Schluss etwas geheimnisvoll und unnahbar bleibt. Stück für Stück wird seine Lebensgeschichte enthüllt. Darüber hinaus führt die Autorin zehn recht unterschiedliche Frauen ein. Die Personen wirken durchweg authentisch.


    Obwohl der Leser quasi zehn verschiedene Geschichten in der Geschichte präsentiert bekommt, gibt es durchaus einige Parallelen zwischen den Kapiteln, was sicherlich größtenteils dem Protagonisten geschuldet ist. Auch der Grundton der einzelnen Geschichten, eine gewisse Melancholie, ist allen gemein. Dennoch kommt beim Lesen keine Langeweile auf, was nicht nur an der eher geringen Seitenzahl liegt.


    Inhaltlich steht natürlich die Liebe im Vordergrund, die jedoch nicht auf kitschige Weise dargestellt wird. Dabei gelingt es der Autorin, ein Bild der modernen japanischen Gesellschaft zu zeichnen und zum Nachdenken über die Bedeutung von Liebesbeziehungen anzuregen.


    Das Cover und die hochwertige Aufmachung der gebundenen Ausgabe gefallen mir optisch sehr gut, wobei ich den thematischen Bezug nicht erkennen kann, weil im Buch nur Goldfische, aber keine Kois auftauchen. Den Titel finde ich allerdings ziemlich passend.


    Mein Fazit:

    „Die zehn Lieben des Nishino“ von Hiromi Kawakami ist ein ungewöhnlicher Roman der leisen Töne, der mich begeistern konnte. Ich werde mir nun auch die anderen Bücher der Autorin einmal genauer ansehen.


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  • Inhalt

    Nishino fragte schon als Schüler sehr direkt Frauen über Sex aus. Er hatte stets mehrere Beziehungen gleichzeitig. Seine Partnerinnen waren Mitschülerinnen, Kolleginnen, Nachbarinnen, verheiratete Frauen. Sie wussten voneinander, einige waren ebenso direkt an Sex interessiert wie Nishino. In kleinen japanischen Wohnungen mit dünnen Wänden hören die Nachbarn unweigerlich mit, wenn jemand ständig mit verschiedenen Frauen telefoniert. Nishino reizte offenbar die Zurschaustellung seiner parallelen Beziehungen; die Frauen sollten sich klar darüber sein, dass er nicht sie persönlich liebt, höchstens die Liebe an sich. Wenn eine Frau Schluss mit ihm macht, steht die nächste bereit. Er muss nichts entscheiden, keine Verantwortung für sein Handeln tragen.


    Erzählt wird das Liebesleben des N. in der Ichform von 10 Frauen, die in ihrem Bericht jeweils viel über sich selbst preisgeben. Durch die Ichform wirken die Stimmen anfangs austauschbar. Erst wenn Nishino die jeweilige Liebhaberin anspricht, taucht deren Vorname im Text auf. Während ich die Berichterstatterinnen für glaubwürdig gehalten habe, sät Hiromi Kawakami von Beginn an Zweifel an Nishino. Kann man ihm glauben? Kann ein gestresster japanischer Salaryman, der bis 23.00Uhr im Büro ist, so viel Zeit in seine parallelen Beziehungen investieren? Ist er ein Schwindler, ein Serienmörder? Seine Beziehung zu Natsumi, deren Tochter er offen anflirtet, wirkt verdächtig. Welche Mutter lässt sich auf so eine Beziehung ein, habe ich mich gefragt. Würde sich das Verhalten der Frauen Nishino gegenüber im Laufe des Romans ändern (die Handlung umfasst Nishinos Leben von der Schulzeit bis zum Tod)? Würde sich eine Frau in diesem Jahrtausend von einem Mann, deren Vorgesetzte sie ist, so grausam behandeln lassen, wie Manami? Würde eine Frau, die den Mechanismus durchschaut, heute dennoch auf den Herzensbrecher reagieren wie eine Marionette? Hoffnung scheint es zu geben; denn die 20-jährige Ai und ihre Freundin sind beide nicht begeistert vom 50-Jährigen Don Juan.


    Fazit

    Kawakami schildert in sachlichem Ton zum großen Teil Dreiecksbeziehungen: Liebhaber, Mutter und Tochter, Liebhaber und zwei seiner Geliebten, Liebhaber, Frau und Ehemann, Liebhaber, Frau und ihre zugelaufene Katze, aber auch eine vom Vater verlassene Icherzählerin oder den Liebhaber und seine verstorbene Schwester. Der Text ist selbst für konzentrierte Leser herausfordernd, weil die Ereignisse nicht chronologisch erzählt werden und man die Puzzlestücke selbst zusammensetzen muss. Wenn ich Nishinos Liebeleien als Spiegel meiner Erwartungen sehe, habe ich darin durchaus Neues erfahren.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Arnott - Limberlost

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow