L. P. Hartley - Der Zoll des Glücks / Ein Sommer in Brandham Hall / The Go Between

  • Kurzmeinung

    drawe
    Ein still und ruhig erzählter Roman über einen dramatischen Sommer und den Weg eines Kindes in die Welt der Erwachsenen
  • 1900. Der 12-jährige schüchterne Leo Colston stammt aus eher ärmlichen Verhältnissen und wird von seinem Schulfreund Marcus Maudsley eingeladen, die Sommerferien bei ihm und seiner aristokratischen Familie in einem großen Herrenhaus auf einem Landsitz im englischen Norfolk zu verbringen. Leo möchte von der Familie akzeptiert werden und verliebt sich schon bald in Marcus ältere Schwester Marian, die mit Lord Trimingham verlobt werden soll, allerdings heimlich ein nicht standesgemäßes Techtelmechtel mit dem bäuerlichen Pächter Ted Burgess hat. Als Marcus erkrankt, ist Leo sich selbst überlassen und lässt sich aufgrund seiner Faszination für Marian von ihr dazu missbrauchen, als Botenjunge für kleine Botschaften und Liebesbriefe an Ted zu fungieren. Leo fühlt sich wichtig und ernstgenommen und führt diese Botengänge gewissenhaft aus, wohl auch, um sich damit die Anerkennung seiner Gastgeber und vor allem die von Marian zu sichern. Doch gleichzeitig behagt ihm die Situation nicht und er zieht sich immer mehr in sich zurück. Das Treiben von Marian bleibt indes nicht lange verborgen und das Unglück nimmt seinen Lauf…


    L. P. Harley hat mit seinem Buch „Ein Sommer in Brandham Hall“ einen wunderbaren Klassiker geschrieben, der nun in neuem Gewand wieder aufgelegt wird und auch heute noch verzaubern kann. Der Schreibstil ist flüssig, bildgewaltig und gleichzeitig poetisch. Mit wunderschönen Bildern zaubert Harley den Leser in die adlige Welt der Familie Maudsley und in ein Herrenhaus, das man als einfacher Bürger sonst nicht einfach so betritt. Ob die Schilderung eines Cricketspiels oder die eiens Balles, alles ist sehr plastisch und fast greifbar. Die Geschichte erinnert an Ian McEwans Roman „Abbitte“, auch dort kam es zur Katastrophe aufgrund von Missverständnissen, mangelndem Vertrauen, Verlangen und Verrat. Gekonnt lässt Harley seinen Helden Leo als knapp 60-jährigen eine Zeitreise in die Vergangenheit antreten, als dieser sein altes Tagebuch von besagtem Sommer 1900 auf dem Dachboden wiederfindet und in Erinnerungen an damals schwelgt. Die aristokratische und etwas versnobte Welt war ihm völlig neu, es gab niemanden, der ihm Hilfe anbot, sich darin zurechtzufinden. Leo, der mit knapp 13 Jahren an der Schwelle zum Erwachenwerden steht, hat mit vielen Dingen zu kämpfen. Noch ist er ein Kind, das Verhalten der Erwachsenen ist ihm noch fremd, gerade das wird ihm zum Verhängnis, denn er kann die Intrigen und Machtkämpfe, die Täuschungen und die von der Gesellschaft vorgegebenen Verhaltensmuster nicht verstehen, dazu ist er zu naiv und unschuldig.


    Die Charaktere hat Hartley sehr differenziert und mit vielen Ecken und Kanten erschaffen, so dass sich dem Leser mehrere Welten auftun. Alle Protagonisten wirken sehr lebendig und authentisch und gerade das macht ihren Reiz aus. Leo ist ein schüchterner und zurückhaltender Junge aus armen Verhältnissen. Er wirkt oftmals viel zu ernsthaft, ihm fehlt eine gewisse Leichtigkeit. Aber gerade das macht sein Wesen aus, denn er befindet sich in einer ihm völlig unbekannten Welt, die ihn überfordert, wobei er nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Für ihn ist nur wichtig, dass man ihn akzeptiert und er sich korrekt benimmt. Intrigen und Machtspielchen sind ihm fremd, dazu ist er einfach noch zu jung und unbedarft. Marcus ist ein Snob und man wundert sich, wie er mit Leo eigentlich befreundet sein kann. Als Freund ist er Leo keine große Hilfe. Marian ist eine Frau, die mit Leo und seiner verdeckten Zuneigung zu ihr spielt, indem sie ihn für ihre Zwecke einspannt. Aber sie ist auch diejenige, die sich um ihn kümmert, ihm neue Erfahrungen machen und neue Dinge sehen lässt.


    „Ein Sommer in Brandham Hall“ ist ein Stück Weltliteratur, dass den Leser mitnimmt in die zerrissene Gefühlswelt eines Jungen vor viktorianischem Hintergrund. Eine Gesellschaftsstudie, die sich kennenzulernen lohnt. Absolute Leseempfehlung!


    Tolle :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Hier das Original :wink: In einer früheren Übersetzung wurde der Titel übrigens beibehalten.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „L. P. Hartley - Ein Sommer in Brandham Hall“ zu „L. P. Hartley - Ein Sommer in Brandham Hall / The Go-Between“ geändert.
  • Leslie Poles Hartley (* 30. Dezember 1895 in Whittlesey, Cambridgeshire; † 13. Dezember 1972 in London) war ein britischer Schriftsteller.

    Dieses Buch schrieb er schon 1953

    Erstmals übersetzt wurde es 1956 als: Der Zoll des Glücks – von Maria Wolff

    zweite Übersetzung 1990 als: Ein Sommer in Brandham Hall – von Maria Wolff

    dritte Übersetzung 2008 als: The Go-Between – von Adrian Stokar

    vierte Übersetzung 2017 als: Ein Sommer in Brandham Hall – von Wibke Kuhn

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Mario

    Hat den Titel des Themas von „L. P. Hartley - Ein Sommer in Brandham Hall / The Go-Between“ zu „L. P. Hartley - Der Zoll des Glücks / Ein Sommer in Brandham Hall / The Go Between“ geändert.
  • Leo Colston findet beim Aufräumen sein „Tagebuch für das Jahr 1900“ und er erinnert sich an den Sommer auf dem Landgut der Eltern seines besten Freundes. Zu dem Zeitpunkt war er zwölf Jahre alt und noch sehr unbedarft. Nur so konnte er in den Strudel hineingezogen werden, der in einer Katastrophe endete.

    „Ein Sommer in Brandham Hall“ erschien bereits im Jahr 1953 unter dem Titel „The Go-Between“ und wird jetzt neu herausgegeben. Der Schreibstil ist wundervoll zu lesen, er ist bildhaft und sehr poetisch.

    Die Verlobung von Marian, der Tochter des Hauses, mit Lord Trimingham steht bald bevor, als Leo Liebesbotschaften zwischen Marian und dem Pächter Ted Burgess überbringt. Leo stammt aus ärmlichen Verhältnissen und ihm imponiert die Umgebung in der sein aristokratischer Schulfreund Marcus Maudsley aufwächst. Dabei hat es mich verwundert, wie die beiden so unterschiedlichen Jungen befreundet sein können. Leo möchte die Anerkennung der Familie und lässt sich daher von Marian einspannen. Zunehmend aber fühlt er sich mit seinem Botendienst unwohl. Natürlich bleibt Marians Treiben nicht verborgen und die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten.

    Leo ist nicht mehr richtig Kind, aber auch noch nicht erwachsen. Es ist eine aufregende Zeit, in der er sich selbst noch nicht gefunden hat. Da ist es verständlich, dass die schöne Marian das Chaos von Leos Gefühle noch zusätzlich durcheinanderbringt. Er begreift in seiner Naivität nicht, was da geschieht und dass er getäuscht wird. Die Folgen sind für ihn verheerend.

    Die Charaktere sind lebendig und individuelle gezeichnet. Nur aus dem Zusammenspiel dieser Personen ist der Verlauf der Geschichte zu erklären.

    Mir hat dieser sehr atmosphärische Roman sehr gut gefallen.

  • Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)
    […] Die Vergangenheit ist ein fremdes Land.
    Leo Colston ist ein Mann fortgeschrittenen Alters, als er in einem alten roten Karton auf sein Jugendtagebuch stößt. »Tagebuch für das Jahr 1900« steht darauf, und dieser Fund lässt Leo Colston in Gedanken zurückgehen in jenen Sommer 1900, als er dreizehn war:
    Während der Ferien auf dem Landgut der Eltern seines Schulfreundes wird Leo zum Überbringer heimlicher Liebesbotschaften zwischen Ted, dem Pächter, und Marian, der schönen Tochter des Schlossherrn, deren Verlobung mit Lord Trimingham kurz bevorsteht. Gegen seinen Willen zieht es Leo immer tiefer in den Strudel des gefährlichen Spiels von Verlangen und Verrat, von versprochener und verbotener Liebe, und schließlich steht er vor der ersten großen Gewissensentscheidung seines jungen Lebens.
    Ein Sommer in Brandham Hall ist ein raffiniert konstruierter Roman über die Strapazen des Erwachsenwerdens und die Gefühlswirren der Jugend, eine fein beobachtete Gesellschaftsanalyse und eine wunderbare Liebesgeschichte. […]


    Autor (Quelle: amazon)
    Leslie Poles Hartley, 1895 in Whittlesey in England geboren, studierte neuere Geschichte in Oxford und machte sich einen Namen als Literaturkritiker, bevor er sein preisgekröntes Debüt Das Goldregenhaus schrieb. Der eigentliche Durchbruch gelang ihm jedoch erst 1953 mit Ein Sommer in Brandham Hall, einer der schönsten englischen Romane des 20. Jahrhunderts. 1972 starb Hartley im Alter von 76 Jahren in London.


    Allgemeines
    Titel der Originalausgabe: „The Go-Between“ (Erstveröffentlichung 1953), aktuelle Übersetzung von Wibke Kuhn
    Erscheinungstermin: 2. Mai 2019 im Eisele Verlag als HC mit 400 Seiten
    Gliederung: Prolog – 23 Kapitel – Epilog
    Ich-Erzählung von Leo Colston
    Handlungsort und -zeit: Brandham Hall, England, im Sommer 1900


    Inhalt
    Als Mann von 65 Jahren stößt Leo Colston auf ein Tagebuch, das er als zwölfjähriger Junge geführt hat, als er von seinem Internatsfreund Marcus Maudsley eingeladen wurde, im Sommer 1900 ein paar Wochen bei dessen Familie in Brandham Hall zu verbringen.
    Leo ist ein argloser, naiver Junge, der die Ferien bei der wohlhabenden Familie genießt, er schwärmt auf seine kindliche Weise für Marian, die ältere Schwester seines Freundes und idealisiert sie. Er ist auch von Lord Trimingham, einem Grafen, den Marian auf Wunsch ihrer Mutter heiraten soll, beeindruckt. Und er mag den Bauern und Pächter der Maudsleys, Ted Burgess, in dessen Scheune er gern spielt. Die Fassade eines perfekten Sommers bekommt erste Risse, als Marian und Ted Leo damit beauftragen, Briefe hin und her zu transportieren. Zunächst glaubt er trotz der Heimlichkeiten, es handle sich um „geschäftliche“ Briefe, doch als er einmal - eher zufällig – einen Blick auf die ersten Zeilen eines Briefes erhascht, wird ihm klar, dass zwischen Ted und Marian eine Beziehung besteht, die das Tageslicht scheuen muss. So bekommt er einen ersten Einblick in die Welt der Erwachsenen und gerät in einen Gewissenskonflikt, da er sowohl Marian und Ted als auch Lord Trimingham mag und sich den Gastgebern, Marians Eltern, verpflichtet fühlt. Außerdem schockiert ihn die Erkenntnis, dass die von ihm idealisierte Marian durchaus berechnend ist und sich nicht nur um seiner selbst willen mit ihm beschäftigt.


    Beurteilung
    Der Prolog gibt einen Einblick in das Leben eines Internatsschülers im England des Jahres 1900, er schildert den noch kindlichen Charakter des Ich-Erzählers Leo Colston und erklärt, wie es zu dessen Besuch in Brandham Hall kommt. Der Hauptteil, der sich mit Leos Besuch bei der Familie seines Schulfreundes befasst, lässt den Leser anschaulich und eindrücklich zum Zeugen einer Entwicklung werden, während der Leo vom naiven Kind zum Jugendlichen wird, der erstmals einen Blick in die Welt der Erwachsenen werfen kann und den das – bis dahin uninteressante – Thema des „Herumpoussierens“ beschäftigt. Was in einem in der Gegenwart spielenden Roman unglaubwürdig wirken würde, erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten Zeit, dem letzten Jahr der Regentschaft von Queen Victoria, absolut realistisch: Leo ist nicht nur kindlich, sondern offenbar über die Beziehungen zwischen Mann und Frau völlig unaufgeklärt. Trotzdem entwickelt er instinktiv ein feines Gespür für Recht und Unrecht, sein Gewissenskonflikt wird großartig verdeutlicht.
    Als es in Brandham Hall zum Eklat kommt, ist der Junge psychisch überfordert. Erst in der Retrospektive als reifer Mann kann er die Vorfälle des Sommers 1900 zuordnen und er reist im Jahr 1952 noch einmal nach Brandham Hall, um zu erfahren, wie es den am damaligen Drama Beteiligten seither ergangen ist. Dieser Epilog gibt auch dem Leser einen Abschluss und beantwortet Fragen, über deren Antworten er vorher nur spekulieren konnte.


    Fazit
    Ein sehr lesenswerter Roman der leisen Töne, der einen einfühlsamen Einblick in die Gefühlswelt und Reifung eines zwölfjährigen Jungen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gibt!

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998