Charles Dickens - Eine Geschichte aus zwei Städten / A Tale of Two Cities (Start: 1. Februar 2019)

  • So ist das zu verstehen - in irgendeinem Code strickt sie alle wichtigen Informationen über Kollaborateure, Opfer etc. in ihre Sachen hinein. Und jetzt eben den Namen und das Aussehen des Spions. Wie sie das macht, keine Ahnung :wink:

    Ich denke, dass sie für ihren Code unterschiedliche Maschenbreiten und Strickmuster nutzt. Ich kann nicht stricken, aber gibt es da nicht so etwas wie linksmaschig und rechtsmaschig? Über solche Unterschiede könnte man durchaus Botschaften transportieren.

    Ich stelle mir das ein wenig so vor wie die Knotenschrift der Inka. Damit wurden zwar Zahlen ausgedrückt, es wird aber angenommen, dass auch eine derartige Schrift für Buchstaben existierte.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • In Kapitel 16 tritt dann unser Spion aus England auf den Plan, und kommt es mir nur so vor, oder verhält er sich bei seiner Befragung etwas sehr offensichtlich? Als wolle er gar nicht verstecken, dass er die Defarges ausspioniere.

    Zuerst dachte ich ja, dass dieser Spion nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist, denn die Befragung ist so plump, so offensichtlich das es

    schon fast schräg ist. Ich kann mir aber vorstellen, dass er diese Plumpheit nur einsetzt, weil er die beiden verunsichern will. Er macht ihnen klar,

    dass sie beobachtet werden und vielleicht, dass der Strick sich enger zieht. Könnte ja sein, dass sie unter diesem Druck zu voreilig werden und

    Fehler machen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Zuerst dachte ich ja, dass dieser Spion nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist,

    in der Gerichtsverhandlung war er ja auch nicht so helle :-, Und sein Druck-Versuch hat ja nicht wirklich geklappt, eher im Gegenteil. Die Defarges haben ihn sehr gekonnt auflaufen lassen 8)

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Hallo zusammen, ich wollte mich hier kurz mal zeigen lassen. Ich hinke ziemlich hinterher, bin jetzt bei Buch II, Kapitel 8 - und habe auch Eure Kommentare erst bis dahin gelesen. Zum Kommentieren komme ich daher schon mal gar nicht, möchte mich aber für den regen Austausch untereinander bedanken. Viele Hinweise würde ich als Alleinlesender gar nicht mitbekommen (die Jakobiner, die Strickenden, bspw hätte ich überlesen).

    Ich bin mittlerweile auch auf die deutsche Übersetzung gewechselt... und bin daher auch froh um Eure Hinweise zu den verschiedenen übersetzungen, der eigentlichen Formulierung im englischen Original, etc

    Die Lektüre macht mir jedenfalls sehr viel Spass, auch wenn ich kein allzu aktiver Part hier in der Runde bin. Dieser Roman gefällt mir bisher auch besser als Grosse Erwartungen und gar Copperfield - wirklich grosse Klasse !

  • Und sein Druck-Versuch hat ja nicht wirklich geklappt, eher im Gegenteil. Die Defarges haben ihn sehr gekonnt auflaufen lassen 8)

    Nun ja, das stimmt, aber das war auch bei diesem Spion nicht schwer. Was ich mich frage ist, wer denn den Spion ausgesendet hat.

    Offensichtlich stehen die Defarges und ihr Etablissement unter Beobachtung und müssen sehr vorsichtig sein. Madame Defarge beruhigt

    ihren Mann ja mit Erfolg und was sie sagt, klingt logisch und auch voller Wut und Leidenschaft:

    Einerseits möchte man da doch förmlich Beifall klatschen, andererseits verspürt man hier und auch an anderen Stellen im vorherigen Kapitel,

    dass diese Wut grenzenlos und gnadenlos werden kann und letztlich auch zu einem Massaker werden könnte, dass keine Unterschiede mehr

    macht zwischen Schuld und Unschuld. Für den entfesselten Mob hatten wir ja schon ein kleines Beispiel und Herrn Defarges Worte im Kap. 15

    sind mir noch in Erinnerung:

    Zitat


    >>Eintragen als zum Untergang verurteilt<<, versetzte Defarge.

    >>Großartig!<< krächste der Mann mit dem gierigen Mund.

    >>Das Schloß und das ganze Geschlecht?<< fragte der erste.

    >>Schloß und Geschlecht<<, entgegnete Defarge. >>Vernichten<<.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Grobe Charaktereigenschaften haben mittlerweile die meisten Figuren, so dass man sie gedanklich einordnen kann (bis auf den undurchsichtigen hübschen Mr. Darnay),

    Ja, das sehe ich auch so - der ist für mich bisher nur schön und sehr verdächtig!

    Wie sie das macht, keine Ahnung

    In der Tereus-Sage wurde die Geschichte gewebt (danke, Squirrel, für den Hinweis, da wäre ich ohne Dich nie drauf gekommen!), und das geht.

    Mme Defarge aber strickt, und ich stricke auch gerne, viel und auch aufwändig (ich zähle dabei aber nicht die Köpfe, die links und rechts neben mir in den Sand fallen …) - sie könnte evtl. Buchstaben einstricken, das ginge schon. An einer Stelle sagt sie ja auch, dass sie ein Leichentuch strickt.

    Ich denke, dass man das Motiv einfach so nehmen muss als Parallelgestaltung zu Ovid, ohne es auf seine praktische Seite abzuklopfen.

    Eines vermittelt das Motiv ja auf alle Fälle:

    die ungeheure Rachlust der Mme Defarge.


    Ich sagt es ja schon mal: mir ist sie unheimlich. Sie kommt mir vor wie eine Furie, eine Rachegöttin, ich finde sie gewaltbereit und ich traue ihr sofort jeden Mord zu.

    Und jetzt spekuliere ich wieder ein bisschen: ihre Motive sind nicht nur politisch, sondern sehr persönlich.

    squirrel hat mich angefixt mit der Tereus-Geschichte; und da wir ja nur ein Vater-Sohn-Paar in der Geschichte haben (Cruncher zählt jetzt nicht, würde ich sagen), muss sie es auf den schönen Darney abgesehen haben...:-kWie geht denn das zusammen ….:scratch::-kEs muss etwas mit den steinernen Gesichtern am Schloss zu tun haben, überhaupt mit dem Schloss...

    Zum Teil gebe ich Dir recht, aber zum Teil war es auch wichtig für die Begegnung zwischen Gaspard und dem Straßenbauer, so dass dieser in Paris berichten kann. Zumindest sehe ich es so.


    Ich meinte es inhaltlich: die Erzählung hätte m. E. nicht derart ausführlich sein müssen. Aber egal.

    Vom Kompositorischen her finde ich die Einfügung eines Augenzeugen dagegen sehr raffiniert. Damit holt er die Ereignisse der Vergangenheit in die unmittelbare Gegenwart, entlastet quasi den Erzähler, der ja nur berichten könnte, und die Ereignisse werden fast plastisch (das ist ja das Schlimme) und wirken sehr lebendig.


    Und wieder steht ein Brunnen dabei. Auch in dieser Szene sehr sinnfällig, finde ich.

    Dickens empfinde ich (vor allem hier) viel politischer.

    … und Elizabeth Gaskell setzt noch eins drauf!

    Sie schrieb ja in seiner Zeitung, sie sind sich wohl einig, aber Gaskell beschreibt das soziale Elend und vor allem den Pauperismus sehr eindringlich und sie nennt Ross und Reiter.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Zuerst dachte ich ja, dass dieser Spion nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist, denn die Befragung ist so plump, so offensichtlich das es

    schon fast schräg ist. Ich kann mir aber vorstellen, dass er diese Plumpheit nur einsetzt, weil er die beiden verunsichern will.

    So hatte ich es dann auch interpretiert, wobei der Einwurf von Squirrel natürlich Sinn ergibt. Ich denke aber schon, dass jemand die Defarges wissen lassen wollte, dass sie unter Beobachtung stehen.


    Ich sagt es ja schon mal: mir ist sie unheimlich. Sie kommt mir vor wie eine Furie, eine Rachegöttin, ich finde sie gewaltbereit und ich traue ihr sofort jeden Mord zu.

    Als gewaltbereit empfinde ich sie auch, allerdings weniger als Furie und viel mehr als kalte, berechnende Person: zu allem bereit, aber nicht leidenschaftlich, sondern mit Kalkül. Als Figur "mag" ich sie - finde sie gut eingesetzt und wirkungsvoll beschrieben - und ich kann ihre bisher bekannten Motive nachvollziehen und mich bis zu einem gewissen Grad sogar anschließen. Mit dem Wissen um den historischen Verlauf der Ereignisse bekommt dieser Charakter aber etwas sehr Finsteres.

    "Selber lesen macht kluch."


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    Roberto Bolaño

  • als Furie

    Entschuldige: ich war so ganz bei Ovid und den Klassikern und meinte

    mit "Furie" eine römische Rachegöttin.

    Wie sie dieses Taschentuch knotet - meine Güte. Sie könnte einem einen Strick

    um den Hals legen und zuknoten.

    letztlich auch zu einem Massaker werden könnte, dass keine Unterschiede mehr

    macht zwischen Schuld und Unschuld.

    Das Gefühl habe ich auch.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Bis Kapitel 17

    Ich habe lange hin und her überlegt, ob mir sein Gefühlsausbruch too much war :scratch: - aber eigentlich fand ich, dass in seiner Liebeserklärung eine gewisse Ruhe und Würde lag. Er fordert nichts und legt ihr seine Gefühle dar, was ja eigentlich auch Mut erfordert. Er hat nur keinen Selbstwert und verachtet sich und sein Leben so völlig - ich glaube, dass er an etwas Großem zu kauen hat, was ihn innerlich zerstört. Bei mir hat er eher das Interesse geweckt, was mit ihm passiert ist, dass er so wurde. :-k

    Es muss ja auch einen in unserer Runde geben, der mal auf die andere Seite der Protagonisten schaut :friends: Warum Carton so ist, was ihm passiert ist, darauf sind wir bestimmt alle neugierig :wink:

    Dickens empfinde ich (vor allem hier) viel politischer.

    Auf jeden Fall ist er das und besonders in diesem Buch, da so offen und direkt ist und in vielen Details viel brutaler als die anderen Bücher, die ich von ihm kenne


    Ich denke, dass man das Motiv einfach so nehmen muss als Parallelgestaltung zu Ovid, ohne es auf seine praktische Seite abzuklopfen.

    Ich stelle mir das ein wenig so vor wie die Knotenschrift der Inka. Damit wurden zwar Zahlen ausgedrückt, es wird aber angenommen, dass auch eine derartige Schrift für Buchstaben existierte.

    Guter Vergleich, das macht es so schön bildhaft :)

    Und ich glaub auch, dass wir das einfach als gegeben annehmen sollten ohne uns noch weiter in diesem Detail zu verlieren, gleich wie interessant es ist


    Die Lektüre macht mir jedenfalls sehr viel Spass, auch wenn ich kein allzu aktiver Part hier in der Runde bin. Dieser Roman gefällt mir bisher auch besser als Grosse Erwartungen und gar Copperfield - wirklich grosse Klasse !

    Ich hab Dich schon vermisst :friends: Schade, dass Du so eingespannt bist, aber schön, dass Du trotzdem mit viel Freude weiterliest. Mir geht es wie Dir: ich finde dieses Buch auch besser als die von Dir genannten, aber Bleak House bleibt mein Highlight :love:


    Was ich mich frage ist, wer denn den Spion ausgesendet hat.

    Offensichtlich stehen die Defarges und ihr Etablissement unter Beobachtung und müssen sehr vorsichtig sein.

    Ich denke aber schon, dass jemand die Defarges wissen lassen wollte, dass sie unter Beobachtung stehen.

    Das wird wohl das knallende Finale werden, die Auflösung dieser Zusammenhänge. Es deutet ja schon vieles auf Darnay als Knotenpunkt hin. Die Defarges kennen offensichtlich seine Familie, denn sie haben verräterisch auf die Andeutungen des Spions reagiert. Darnay als Neffe des toten Monsieur gehört also dem Adel Frankreichs an, lebt jetzt aber inkognito in England - warum? Aus seiner Abneigung seinem Onkel gegenüber hat er keinen Hehl gemacht, aber mein Bauch sagt mir, dass er seinem Vater wohl auch nicht grad nahe stand.

    Durch die zufällige gemeinsame Überfahrt kommt der Kontakt zu Manette, der jetzt in die Ehe führt - so schließt sich ein uns bisher noch unbekannter Kreis für Manette, denn dass es da eine Verbindung zu Darnays Familie geben muss, da sind wir uns glaube ich einig. Und damit landen wir in der Familienvergangenheit von Darnay: steht Manette damit in Verbindung, steht Mme Defarge damit in Verbindung? Ich wage mal, zu beidem JA zu sagen.

    Deswegen glaube ich, dass unser Spion von französischer Seite aus losgeschickt wurde, ein englischer Hintergrund macht für mich keinen Sinn. Dazu kommt ja auch die ganz nebenbei erwähnte Tatsache, dass Defarge durch seinen Freund, den Polizisten, von dem Spion erfahren hat. Also ist er der französischen Polizei bekannt. Aber wenn Barsad jetzt als Spion für die französische Seite arbeitet, was hat er vorher in Frankreich getan? War er damals schon als Spion auf Darnay angesetzt? Die Informationen aus dem Prozess interpretiere ich dahingehend, dass er Darnays Bekanntschaft fast erzwungen hat durch ständige Kontakte in Kutschen und ähnlichen Situationen, in denen Darnay ihm nicht ausweichen konnte..... puh, da bleibt viel Raum für Spekulationen

    andererseits verspürt man hier und auch an anderen Stellen im vorherigen Kapitel,

    dass diese Wut grenzenlos und gnadenlos werden kann und letztlich auch zu einem Massaker werden könnte, dass keine Unterschiede mehr

    macht zwischen Schuld und Unschuld.

    Da sie offensichtlich gezielt auf eine Revolution hinarbeitet, wird sie keinen Unterschied machen. Sie ist so intelligent gezeichnet, dass sie sich bestimmt keine Illusionen darüber macht, wie viele unschuldige Opfer das verlangen wird. Die nimmt sie in ihrer Wut und kaltblütigen Rache billigend in Kauf.


    Eines vermittelt das Motiv ja auf alle Fälle:

    die ungeheure Rachlust der Mme Defarge.


    Ich sagt es ja schon mal: mir ist sie unheimlich. Sie kommt mir vor wie eine Furie, eine Rachegöttin, ich finde sie gewaltbereit und ich traue ihr sofort jeden Mord zu.

    Und jetzt spekuliere ich wieder ein bisschen: ihre Motive sind nicht nur politisch, sondern sehr persönlich.

    Da Dickens das Tereus-Motiv ins Spiel brachte, gehe ich auch von einer persönlichen Rache aus - und die zieht sie geduldig durch, gleich ob sie sie noch persönlich erleben wird oder nicht.

    Als gewaltbereit empfinde ich sie auch, allerdings weniger als Furie und viel mehr als kalte, berechnende Person: zu allem bereit, aber nicht leidenschaftlich, sondern mit Kalkül. Als Figur "mag" ich sie - finde sie gut eingesetzt und wirkungsvoll beschrieben

    Ich mag sie auch und mit dieser Figur hat Dickens einen genialen Zug gesetzt - eine rachsüchtige Frau, die die Welt zum Einsturz bringen wird! :thumleft:

    Wie sie dieses Taschentuch knotet - meine Güte. Sie könnte einem einen Strick

    um den Hals legen und zuknoten.

    Und wie das beschrieben wird - da hat Dickens wieder alle Register gezogen. Ich hatte das Gefühl, daneben zu stehen und ihr zuzuschauen 8)

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Squirrel, steht in deinen Anmerkungen vielleicht, ob der gestrickte Geheimcode auf historische Tatsachen zurückgeht oder ob Dickens ihn als Symbol einsetzt? ich habe zwar in den letzten Tagen einiges zur Franz. Revolution nachgelesen, aber zu diesem Detail nichts gefunden.

    Dazu fand ich dieses in Wikipedia ganz passend, wobei unser Buch auch noch erwähnt wird: Tricoteuses

    Du meinst, auch in unserem Roman gibt es einen grausamen Menschen, einen Vergewaltiger, der einen Sohn hat, der die Sünden seines Vaters büßen muss?

    Wie detailliert Dickens die Figuren von Ovid übernommen hat, das weiß ich auch noch nicht - aber es scheint bei Mme Defarge um persönliche Rache zu gehen.

    Hm, ich kann mir das nicht vorstellen. Ich denke den Menschen ging es so schlecht und sie wurden so schlecht behandelt, dass kein persönliches Schicksal notwendig wäre, um so ein Hass auf die Obrigkeit zu bekommen, aber vielleicht täusche ich mich auch. (Ich habe ja keine Erfahrung mit Dickens)

    Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.
    Heinrich Heine

  • Buch 2/bis Kap. 13

    Hier in diesem Kapitel wird er uns aber als überaus eloquenter, larmoyanter Mensch vorgeführt. Das passt einfach nicht zusammen.

    Ich vermute, dass der Erzähler dem Bedürfnis seiner Leser nach Sentimentalität entgegenkommen wollte.

    Ich habe lange hin und her überlegt, ob mir sein Gefühlsausbruch too much war :scratch: - aber eigentlich fand ich, dass in seiner Liebeserklärung eine gewisse Ruhe und Würde lag.

    Ich glaub' ja irgendwie, dass Carton auf seine Weise genauso ein Ideal wie Lucie darstellt, nur eben in männlich - und aus irgendeinem Grund ohne Hoffnung (ob nur von ihm so gesehen oder tatsächlich wissen wir nicht).

    Ich fand das Gespräch der beiden eigentlich sehr schön. Und angesichts der Konventionen so offen und weitgehend wie irgend möglich. Schade, dass Lucie ihn nicht mag, hab ich mir gedacht ... :uups:

    Ich passe jedenfalls perfekt in die sentimentale Zielgruppe. :lol:

    Er weist das Manettchen darauf hin, dass "es einen Menschen gibt, der bereitwillig sein Leben hingäbe, um ein Leben, das Sie liebt, an Ihrer Seite zu erhalten."

    Das hab ich übrigens so verstanden, dass er alles für sie täte, sobald sie ein Kind hat, für das sie dann selbst ihr Leben hergeben würde, damit sie mit ihrem Kind glücklich sein kann. ?(

    So schön ironische Beschreibungen:

    Mr. Stryver having made up his mind to that magnanimous bestowal of good fortune on the Doctor's daughter, resolved to make her happiness known to her before he left town for the Long Vacation.


    In der Tat ein "Fellow of Delicacy" :loool:

    Zum Glück hat Dickens aber auch genug Humor in seinen Beschreibungen verwendet.

    12 + 13: "Der Mann von Zartgefühl" und "Der Mann ohne Zartgefühl"

    Und bestimmt ist Carton auch deshalb so pointiert dargestellt. :wink:

  • Buch 2, bis Kapitel 14


    Muss dazusagen, dass ich ab und zu zwei deutsche Übersetzungen genommen habe und auch ein paarmal ins Original geschaut habe.


    Die Beschreibung des Fischens war wunderbar hintergründig. Ich hatte erst die Übersetzung von Kolb, wo das Fischen so trocken und verschnörkelt geschildert wurde. Und dann nahm ich die andere Übersetzung (die vom Insel-Verlag) und da gab es beispielsweise in der Szene, in der Cruncher seine Gerätschaften aus dem Schrank (wieso ist es in beiden deutschen Übersetzungen ein Schrein?) holt, beim "Fischen" plötzlich Anführungszeichen. Das ist natürlich eine Kleinigkeit, aber dadurch ging für mcih die Wirkung dieses trockenen Humors ein bisschen verloren. Vorher wurde alles so beschrieben, dass der Leser natürlich ahnte, dass die Geräte nicht zum Angeln benutzt werden würden und dann kamen sie zum Vorschein, ein Spaten, ein Seil, eine Kette etc. :lol: ... und das war doch so offensichtlich und in sich witzig, dass es keiner Anführungszeichen bedürft hätte. 8-[


    Naja, was ich damit sagen will: Nachdem meine (nicht vollständige) Dickens-Lektüre ja schon ein paar Jährchen her ist, bin ich bis jetzt immer von dieser Art Humor ausgegangen. Ob der im Original auch so ist, kann ich nicht beurteilen, dazu verstehe ich das Englisch aus dieser Zeit nicht gut genug. Aber mir fällt gerade auf, wie sehr diese Unterschiede in der Übersetzung auch die Stimmung und das Hintergründige, das ich gern hineinlesen möchte, verändern.

    Okay, ich hoffe, ich wiederhole damit nicht etwas, was schon x-mal durchdiskutiert wurde. Wollte es nur einmal erwähnen, weil eben die Übertragung ohne Anführungszeichen mir besser gefallen hat und ich sie auch stimmiger fand.

    Die männlichen Hauptrollen werden mir alle unsympathischer.


    Mr. Stryver ist ein überhebliches Scheusal, Mr. Carton ein Waschlappen und Mr. Cruncher ein herzloser Schläger.

    Mal sehen wie sie sich weiter entwickeln.

    Ich fand's ja interessant, dass er beim Abschied seine Frau "trotzig" anschaut. :wink: Bestimmt hat Cruncher, wie Dickens andeutet, in Wirklichkeit eine Höllenangst, dass ihre Gebete tatsächlich wirken könnten: :-,

    "With this view, he urged his son to hold her in conversation also, and led the unfortunate woman a hard life by dwelling on any causes of complaint he could bring against her, rather than he would leave her for a moment to her own reflections. The devoutest person could have rendered no greater homage to the efficacy of an honest prayer than he did in this distrust of his wife. It was as if a professed unbeliever in ghosts should be frightened by a ghost story."

  • Dazu fand ich dieses in Wikipedia ganz passend, wobei unser Buch auch noch erwähnt wird:

    Ja, aber die Frage, ob die Strickerinnen ihre Arbeit als "Notizen" nutzten, so als Geheimcode, klärt es leider nicht. Aber das ist wohl Dickens Art, dem eine weitere Bedeutung zu geben. :wink:

    Schade, dass Lucie ihn nicht mag, hab ich mir gedacht ... :uups:

    alte Romantikerin :loool:

    Naja, was ich damit sagen will: Nachdem meine (nicht vollständige) Dickens-Lektüre ja schon ein paar Jährchen her ist, bin ich bis jetzt immer von dieser Art Humor ausgegangen. Ob der im Original auch so ist, kann ich nicht beurteilen

    Ist er, da braucht es keine Anführungszeichen. weder beim Fischen noch sonstwo. Das beherrschte Dickens in absoluter Perfektion.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Dazu fand ich dieses in Wikipedia ganz passend, wobei unser Buch auch noch erwähnt wird:

    Ja, aber die Frage, ob die Strickerinnen ihre Arbeit als "Notizen" nutzten, so als Geheimcode, klärt es leider nicht. Aber das ist wohl Dickens Art, dem eine weitere Bedeutung zu geben. :wink:

    Das nicht, aber die Symbolik, die ich sehr passend finde.

    Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.
    Heinrich Heine

  • Kapitel 16, Ende

    ich stricke auch gerne, viel und auch aufwändig (ich zähle dabei aber nicht die Köpfe, die links und rechts neben mir in den Sand fallen …)

    da ich grad jetzt erst den letzten Satz von Kapitel 16 gelesen habe, kapier ich es auch endlich :totlach: Sind es so viele, dass Du aufgehört hast zu zählen? :loool:


    Mir ist ein Satz auf der Seite davor aufgefallen, am Abend nach dem Spionbesuch, wenn alle Bewohner von Saint Antoine am Abend draußen sitzen. Da schreibt Dickens

    Zitat von Dickens

    ... Madame Defarge with her work in her hand was accustomed to passs from place to place and from group to group: a Missionary - there were many like her - such as the world will do well never to breed again.


    Spricht er jetzt nur eine Warnung an die Welt aus oder bricht er auch den Stab über seine eigene Hauptfigur? Was meint ihr?

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Mir ist ein Satz auf der Seite davor aufgefallen, am Abend nach dem Spionbesuch, wenn alle Bewohner von Saint Antoine am Abend draußen sitzen. Da schreibt Dickens

    Ich dachte zuerst, dass wäre auch ein Angriff auf das "missionieren" an sich, aber das "such as the world" meint ja wohl nur diese ganz spezielle

    Sorte, die so sind wie Madame Defarge. Ich sehe darin vorrangig einen Angriff auf Madame und auf die anderen strickenden Damen. Eine Warnung

    an die Welt, auf solche Missionierer zu achten, geht aber wohl auch damit einher. Heute würden wir das vielleicht Fanatismus nennen und da wäre

    ich ganz seiner Meinung.

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  • Das hab ich übrigens so verstanden, dass er alles für sie täte, sobald sie ein Kind hat, für das sie dann selbst ihr Leben hergeben würde, damit sie mit ihrem Kind glücklich sein kann.

    Ja, ich finde auch, dass man das so wie Du auffassen kann!

    Ich habe es anders aufgefasst, sinngemäß: "Ich würde mein Leben dafür geben, um Ihnen den Menschen zu erhalten, den Sie

    lieben."

    Deswegen kam ich ja auf die Idee, dass Carton - der natürlich von Lucies zarten Gefühlen für den schönen Darney weiß - dass Carton also irgendetwas über den schönen Darney weiß, und zwar etwas, das diesem gefährlich werden könnte. In Frankreich, vermute ich. Und dass

    Carton sich dann für Darney ausgibt und die Strafe auf sich nimmt.

    So was in der Art.

    Ich spekuliere halt gerne bisschen herum.

    Sind es so viele, dass Du aufgehört hast zu zählen?

    Ach - ich bin ganz unzufrieden mit mir. Weder habe ich so viele heiratswillige Verehrer gehabt wie das Manettchen (gleichzeitig, meine ich), noch bin ich so eine mordlüsterne Rachefurie wie Mme Defarge.

    Ich finde in diesem Roman keine weibliche Identifikationsfigur.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Ich dachte zuerst, dass wäre auch ein Angriff auf das "missionieren" an sich,

    Interessant, daran hatte ich jetzt wieder gar nicht gedacht - dazu fehlt mir der religiöse Hintergrund im Buch.

    Ich sehe darin vorrangig einen Angriff auf Madame und auf die anderen strickenden Damen.

    Dann geht es also nicht nur mir so. Ist Dir schon mal eine Geschichte untergekommen, in der der Autor so direkt vor seiner eigenen Figur warnt wie Dickens hier? Ich kann mich an keine erinnern (was nichts heißen will :uups:)


    Deswegen kam ich ja auf die Idee, dass Carton - der natürlich von Lucies zarten Gefühlen für den schönen Darney weiß - dass Carton also irgendetwas über den schönen Darney weiß, und zwar etwas, das diesem gefährlich werden könnte. In Frankreich, vermute ich. Und dass

    Carton sich dann für Darney ausgibt und die Strafe auf sich nimmt.

    So was in der Art.

    Ich spekuliere halt gerne bisschen herum.

    Die Spekulation teile ich O:-)

    Ich finde in diesem Roman keine weibliche Identifikationsfigur.

    Ich denke, die findet niemand von uns. Zum einen sind die drei Frauen zu extrem und zum anderen so weit weg von unserer heutigen Lebenswelt, dass das gar nicht gelingen kann

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Deswegen kam ich ja auf die Idee, dass Carton - der natürlich von Lucies zarten Gefühlen für den schönen Darney weiß - dass Carton also irgendetwas über den schönen Darney weiß, und zwar etwas, das diesem gefährlich werden könnte. In Frankreich, vermute ich.

    So habe ich das auch eingeschätzt. Das klingt. als würde er sich auf ein mögliches zukünftiges Ereignis beziehen und seine Bereitschaft

    sein Leben zu geben um das Manettchen und alles was sie liebt zu schützen.

    Ich finde in diesem Roman keine weibliche Identifikationsfigur.

    Ich fürchte, dass ist bei vielen der weiblichen Figuren in Dickens Romanen der Fall. Die sind entweder unglaublich gut oder unfassbar böse.

    Dazwischen ist nicht viel. Oder Squirrel , fällt dir eine mögliche Identifikationsfigur ein?

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Oder Squirrel , fällt dir eine mögliche Identifikationsfigur ein?

    überhaupt keine, die sind alle zu weit weg von mir und meinem Leben :lol: Und entweder sind sie zu gut oder zu böse / abgedreht dargestellt

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier