Charles Dickens - Eine Geschichte aus zwei Städten / A Tale of Two Cities (Start: 1. Februar 2019)

  • Oh, ich hätte jetzt vermutet, dass es sich um Gaspard, den Vater des Kindes, handelt. Und dass er spontan das "Bündel" versteckt hat (wissend, dass die Frauen sich notfalls kümmern), um eben unter der Kutsche mitfahren zu können. Was er genau tun könnte, hat er vielleicht nicht gewusst, nur, dass er den Marquis mit diesem Totschlag nicht einfach davon kommen lassen will.

    Fast hätte ich ja gesagt und dann ist mir eingefallen das Monsieur Defarge ja verschwunden war, während der Vater des Kindes noch länger beschrieben wurde. Jedenfalls soweit ich es mitbekommen hatte.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Buch II 7. Kapitel


    Farast , Du schreibst:"Beharrlichkeit einer Norne"


    Steht das tatsächlich so bei Dir? Bei mir heißt es "Beharrlichkeit einer Nonne", und das

    ist ja was anderes.

    Das Bild einer Norne gefällt mir hier wesentlich besser, und dazu passt auch beklemmend gut, dass

    die Nornen ja auch mit Fäden arbeiten, mit Lebensfäden...


    Ich sehe schon: hier sind einige echte Dickens-Fans beisammen. Dazu gehöre ich (noch) nicht, aber das Ende von Kapitel 7 hat mir sehr gut gefallen, und zwar das Bild eines Kostümballs, das Leben als Theater!

    Zitat

    … der ganze Kostümball in seinem bunten Durcheinander wirbelte vorbei. Die Ratten krochen aus ihren Löchern und sahen stundenlang zu; Soldaten und Polizeidiener gingen oft zwischen ihnen und dem Schauspiel hin und her und bildeten Schranken, hinter die die Ratten zurückmussten.

    Das Wasser des Brunnens lief fort, der rasche Fluss lief weiter, der Tag verlief in den Abend, so viel Leben der Stadt verlief nach der Regel, dass Ebbe und Flut auf niemand warten, im Tod, die Ratten schliefen wieder dicht beisammen in ihren dunklen Löchern, für den Kostümball waren die Souperlichter angezündet, und alles verlief im alten Gang.

    Mir fallen nur einige wenige Stellen in der Literatur ein (keine Sorge, ich zähle nicht auf...), in denen das Verlaufen der Zeit, unabhängig von persönlichen Schicksalen, sprachlich so schön wiedergegeben ist.


    Dickens entwirft einen kleinen Zoo. Wir haben jetzt den Schakal und den Löwen (aus der Sicht des Mr. Stryver gesehen), wir haben den Tiger, also ein weiteres "Herrentier", und wir haben die unzähligen Ratten (aus der Sicht der herrschenden Schicht gesehen), die da herumwuseln, und wenn ab und an eine zu Tode kommt, ist das nicht weiter schlimm. Das Bild der Ratten für Menschen, diese Dehumanisierung, hatten wir auch in unserer Geschichte.


    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Mir fallen nur einige wenige Stellen in der Literatur ein (keine Sorge, ich zähle nicht auf...), in denen das Verlaufen der Zeit, unabhängig von persönlichen Schicksalen, sprachlich so schön wiedergegeben ist.

    Schön, dass du diese sprachlich so beeindruckende Szene erwähnst. Ich hatte ein "post it" an dieser Stelle, habe dann aber vergessen

    darauf einzugehen. Mich hat das ein wenig an eine Passage aus >Macbeth< vom alten Shakespeare erinnert. Ist vielleicht etwas weit

    hergeholt, aber ich zitiere es trotzdem mal. Da geht es auch um des Menschen Vergänglichkeit.

    Zitat


    Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild, ein armer Komödiant der spreizt und knirscht sein Stündchen auf der Bühn`

    und dann nie mehr vernommen wird.

    Ein Märchen ist`s erzählt von einem Narrn, voller Klang und voller Wut; und bedeutet nichts.

    Stimmt, hier sind schon ein paar echte Dickens Fans am Werke, aber wie du sicher schon bemerkt hast, sind wir von diesem, eher dunklen

    und auch forderndem Werk schon überrascht. Für mich gilt, dass ich angenehm überrascht bin und das so ein wenig mit dem Alterswerk von

    Mark Twain vergleiche, (auch so ein genialer Erzähler) das heute >>die dunklen Schriften< genannt wird.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Aber ist das nicht recht verwegen von Mr Darney, nach einem Hochverratsprozess wieder nach Frankreich

    zu reisen...?

    Das dachte ich allerdings auch, zumal ich nicht den Eindruck hatte, dass er Frankreich verließ weil es ihm dort so gut ging.


    Warum ich da stutzte. Bei dem Bündel dachte ich erst an das arme tote Kind, aber warum sollte es der Vater dann verstecken? Ich würde mein Kind begraben wollen.

    Ich komm nochmal auf deine Frage zurück, denn im Original heißt es so:

    Zitat

    The father had long ago taken up his bundle and hidden himself away with it, ...

    Würde ich das übersetzen, dann nicht im Sinne von "ein Versteck suchen" sondern eher im Sinn von "sich vor der Welt verstecken" - um zu trauern, nach meiner Interpretation, und das Kind zu begraben. Meint Ihr, dass dieser Vater Gaspard der gleiche ist, der in Kapitel 5 mit dem vergossenen Wein das Wort "Blut" an die Mauer schrieb? Das wäre dann ja ein böses Omen für ihn selbst geworden - und das würde perfekt zu Dickens und der Grundstimmung dieses Buches passen.


    Gleich am Anfang beschreibt er das Schloss als steinerne Festung in der alles zu Stein erstarrt scheint. Am Ende dann nimmt er dieses Bild wieder

    auf in der Szene am frühen Morgen.

    Mir fallen nur einige wenige Stellen in der Literatur ein (keine Sorge, ich zähle nicht auf...), in denen das Verlaufen der Zeit, unabhängig von persönlichen Schicksalen, sprachlich so schön wiedergegeben ist.

    Mir hat es die Beschreibung der Nacht angetan, nachdem der Marquis und Darnay zu Bett gingen :love:

    Zitat

    For three heavy hours, the stone faces of the château, lion and human, stared blindly in the night. Dead darkness lay on all the landscape, dead darkness added its own hush to the hushing dust on all the roads. The burial-place hat got to the pass that its little heaps of poor grass were indistinguishable from one another; the figure on the Cross might have come down, for anything that could be seen of it. In the village, taxers and taxed were fast asleep. Dreaming, perhaps, of banquets, as the starved usually do, and of ease and rest, as the driven slave and the yoked ox may, its lean inhabitants slept soundly, and were fed and freed.

    The fountain in the village flowed unseen and unheard, and the fountain at the château dropped unseen and unheard - both melting away, like the minutes that were falling from the spring of Time - through three dark hours. Then, the grey water of both began to be ghostly in the light, and the eyes of the stone faces of the château were opened.

    :shock: Ich hab gesehen, wie die steinernen Augen geöffnet wurden - gruselig :pray:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Ich komm nochmal auf deine Frage zurück, denn im Original heißt es so:

    im Original heißt es bei mir nicht >hidden himself away<, sondern >bidden himself away<


    das hieße dann übersetzt: ihm war geboten/geheißen sich zu verkriechen....seltsam..........

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    William Shakespeare


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  • Ich komm nochmal auf deine Frage zurück, denn im Original heißt es so:

    im Original heißt es bei mir nicht >hidden himself away<, sondern >bidden himself away<


    das hieße dann übersetzt: ihm war geboten/geheißen sich zu verkriechen....seltsam..........

    das ist jetzt interessant - doch Unterschiede in unseren Originalen?

    "A Tale" erschien ja parallel in einem Weekly (All the Year Round) und in einem Monthly und der Herausgeber meiner Ausgabe weist darauf hin, dass es kleine Unterschiede zwischen diversen Ausgaben gibt. Wie lauten denn die Titel von Book 2, Chapter 7 / 8 bei Dir - ist dort von "Monsieur the Marquis" oder von "Monseigneur the Marquis" die Rede? In der monatlichen Ausgabe hat Dickens nämlich verwirrenderweise in den Kapitelüberschriften das Wort Monseigneur benutzt, obwohl die Titel sich auf den Marquis beziehen. :-k

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Buch 2 Kapitel 7 und 8

    Interessant die Wandlung des Monsieur the Marquis zum Monseigneur in Kapitel 8. Hat er in Kapitel 7 selbst noch dem Monseigneur die Hölle an den Hals gewünscht, weil ihm die gewünschte Aufmerksamkeit versagt blieb, so verhält er sich seinen Abhängigen gegenüber tupfengleich genauso ohne darin einen Widerspruch zu sehen. Ganz deutlich ist dies in der Szene mit der alt wirkenden Witwe und ihrer Petition an den hohen Herrn, die ihm einfach nur lästig ist.

    Das ist mir auch aufgefallen, ich habe sogar 2 mal nachgelesen ... Brillant.


    Aber dafür war der Wechsel einer mit Sogwirkung. Dickens zeichnet in seiner so virtuos beherrschten Kunst ein fatales Bild der Obersten Schicht in Frankreich. Der gesamte Einstieg trieft vor Sarkasmus und ist bitterböse :twisted: Es bleibt einem schier die Spucke weg beim Lesen.

    oh ja ... Allein die Beschreibung wie Monseigneur seine Schokolade trinkt .... :pray::pray::pray:


    Die Szene mit dem Kind war schrecklich! Diese unfassbare Ignoranz! Das absolut fehlende Mitgefühl. Die Stumpfheit (und in der Situation wohl auch das Klügste, zu schweigen, obwohl man doch sogar als Leser einfach nur schreien möchte) der unterdrückten Menschen. Echt schlimm, diese Situation.

    Ich fand bei dieser Szene den Vergleich mit Ratten sehr krass. Dabei ist mir eingefallen, dass Ratten angreifen, wenn sie in die Ecke gedrängt werden...Könnte ein Hinweis auf das Kommende sein.

    Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.
    Heinrich Heine

  • Mir hat es die Beschreibung der Nacht angetan

    Ja, kann ich verstehen. Wie in einem Gruselfilm - und das Ganze gipfelt in dem Mord.

    Ob Mr. Darney in Verdacht gerät?


    Zum 11. Kapitel

    Dickens wird mir sympathischer: was hat er für eine spitze Zunge! Ich habe ein Faible für scharfzüngige

    Beschreibungen - und hier fällt er über Mr. Stryver her. Wie anmaßend er ist, wie er seinen Freund belehrt und wie er sich

    über ihn erhebt! Mr. Carton erträgt es mit Humor, er wird mir immer sympathischer.

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  • Wie lauten denn die Titel von Book 2, Chapter 7 / 8 bei Dir - ist dort von "Monsieur the Marquis" oder von "Monseigneur the Marquis" die Rede? In der monatlichen Ausgabe hat Dickens nämlich verwirrenderweise in den Kapitelüberschriften das Wort Monseigneur benutzt, obwohl die Titel sich auf den Marquis beziehen. :-k

    Gut, das du es ansprichst. Das hat nämlich bei mir für einige Verwirrung gesorgt. Bei mir heißt es zwar >Monsieur the Marquis aber die Kapitel-

    überschrift bei 7/8 heißt, wie du schon sagst, verwirrenderweise >Monseigneur in the country/in Town<. Das hat mich so irritiert, dass ich anfangs

    nicht wusste von wem hier nun die Rede ist. In der deutschen Ausgabe ist das klarer. Da heißen die Kapitel 7/8 >Der Herr Marquis in der Stadt / auf

    dem Lande. Da ist Herrn Dickens ein böser Fehler unterlaufen.

    Dann ist mir noch aufgefallen, dass in einem kommenden Kapitel die Bürger vom >ermordeten Monseigneur< reden. Das trägt auch nicht zur

    Klarheit bei. Gut, dass es jetzt nur noch einen von ihnen gibt. Das beruhigt mich............:wink:

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  • im Original heißt es bei mir nicht >hidden himself away<, sondern >bidden himself away<


    das hieße dann übersetzt: ihm war geboten/geheißen sich zu verkriechen....seltsam..........

    das ist jetzt interessant - doch Unterschiede in unseren Originalen?

    "A Tale" erschien ja parallel in einem Weekly (All the Year Round) und in einem Monthly und der Herausgeber meiner Ausgabe weist darauf hin, dass es kleine Unterschiede zwischen diversen Ausgaben gibt. Wie lauten denn die Titel von Book 2, Chapter 7 / 8 bei Dir - ist dort von "Monsieur the Marquis" oder von "Monseigneur the Marquis" die Rede? In der monatlichen Ausgabe hat Dickens nämlich verwirrenderweise in den Kapitelüberschriften das Wort Monseigneur benutzt, obwohl die Titel sich auf den Marquis beziehen. :-k

    Bidden, hidden, jetzt musste ich auch noch Mal nachschauen.

    Bei mir heißt es ebenfalls bidden hilmself away.

    Und Kapitel 7 und 8 sind bei mir mit Monseigneur in Town bzw Monseigneur in the Country überschrieben.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño

  • Ist vielleicht etwas weit

    hergeholt, aber ich zitiere es trotzdem mal. Da geht es auch um des Menschen Vergänglichkeit.

    Mir machen weit hergeholte Zitate nichts aus, ich halte viel von solchen assoziativen Verbindungen.

    Dann trau ich mich auch mal - für mich ist die allerschönste Stelle eine aus der Kalendergeschichte von J. P. Hebel, "Unverhofftes Wiedersehen". Wunderbar, wie der Lauf der Zeit erzählt wird, wie die große Geschichte auf das Alltägliche heruntergebrochen wird, in dem

    ein schlimmes Einzelschicksal einfach verloren geht.



    Aber wieder zurück zu Dickens!

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  • Dann basiert Deine und FreakLikeMe s Ausgabe also auf der monatlichen Veröffentlichung, meine laut Aussage des Herausgebers auf der wöchentlichen. Ich bin gespannt, ob wir noch weitere kleine, aber wichtige Unterschiede entdecken. :wink:

    Dabei ist mir eingefallen, dass Ratten angreifen, wenn sie in die Ecke gedrängt werden...Könnte ein Hinweis auf das Kommende sein.

    Das klingt absolut passend und ist für Dickens richtig vorstellbar, dass er auch das als Hinweis nimmt :wink:

    Ob Mr. Darney in Verdacht gerät?

    Das scheint ja nicht der Fall zu sein wenn er im Jahr darauf seine Existenz in England als Lehrer so weit gesichert hat, dass er mit Mr Manette über dessen Tochter spricht, also das Einverständnis des Vaters zur Werbung um Lucie einholt. Das war ein interessantes Gespräch, v.a. weil Manette bei manchen Hinweisen von Darnay wieder so extrem reagiert. Auf die Hintergründe dazu bin ich jetzt schon neugierig, immerhin nimmt ihn das Gespräch derart mit, dass er danach wieder zu seinen Schuhen greift :-k

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Buch 2, Kapitel 10

    Darnay macht sein Interesse an Lucie deutlich. Ich finde die Beziehung zwischen ihm und Lucies Vater nach wie vor dubios. Der gute Doktor verhält sich seltsam, als würde er unangenehme Erinnerungen mit Darnay verbinden.


    Buch 2, Kapitel 11 und 12

    Das waren mal zwei boshaft ironische, sehr amüsante Unterhaltungen - wenn ich auch fürchte, dass sie für den armen Carton und Mr. Lorry nicht halb so amüsant waren. Ich hätte nicht erwartet, dass Stryver ebenfalls seinen Hut für Lucie in den Ring wirft.


    So schön ironische Beschreibungen:

    Mr. Stryver having made up his mind to that magnanimous bestowal of good fortune on the Doctor's daughter, resolved to make her happiness known to her before he left town for the Long Vacation.


    In der Tat ein "Fellow of Delicacy" :loool:


    Ich würde es nur vielleicht, eventuell mal schön finden, wenn sich so langsam etwas ähnliches wie eine Handlung herausschälen würde. Ich kann mir zwar vorstellen, in welche Richtung es geht, bis jetzt erscheint mir das alles aber noch etwas unzusammenhängend.

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  • Ich würde es nur vielleicht, eventuell mal schön finden, wenn sich so langsam etwas ähnliches wie eine Handlung herausschälen würde. Ich kann mir zwar vorstellen, in welche Richtung es geht, bis jetzt erscheint mir das alles aber noch etwas unzusammenhängend.

    Diese Herangehensweise ist aber typisch für Dickens - er spinnt mehrere Fäden parallel und erst nach und nach verbindet er sie zu einem großen Ganzen. Und das kann dauern, bis wir Leser es als Ganzes durchschauen. So arg unzusammenhängend finde ich es noch gar nicht, denn das Bindeglied des Ganzen scheint mir Darnay und / oder seine Familie zu sein. Eigentlich halte ich Darnay für zu jung, als dass er direkt mit Manettes Schicksal in Frankreich zusammen hängen könnte, aber Manette könnte in ihm ja den Sprössling des Urhebers erkennen? Irgendetwas in der Art vermute ich mal, auch wenn es sich dabei mal wieder um wilde Spekulation handelt :loool:


    Und jetzt begebe ich mich zu Kapitel 11, das Dir so gut gefallen hat :mrgreen:

    viele Grüße vom Squirrel



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  • immerhin nimmt ihn das Gespräch derart mit, dass er danach wieder zu seinen Schuhen greift

    Wir haben ja schon vorher erfahren, dass er Mr. Darney merkwürdig anschaut.

    Wir werden es wohl noch erfahren.

    Hoffentlich etwas zügiger, ich werde ja schon ganz wirr.


    Zu Kapitel 12

    Oh - da hatte ich wieder meinen Spaß an den ironischen Formulierungen! Mr. Stryver muss einfach Mr. Lorry erzählen, "welch glänzender Horizont sich über Soho auftun solle" - herrlich. Leider verdunkelt sich der Horizont, Mr. Stryver bekommt einen Korb und verhält sich wie der Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind.


    Sehr komödiantisch, diese Szene!

    Und ein großer Gegensatz zu den Gorgonen-Szenen.

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  • Huhu Ihr Lieben,


    bin wieder dabei, nachdem ich am Wochenene weder in den BT noch zum Lesen gekommen bin, macht aber nichts, bevor ich mich ans Weiterlesen mache, lasse ich einfach ein paar Gedanken zu euren bisherigen Kommentaren da. Lesetechnisch bin ich bis Buch 2 Kap. 7 gekommen.

    Oho, da wird wieder Jane Austen verkannt! :shock::lol::friends: JA konnte es sich (als Frau ohne eigenes sicheres Einkommen, von Verwandten abhängig) ja nicht leisten, so deutlich darauf hinzuweisen. Sie hat allerdings recht raffiniert Probleme in den oberen Schichten beschrieben, gerade so, dass man ihr keinen Strick draus drehen konnte. Hätte sie länger gelebt und sich dann tatsächlich von ihren Buchverkäufen ernähren können, wäre sie da sicher auch noch weiter gegangen.

    Ich stimme dir zu, dass die großartige Jane Austen eben aufgrund ihres Geschlechts und ihrer gesellschaftlichen Lage nicht so direkt wie Mr. Dickens kritisieren konnte. Daher machte sie das subtiler, aber nicht harmlos, sondern meist herrlich humorvoll bissig. Ich wollte mit meinem Vergleich eher sagen, dass die Themen, mit denen sich beide Autoren beschäftigen, unterschiedlich waren. Austen befasste sich vor allem mit den verschiedenen Typen und Verhaltensweisen in der "besseren" Gesellschaft (zu der sie ja den meisten Zugang hatte) und der Leser weiß, dass am Ende jeder das bekam, was er verdiente - darunter natürlich die Romanheldin ihren Gentleman:lol:. Bei Austen wurden gesellschaftliche Not und Elend nur angedeutet (z. B. als Emma die armen Nachbarn besuchen geht oder die Zustände bei der ärmlichen Familie von Fanny Price in "Mansfield Park" geschildert werden - den von Dickens beschriebenen Hunger musste meiner Erinnernung nach aber keine von Austens Figuren leiden:scratch:). Dickens nimmt - vor allem in unserem aktuellen Buch - kein Blatt vor den Mund vor den Zuständen auf Englands Straßen oder in London, dem Hunger in dem Pariser Vorort usw.

    Tatsächlich scheint mir Carton der mit den "besseren Anlagen" während Stryver sich durch Ehrgeiz hervortut, aber vielleicht nicht unbedingt durch Können. Er versteht es, sich bei den "richtigen" Menschen und Prozessen in den Vordergrund zu spielen und zu drängen, aber ausschlaggebend für seinen Erfolg ist doch eher Carton, der im Hintergrund die entscheidende Arbeit für ihn tut. :-k Altruistisch empfinde ich ihn noch immer nicht, aber irgendetwas in seiner Vergangenheit scheint ihn zu hindern, zu behindern, oder es ihm egal zu machen, was mit ihm passiert....

    Ich glaube auch, dass Carton auf seine Weise viel intelligenter als Anwalt Stryver ist. Aber er ist im Gegensatz zu Stryver kein Macher oder Entscheider, der gern im Vordergrund steht. Ihm liegt eher die Arbeit im Hintergrund und er merkt nicht, dass Stryver das perfekt für sich zu nutzen versteht.

    Was mich bei Carton erstaunt, hat er Lucie doch als "blondes Püppchen" abgetan.

    Meiner Ansicht nach wollte er mit dieser Äußerung verbergen, dass er eigentlich ganz angetan von Lucie ist. :scratch: So nach dem Motto "Harte Schale, weicher Kern". :-,

    Aber dafür war der Wechsel einer mit Sogwirkung. Dickens zeichnet in seiner so virtuos beherrschten Kunst ein fatales Bild der Obersten Schicht in Frankreich. Der gesamte Einstieg trieft vor Sarkasmus und ist bitterböse :twisted: Es bleibt einem schier die Spucke weg beim Lesen. Dickens lässt an nichts und niemandem ein gutes Haar.

    Kapitel 7 war wirklich der absolute Hammer, einfach herrlich böse, wie er die Gesellschaft beschreibt. :twisted::pray: Mir gefällt das Buch immer besser. :lechz:

    Die Szene mit dem Kind war schrecklich! Diese unfassbare Ignoranz! Das absolut fehlende Mitgefühl. Die Stumpfheit (und in der Situation wohl auch das Klügste, zu schweigen, obwohl man doch sogar als Leser einfach nur schreien möchte) der unterdrückten Menschen. Echt schlimm, diese Situation.

    Diese Szene setzte dem ganzen vorherigen Beschriebenen (die ganze dekadente Oberschicht mit viel "Außen hui und innen ganz viel Pfui", wo jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und Inkompetenz und Korruption die Welt regieren) wirklich noch die Krone auf. Schlimm, wie er den Vater lapidar mit einem Geldstück abspeisen wollte. Aber man merkt, dass 1780, als sich diese Szene abspielte, das Volk sich derartiges Benehmen noch ohne viel Murren gefallen ließ, bis auf unsere wenigen Ausnahmen. Ich glaube, dass das Ehepaar Defarge bei der Revolution noch eine nicht unwichtige Rolle spielen wird. :-k

    Und wer ist in Kapitel 9 mit der spannenden, neu enthüllten Familienkonstellation? :lechz:

    Noch nicht, aber ich geh jetzt weiterlesen. :lechz:

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

    :study: Trude Teige - Als Großmutter im Regen tanzte

  • Bei Austen wurden gesellschaftliche Not und Elend nur angedeutet

    Wenn ich Austen richtig in Erinnerung habe, wurden Not und Elend aber nicht auf gesamtgesellschaftliche Ursachen bezogen? Sondern eher als privates Schicksal betrachtet, das durch ebenfalls private Mildtätigkeit gelindert werden sollte? Könnte der Einzelne bei Austen dieses Schicksal ändern? Das sind jetzt echte Fragen, vielleicht weißt Du mehr darüber?


    Dickens zeigt ja hier eine andere Sicht der Dinge: er sieht gesamtgesellschaftliche Ursachen, und zwar im politischen System. Die Ursachen für die Armut kann der Einzelne - wenn ich Dickens richtig verstehe - nicht ändern.


    Ich lese/höre parallel gerade "Norden und Süden" von Elizabeth Gaskell, und das ist für mich eine spannende Parallel-Lektüre. Sie beschreibt sehr deutlich den Hunger und die Not der Textilarbeiter, und sie sieht das auch so, dass der Einzelne auch bei größtem Fleiß und größtem persönlichen Anstand die Lage nicht ändern kann. Sie sieht die Ursachen aber weniger im politischen als im wirtschaftlichen System.

    Karl Marx winkt...


    Zu Kapitel 7, Ende:

    Könnte bitte einer mal nachschlagen, ob die strickende Frau mit einer Norne oder einer Nonne (so steht es in meinem Text) verglichen wird?

    Ich würde es zu gerne wissen...! Und Dickens würde bei "Norne" in meiner Achtung gewaltig steigen:wink: (ja, ich weiß schon, dass ihm das wurscht ist...)

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  • Könnte bitte einer mal nachschlagen, ob die strickende Frau mit einer Norne oder einer Nonne (so steht es in meinem Text) verglichen wird?

    In meinem deutschen Text (Insel Ausgabe) steht "mit der Beharrlichkeit einer Norne".

    Der Originaltext ist es aber etwas anders ausgedrückt. "with the steadfastness of Fate" was dann eigentlich auch übersetzt werden könnte mit.

    "mit der Beharrlichkeit des Schicksals".

    Also, ich finde das die Übersetzung "Nonne" nicht wirklich gelungen ist.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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