Dorothee Schmitz-Köster - Raubkind

  • Klaus B. kam als Fünfjähriger während des 2. Weltkrieges aus einem Lebensbornheim zu seinen Pflegeeltern, bei denen er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Seine leiblichen (deutschen) Eltern, so wurde ihm erzählt, seien tot.

    Erst durch die Journalistin Dorothee Schmitz-Köster, die sich intensiv mit dem Kapitel Lebensborn beschäftigt, erfährt er, mittlerweile über 70 Jahre alt, die Wahrheit.

    Es schockiert ihn zutiefst, dass er ein aus Polen geraubtes Kind gewesen sein soll, das mit einer neuen Identität der sogenannten „Germanisierung“ in einer linientreuen deutschen Familie zugeführt wurde.

    Er selbst hat keinerlei Erinnerungen an seine frühe Kindheit, seinen polnischen Namen oder die Muttersprache. Alles ist vergessen.

    Die Journalistin beginnt mit der Recherche, durchsucht alte Akten und Melderegister, liest Protokolle und findet bald Hinweise auf seine Herkunftsfamilie, die noch viele Jahre nach ihm gesucht hat.

    Klaus B. hat in Polen drei Halbgeschwister, seine Mutter ist erst vor wenigen Jahren verstorben und hat nie aufgehört um ihren verlorenen Ältesten zu trauern.

    Was mag in einem Menschen vorgehen, der erst in hohem Alter die Wahrheit über seine Herkunft erfährt und das erste Mal das Gesicht seiner Mutter auf einer Fotografie sieht? Dass die Pflegeeltern ihn offensichtlich belogen haben und er deshalb nie eine Chance hatte die Wahrheit über seine Herkunft zu erfahren. Er hätte seine Mutter zu ihren Lebzeiten noch wiedersehen können…

    Man kann verstehen, dass es ihn gesundheitlich mitnimmt und sein Herz verrücktspielt. Nur zögerlich und vorsichtig lässt er sich auf seine neue Verwandtschaft ein. Einerseits freut es ihn, andererseits nimmt es ihn sehr mit.

    Die Autorin beschreibt sehr detailliert ihr Vorgehen, der Leser erahnt die Komplexität dieser Recherche. Nicht alle Akten sind noch vorhanden und wenn ja, z.T. unvollständig oder nicht korrekt geführt, teilweise bewusst gefälscht. Doch ein Puzzleteil fügt sich zum anderen: Bei Klaus B. handelt es sich um den 1943 aus Polen geraubten Jungen Czeslaw B.!


    Fazit: Mich hat dieses Buch sehr berührt und aufgewühlt. Es verarbeitet, auch stellvertretend für viele andere Opfer, die Schicksale der geraubten sogenannten „Ostkinder“.

  • Ein Leben lang hat Klaus B. das geglaubt, was ihm über seine Kindheit erzählt wurde. Erst mit über siebzig Jahren erfährt er durch die Recherche der Journalistin und Autorin Dorothee Schmitz-Köster die Wahrheit über seine Herkunft. Er wurde im Jahr 1943 von Deutschen, vermutlich der SS, aus seiner Familie gerissen und beim »Lebensborn« untergebracht. Dort verschaffte man ihm eine neue germanisierte Identität und gab ihn 1944 zu linientreuen deutschen Eltern, den Schäfers.

    Bei den Recherchen kommt heraus, dass sehr viele Kinder aus Polen und weiteren Gebieten im Osten das gleiche Schicksal erlitten haben wie Klaus B. Es fällt Klaus bestimmt nicht leicht, aber er entschließt sich nach einigem Zögern, die Arbeit der Journalistin zu unterstützen. Viele der geraubten Kinder wissen bis heute nicht, dass sie geraubt wurden. Aber Klaus B. findet tatsächlich seine wirkliche Familie.

    Obwohl der Schreibstil recht sachlich ist, erzählt dieses Buch eine sehr berührende Geschichte über ein Schicksal, das wirklich so verlaufen ist. Da man weiß, dass es keine Fiktion ist, ist man umso betroffener. Wie konnte ein Regime nur so menschenverachtend handeln?

    Ergänzt wird diese Geschichte durch eine ganze Reihe von Dokumenten und Fotos.

    Es ist kein Wunder, dass das Leben von Klaus B. aus den Fugen gerät, als er erfährt was damals wirklich geschehen ist. Man kann seine Zweifel aufgrund der neuen Erkenntnisse gut nachvollziehen. Er war bereits neunzehn Jahre alt, als er aus einem Brief seiner Stiefeltern erfahren hat, dass sie ihn aus einem Lebensborn-Heim geholt haben. Ihnen hat wohl der Mut gefehlt, ihm die Wahrheit persönlich zu sagen. Angeblich sei sein Vater gefallen und seine Mutter kurz nach der Geburt gestorben. Klaus hatte schon Zweifel, ist diesen aber nicht nachgegangen. Ein Buch, welches seine Stiefschwester Inge über die Familie geschrieben hat, muss er nun mit ganz anderen Augen betrachten. Woher wusste Inge das Alles, obwohl die Mutter doch schon tot war, als Inge das Buch geschrieben hat? Wieso fehlte nur seine Geburtsurkunde?

    Aber nicht nur Klaus hat schwer an seinem Schicksal zu tragen, auch seine Familie in Polen konnte ja nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Immer wieder haben sie versucht, den verschwundenen Jungen zu finden, doch ohne Erfolg. Wie sollte das auch möglich sein, wo man ihm eine andere Identität verschafft hat. Doch nun ist es möglich, sich zu sehen, aber die Verständigung ist schwierig. Die Begegnung mit seinen Verwandten nimmt Klaus sehr mit.

    Die Autorin behandelt ein Thema, dass nicht so geläufig ist. Aber es ist ein wichtiges Thema, denn es ist ein großes Unrecht, dass diesen geraubten Kindern widerfahren ist.