Imre Kertész, Péter Esterházy, Ingo Schulze - Eine, zwei, noch eine Geschichte/n

  • Titel: Eine, zwei, noch eine Geschichte/n
    Seiten: 3 Geschichten auf 102 Seiten
    Verlag: Berlin Verlag
    ISBN: 9783827007872


    Die Autoren:

    Imre Kertész, 1929 in Budapest geboren, wurde 1944 als 14-Jähriger nach Auschwitz und Buchenwald deportiert. Diese Erfahrung verarbeitete er u.a. in seinem wohl bekanntesten Werk "Roman eines Schicksallosen". 2002 erhielt er den Literaturnobelpreis, er starb am 31. März 2016.


    Péter Esterházy, 1950 in Budapest geboren, entstammt einer ungarischen Adelsfamilie, die unter dem kommunistischen Regime enteignet und unterdrückt wurde. In seinem Hauptwerk «Harmonia Caelestis» thematisiert er die Entwicklung Ungarns und Verflechtung mit seiner Familie. Er erhielt u.a. den österreichischen Staatspreis für europäische Literatur (1999) und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2004). Er starb am 14. Juli 2016.


    Ingo Schulze, 1962 in Dresden geboren, studierte in Jena klassische Philologie und arbeitete zunächst als Schauspieldramaturg und Journalist. Seit Mitte der 90er Jahre arbeitet er als freier Schriftsteller, und seine Werke wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, u.a. erhielt er für seinen zuletzt erschienenen Roman »Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst« den Rheingau Literaturpreis 2017.


    Inhalt und Meinung:
    Dieser kleine Erzählband beinhaltet drei Texte, die das gleiche Thema behandeln – eine Zugfahrt von Budapest nach Wien – und Bezug aufeinander nehmen.


    Die erste Geschichte «Protokoll» von Imre Kertész erschien erstmals 1991 unter dem Originaltitel «Jegyzōkönyv». Auf 27 Seiten erzählt Kertész von einer Reise, die er kurz zuvor unternommen hatte. Eine Zugfahrt von Budapest nach Wien möchte er unternehmen, erzählt, weshalb er reisen muss, wie er sich vorbereitet und welche Gedanken er beim Anblick der vorbeiziehenden Landschaften hat oder auch, welchen Eindruck er von seinen Mitreisenden hat. Plötzlich kommt die Zollkontrolle an der österreichisch-ungarischen Grenze; eigentlich nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur eine Formalität, aber Kertész führt zuviele Devisen mit sich. Rasch gerät er ins Visier der Behörde, woher kommt das Geld, was will er überhaupt im Ausland, weitere Fragen müssen abgeklärt werden. Kertész fühlt sich an frühere, totalitäre Zeiten erinnert.


    Die zweite Geschichte «Leben und Literatur» von Péter Esterházy erschien erstmals 1993 unter dem Originaltitel «Élet és irodalom». Auf 25 Seiten beschreibt Esterházy die gleiche Zugreise, die er in ein Jahr nach Kertész unternimmt. Der Aufbau der Geschichte ist ähnlich, ganz klar nimmt Esterházy Bezug auf den vorherigen Text, schaut auch aus dem Fenster, beobachtet die Menschen, kommt allerdings zu anderen Schlüssen und macht andere Beobachtungen. Seine Gedanken kreisen vielmehr um das Zusammenspiel und wechselseitigen Einfluss von Leben und Literatur.


    Die dritte Geschichte «Noch eine Geschichte» von Ingo Schulze erschien erstmals 2007. Auch hier der gleiche Aufbau. Wir erfahren, weshalb Schulze die Reise unternehmen möchte, seine Vorbereitungen und Gedanken – die Zeit ist aber eine denkbar andere. Europa ist zusammengewachsen. Der Blick aus dem Fenster, die Menschen im Abteil – kein Vergleich zu den Schilderungen von vor 20 Jahren. Auch die Boarder Control interessiert sich nicht für ihn…


    Ganz klar: die erste Geschichte empfand ich als die beste! Die bedrückende Schreibweise von Kertész, die Humor und hervorragende Beobachtungsgabe enthält, gefällt mir einfach, auch wenn es bei ihm thematisch stets um Auschwitz, Verfolgung und Unterdrückung zu gehen scheint. Die beiden nachfolgenden Geschichten beziehen ihren Reiz aus ihrer Anlehnung / Referenz auf die vorherige Geschichte. Diese Intertextualität mit dem stets ähnlichen Aufbau, den unterschiedlichen Gedanken und Erfahrungen in einer ähnlichen Situation – das macht den Reiz dieses experimentellen Buches aus. Rasch gelesen, bietet das Buch eine Menge Gesprächsstoff und Anstoss für weiterer Recherche. Eine Empfehlung an die üblichen Verdächtigen :wink:

  • Das war beim 365er-Thread. Da hatte ich das Buch schon mal erwähnt (Ein Buch von mehr als 2 Autoren), jetzt nochmals ausführlicher.

    Und letzten Monat hatte ich ein anderes Buch von Kertész rezensiert, da hattest Du mich auf ein Interview mit ihm und Iris Radisch hingewiesen. Dein deja-vu trügt also nicht :D

  • Gut, dann bin ich doch nicht in der ewigen Zeitschleife des täglich grüßenden Murmeltieres gefangen:).


    Ja, an das zweite kann ich mich noch gut erinnern, weil ich mir jetzt u.a. „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“ zu Weihnachten gewünscht habe. Mal schauen, ob ich es bekomme.