Anne Stern - Rabenjahre

  • 1939 im Norden Deutschlands. Die 16-jährige Waise Johanna macht sich auf den Weg ins hamburgische Umland, um dort auf einem Bauernhof eine Stelle als Magd anzutreten. Sie besitzt nichts als ihre Kleider am Leib und ein Stück Notenblatt als Überbleibsel ihrer jüdischen Mutter, dass ihr bei ihren Nachforschungen in Hamburg ausgehändigt wurde. Auf dem Hof muss Johanna hart arbeiten, dafür hat sie ein Dach über dem Kopf und einen gefüllten Magen. Doch der Knecht Tobias stellt ihr nach und zwingt sie zur Flucht, die sie nach Wochen auf das Gut Delow in Vorpommern führt, wo sie für die Familie von Westphal als Mädchen für alles eingestellt wird und sich auch um die Kinder kümmert. Eigentlich hat sie es dort gut, doch der Hausherr Carl hat ein Auge auf sie geworden, was auch in ihr romantische Gefühle auslöst und sie in Schwierigkeiten bringt. Sie bekommt eine kleine Tochter, die fortan mit ihr auf dem Gut lebt. Als 1945 die Russen das Gut einnehmen und alle Bewohner Misshandlungen und Gewalt erfahren müssen, entscheidet sich Johanna, mit ihrer Tochter nach Palästina zu gehen. Dort hat sie eine Begegnung, mit der sie nie gerechnet hätte…


    Anna Stern hat mit ihrem Buch „Rabenjahre“ den zweiten Teil ihrer Saga um die Familie Pauly vorgelegt, der dem ersten an Emotionen und Spannung in Nichts nachsteht. Der Schreibstil ist flüssig und gefühlvoll, der Leser springt mit den ersten Zeilen in die Geschichte und begleitet Johanna bei ihrem harten und steinigen Weg über mehrere Jahre, die gleichzeitig vom dunkelsten Teil der deutschen Geschichte begleitet werden. Die Kriegsjahre, die Entbehrungen und die Gewalt werden gut beschrieben, wenngleich die Not auf dem Land weniger groß war, da die dortigen Güter sich wesentlich besser selbst versorgen konnten. Trotzdem stand auch ihnen bei einem Einmarsch des Feindes einiges bevor, hinterließen diese neben Gewalt doch meist völlige Verwüstung. Auch die völlige Verblendung, die Angst vor Entdeckung, der gegenseitige Verrat und die Denunziationen lässt die Autorin sehr gut in ihre Handlung miteinfließen, was die schreckliche Lage deutlich macht, dass eigentlich jeder auf sich allein gestellt war und seine Meinung nicht frei äußern konnte ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu werden. Wunderschön sind auch die eingefügten Briefe von Margarethe an ihre Tochter, die die Geschichte noch anrührender machen und zeigen, wie grausam die damalige Zeit war.


    Die Charaktere wurden sehr liebevoll ausgestaltet, sie besitzen Ecken und Kanten und gerade deshalb wirken sie sehr lebendig und realitätsnah. Johanna ist eine sympathische junge Frau, die viel zu schnell erwachsen werden muss. Sie ist Waise und arbeitet hart für ihren Lebensunterhalt. Ihr ist ihre eigene Schönheit gar nicht bewusst, trotzdem bringt gerade diese sie in Schwierigkeiten. Sie hat eine warmherzige Art, dabei wirkt sie oft unterwürfig, möchte am liebsten gar nicht auffallen. Johanna möchte gern mehr über ihre eigenen Eltern erfahren und ihre Gedanken gehen dem Leser oft ans Herz. Hans ist ein jüdischer Junge, der Johanna einen Teil ihres Weges begleitet. Er hat den Mord an seiner Mutter mitansehen müssen und schlägt sich nun allein durchs Leben. Dabei vertraut er niemandem mehr und lässt keinen näher an sich heran. Carl von Westphal ist ein Schürzenjäger, dabei liebt er seine Familie sehr. Seine Frau Gudrun leidet unter Depressionen, sie wirkt immer unterkühlt und von oben herab. Friedrich ist der jüngste Sohn der Westphals und ein freundlicher Junge, der sich nach Liebe und Verständnis und vor allem nach einem offenen Ohr seiner Eltern sehnt. Die weiteren Protagonisten tragen ebenso zur Spannung der Handlung bei.


    „Rabenjahre“ ist eine gelungene Fortsetzung der Pauly-Saga und lässt die Hoffnung auf einen dritten Teil steigen sowie die Erwartung auf ein Zusammentreffen von weiteren entzweiten Menschen. Wunderbar und gefühlvoll erzählt ohne zu beschönigen, wodurch man die Geschichte nicht so schnell vergisst. Absolute Leseempfehlung!


    Einfühlsame :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


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    Albert Einstein


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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten