Jérôme Ferrari – Nach seinem Bilde / À son image

  • Kurzmeinung

    tom leo
    Sehr gut aufgebauter und dichter Roman zum korsischen Nat., der Photographie, dem Verhältnis zw Bild und Wirklichkeit...
  • Original : Französisch, 2018


    INHALT :

    Der Ausgangspunkt ist auf ein paar Seiten erzählt : Antonia ist 38 Jahre alt, Nun event-Photographin, aber mit Erfahrungen während des Krieges in Ex-Jugoslawien. Sie trifft im August 2003 in Calvi/Korsika erneut mit Dragan, einem serbischen Soldaten zusammen und verlängert ihren Kurzaufenthalt. Frühmorgens will sie per Auto in den Süden der Insel zu ihren Eltern heimkehren, doch verunglückt.


    In Form des Requiems für die Verstorbene tauchen Bruchstücke ihres Lebens und Tuns im Geiste des zelebrierenden Priesterns auf, der ihr Pate war. Zugleich wird erinnert an den korsischen Nationalismus, die Gewalt verschiedener Kriege und die ambivalenten Querverbindungen zwischen Photographie, Bild, der Wirklichkeit und dem Tod...


    BEMERKUNGEN :

    Dieser erneut sehr dichte Roman Ferraris ist geschickt und vielschichtig, oder -linig, aufgebaut. So stecken hinter einer gewissen Themenvielfalt und verschiedenen Schauplätzen doch einige Grundakzente. Diese hören sich eventuell in der kurzen Inhaltsangabe verworren an, sind aber doch auf beeindruckende Weise miteinander verbunden.


    « Hauptspielort » vieler Kapitel ist der Tag des Begräbnisses von Antonia. Wir nehmen weitestgehend die Perspektive ihres Paten ein, dem siebzehn Jahre älteren Cousin und Priester. Zutiefst betroffen, da Antonia von je her nahestehend, gehen mit ihm die Gedanken zurück an entscheidende Momente im Leben Antonias : Wie sie durch ihn zur ersten Kamera kam, die ihr Leben bestimmen sollte, später zuerst als Journalistin bei dörflichen Veranstaltungen, dann aber auch als Photographin im Bosnienkrieg (Vukovar). Ihr Leben liesse sich auch lesen als komplexe Beziehungsgeschichte (als Geliebte einer Hauptperson) zu nationalistischen Kämpfern ihres heimischen Korsikas, ihren inneren Widersprüchen, ja ihrer Lächerlichkeit. Dies so bloßzustellen ist vom Korsen Ferrari schon ein Ding…


    Eingeschoben in diese sich um Antonia drehenden Fragen rund um die Photographie sind zwei ähnliche historische Beispiele von Kriegsphotographen zwischen Wiedergabe, erzwungenem Dienst UND Bloßstellung, Verweigerung, Anklage. Und immer wieder die Frage des Verhältnisses zwischen Wirklichkeit und Bild, vielleicht auch Leben und erstarrter Position (=Tod), zwischen Anspruch auch und Wirklichkeit.


    Wir begleiten zugleich in diesen zwölf von den Teilen des traditionellen Requiems betitelten Kapiteln eben den « Paten » (taucht er überhaupt mit Namen auf?) und « Priester ». Auch da ein komplexes Leben, aber auch teils faszinierende Wiedergabe eines inneren Kampfes in diesen Momenten absoluter Absurdität, nämlich dem Tode des geliebten Patenkindes. Manche Gedanken sind wirklich ausgezeichnet und zeugen von der spirituellen Komplexität inneren Lebens in einem betroffenen Geistlichen. Ganz tolle Szenen dabei. Der Titel mag da auch wieder manche Grundfragen des Romans auf eine noch tiefere Ebene setzen. Das «nach seinem Bildnis » geschaffen (Genesis 1,27) gibt etwas von der Berufung, aber auch Grundspannung des Menschen wieder zwischen eben jener und der Wirklichkeit. Hier scheint die Sinnlosigkeit des Krieges mit seinen Gräueln wie das absolute Gegenargument.


    Ich zitiere aus einer meiner Rezis zu einem anderen Ferrari-Buch, da es auch hier zutrifft :

    Ferrari bekennt sich nicht zu einem Glauben, doch er spricht (zB in einem Interview in « Les Matricules des anges ») von seinem Angezogensein durch eine mystische Weltensicht, in der verschiedene Wirklichkeiten in Bezug gesetzt werden. Da gibt es in ihm, wie in vielen unserer Zeitgenossen, eine Nostalgie nach einer Tiefe (für die es vielleicht nirgendwo sonst eine zufriedenstellende Antwort gibt?).

    Wilde und auch grausame Szenen prägen den Roman, und dennoch gibt es jene andere Ebene, auf der etwas über sich selbst hinausweist, weisen kann. Ich glaube nicht, dass man diesen Roman ohne Anerkennung dieser spirituellen Dimension lesen kann.


    Es scheint unmöglich, den ganzen Reichtum der Überlegungen Ferraris, den gemeisterten Aufbau des Romans wiederzugeben. Aber es ist ihm wieder ein großer Wurf gelungen ! Ich für meinen Teil behalte ihn im Auge! Bravo !


    AUTOR :

    Jérôme Ferrari (* 1968 in Paris) ist ein französischer Schriftsteller, Übersetzer und Philosophielehrer. Ferraris Eltern stammen aus Korsika. Er wuchs in Vitry-sur-Seine auf und studierte in Paris Philosophie. Nach dem Abschluss zog er als Lehrer nach Korsika. Nachdem er sieben Jahre am Lycée in Porto-Vecchio Philosophieunterricht gegeben hatte, ging er 2007 für vier Jahre an das Lycée internationale Alexandre Dumas nach Algier. Seit 2012 lehrt er Philosophie am französischen Gymnasium in Abu Dhabi.


    Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm mit diesem seinen Roman « Le sermon sur la chute de Rome » (zu Deutsch: Die Predigt auf den Niedergang Roms), der 2012 mit dem bekanntesten französischen Literaturpreis, dem « Prix Goncourt », ausgezeichnet wurde und international für Aufsehen in den Feuilletons sorgte.


    Broché: 218 pages

    Editeur : Actes Sud Editions (22 août 2018)

    Collection : Domaine français

    Langue : Français

    ISBN-10: 233010944X

    ISBN-13: 978-2330109448

  • Endlich ein weiteres Ferrari-Buch übersetzt und zugänglich, mE lohnt es sich! Unter dem Titel "Nach seinem Bilde" (bitte Titel erweitern, Squirrel , danke!)


    Antonia, eine junge Fotografin, trifft auf Korsika eines Abends unerwartet auf den Söldner Dragan, den sie Jahre zuvor im Jugoslawienkrieg kennengelernt hat. Nach Stunden intensiver Unterhaltung entscheidet sich die junge Frau heim in die Berge zu fahren und verunglückt tödlich.

    Die Totenmesse wird von ihrem Onkel, einem Priester abgehalten. Um seine unendliche Trauer über den Tod der innig geliebten Nichte im Zaum zu halten, entscheidet er sich für die strikte Einhaltung der Regeln der Liturgie. Im Glutofen der kleinen Kirche aber steigen Bilder der Erinnerung aus dem Leben der Verstorbenen auf ...

    Sie führen vom militanten Nationalismus auf Korsika über die verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts ins Herz der Frage nach der menschlichen Existenz, dem Glauben, der Macht von Politik und bringen unsere Vorstellung von Zeit, Wirklichkeit und Tod ins Wanken.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Jérôme Ferrari – A son image“ zu „Jérôme Ferrari – Nach seinem Bilde / À son image“ geändert.