Jean-Philippe Blondel - Ein Winter in Paris / Un hiver à Paris

  • Victor ist in seinem zweiten Jahr am renommierten Lycee D. Er hat seine Eltern und sein Städtchen in der Provinz verlassen, um nach Paris zu gehen und Lehrer zu werden. Doch unter seinen Klassenkameraden ist er stets der Außenseiter geblieben; der, der nicht so recht zu den anderen passen will. Mathieu aus dem ersten Jahr scheint es ähnlich zu gehen, auch er hat seinen Platz noch nicht gefunden. Die beiden treffen sich fast täglich beim Rauchen - mal wechseln sie ein paar Worte über den Konkurrenzdruck, über ihre Ängste oder über ihr altes Leben, mal schweigen sie einfach nur gemeinsam. Victor fasst sogar den Gedanken, Mathieu einzuladen, seinen Geburtstag in ein paar Tagen mit ihm zu feiern. Doch dann passiert das nicht einmal Unerwartete, aber dennoch Undenkbare: Mathieu stürzt sich vor den Augen seiner Kommilitonen in den Tod und Victor bleibt, wieder einmal, allein zurück.

    Mathieus Suizid bringt das Leben am Lycee völlig durcheinander. Lehrer Clauzet, bekannt dafür, seine Studenten mit höhnischen Kommentaren zu quälen, gerät ins Kreuzfeuer, der Rektor in Zugzwang. Schnell werden alle für einige Zeit vom Unterricht befreit, um trauern zu können, aber Victor ist hin- und hergerissen. Eigentlich kannte er Mathieu zu wenig, um wirklich traurig zu sein; dennoch macht der Tod des Jungen ihn noch einsamer, als er sowieso schon ist. Dann beginnen auf einmal Victors Klassenkameraden Interesse an ihm zu finden, dem "Freund" von Mathieu. Und er, der er vorher beinahe unsichtbar war, wird nun zu Parties eingeladen und mehrere Personen buhlen um seine Freundschaft und mehr. Als noch Mathieus Vater auftaucht, auf der Suche nach Antworten, beginnt Victor sich mit diesem zu treffen. Immer mehr Zeit verbringen die beiden miteinander. Mathieus Vater schwelgt in jeder noch so kleinen Erinnerung an den verlorenen Sohn, während Victor sich vorstellt, wie es wäre, wenn er einen Vater wie diesen hätte. Einen, der versteht, was ihm Literatur und Wissen bedeuten. Dabei geraten beide immer tiefer in einen Strudel, der droht, sie in die Tiefe zu reißen.

    Es ist ein leiser Roman, den Blondel uns hier präsentiert. Abgesehen von dem großen Ereignis zu Beginn sind es eher viele kleine Vorkommnisse und Gespräche, die die Handlung vorantreiben. Sprachlich gekonnt, voller Bilder und Vergleiche wird hier erzählt, was Suizid mit denen macht, die zurückgelassen werden. Es geht um Einsamkeit, Wut, Selbstzweifel, aber auch um den Versuch, Lücken zu schließen. Sei es die Lücke, die ein geliebter Sohn hinterlässt oder, wie im Fall von Victor, diejenige von Eltern, die sich immer weiter von ihrem Sohn entfernen.

    Der Autor wagt es aber auch, ein Tabu zu brechen, nämlich im Zusammenhang von Suizid auch von Vorteilen, gar von Profit zu sprechen. Denn genau das ist es, was Victor tut, er profitiert. Mathieus Tod bringt ihm neue Freundschaften, Erfolg bei den Frauen und für eine gewisse Zeit lang auch einen Ersatzvater. Doch all dies treibt den jungen Mann nur noch mehr in die Einsamkeit. Es ist, als ob alle nur eine Vorstellung von ihm haben, die sie sich nach Belieben anpassen: der bemitleidenswerte, zurückgelassene Freund; der Sohn, den man gerne gehabt hätte - bei all dem bleibt eines auf der Strecke: Victor selbst, seine Wünsche, seine Zukunft. Nur er selbst kann sich aus diesen Verstrickungen befreien. Wird ihm das gelingen? Oder ist es schon lange zu spät?

    Fazit: ein Roman voller Wahrheit, Einsamkeit und Hoffnung zugleich :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Sensibel, melancholisch, wunderschön


    Einfühlsam zeichnet Jean-Philippe Blondel in seinem neuen Roman den Verlauf nach, den das Leben des 19-jährigen Victors während und nach einem schicksalhaften Winter in Paris nimmt.

    Eine zentrale Rolle spielt dabei die Vorbereitungklasse des renommierten Lycée D., an deren Ende der sogenannte Concours steht. Wer diesen besteht, studiert an einer der Grandes Ecoles. So findet Victor, der Junge aus der Provinz, sich zwischen der französischen Elite wieder. Anders als die anderen ist er nicht zwischen Kunst, Literatur und Theater aufgewachsen. Und die ungeschrieben Gesetzte, nach denen sie sich kleiden, sprechen, sich verhalten sind ihm fremd. So ist er ist einsam, außen vor, unsichtbar.

    Wider aller Erwartung gelingt es ihm, das erste Jahr zu überstehen und in das zweite Jahr zu wechseln. So trifft er auf Mathieu, ein Jahr jünger als er, ebenfalls aus der Provinz. Sie sprechen nicht viel, aber sie rauchen in den Pausen gemeinsam. Vielleicht kann daraus eine Freundschaft entstehen, hofft Victor. Das ändert sich abrupt, als Mathieu in der Schule über ein Geländer springt und sich so selber das Leben nimmt. Plötzlich steht Victor im Mittelpunkt, halten ihn doch alle für einen Freund des Opfers, für ein Opfer des Opfers. Er ist nicht mehr unsichtbar, seine Mitschüler interessieren sich für ihn.

    Der Selbstmord wird von Seiten der Schule nicht aufgearbeitet, vielmehr geht es dort weiter wie zuvor. Anschaulich wird die harte, kompetitive Atmosphäre und der Konkurrenzdruck beschrieben. Die Lehrer wirken beinah unmenschlich, allen voran ein M. Clauzet, in dessen Französischstunde Mathieu sprang. Auf unnachahmliche Art beleidigt und demütigt er seine Schüler.

    Auch Mathieus Vater, der nach Hinweisen sucht, findet keine Antwort auf die Frage, weshalb sein Sohn sprang. Aber diese steht auch nicht im Focus. Vielmehr erzählt Victor sehr wortgewandt, wie es mit seinem eigenen Leben weitergeht. Er schließt immer mehr Bekanntschaften, entfremdet sich zunehmend von seinen Eltern, auch seine Noten rutschen ab. Und er trifft auf Mathieus Vater, hört ihm zu, immer wieder, wenn dieser von seinem Sohn erzählt.

    Es ist eine sensible, melancholische Geschichte. Feinfühlig und sehr anschaulich erzählt, sodass man teilweise das Gefühl hat, selber neben Victor durch Paris zu laufen. Insgesamt ein wunderschöner Roman.

  • Tun wir so, als sei alles normal“


    „Ein Winter in Paris“ von Jean-Philippe Blondel erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der auf der Suche nach seinem Lebensweg ist.


    Der 19-jährige Victor studiert an einem Pariser Elite-Lycée Literaturwissenschaften. Dort herrschen harte Regeln, und dominante Lehrer machen den Studenten das Leben schwer. Aus der Provinz kommend scheint Victor per se als Außenseiter abgestempelt, wird von seinen Kommilitonen nicht beachtet und von seinen Dozenten gepiesackt. Einzig und allein zu Mathieu, einem Mitstudenten, mit dem Victor ab und an in Pausen eine Zigarette raucht, bahnt sich ein näherer Kontakt an. Doch bevor sich die beiden besser kennenlernen können, stürzt sich Mathieu in den Tod. Mathieu's Selbstmord wird fortan Victor's aktuelle Situation und seine Zukunft maßgeblich beeinflussen.


    Jean-Philippe Blondel hat mit Victor eine interessante, echte Figur geschaffen, die er in den Mittelpunkt seines Romans setzt. Rundherum platziert er fast schon desinteressierte Eltern, von sich überzeugte Professoren, auf sich bezogene Mitstreiter und dann ein Ereignis, das eigentlich alle wachrütteln sollte. Der Autor beschäftigt sich in prägnanter Sprache auf sensible und eindringliche Art und Weise mit Fragen nach dem Warum, mit Schuld und dem Umgang mit dem Verlust eines Menschen sowie dessen Auswirkung auf das betroffene Umfeld.


    Ich habe den Roman an einem Nachmittag verschlungen. Beim Lesen fühlte ich mich des Öfteren an meine Studienzeit erinnert, zumal die Handlung in den 1980er Jahren spielt. Die Erzählung stimmte mich traurig, am Ende aber hoffnungsvoll und zufrieden. Ich habe dann sogar noch einmal den Anfang gelesen, so hat sich für mich der Kreis komplett geschlossen.


    Ob und wie viel Autobiographisches in Jean-Philippe Blondel's „Ein Winter in Paris“ steckt, weiß nur der Autor selbst. Jedenfalls ist sein neues Werk meiner Meinung nach ein kleiner, leiser und tiefsinniger Schatz, bei dem sich das Öffnen lohnt.

  • Zum Buch:

    Das Cover verrät auf den ersten Blick, dass es sich um ein literarisches Werk handeln wird. Das Bild ist in Schwarz/Weiß gehalten und der Gesichtsausdruck des jungen Mannes wirkt bedrückt und trauernd. Fliegende Tauben schwirren vor dem Mann in den Himmel. Dadurch das die Tauben verschwommen aufgenommen wurden, erscheint es, als würden sie losfliegen. Ich finde die Gestaltung ansprechend auf dem zweiten Blick. Mir wäre es im Handel nicht direkt aufgefallen.


    Erster Satz:

    Am späten Nachmittag kamen wir aus den Ferien zurück.


    Meine Meinung:

    Auf Jean-Philippe Blondels Buch "Ein Winter in Paris" bin ich durch eine Leserunde aufmerksam geworden. Ich muss gestehen, dass es mir vom Erscheinungsbild her im Buchhandel nicht aufgefallen wäre. Der Klappentext hatte mich neugierig gemacht, weil ich selbst mit der Thematik ein Erlebnis zu verarbeiten hatte. Blondels Umsetzung hat mir dann allerdings nicht gefallen.


    Mathieu ist ein unscheinbarer junger Mann, der durch sein Studium in Paris lebt. Er würde gerne als Person gesehen werden und wünscht sich Anschluss, doch erst durch einen tragischen Unfall wendet sich das Blatt. Als Viktor, ein Studienkollege, mit dem er immer wieder mal eine in der Pause geraucht hat, sich plötzlich, in den tot wirft, wird Mathieu sichtbar. Seine Mitstudenten sehen ihn, als den Freund von Viktor und stellen ihm Fragen - wollen Antworten, auf die er keine weiß. Ihm gefällt der Wandel, er merkt, dass sich etwas in ihm verändert und sein Leben durch diesen Unfall eine neue Richtung eingenommen hat. Aber ist dieser neue Weg der Richtige?


    Jean-Philippe Blondel hat einen einfühlsamen Schreibstil, der mich beeindruckt hat und ich fand tolle Sätze in diesem Buch. Einen greifbaren Handlungsstrang konnte ich nicht erkennen und ich wusste nicht, was mir der Autor damit vermitteln wollte. Der tödliche Unfall von Viktor war grausam und schmerzhaft beschrieben. Ich konnte die Emotionen der Protagonisten mitfühlen und die aufkeimenden Fragen gut nachvollziehen. Ich habe an dieser Stelle gehofft, für mich selbst Antworten zu finden, doch die Story nahm auf einmal eine andere Richtung ein.

    Die Geschichte wurde aus der Sicht von Mathieu geschrieben, was mich dem Charakter nahe brachte. Es war interessant mit anzusehen, was für eine Entwicklung er im Verlaufe er Erzählung gemacht hatte.


    Es wurde über das französische Schulsystem gesprochen und es war erschreckend, wie die Lehrer Abstand von dem Unfall genommen haben und die Studenten nicht unterstützten. Der Fall wurde totgeschwiegen und unter den Teppich gekehrt. Es wurde dort weitergemacht, wo sie stehen geblieben sind. Das hat mich wütend und sprachlos gemacht.


    Die erste Hälfte des Buches hat mir gut gefallen, dann verstrickte sich der Autor in zwischenmenschlichen Gesprächen und ich fand keinen roten Faden, der mich durch die Geschichte führte. Es begann mich zu langweilen und die Seiten zogen sich. Zwischendurch gab es Passagen, die mich zum Nachdenken anregten, aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich der Story nicht mehr verbunden und ich gestehe, dass ich froh war, als ich das Buch beendet hatte.


    Fazit:

    "Ein Winter in Paris" von Jean-Philippe Blondel erzählt über einen tragischen Suizid und was dieses Handeln bei Hinterbliebenen auslöst. Eine Geschichte über Trauer und der Gesellschaft. Die Thematik hat mich angesprochen, die Umsetzung konnte mich nicht überzeugen, trotz einigen Denkanstößen.

    ~ toller Start in das Buch, anschließend langatmig ~ einfühlsamer Schreibstil ~ am Thema vorbeigeschrieben ~


    Meine Wertung: :bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ein Roman mit Distanz: räumlich, zeitlich und menschlich


    Die Stärke von Jean-Philippe Blondel ist es, auf wenigen Seiten, mit wenigen Zeilen, ein ganzes Leben zu erzählen. Und das nicht einfach als Nacherzählung, als Bericht, sondern in einer Intensität und Gefühlsblase, dass man meint, zu ersticken, weil sie so intensiv ist.


    Hier lässt er auf knapp 200 Seiten seinen Protagonisten Victor als gefestigten Familienvater eine kurze Episode aus seinem Leben Revue passieren. Gerade einmal erwachsen, fand sich der angehende Lehrer in Paris wieder. Er kommt aus der Provinz, muss sich zurechtfinden, verzichtet auf allzu viel sozialen Umgang und lernt lieber. Bis jener Winter kommt, der sein und das Leben einiger weniger anderer stark prägen wird. Seines am stärksten.


    Der Selbstmord eines Kommilitonen lässt viele Aspekte auf einmal zu: Kritik an den Lehrmethoden, Kritik am französischen (Elite-)Bildungssystem, Kritik an Familien, Eltern, die Kinder unter Druck setzen oder in eine Richtung drängen. Aber neben all dem sucht Victor auch Schuld bei sich - obwohl er den Mitstudenten kaum gekannt hat.


    Durch die Ereignisse werden die Probleme, die Entbehrungen, die das harte Vorbereitungsstudium verlangt, für ihn erst real. Ist das noch das richtige Weg für ihn? Real werden ganz zufällig auch die Studenten um ihn herum. Sie merken, dass ihn das Geschehene sehr mitnimmt, öffnen sich ihm gegenüber und er lernt, das umgekehrt zu tun.


    Der Roman packt viel an Gefühlen zwischen zwei Buchdeckel und lässt in so viele Facetten Raum für Interpretation und Vermutungen, dass - will man alles genau analysieren, durchdenken - das Lesen ganz schön herausfordernd werden kann.


    Aber Achtung: es ist keine komplett abgeschlossene Geschichte mit einem klassischen Ende, sondern einfach ein Fragment aus Victors Leben, geschildert in mehreren Episoden. Zwar grundsätzlich chronologisch, aber dennoch auf ungewöhnliche Weise erzählt. Victor selbst ist einfach nicht der umgänglichste Typ und gerne etwas reservierter, daher wirkt auch das Buch mitunter so. Wer damit gut zurechtkommt, kann sich auf eine herausfordernde Reise ins Paris von 1984 freuen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Victor, der Icherzähler dieser berührenden Geschichte eines gesellschaftlichen Aufsteigers, findet bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub einen Brief vor. Geschrieben hat eine ältere Person, deren Schrift schon zittrig wirkt. Victor empfindet eine Mischung aus Scham und Bedauern, als er die Unterschrift liest. Vermutlich hätte er längst Kontakt zum Absender aufnehmen sollen. Unterschrieben hat Patrick Lestaing, der Vater von Victors Schulkamerad Mathieu.


    Victor blickt nun 30 Jahre zurück, als er als einziger Schüler aus Nanterre nach Paris kam, um sich für die Vorbereitungsklasse einer Eliteschule zu qualifizieren. An Victor zieht das Schuljahr vorbei, als er erkannte, dass Leistung allein ihm noch keinen gesellschaftlichen Aufstieg verschaffen würde. Der Code, an dem sich die akademische Oberschicht erkennt, ist dem Jungen aus der Provinz ein Buch mit sieben Siegeln; die Kenntnis seiner Mitschüler über Musik und Kunst wird er vermutlich nie aufholen können. Ähnlich wie Mathieu im folgenden Jahr muss Victor sich damit abfinden, dass auch seine Klassenkameraden sehr gute Schüler sind und dass er sich einem knallharten Wettbewerb stellen muss um die ersten 12 Plätze an der Spitze der Klasse. Mathieu war ein Jahr jünger als Victor, besuchte eine Klasse unter ihm und sprang eines Tages mitten aus der Französisch-Stunde heraus in den Tod. Unterschätzt hatten beide Schüler sicher die gläserne Decke, die sich zwischen ihnen als Außenseitern und den Schülern aus wohlhabenden Verhältnissen spannt. Schüler wie Victor schaffen es normalerweise nicht auf die Liste, so dass seine Mitschüler sich erst gar nicht die Mühe machen, ihn kennenzulernen. Mathieus Selbstmord hätte die Frage nach der Verantwortung von Schule und Lehrern aufwerfen müssen, doch die Schule schließt sofort die Reihen, angeblich, um die Karriere der zukünftigen Elite nicht zu gefährden. Inzwischen ist Victor Lehrer und hat offenbar erfolgreich mehrere Romane eröffnet. Der Brief von Patrick Lestaing konfrontiert ihn mit der engen Beziehung, die er lange Zeit mit dem verwaisten Vater des Jungen pflegte, der sein Freund hätte werden können. Ob Victor die Zuneigung des Monsieur Lestaing erwiderte, blieb für mich offen.


    Fazit

    Jean-Philip Blondel legt hier das bewegende Psychogramm zweier Männer vor, die sicher eine Portion Kritik an der Schinderei in französischen Elite-Gymnasien auszusprechen hätten. „Winter in Paris“ passt perfekt in die Reihe von Romanen aus jüngster Zeit über gesellschaftliche Aufsteiger, die vor geschlossenen Reihen des Bildungsbürgertums stehen (Vance: Hillbilly-Elegie; Eribon: Rückkehr nach Reims; Louis: Das Ende von Eddy) und beeindruckt als Text, der perfekt ist, weil man nichts mehr weglassen kann.

    :study: -- Wir kommen

    :study: -- Damasio - Gegenwind:study:

    :musik: -- Falconer - Das Rabenmädchen (1.)


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Jean-Philippe Blondel - Ein Winter in Paris

    Trauma

    "Ein Winter in Paris" ist die Darstellung einer Zeit im Leben von Victor. Es ist Oktober 1984, Victor, aus der Provinz kommend, nun Student am Lycée D. in Paris, hat gerade das erste Jahr der Vorbereitungsklasse geschafft, ist im zweiten Jahr dieser Vorbereitungsklasse, hat im letzten Jahr die negativen Seiten des Auswahlverfahrens für die weiterführenden Universitäten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Seine Zeit bestand fast nur aus sehr viel Büffeln/Lernen/Lesen, er hat kaum Kontakt zu anderen Menschen, ist viel allein, die Mitstudierenden sind fast wie ein elitärer Club, zu dem er keinen Zugang findet. Dazu kommt ein gewisser Abnabelungsprozess von seiner Familie, ein gewisses Unbehagen seinen Eltern und seinem Bruder gegenüber, ein Gefühl von ihnen nicht verstanden zu werden. Schon das ist eigentlich genug für einen Menschen. Im zweiten Jahr der Vorbereitungsklasse knüpft er einen losen Kontakt zu einem Mitstudierenden aus dem ersten Jahr der Vorbereitungsklasse, Mathieu. Sie empfinden sich in gewisser Weise als eine Art Seelenverwandte, haben ähnliche Probleme, stützen sich gegenseitig, kämpfen gemeinsam gegen den Rest der Welt, "Kastor und Pollux". Doch Mathieu kann dem Druck nicht standhalten und geht in den Freitod. Im folgenden Teil des Romans werden die Reaktionen der Menschen auf dieses Drama fokussiert. Für Victor verändert sich sein bisheriges Leben, er wird zum Freund des Opfers und damit interessant, findet Zugang zum elitären Club der Mitstudierenden. Ein Bild was Fragen aufwirft.


    Dies geschieht in einer sehr sensiblen Art der Betrachtung der Charaktere, etwas was Blondel sehr gut kann, dieses sensible Betrachten der Menschen. Es wird eine gewisse Spannung beim Leser erzeugt, es entsteht ein Sog, nicht so kraftvoll, aber er ist da. Dabei ist der Roman nicht gefühlsüberfrachtet, sondern schildert die Geschehnisse in einer ruhigen Art, nichts desto weniger trifft genau diese Art den Leser. Das Buch berührt tief. Und ich habe es geliebt!


    Und kann nur sagen: Unbedingt Lesen!