Klappentext:
Alle sprechen beschwörend vom christlichen Menschenbild, von christlichen Werten oder gar vom christlichen Abendland. Linke und Rechte, aber auch die politische Mitte werden feierlich, wenn es um das Christentum geht. Zugleich aber verbindet die Öffentlichkeit das Christentum mit Kreuzzügen, Hexenverfolgung und Inquisition und neuerdings mit dem Missbauchsskandal. Wie geht das zusammen? Was also ist wirklich dran an der Skandalgeschichte des Christentums, deren üppige filmische Inszenierungen nur so von Sperma, Blut und Gift triefen? Was sagt die neuste Forschung dazu? Taugt das Christentum noch als geistiges Fundament Europas oder bleibt nur der Euro und der Binnenmarkt? Das muss auch Atheisten interessieren, die wie Jürgen Habermas händeringend nach „rettenden Übersetzungen der jüdisch-christlichen Begrifflichkeit von der Gottebenbildlichkeit des Menschen“ suchen.
Unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Arnold Angenendt erzählt Manfred Lütz die spannende Geschichte des Christentums, wie sie nach Erkenntnissen der neusten Forschung wirklich war. Machen Sie sich auf spektakuläre Überraschungen gefasst. Ein Aufklärungsbuch für jeden, der die geistigen Wurzeln Europas verstehen will, ein einzigartiges Bildungserlebnis, erzählt wie ein Krimi. – von der Herder-Verlagsseite kopiert
Zum Autor:
Dr. med. Dipl. theol. Manfred Lütz ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Theologe, Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses in Köln. Bekannt wurde er als Vortragsredner und als Gast in Funk und Fernsehen, vor allem aber als Autor zahlreicher Bestseller, darunter „Gott – Eine kleine Geschichte des Größten“, für den er den internationalen Corine-Literaturpreis erhielt, „Irre – Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen“, zuletzt „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“ und mit dem Auschwitzüberlebenden Jehuda Bacon: „Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden. – von der Herder-Verlagsseite kopiert
Allgemeine Informationen:
Unter Mitarbeit von Arnold Angenendt
Chronologischer Aufbau von den Anfängen des Christentums bis zur Katholischen Kirche heute
Vorwort, Einleitung, 12 Kapitel mit nummerierten Unterkapiteln
286 Seiten
Meine Meinung:
Um das, was ich zu diesem Buch zu sagen habe, beurteilen zu können, möchte ich vorausschicken: Ich stehe der Kirche kritisch und skeptisch, aber nicht ablehnend gegenüber. Unvoreingenommen und neugierig ging ich also an das Buch heran, habe es allerdings nur etwa bis Seite 150 und dann 247 bis 275 gelesen und möchte im Folgenden erklären, warum ich es trotz Abbruch an dieser Stelle vorstelle.
Als Grundlage seines Werkes nennt Lütz das Buch „Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ von Arnold Angenendt. Lütz macht es sich mit seinem Buch zur Aufgabe, das 800-Seiten umfassende und mit 3000 Anmerkungen versehene Werk Angenendts für jedermann lesbar zu übersetzen.
Dass zahlreiche Gerüchte, Irrtümer oder, wie man heute sagt, Fakes, jahrhundertelang weiter gegeben und auch schriftlich verbreitet wurden, kennt man nicht nur aus der Kirchen-, sondern auch aus der profanen Geschichte, aus Kunstgeschichte, von biographischen Abhandlungen, usw.
Historische Monumentalfilme aus Hollywood und deutschem Fernsehen taten ihr Übriges, nicht nur dem Vatikan „Sex, Drugs and Rock `n` Roll“ zu unterstellen, manches wurde auch seitens der politisch Mächtigen absichtlich als Halbwahrheit verbreitet, um die grundlegenden christlichen Anliegen vom Frieden und der Gleichheit aller Menschen zu diskreditieren.
Nicht alles, was Lütz im Verbund mit Angenendt „aufdeckt“, ist neu. Einiges hat sich einfach noch nicht herumgesprochen.
Was mich von Beginn an stört: Das Fehlen von Fußnoten, die Verweise auf Zitate und die genauen Belege, kurz: Das wissenschaftliche Arbeiten. Auch wenn Lütz sein Buch für jedermann schreibt, sollte er meiner Meinung nach korrekt arbeiten.
Je weiter ich las, desto mehr verstärkte sich mein Eindruck, dass Lütz alles, was der Kirche je zur Last gelegt wurde, Missionierungen, Kreuzzüge, Inquisition, zu nivellieren versucht. Klar, es gab immer Stimmen gegen die blutigen Auseinandersetzungen, auch Würdenträger, die die eigentliche Botschaft von Frieden und Toleranz wach hielten, und Theologen, die bewiesen, dass der Weg, der von der Kirche eingeschlagen wurde, von der christlichen Lehre weg führte statt sie zu stärken.
Doch mich erinnert Lütz’ Vorgehen fatal an die Beschönigung mancher Deutscher nach dem 2. Weltkrieg zur Nazifrage: Es gab doch auch Gegner. Einzelbeispiele belegen jedoch nur, dass es Meinungen abweichend von der offiziellen Lesart oder dem politischen Zwang gab und gibt, aber sie sind kein Beweis für die Allgemeingültigkeit dieses Denkens.
Ich sprang von der Inquisition ins 20. Jahrhundert, weil ich die Diskussion und die Konsequenzen um den Missbrauch von Kindern durch Priester und Mitarbeiter kirchlicher Institutionen eingehend verfolgt und in „guter“ Erinnerung habe. Und weil ich dachte: Hierzu kann niemandem eine Rechtfertigung einfallen.
„Der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester ist ein besonders perfides Verbrechen.“ (S. 273) Und warum? „Wenn dieses Vertrauen (in den Priester, A.d.R.) gebrochen wird, dann kann das nicht nur alle künftigen menschlichen Beziehungen belasten, sondern das nimmt Opfern mitunter lebenslang auch ihr Vertrauen in Gott.“ (S. 272 / 273)
Kein Wort dazu, dass Missbrauch Mord ist, Mord an Seele, bzw. Psyche der Kinder. Tötung gilt im Christentum als DAS Verbrechen schlechthin, womit Missbrauch also auch ein abscheulichstes Verbrechen ist. Doch schnell verschwindet Lütz wieder zur Apologie und beklagt die unschuldigen Opfer der blinden Jagd, also diejenigen, die zu Unrecht beschuldigt werden und deren Leben dadurch einen irreparablen Bruch erfährt.
Zusammenfassend kann man sagen: Lütz setzt zwar keine eklatanten Falschmeldungen in die Welt, aber er verkürzt, lässt Fakten aus oder interpretiert einseitig. Er hat damit der katholischen Kirche einen Bärendienst erwiesen und seiner Reputation als ernst zu nehmender theologischer Autor auch.