Tara Westover - Befreit / Educated

  • Kurzmeinung

    Lavendel
    Zutiefst schockierend lässt mich das Buch mit blanken Nerven zurück. Unfassbar, ich ziehe meinen Hut vor der Autorin.
  • Kurzmeinung

    ManuH
    Schockierend, unfassbar. Ohne Bildung, dafür mit Gewalt unter strengst gläubigen Mormonen aufwachsen. Wahnsinn!
  • Autorin: Tara Westover

    Titel: Befreit - Wie Bildung mir die Welt erschloss

    Seiten: 444
    ISBN: 978-3-462-05012-7

    Verlag: Kiepenheuer & Witsch

    Übersetzerin: Eike Schönfeld


    Autorin:

    Tara Westover wurde 1986 in Idaho, USA, geboren und lebt heute in Großbritannien. 2008 erwarb sie den Bachelor of Arts an der Bringham Young University, am Trinity College in Cambridge erhielt sie 2009 ihren Abschluss als Master of Philosophy und promovierte 2014, nach einem Abstecher in Havard in Geschichte. "Befreit" ist ihr erstes Buch.


    Inhalt:

    Tara Westover ist 17 Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Schulklasse betritt. Zehn Jahre später kann sie eine beeindruckende akademische Laufbahn vorweisen. Aufgewachsen im ländlichen Amerika, befreit sie sich aus einer ärmlichen, archaischen und von Paranoia und Gewalt geprägten Welt - durch Bildung, durch Aneignung von Wissen, das ihr so lange vorenthalten worden war. (Klappentext)


    Rezension:

    Für diese Rezension habe ich mir zum ersten Mal des Effektes Willen überlegt, die Kurzbiografie einer Autorin wegzulassen. Vorab sich nämlich nicht über Tara Westover informieren zu können, macht die von ihr erzählte Geschichte noch brisanter, noch mächtiger und noch unglaublicher. Tara Westover wächst als Kind in einer, von ihrem vater bestimmten Familie auf, die sich komplett von der Außenwelt abgrenzt. Hier geht es nicht nur um die Gegenüberstellung zweier parteipolitischer Ansichten, die heutzutage das medienbild der USA prägen, hier geht es um alles oder nichts.


    Eine rechtschaffende, gläubige, Gott zugewandte Familie gegen den Rest der Welt. So sieht das zumindest Taras Vater, der sogar die strengen Vorschriften der Mormonen noch wörtlicher als die meisten Gläubigen nimmt und damit seinen Kindern alle Chancen nimmt. Diese werden von den staatlichen Schulen genommen, müssen im Familienbetrieb arbeiten, selbst schwerste Verletzungen werden nicht im Krankenhaus behandelt, sondern auf dem heimischen Sofa, unter Zuhilfenahme pseudoätherischer Öle und natürlich Gebeten. Unter diesen Bedingungen wächst die immer größer werdende Kinderschar auf. Je älter sie werden, um so mehr sehen Tara und, leider nicht alle, ihre Geschwister eine Zukunft, die ihnen verwehrt werden wird, wenn sie nicht ausbrechen. Zwei ihrer älteren Geschwister und sie selbst nehmen diesen Kampf jedoch auf und stellen sich damit gegen Glaube, Familie und vor allem ihrem Vater.


    Wie weit muss man gehen, um den Kampf um Selbstbestimmung, Entwicklung und frieheit zu gewinnen? Manche offenbar sehr weit, wenn man Tara Westovers beeindruckende Bildungsbiografie liest. Als Leser wird man kaum aus den Erstaunen herauskommen, welches Leid die Autorin unter der Tyrannei ihres Vaters zu erdulden hatte, dessen bipolare Störung zur Zerreißprobe für den gesamten Clan geworden ist, dessen beim Streit aufgeplatzte Wunden bis heute nicht verheilt sind.


    Nach der Lektüre wird man den Faktor Bildung einen größeren Wert als bisher bemessen, innerlich die Autorin an manch beschriebenen Ereignissen in den Arm nehmen, dann wieder mit den Kopf gegen die Wand des Naheliegenden stoßen wollen. Eindrucksvoll beschreibt Westover die ihr gestellten Hürden, die sie ohne Hilfe liebenswerter Menschen nicht hätte überwinden können. Tränen, Traurigkeit, Glücksgefühle, Wut. All das wechselt so schnell nacheinander, dass man innehalten muss, um zu Atem zu kommen. Tara Westover beschreibt ihren Weg in Eigenständigkeit und Selbstwertgefühl, welcher steiniger nicht hätte sein können. Was muss es nur für eine Überwindung und Kraft gekostet haben, diese Zeilen zu Papier zu bringen?


    Zitat

    Der Lehrer rief mich auf, und ich las den Satz vor. Als ich an das Wort kam, hielt ich inne. "Dieses Wort kenne ich nicht", sagte ich. "Was bedeutet es?"


    An manchen Stellen möchte man brechen. Für mich gehören Eltern, die krank oder nicht, so die Sicherheit ihrer Kinder gefährden wie Westovers dies getan haben, die ihre Kinder jede reelle Chance auf Bildung und damit Freiheit genommen haben, in Gewahrsam. Um so größer die Bewunderung für Tara Westover, die dennoch einen Funken Liebe noch in sich bewahrt hat, für die zeit, in der ihre Eltwern und sie vielleicht eines Tages aufeinander zugehen können. Diese Biografie ist ein Mahnmal für das, was Zwänge anrichten und was Bildung bewirken kann. Grenzen zu überschreiten, benötigt Zeit. Manchen macht die Geschichte Tara Westovers hoffentlich Mut genug, ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn das dieses Buch schafft, wäre viel gewonnen.

  • Fromme Blasphemie

    Die Zugehörigkeit zur Sekte der Mormonen muss ja gar nicht das Problem sein. Auch nicht die anfängliche Armut.
    Aber wenn jedes Ereignis, jeder Unglücksfall, eindeutig zurückzuführen auf Beschränktheit, als Gottes Wille angesehen wird, dann wird deutlich, dass Eigenverantwortlichkeit in dieser Familie ein Fremdwort ist. Was Demut vor Gott sein soll, ist in Wirklichkeit der vollkommen hypertrophierte Machtwille des Vaters. Wer in unseren Tagen nach solch archaischen Prinzipien zu leben bereit ist, stellt seine umfassende Abhängigkeit unter Beweis.
    Fassungslos verfolgt der Leser, unter welchen schweren Bedingungen die Protagonistin sich befreit - und um welchen Preis! So tief verinnerlicht die perpetuierte Manipulation, dass die konstante Introspektion zum vollkommenen Zusammenbruch führt. Zu zweifeln, dass man sich selbst trauen kann, das ist der größte Bankrott, sich daraus zu befreien der tapferste Sieg! Ein Buch, dass man nicht aus der Hand legt!

    5 Sterne

  • Tara Westover muss von einem Berg hinabsteigen, um sich zu befreien.

    Sie wächst auf in einer Familie, die dem Glauben verpflichtet ist und Argwohn gegenüber allen anderen Nicht-Rechgläubigen hat. Ihre Eltern verweigern den zahlreichen Kindern die Schulbildung durch den Staat und jedwede Gesundheitsversorgung ausserhalb der Familie. Was anfangs vielleicht idyllisch klingt, der Prepper-Traum verwirklicht, ist für die Kinder auf lange Sicht unerträglich.

    Sie sind anders selbst in der Mormonengemeinde und ringen um Akzeptanz.

    Nach und nach wird auch klar, dass der Vater aufgrund einer psychischen Störung sich der Gemeinschaft entzieht und die Familie terrorisiert.

    Tara, die anfangs es nicht anders kennt und sich auch wohl fühlt auf dem Berg, reift aber und beginnt sich nach aussen zu wenden.

    Hier beginnt der Kampf um Bildung bei gleichzeitiger Abhängigkeit von den Eltern und der Sehnsucht nach Liebe und Akzeptanz.

    Westover schafft es dem Leser diesen Kampf zu vermitteln und sie lässt auch nicht die Seite der Eltern aus. Sie sieht welchem Denken sie verpflichtet , aber auch gefangen sind.

    Der Weg den Berg hinab ist lang und mit vielen Wunden und Kämpfen verbunden.

    Das Buch ist wahrhaftig und wunderschön trotz des harten Kampfes der ausgefochten wird.


    Als Sahnehäubchen ist das Cover preiswürdig und für mich eindeutig das Cover des Jahres.

  • Tara Westovers Biografie ging mir extrem unter die Haut. So gern ich das Buch durchgeschmökert hätte, brachten die Schilderungen mich doch immer wieder zum Innehalten.


    Den bereits vorhandenen Zusammenfassungen könnte man eine Vielzahl an Details hinzufügen, doch so sehr es mich auch in den Fingern juckt, verzichte ich aus Angst vor Spoilern darauf. Ich stimme findo zu - "Befreit" ist ein Buch, dem man so unvoreingenommen wie möglich begegnen sollte. Ein Zitat möchte ich dennoch bringen, weil es für mich die Zäsur zwischen Teil 1 und 2 war, auch wenn es 60 Seiten nach Beginn des zweiten Teils eher unauffällig daher kommt:


    Zitat

    "Ungewissheit zu akzeptieren heisst Schwäche zu akzeptieren, Machtlosigkeit, und trotz beidem an sich zu glauben. [...] Etwas nicht sicher zu wissen und sich dennoch zu weigern, denen nachzugeben, die Gewissheit für sich in Anspruch nehmen, war ein Privileg, das ich mir nie gestattet hatte. Mein Leben wurde mir von anderen erzählt. Ihre Stimmen waren mächtig, emphatisch, absolut. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass meine Stimme genauso stark wie die ihren sein könnte."
    S. 274/5

    An dieser Stelle kehrt Tara von einem traumatischen Arbeitsurlaub am Buck Peak zur Brigham Young University zurück und entschliesst sich (endlich) ein Hilfsangebot anzunehmen. Wenn auch widerstrebend und passiv. Doch dieser erste Schritt, sich um sich selbst zu kümmern, erlaubt ihr langfristig, sich nicht nur geografisch, sondern auch mental von ihrer Familie und deren Glaubensgrundsätzen zu distanzieren. Ihr Studium hat sie gelehrt, analytisch zu denken und zunehmend wendet Tara diese Methoden auf ihre eigene Realität an, bis es zu einer überfälligen Konfrontation kommt. Es ist quälend, davon als Aussenstehende zu lesen - wieviel qualvoller muss es gewesen sein, dies zu durchleben, und später ihre Erlebnisse öffentlich zu machen?


    Bis zum Schluss hat mich immer wieder überrascht, wie sehr sie sich bemüht, den Lesern die innere Logik im Verhalten ihrer Familie näherzubringen, statt sie zu verteufeln.


    Definitiv ein Jahreshighlight, dem ich viele Leser wünsche. Und Tara ein gutes Leben! :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Dieses Buch ist ein Highlight für mich in diesem Jahr! :pray:


    Was für ein schockierender Bericht über ein Leben der Autorin Tara Westover. Der Roman ist autobiografisch und hat mich zutiefst berührt. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen.


    Es ist Geschichte einer Kindheit und Jugend, die von einem fanatisch religiösen Vater geprägt wird. Dieser Vater lebt von dem Glauben an Verschwörungstheorien und aus Angst an sozialistischen Machenschaften und dem Einfluss von Illuminaten gestattet er seiner Familie weder die schulmedizinische Versorgung noch die schulische Bildung.


    Von einer Mutter, die charakterlich schwach ist und dem Vater nie widerspricht und der Meinung ist, dass man alles mit Kraft der Homöopathie und Heilkräutern heilen kann.

    Das Leben der Familie ist von unsinnigen Vorschriften, Entbehrungen, Grausamkeit, Gewalt und Lieblosigkeit geprägt.


    Man kann als Leser kaum glauben, dass diese Geschichte jetzt in unserer Zeit stattgefunden hat, in einem Land, wo die schulische Bildung und medizinische Versorgung eine Selbstverständlichkeit sein sollte.


    Die Lebensgeschichte Tara Westover ist eindringlich und zutiefst berührend. :cry: Die macht einen wütend und auch sprachlos. Man fühlt sich als Leser hilflos angesichts dessen, was im Leben der jungen Frau passiert.


    Genial beschreibt die Autorin die seelischen Auswirkungen solches Lebenswegs auf einen Menschen. Der Kampf der Autorin um ihr Leben und um die Bildung lässt einen nicht kalt. Eine beeindruckende Geschichte, die noch lange nachwirkt. :thumleft:

    Von mir gibt es für diesen Roman :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: Sterne und eine Leseempfehlung.

    2024: Bücher: 91/Seiten: 40 202

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Saunter, Mick - Im Angesicht des Zorns

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  • Ich muss mir das auch mal endlich besorgen. Vor einiger Zeit habe ich mal ein interessantes Interview mit der Autorin gehört (ich glaube, es war im Podcast des "New Yorker"), das mich schon sehr neugierig auf das Buch gemacht hat.

  • Als Tara in einem abgelegenen Ort in Idaho geboren wird, machen sich ihre Eltern nicht die Mühe, ihre Geburt bei den Behörden anzumelden. Sie leben quasi autark auf ihrem großen Anwesen, betreiben einen Schrottplatz und bereiten sich auf das Ende der Zeiten vor, das laut ihrer Religion nicht mehr lange auf sich warten lassen kann. Dem Staat steht vor allem der Vater äußerst skeptisch gegenüber, weswegen die Kinder zu Hause unterrichtet und sogar auch in Eigenregie medizinisch versorgt werden, weil man weder den Schulen noch Ärzten und Krankenhäusern traut, die der Vater allesamt für den verlängerten Arm der Regierung hält. Selbst schwerwiegende Verletzungen werden lediglich mit Homöopathie und Handauflegen behandelt und ansonsten der Ausgang des Ganzen in Gottes Hand gelegt.


    Das ist für Tara lange Zeit genauso normal wie die strengen Kleidungsvorschriften, die harte körperliche Arbeit, die ihr und ihren Geschwistern schon früh abverlangt wird und die verbale und physische Gewalt, die in der Familie an der Tagesordnung ist, sei es durch den Vater oder durch einen ihrer Brüder. Die restlichen Familienmitglieder unternehmen nichts gegen diese Misshandlungen, wer sich dagegen wehren möchte, steht alleine auf weiter Flur.


    Mit sechzehn ist Tara klar, dass sie dort weg muss. Sie möchte aufs College gehen, studieren, Neues lernen, doch bei ihrer Familie stößt sie weitestgehend auf Unverständnis. Mit viel Glück besteht sie trotz ihres mangelnden Schulwissens die notwendigen Prüfungen und beginnt eine Collegelaufbahn, was alles andere als einfach für sie ist, weil ihr so viele Voraussetzungen fehlen und sie vieles nicht weiß, was für alle anderen selbstverständlich ist. Ständig ist sie von Zweifel geplagt, ob sie es überhaupt schaffen kann und ob sie den Mut aufbringen wird, sich völlig von ihrer Familie zu lösen, falls das notwendig würde.


    Mit obskuren religiösen Riten und rückständigen Moralvorstellungen hatte ich zu Beginn des Buches gerechnet, nicht aber mit derartigen seelischen und körperlichen Gewaltexzessen, wie sie Tara Westover hier schildert. Das Wort des Vaters ist Gesetz, egal wie idiotisch es ist. Das fand ich mit am schlimmsten im Buch, dass diesem Mann nicht völlig egal zu sein scheint, welche Spuren sein Verhalten bei seinen Kindern hinterlässt, sondern auch, dass er sich bei der häufig gefährlichen Arbeit mit Schrottmetall und Gefahrstoffen keinen Deut darum schert, dass er sich und andere in höchste Lebensgefahr bringt.


    Umso bewundernswerter, dass Tara es am Ende fertiggebracht hat, sich aus diesem furchtbar einengenden und kleingeistigen Umfeld zu befreien, ihren eigenen Weg zu gehen und darüber dieses schonungslose und gleichzeitig reflektiert wirkende Buch über ihre Erfahrungen zu schreiben. Vieles beschreibt sie fast schon nüchtern und sachlich, aber die Geschehnisse sprechen für sich und das Buch wirkt so, wie sie es nach eigener Aussage gemeint hat - nicht in erster Linie als Anklage, sondern als Erfahrungsbericht, der anderen Mut machen soll, die in ähnlich ausweglos scheinenden Situationen stecken. Es klingt im Rückblick sogar ein ganz klein wenig Verständnis für diejenigen durch, die in den alten Mustern und Rollen gefangen bleiben und nicht die Kraft aufbringen, sich daraus zu lösen, zumal damit ja auch das komplette bisherige Lebensumfeld verlorengehen würde.