Dmitry Glukhovsky - Text / TEKCT

  • Wie farbig kann ein grauer russischer Novembertag sein? Eigentlich im depremierenden grau-in-grau, aber Dmitry Glukhowvsky schafft es gleich auf den ersten Seiten von “Text”, so lebendige Bilder zu schaffen, dass der Leser die Heimkehr des 27-Jährigen Ilja nach sieben Jahren Strafkolonie weit im Osten Russlands vor dem inneren Auge nicht nur sehen, sondern riechen und spüren kann.


    Allein schon die Stimmung, die Ilja spürt, als er in Moskau aus dem Zug steigt, noch erwartungsfroh, begierig auf die Heimkehr zur Mutter. Und dann sind sie da, die Polizisten, "Bullen mit Schäferhundblick" - da wird es in wenigen Worten ganz atmosphärisch dicht. Die Heimkehr zur Mutter, die Vorfreude auf die Kohlsuppe enden aprupt: Die Wohnung ist leer, eine Nachbarin berichtet, die Mutter sei an einem Herzinfarkt gestorben, kurz nachdem Ilja ihr telefonisch seine Rückkehr angekündigt hat.


    Es ist wie ein Sturz ins Bodenlose. Nun soll derjenige zahlen, der Ilja sieben verlorene Jahre eingebrockt hat, der Polizist Petja, der ihm bei einer Drogenkontrolle in einem Moskauer Club Kokain untergeschoben hat.


    Ilja nimmt blutige Rache, doch damit beginnt erst das eigentliche Drama, eine Art “Schuld und Sühne” im Cyberage. Während Ilja sich fragt, ob es für ihn überhaupt noch einen Ausweg gibt, irgendwie das Begräbnis seiner Mutter organisieren muss, obwohl er kein Geld hat, zieht ihn Petjas Telefon immer tiefer in dessen Existenz. Anfangs ist es nur Überlebensinstinkt – wenn Petja scheinbar auf WhatsApp-Nachrichten reagiert, kann er von seiner Familie und Kollegen nicht vermisst gemeldet werden, kann Ilja die Entdeckung des Polizisten verzögern und eigene Spuren verwischen.


    Doch immer mehr wird Ilja in Petjas Leben hineingezogen. Der Mann, der für ihn immer nur “das Schwein” war, führte scheinbar ein beneidenswertes Leben – eine hübsche Freundin, Reisen, das Moskauer Nachtleben, Geld war offenbar kein Problem. Doch immer mehr muss Ilja erkennen, dass auch Petja ein Getriebener war, der sich in den Fäden des eigenen Netzes verfangen hatte. Digital führt Ilja Petjas Leben weiter, versucht, einiges in Ordnung zu bringen und gleichzeitig eine eigene Zukunft zu sichern. Lügen, Täuschungen und zunehmend verzweifelte Aktionen bringen Ilja auf einen Kurs, den er selbst immer weniger bestimmen kann.


    Glukhovsky zeichnet Moskau als glitzernde Metropole, die Menschen aus den Kleinstädten der Peripherie anzieht wie Motten, die an einen Lichtquelle zu gelenagen versuchen und dort nicht nur ihre Flügel verbrennen. Lebensgier, Hoffnungen, Ambitionen, in einer Stadt mit einer Tages- und einer Nachtseite, Korruption und alte Seilschaften, die Traditionen des alten Russlands und die Suche nach etwas neuem, die Ödnis der Plattenbauten, in denen die Fahrstühle nach Pisse und die Korridore nach Kohl riechen, die Clubs, in denen die goldene Jugend feiert, als gebe es kein Morgen – all das fängt Glukhovsky mit seiner farbigen, bildreichen Sprache mühelos ein. Spannende und überzeugende Parabel um Schuld und Sühne im neuen Russland.



    Dmitry Glukhovsky, Text
    Europa Verlag, München 2018
    ca 360 Seiten, 19,90 Euro

    ISBN 978-3-95890-197-1

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „"Text" von Dmitry Glukhovsky - Schuld und Sühne im Cyberage“ zu „Dmitry Glukhovsky - Text“ geändert.
  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Dmitry Glukhovsky - Text“ zu „Dmitry Glukhovsky - Text / TEKCT“ geändert.

  • mitreißende Spannung

    Das Buch " Text " von Dmitry Glukhovsky ist sehr packend und spannend. Moskau 2016. Ilja wird nach sieben Jahren Straflager entlassen und versucht sein altes Leben wieder aufzunehmen. Dies gelingt ihm jedoch nicht wie erhofft. Ilja muss einige schwere Schicksalsschläge ertragen. Deshalb versucht er sich mit Drogen- und Alkoholkonsum zu trösten.


    Die Charaktere sind authentisch und wirken äußerst klug auf mich - schöne Darstellung der Personen ist in meinen Augen sehr gelungen.


    Die Idee hinter dem Roman finde ich äußerst brillant. Dmitry Glukhovsky zeigt auf eindringliche Weise, wie wichtig Smartphones für uns geworden sind.


    Die Grundstimmung des Romans war druchgehend hoffnungslos, melancholisch und sehr düster.

    Zum Schreibstil: Viele russische Wörter/Namen und Handlungsstränge die zeitweise in die Länge gezogen werden.

  • Da fühlt man sich wieder daheim bei den Russen.

    Das Buch greift tief in die Schuld und Sühne Kiste. Ein Strafgefangener kaum aus der unverschuldeten Lagerhaft entlassen, begeht einen Mord.


    Und schon ist man im Sog zwischen Verständnis und Unglaube über die Tat, Ilja sitzt allein in der verlassenen Wohnung und begibt sich in das Leben des Opfers. Die Faszination des Lebens in Saus und Braus während er im Lager sasse, die Abgründe des verhassten Opfers sein Umgang mit den Mitmenschen alles erfährt Ilja durch das Telefon. Also ich war schon tief im alten Russland wieder gefangen. Welche Schuld er sich aufgeladen hat, welche Sühne er nun erlebt und doch schon abgesessen hat.

    Mir hat das moderne Schuld und Sühne mit Hintergrund des modernen Moskaus sehr gut gefallen. Aber man muss die russische Schwermut lieben.

  • Klappentext:

    Moskau, im Herbst 2016: Als Ilja nach sieben Jahren Straflager nach Hause kommt, ist nichts mehr, wie es war. Seine Mutter stirbt wenige Tage vor seiner Rückkehr an einem Herzinfarkt, seine Freundin ist längst mit einem anderen zusammen, und sein Jugendfreund begegnet ihm mit größtem Argwohn. Enttäuscht ertränkt Ilja seine Trauer im Alkohol, bis er im Rausch der Verzweiflung jenen Fahnder aufsucht, der ihn vor sieben Jahren zu Unrecht hinter Gitter brachte. Im Affekt ersticht Ilja ihn und nimmt ihm sein Smartphone ab. Als Ilja nach seiner Tat im Handy des verstorbenen Petja stöbert, stößt er auf verstörende Spuren aus dessen Vergangenheit. Und immer wieder erreichen ihn besorgte Nachrichten von Petjas Mutter und dessen schwangerer Freundin Nina. Ilja beginnt, ihnen an Petjas Stelle zu antworten, und seine Identität verschmilzt immer mehr mit der jenes Mannes, den er getötet hat. Meisterhaft verknüpft Dmitry Glukhovsky das Schicksal zweier junger Männer, die sich schuldig gemacht haben, jeder auf seine Weise. Und so fühlt sich der eine dazu verurteilt, das Leben des anderen zu Ende zu führen – hat er doch mit dessen Smartphone sein Seelen-Reservoir gefunden, die Bilder und Chats, den TEXT seines Lebens.


    Autor:

    Dmitry Glukhovsky, geboren 1979 in Moskau, hat in Jerusalem Internationale Beziehungen studiert und arbeitete als TV-und Radio-Journalist unter anderem für den Fernsehsender Russia Today und die Deutsche Welle. Mit seinem Debütroman METRO 2033 landete er auf Anhieb einen Bestseller. Er gilt als einer der neuen Stars der jungen russischen Literatur. Der Autor lebt in Moskau.


    Allgemeines:

    Erscheinungsdatum: 31. August 2018

    Seitenanzahl: 368

    Verlag: Europa Verlag

    Originaltitel: Tekct

    Übersetzer: Franziska Zwerg


    Eigene Meinung:

    Wer Dmitri Glukhovskys „Metro 2033“ kennt wird auch in diesem Roman nicht nur auf seine Vorliebe für russische Straßen- und Stationsnamen treffen, sondern auch wieder auf die düstere, verzweifelte Atmosphäre, die den Zerfall nicht nur einer Stadt, sondern diesmal auch einer Person sehr deutlich macht.

    Ilja ist der Protagonist und ich wusste bis zum Ende nicht, ob ich ihn leiden kann oder nicht. Auch seine Handlungsweise konnte ich nicht immer ganz nachvollziehen. Das Buch wird beworben mit Schuld und Sühne. Und das ist tatsächlich das große Thema des Buches, da Ilja durch das Smartphone desjenigen, den er getötet hat, dessen Leben in der Hand hat und zum Teil übernimmt. Er zieht die Fäden und versucht sich selbst damit zu retten und vor der erneuten Verhaftung zu flüchten.

    Es bewegt sich also viel durch Chats über Signal und Whatsapp, Iljas Gedanken sind der Hauptbestandteil des Buches. Puzzleteile von Petjas (dem Ermordeten) Leben setzt er zusammen und kommt so hinter die Person, die Petja gewesen ist. Nach einer Weile fällt es Ilja schwer sein und Petjas Leben auseinander zu halten. Da stellt sich zum Einen die Frage, was wir alles auf dem Telefon speichern, was ständig auf Abruf steht, Fotos, Videos und zum anderen, wenn wir die Möglichkeit hätten, das Leben eines anderen zu leben, würden wir es machen? Und was würden wir tun, um uns selbst zu retten?


    Fazit: Das Buch verfolgt einen interessanten Ansatz und wer gerne Bücher liest, in denen außer Dialogen und Gedankengängen nicht allzu viel passiert, wer eine dichte Atmosphäre mag, denn das kann Glukhovsky wie ich finde, wie kein anderer, der ist mit dem Buch gut beraten. Es geht um Schuld, um Vergebung und Rache. Doch mir das Buch über einige häufige Strecken zu langweilig, zu langatmig und konnte mich daher nicht ganz so packen, wie ich es mir gewünscht hätte. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Danke für die Rezi, das liegt hier schon länger auf meinem eboo-SuB.

    Ich kann mir vorstellen, dass es dir besser gefallen wird! Ich brauchte irgendwie mehr Action :mrgreen:

    Immerhin ist es wieder seine typische Schreibe, das war das ganz große Plus des Romans! :thumleft:

    Ich berichte wenn ich es gelesen habe :wink: