Washington. Die junge Französin Béatrice bekommt während ihrer Arbeit bei der Weltbank arge Probleme und ist froh, durch die Versetzung ins Archiv erst einmal aus der Schusslinie zu kommen. Sie hat den Wunsch, sich ehrenamtlich zu engagieren und trifft so als Betreuerin auf die schwer kranke und pflegebedürftige Jacobina, eine etwas schrullige alte Dame, die es Béatrice zu Beginn nicht leicht macht. Doch je mehr Zeit die beiden Frauen miteinander verbringen, umso mehr taut Jacobina auf und vertraut sich Béatrice an, denn sie benötigt deren Hilfe, um ein 50-Jahre altes Versprechen einzulösen dass Jacobina einst ihrem Vater am Sterbebett gegeben hat. Béatrice soll für Jacobina deren unbekannte Halbschwester Judith finden, die seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen ist. Béatrice ist neugierig und von der Geschichte so fasziniert, dass sie sich sofort auf Spurensuche begibt. Dabei trifft sie auf Gregoire, der ihr Herz zum Flattern bringt. Ob es Béatrice mit Jacobinas und Gregoires Hilfe gelingt, Judith tatsächlich aufzuspüren?
Melanie Levensohn hat mit ihrem Buch „Zwischen uns ein
ganzes Leben“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt. Der
Schreibstil ist flüssig und bildhaft, er lässt den Leser schnell in die
Geschichte eintauchen, wo er mal in der Gegenwart an Béatrices Seite bei der
Suche nach Judith dabei ist, mal ins Jahr 1940 nach Paris reist, um dort die
junge jüdische Studentin Judith und ihre große Liebe zum Bankierssohn Christian
mitzuerleben und sich die schlimme Nazizeit wieder vor Augen führen zu lassen.
Die Handlung lebt von den wechselnden Perspektiven, die zum einen die Gegenwart
und Suche nach der Nadel im Heuhaufen beschreiben, zum anderen die Vergangenheit
wieder lebendig werden lassen. Jedoch sind die Übergänge nicht so fließend, wie
man es sich als Leser wünschen würde. Auch kommt der Gegenwartspart gegenüber
der Vergangenheit viel zu kurz, wodurch ein Ungleichgewicht entsteht und das Gesamtpaket
nicht mehr so harmonisch wirkt. Unglücklicherweise ist die Geschichte aber auch
oftmals übertrieben und überzogen, so dass der Leser sich nicht völlig wohl mit
ihr fühlt. Die Autorin, von der eigenen Familiengeschichte inspiriert, lässt
die grausame Zeit des Naziregimes und die Judenverfolgung ebenso wieder
aufleben, wie sie auch den Gegenwartsteil mit der nun einsamen und bedürftigen
Jacobina dem Leser näher bringt. Der geschichtliche Hintergrund wurde gut in
die Handlung eingeflochten und lässt sie dadurch realitätsnah wirken.
Die Charaktere sind interessant ausgearbeitet und mit Leben
versehen worden. Sie besitzen individuelle Eigenschaften, so dass der Leser
seine Sympathien verteilen und mit den Protagonisten fühlen und leiden kann. Béatrice
sollte mit über Vierzig eigentlich eine intelligente Frau sein, die für ihr
Alter recht oft widersprüchliche Reaktionen zeigt. Sie wirkt naiv und einfältig,
geradezu leblos. Sie lässt sich herumschubsen und alles mit sich machen. Man wartet
regelrecht darauf, dass sie mal mit der Faust auf den Tisch haut. Béatrices
Entwicklung innerhalb dieses Romans wirkt wenig glaubwürdig, weshalb es schwer
fällt, sich in sie hineinzuversetzen. Jacobina ist eine verdrießliche alte
Dame, die eher mundfaul ist und wenig Interesse an ihrer Umwelt zeigt. Deshalb wirken
ihre Schuldgefühle gegenüber dem alten Versprechen nicht gerade glaubwürdig.
Auch Judith ist ein recht eigenwilliger Charakter. Als junge jüdische Studentin
im naziverseuchten Paris sollte man meinen, dass sie sich mehr vorsieht und
sich darum kümmert, unauffällig zu sein und andere nicht in Gefahr zu bringen.
Sie zeigt keinerlei Verständnis für die politische Lage und hofft doch, dass
andere sie unterstützen und sie retten. Christian ist der einzige Charakter,
der Sympathie verdient. Er ist ein warmherziger und liebevoller Mann, der sich
um seine Liebe sorgt, ihr jegliche Hilfe angedeihen lässt und sich selbst in
große Gefahr bringt, um andere zu schützen.
„Zwischen uns ein ganzes Leben“ ist ein historischer Roman mit einer Familien- und einer Liebesgeschichte, aber auch einen Blick zurück in die Nazizeit. Leider fehlt es ihm durch Übertreibungen an Glaubwürdigkeit und Tiefgang innerhalb der Handlung. Für zwischendurch ganz nett, aber nicht herausragend. Eingeschränkte Leseempfehlung.
Mittelmaß für