Franz Hohler - Die Rückeroberung

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    „Eines Tages, als ich an meine Schreibtisch saß und zum Fenster hinausschaute, sah ich, daß sich auf der Fernsehantenne des gegenüberliegenden Hauses ein Adler niedergelassen hatte. Ich muß dazu sagen, daß ich in Zürich wohne...“ Wenig später finden Passanten auf einem belebten Platz ein mächtiges Hirschgeweih. Tage darauf trabt schon ein ganzes Rudel Hirsche durch die Stadt, und jemand ist ganz sicher, einen Wolf gesehen zu haben... Unversehens bekommt die glatte Oberfläche des Alltags Risse in diesen neun Erzählungen.


    Zitat von Franz Hohler

    Eines Tages, als ich an meinem Schreibtisch saß und zum Fenster hinausschaute, sah ich, daß sich auf der Fernsehantenne des gegenüberliegenden Hauses ein Adler niedergelassen hatte. Ich muß dazu sagen, daß ich in Zürich wohne und daß Adler bei uns nur in den Alpen vorkommen, am nächsten von hier vielleicht in den Bergen von Glarus, etwa 50 Kilometer von der Stadt entfernt.

    Franz

    So beginnt Franz Hohler die erste Geschichte des Erzählbandes. Wie nun langsam Tiere und Natur Besitz nehmen von der Stadt, wie die Bevölkerung zuerst ungläubig und immer mehr und mehr mit Unverständnis und Panik darauf reagiert. Es ist ein Szenario welches beim näheren Betrachten etwas angsteinflössend, denn man ist sich gewohnt dass die Stadt für Menschen gemacht ist, und somit die Natur mit ihren grossen Tieren wie Bären, Hirschen aber auch Wölfe und Steinadler einen getrennten Lebensraum einnehmen. Das Ende der Erzählung bleibt offen somit sich der Leser selbst seine Gedanken, ...wie weiter machen kann.


    Walther von der Vogelweide in Bozen ist die nächste Geschichte gewidmet. Ein Denkmal dessen Standort nicht allen genehm ist. Ein Cellist welcher zufällig in der Stadt weilt, frühmorgens einen Spaziergang durch diese macht, und sich durch eine schöne Frau in eine Geschichte manövrieren lässt, die gleichzeitig unglaublich wie auch etwas kurios klingt, somit zum schmunzeln verleitet. Dennoch beim überdenken durchaus einen ernsten Hintergrund beinhaltet.


    Die Erzählung "Billiges Notizpapier" schildert, was innerhalb einer Familie passieren kann, in welcher ein Ehemann und Vater aus schon bedrucktem Papier dessen Rückseite jedoch leer und unberührt ist, Notizzettel erstellt, ein durchaus löbliches Unternehmen wenn man das Umweltbewusstsein fördern möchte. Noch während man als Leser überlegt, wie weit wird er der Mann diese Manie, denn es entwickelt sich wirklich zu einer, noch treiben, wie lange machen Frau und Kinder mit, überrascht der Autor den Leser mit den Worten " Hier breche ich meine Erzählung ab und frage Sie..."

    Nun bleibt es an mir als Leser sich Gedanken zu machen und die Geschichte "weiterzuspinnen"


    Ein verheirateter Mann gab einer Schauspielerin, mit der er an den Rheinfall gefahren war, als er mit dem Auto wartete, bis er in die Hauptstrasse einbiegen konnte, einen Kuss... So beginnt die nächste Geschichte wobei drei mögliche Szenarien vor dem Leser ausgebreitet werden. Mehr oder weniger jede für sich nicht besonders erfreulich.


    "Der Geisterfahrer" ist eine Geschichte welche der Autor mit den unzähligen Sagen welche in der bergigen Schweiz vorhanden sind in Verbindung mit Unglücksfällen welche fast täglich auf den Autostrassen passieren. Sie handelt von weissen Frauen, von schwarzen Frauen welche am Strassenrand stehen, mitgenommen werden und plötzlich verschwinden. Sie handelt von Spukgestalten welche die Behörden zwingt ergriffene Massnahmen wieder rückgängig zu machen und einen Stein zu versetzen. Inwieweit die Geschichten stimmen oder sie der Fabulierkunst von Franz Hohler entsprungen ist, ich weiss es nicht.


    Eine sehr geheimnisvolle aber auch unwirkliche Erzählung beinhaltet "Das Halstuch"

    Sie handelt von Mord und Selbstmord reicht weit in die Vergangenheit und führt den Ich-Erzähler von Zürich nach Avignon um einer sehr mysteriösen Geschichte nachzugehen, wo er vor mehr wie zwanzig Jahren das bewusste Halstuch auf einem Markt kaufte.


    Die zwei nächsten Geschichten liest man am besten unter dem Aspekt der Fantasy, denn sowohl "Der Langläufer" wie auch "Der Flug" sind etwas undurchsichtig.


    Da im "türkischen Traum", dem Erzähler welcher sich seine Träume notiert besonders der Name "Araman da Silva" präsent bleibt, interpretiert seine Frau mit welcher er diesen bespricht auf ihre Art, welche ihn zum grübeln bringt. Da er immer wieder diesen türkischen Traum hat, beginnt er sich mit der Türkei, dem türkischen zu beschäftigen, geht auf Spurensuche. In Berlin besucht er einen Bekannten, und gerät unerwartet in einen Sog von Gewalt und Beängstigendes.

    Erst mit dem letzten Satz erlangt man als Leser Klarheit und schliesst etwas perplex die letzte Seite.



    Franz Hohler gelingt es auch mit diesem Erzählband mich in seinen Bann zu ziehen. Seine Phantasie, mag sie auch manchmal etwas überbordend sein ist herrlich erfrischend zu lesen. Er gibt mir als Leser genügend Raum um sich eigene Gedanken zu machen, die offenen und halboffenen Enden sind geeignet diese weiter zu fliessen lassen.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Die Geschichten haben mir grösstenteils sehr gefallen, allen voran "Die Rückeroberung" und "Der Geisterfahrer". Allen Erzählungen gemeinsam ist, dass sie alltäglich anfangen und dann schrittweise etwas Unerwartetes geschieht. Dadurch wird das gewohnte Leben entweder "zerstört" und man muss sich anpassen - wie in der ersten Geschichte mit den Wildtieren in Zürich, oder das Geheimnisvolle / die Kette an Zufällen wird irgendwie erklärbar gemacht, damit man das gewohnte Leben wieder aufnehmen kann (Das Halstuch, der Geisterfahrer und auch der türkische Traum). Dieses Ausbrechen aus dem Gewohnten, das Aufmerksam machen auf die Möglichkeiten parallel zum Alltag - das fand ich unterhaltsam und spannend.

    Inwieweit die Geschichten stimmen oder sie der Fabulierkunst von Franz Hohler entsprungen ist, ich weiss es nicht.

    Gerade das macht auch ein wenig Hohlers gelungene Fabulierlust aus, finde ich. Tatsächlich habe ich im Internet gesucht, inwieweit diese Geschichte einen wahren Kern haben könnte (häufige Unfallstelle, Grenzstein an der Autobahn, etc), habe aber nichts gefunden.


    Natürlich sind nicht alle Geschichten gleich gut; mit "Der Flug" konnte ich wenig anfangen, das war zuviel zusammenfantasierte Spinnerei... aber insgesamt doch nette Unterhaltung.