Pauline Réage - Die Geschichte der O / Historie d'O

  • O ist eine erfolgreiche Pariser Modefotografin. Eines Tages wird sie von ihrem Geliebten René in das sehr abgelegene Schloss Roissy gebracht. O sind Sinn und Zweck dieser Reise vollkommen unbekannt. Ebenso die plötzlich neuen Regeln, nach denen sie sich auf dem Weg nach Roissy verhalten soll.

    In Roissy selbst lernt O, aus Liebe zu ihrem René, eine Sub zu sein. So willigt sie zunächst in ihre Ausbildung ein, später willigt sie auf ausdrücklichen Wunsch Renés ein sich Sir Stephen hinzugeben. In Sir Stephen findet O ihren Meister. Er erweist sich als noch dominanter als René und O verliebt sich in ihn. Als Beweis ihrer Liebe unterzieht sie sich einer weiteren Ausbildung, die in der öffentlichen Zeichnung Os als Sir Stephens Eigentum gipfelt.


    Ohne übertreiben zu wollen ist „Die Geschichte der O“ über die Jahre hinweg wohl das Standardwerk der BDSM-Literatur geworden. Ableitungen für Begriffe wurden aus dem Buch entnommen und in den subkulturellen Sprachgebrauch übernommen und noch heute dürfte es dem Leser immer wieder neue Denkanstöße geben. Dabei hat das Buch niemals von seiner Aktualität verloren und gehört daher für mich zu den zeitlos klassischen Büchern.


    Doch warum nun genau ist „Die Geschichte der O“ nun so berühmt bzw. was fasziniert die Menschen so daran?

    Man darf nicht vergessen, dass dieses Buch erschien 1954 in Frankreich und erst 1967 in Deutschland. In einer Zeit also, in der die sexuelle Revolution in Deutschland langsam an Fahrt aufnahm und Frauen in sich selbst mehr als nur das gebärende Geschlecht entdeckten. Ein Buch, in dem eine Frau erklärt, warum sie es lustvoll findet ausgepeitscht und gefesselt zu werden, der Reiz daran jemandem zu gehören und natürlich die entsprechende Ausbildung samt der äußerlich sichtbaren Zeichen (Brandzeichen, Kette). Das dürfte wohl zu jeder Zeit hohe Wellen schlagen.


    Das absolut faszinierende an diesem Buch ist für mich jedoch die Gefühlswelt der Protagonistin. Die Autorin verwendet wirklich sehr viel Zeit um die Gefühle und Gedanken der O zu beleuchten. Oder auch ihre Beziehungen zu Frauen, denn es ist mitnichten so, dass O nur die passive Geliebte zweier Männer ist. Dabei geht es nicht nur um Hingabe, Lust und Demut sondern auch um so grundsätzliche Gefühle wie Liebe, Zuneigung und Vertrauen.

    Es werden keine Handlungen bis ins kleinste Detail ausgeschmückt, die Andeutungen und ein bisschen zwischen den Zeilen gelesen genügen jedoch schon um zu wissen, was gerade zwischen den einzelnen Figuren passiert. Sie zeigen dennoch wie groß das Vertrauen der O in Sir Stephen und ihr Vertrauen in die Führsorge für sie ist. Es wird deutlich, dass sie trotzdem mit Ängsten und manchmal auch mit ihrer Rolle selbst hadert. Die Autorin schildert viele Fassetten dieser doch nicht alltäglichen Beziehung und macht die Geschichte dadurch für mich sehr faszinierend. Einige Aspekte dieser Beziehung gehen auch mir zu weit bzw. sind für mich unvorstellbar. Aber auch hier spielt die Autorin mit den vielen Möglichkeiten dieser Beziehung und lässt eigene Gedankenspiele zu.

    Ich möchte jedoch dazu sagen, dass „Die Geschichte der O“ sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist. Für wen Shades of Grey bereits die „härtere Gangart“ ist, der sollte von diesem Buch die Finger lassen. Auch wer auf viele explizite erotische Szenen hofft, sollte nicht zu diesem Buch greifen, denn er könnte enttäuscht sein. Im Vergleich zur modernen erotischen Literatur erscheint der Schreibstil manchmal etwas trocken.


    Wer sich aber nicht scheut zwischen den Zeilen zu lesen, sich auf eine Protagonistin mit einer vielschichtigen Gefühlswelt einlassen kann und einen Blick über den Tellerrand wagen möchte – dem kann ich „Die Geschichte der O“ wirklich empfehlen.