Lindsey Fitzharris - Der Horror der frühen Medizin / The Butchering Art

  • Kurzmeinung

    Bellis-Perennis
    Einblicke in die Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts
  • Kurzmeinung

    Gaymax
    Informatives, blutiges und gut recherchiertes Stück Medizingeschichte
  • Nur irgendwie den namen nicht einordnen können.

    Als ich im zarten Alter von 15 Jahren anfing, über Medizingeschichte zu lesen, passierte mir exakt dasselbe: Ich vermutete einen verwandtschaftlichen Zusammenhang zwischen Liston und Lister.:uups: Die Namen sind ja auch sehr ähnlich ...und den Beruf hatten die Beiden ebenfalls gemeinsam.

    HA danke. Jetzt gehts mir besser!:totlach::mrgreen:

  • Es ist ein dunkles Zeitalter für die Medizin, in dem der junge Student Joseph Lister sein Handwerk erlernt. Die hygienischen Zustände und seine starrköpfigen Kollegen lassen ihn häufig an seine Grenzen geraten, so dass der gläubige Quäker zeitweise sogar lieber den Weg des Priesters einschlagen will. Bestärkt durch die Briefe seines Vaters und die Unterstützung seines langjährigen Mentors James Syme wirft er zum Glück dann doch nicht das Handtuch und soll der Welt eine der wichtigsten Errungenschaften der Medizingeschichte bringen: die antiseptische Methode.


    Der Autorin Lindsey Fitzharris gelingt es, die Lebensgeschichte Joseph Listers anschaulich und spannend zu verpacken. "Der Horror der frühen Medizin" ist dabei eine Mischung aus Biografie und Roman. Eingestreute medizinische Fallbeispiele und Schilderungen aus dem Privatleben des begabten Chirurgen ergeben im Ganzen ein gut ausbalanciertes Sachbuch, das auch für Laien flüssig zu lesen ist. Die Beschreibungen der damaligen Methoden sind dabei recht detailreich und manchmal auch grausig - dennoch sind sie wichtig um zu verstehen, welche große Aufgabe Lister hier vor sich hatte und wie bedeutsam sein Schaffen vor diesem Hintergrund ist.


    Der Leser kann eine Vielzahl von Fakten aus diesen Buch lernen, zum Beispiel, dass es die landläufige Meinung der Zeitgenossen Listers war, Krankheiten entstünden allein aus Schmutz und schlechter Luft. Oder das Lister Namensgeber einer gewissen Mundspülung war, die Zahnärzten auf der ganzen Welt ihren Beruf erleichtern sollte. Oder dass Lister und der berühmte Louis Pasteur im Prinzip zwei Seiten derselben Medaille waren und sich gegenseitig inspirierten.


    Fazit: An keiner Stelle liest sich dieses Sachbuch langweilig, es ist sowohl unterhaltsam, als auch lehrreich. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Oder das Lister Namensgeber einer gewissen Mundspülung war, die Zahnärzten auf der ganzen Welt ihren Beruf erleichtern sollte.

    Listerine gibt's sogar heute noch.

  • Ich hatte zwar schon eine Anspielung vermutet, war mir aber auch nicht ganz sicher.

  • Endlich auch gelesen und begeistert :cheers: Lange genug lag das Buch auf meinem riesigen Buchstapel, jetzt hab ich es verschlungen. Mich fasziniert Medizingeschichte und gleichzeitig bin ich nach dem Lesen von Büchern über die langsame und langwierige Entwicklung der Medizin bis zu unseren heutigen Standards immer wieder froh, in der heutigen Zeit zu leben. :uups:


    Der Aufbau des Buches mit den einleitenden Zitaten hat mir sehr gefallen. Überhaupt hat die Autorin hier ein hervorragend recherchiertes Sachbuch geschrieben, das gleichzeitig unterhaltsam und spannend geschrieben ist. Ich bin (für meine Verhältnisse) durchgeflogen. Neben den ganzen Darstellungen der damaligen Medizin, die die anderen schon beschrieben haben, war für mich vor allem eines faszinierend an dieser Biografie:

    die Autorin arbeitet wunderbar heraus, wie sehr Joseph Lister von seinem Charakter und auch seiner Erziehung her getrieben wird, den Ursachen der hohen Mortalitäts- und Infektionsraten auf den Grund zu gehen - er konnte schlicht nicht anders, alles in seinem Wesen und seinem Charakter trieb diesen Mann in seine Forschung und Arbeit hinein. Sehr prägend war für ihn sein Leben lang sein Vater, der selbst wissenschaftlich tätig war neben seinem Beruf und dem wir die Weiterentwicklung des Mikroskops verdanken (eine Tatsache, die mir völlig neu war). Dieser Vater prägte schon das Kind Joseph und sorgte somit dafür, dass bereits der Student wissenschaftlich arbeitete indem er alles auch auf der mikroskopischen Ebene betrachtete und untersuchte. Diese Untersuchungen, seine Gründlichkeit und dann die Entdeckung von Pasteurs Arbeiten brachten Lister schließlich auf den richtigen Ansatz zur Entwicklung der Antisepsis.


    Aufgrund meines Berufs war mir der Name Lister natürlich ein Begriff, aber tatsächlich hatte ich nicht im Kopf, dass er auf einer derart breiten Basis die Antisepsis entwickelte und auch derart hartnäckig verteidigte und verbreitete. Ich verband ihn in meinem Kopf immer mit dem Karbolspray, dass er in den Operationssälen einführte. Ob das jetzt an Erinnerungslücken liegt oder daran, dass es uns während der Ausbildung nur einseitig vermittelt wurde, kann ich nicht sagen. Was ich vom Zusammenhang her genauso spannend fand war die Tatsache, wie sehr der französisch-deutsche Krieg von 1870 die Verbreitung der antiseptischen Methoden auf dem Kontinent vorantrieb während Mediziner in England und den USA sich noch lange dagegen sträubten. Da kommt einem spontan der Gedanke an den Prophet im eigenen Lande.


    Ich kann jedem, der sich für Medizingeschichte interessiert, dieses Buch wirklich nur empfehlen - trotz aller teils grauslichen Details, die manches Mal beschrieben werden. 8)

  • Meine Meinung: Bei Vorablesen hatte ich nun das Buch: 'Der Horror der frühen Chirurgie' gewonnen und für mich war klar, dass ich in den Tagen bis das Buch eintrifft mich mit dem Vorgänger beschäftigen werde und ich wurde ja auch nicht enttäuscht. Ein paar gute Stimmen hatte ich ja auch schon vernommen und ich kann auch nix anderes erzählen, dass ich froh bin in der heutigen Zeit zu leben und ich bin trotzdem auch verwundert wie extrem düster, schwarz die Medizingeschichte tatsächlich ist, also nicht nur aus Unwissenheit, sondern teilweise aus Neid, Gier nach Ruhm und reiner Boshaftigkeit. Dann bin ich auch immer wieder überrascht wie man auf einzelne Menschen und Mitmenschen trifft, die völlig entgegen ihrer Zeit mit Empathie, Fleiß und Wissensgier das Feld der Medizin vorangetrieben haben. Auch fasziniert mich immer wieder wie man dann einzelne Personen, Erfinder, Wissenschaftler einordnen kann und mit wem diese auch zusammengearbeitet haben wie Joseph Lister und Louis Pasteur. Faszinierend und Lesenswert und teilweise echt bisschen ekelig.


    Fazit: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Feuerkind (Stephen King) 34 / 542 Seiten

    :study: 111 Pflanzen die man kennen muss (Klaudia Blasl) 116 / 240 Seiten


    SUB: 857

  • Eine großartige Geschichte der Medizin im 19. Jahrhundert.


    Autorin Lindsey Fitzharris nimmt ihre Leser mit in eine Zeit in der Chirurgen Handwerker sind und studierte Ärzte ihre Patienten oft gar nicht zu Gesicht bekommen. Sie entführt uns in eine Epoche in der der sich die Leute vehement weigern, in ein Krankenhaus zu gehen, weil sie selten genug lebend oder gar geheilt entlassen werden.


    Wir befinden uns im 19. Jahrhundert. Wir begleiten den Chirurgen Robert Liston bei seinen spektakulären (öffentlichen) Amputationen, bei denen blitzschnell wegschneidet was wegmuss (und manchmal auch ein wenig mehr). Erst mit der Erfindung und Verbreitung der Äthernarkose kann er sich ein wenig Zeit lassen.


    "Das begeisterte Publikum sah gebannt zu, wie der Anatom die aufgeblähten Bäuche verwesender Leichname aufschnitt, aus denen Blut und stinkender Eiter quoll. Manchmal wurde das makabre Schauspiel von lieblicher Flötenmusik begleitet." (S. 10)



    Ein paar Jahre später betritt ein Mann die medizinische Bühne, der einen Meilenstein setzen wird: Dr. Joseph Lister, Sohn eines Arztes. Wir begleiten Lister auf seinem medizinischen Lebensweg, können teilhaben an seiner Neugier und trauern mit ihm, wenn er von Zweifeln geplagt, die Medizin an den Nagel hängen will. Hier muss man seinem Vater Hochachtung aussprechen, der ihn immer wieder, auch nach Misserfolg, ermuntert hat, seinen medizinischen Weg unbeirrt zu gehen.


    Neben Joseph Lister begegnen wir auch Louis Pasteur, Robert Koch und Ignaz Semmelweis, die sich mit der mangelnden Hygiene in Krankenhäusern und den damit verbundenen Infektionen beschäftigen und auch Abhilfe schaffen. Allen ist gemeinsam, dass sie belächelt, verspottet und verachtet werden.


    Sehr interessant ist, dass Lister neben seiner Arbeit als Chirurg und Krankenhausleiter Zeit findet, zu forschen und zu publizieren.


    Erst als Lister Queen Victoria komplikationslos von einem faustgroßen Abszess befreit, findet sein Verfahren zur Infektionen vermeidenden Wundbehandlung seine Verbreitung.


    Meine Meinung:


    Die Autorin bietet einen sachlichen Einblick in die Medizingeschichte. Jedes Kapitel wird mit einem Zitat eines Forschers, Wissenschaftlers oder Arztes eingeleitet.


    Das Buch besticht durch penible Recherche und gute Aufmachung. Im Anhang finden sich weiterführende Informationen.


    Der Schreibstil ist flüssig, klar und plastisch, ohne voyeuristisch zu sein. Dennoch ist das Buch nichts für Zartbesaitete, wird doch der Horror der frühen Medizin offensichtlich.


    Wir können nur froh sein, im hier und heute zu leben. Dennoch müssen sich auch Ärzte der Gegenwart den Herausforderungen stellen: Stichwort „Krankenhauskeime“, denen Jahr für Jahr einige Tausend Patienten zum Opfer fallen.


    "Alles war infrage gestellt, alles war unerklärt, alles war zweifelhaft, nur die große Anzahl der Toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit." (Ignaz Semmelweis S. 119)


    Fazit:


    Eine großartige Biografie eines Pioniers der Medizin, der ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung gebe.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)

  • Ich habe gerade gemerkt, dass ich dieses tolle Buch hier überhaupt nicht rezensiert hatte - das hole ich hiermit nach:


    Anfang des 19. Jahrhunderts war die Chirurgie fast mehr Handwerk als Medizin und bestand hauptsächlich aus blutiger Knochensägerei, gerne auch vor Publikum und mit "Showeffekten" wie einer Amputation bei laufender Stoppuhr - und stets begleitet von einem erheblichen Infektionsrisiko. Aus heutiger Sicht ist das kein Wunder, wenn man die hygienischen Verhältnisse am Operationstisch und auf den Stationen im Krankenhaus betrachtet. Man hatte sich mehr oder minder damit abgefunden, dass Blutvergiftungen, eitrige Entzündungen der Wunden und ähnliche Komplikationen mit chirurgischen Eingriffen einhergehen und legte es in Gottes Hand, ob der Patient überlebte oder an den Folgen der Operation verstarb. (Paradoxerweise hatten Menschen, die sich nach einem Eingriff zu Hause erholen konnten, bessere Überlebenschancen als solche, die ihre Rekonvaleszenz im Krankenhaus verbrachten.)


    Der junge Arzt Joseph Lister entwickelte schon früh in seiner Laufbahn eine gesunde Skepsis angesichts dieser fatalistischen Einstellung und schrieb es sich auf die Fahnen, die Gründe für die so häufigen schlimmen Nachwehen von Operationen herauszufinden und vor allem Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Erfolg gab ihm letztendlich recht. Trotz zahlreicher Anfeindungen aus dem Kollegenkreis hat sich nach und nach sein Fokus auf die "Antisepsis" durchgesetzt und den Grundstein für die heute noch gültigen Hygieneanforderungen in der Medizin gelegt.


    Was für ein toller Ritt durch eine bewegte Zeit in der Medizin - Lindsey Fitzharris hat mich vom ersten bis zum letzten Satz ungemein gefesselt.


    Medizinische, physiologische und biologische Details werden auch für Laien verständlich erläutert, so dass immer nachvollziehbar bleibt, welch große Fortschritte Listers Forschung und Praxistests für die Medizin bedeuten, und es gibt auch einige sehr bildhafte und ziemlich bluttriefende Szenen direkt vom OP-Tisch. Eine Aversion gegen Skalpelle, Blut und andere, eher unappetitliche Absonderungen sollte man beim Lesen besser nicht haben, aber gerade diese Abschnitte führen ganz wunderbar vor Augen, welche riesige Entwicklung sich da in den letzten nicht mal 200 Jahren zugetragen hat.


    Dass Lister als Person so viel Raum im Buch einnimmt, hatte ich so nicht unbedingt erwartet, aber ich habe gerne über seinen persönlichen und beruflichen Werdegang gelesen, zumal ihn das naturwissenschaftliche Interesse seines Vaters früh beeinflusst und auch das Aufwachsen in der Glaubensgemeinschaft der Quäker den jungen Joseph geprägt hat. Die akademische Welt scheint damals auch schon ein ganz schönes Haifischbecken gewesen zu sein. Einige Konkurrenzkämpfe und fachliche Auseinandersetzungen waren wahrlich nicht ohne, da wurde mit ganz schön harten Bandagen gekämpft.


    Ein spannender, hochinteressanter und überdies auch noch ziemlich unterhaltsamer Mix aus biographischen Elementen und Medizingeschichte, den ich sehr gerne weiterempfehle.