Tobias Schrödel - Der digitale Tod

  • Ich habe mir mit dieser Rezension etwas Zeit gelassen. Denn erstens ist dies für mich kein typisches Sachbuch gewesen. Und zweitens habe ich es tatsächlich mehrfach gelesen.


    Der Autor ist IT-Experte, und wird regelmäßig im Fernsehen zu Fragen von Datenschutz und dem Knacken von Geräten befragt. Allerdings hat er auch schon einen Comedy-Award erhalten, was mich nach der Lektüre dieses Büchleins gar nicht verwundert. Denn bei allem Ernst des Themas ist hier eine Leichtigkeit zu spüren, zwar nicht ein Unernst, aber die Fähigkeit, die Vielschichtigkeit eines Problems zu erkennen. Und das ist eben manchmal auch durchaus komisch! Und ausgesprochen spannend zu lesen.


    Es ist ein schwarzer Humor, der hier vorherrscht, keine Frage. Das beginnt schon mit den ersten Sätzen. „Facebook hat Millionen von Usern. Und sie werden alle sterben.“ Drastisch, aber wahr! Es gibt noch viele solcher Formulierungen. Sie alle zielen darauf ab, dem Leser bewusst zu machen, dass das Thema Datenschutz in unserer Gesellschaft bisher nur halb zu Ende gedacht wurde. Denn die richtigen Probleme ergeben sich erst nach dem Tod einer Person. Was ist mit Passwörtern und digitalen Inhalten? Wer erbt was? Wer darf was wissen, und wer darf was verwerten? Welche Konsequenzen ergeben sich zum Beispiel in rechtlicher Hinsicht, für die Trauer, oder für soziale Umgangsformen?


    Aufhänger für dieses Buch ist die Anfrage einer Mutter an den Autor. Ihre Tochter ist unter ungeklärten Umständen gestorben, und die Mutter erhofft sich vom Handy der Tochter Antworten auf dringende Fragen.


    Der Autor schildert sehr unmittelbar all die ethischen und moralischen Fragen, die ihn selbst bewegt haben. Dann wird es richtiggehend spannend. Er schildert nachvollziehbar und ohne allzu viel technisches Schnickschnack, wie genau er das Handy des toten Mädchens geknackt hat. Das liest sich beinahe wie ein Krimi! Und man merkt ziemlich genau, dass er sich in seiner Freizeit mit dem Thema Kryptographie befasst. Ich habe mich streckenweise sehr an Simon Singh und seine „Geheimen Botschaften“ erinnert gefühlt.


    Der dritte wichtige Aspekt in diesem Buch sind die Interviews mit Experten, die der Autor geführt hat. Sie durchziehen das ganze Buch, und werden lebendig und ausführlich wiedergegeben. Er spricht zum Beispiel mit einem Pfarrer, einem Professor für Kommunikationswissenschaft, einem Anwalt, und einer Trauerrednerin. Diese Interviews kann man zum Beispiel auch getrennt vom Buch immer wieder nachlesen, was ich getan habe. Sie sind wie kleine Aufsätze, die sich jeweils einem Thema rund um Datenschutz oder Tod und Sterben widmen. Der Autor lockert diese Interviews auf, indem er nicht verschweigt, an welchen Stellen er Denkfehler begangen hat, oder wo er sich in der Vor- oder Nachbereitung verheddert.


    Das Buch endet mit der Beantwortung der Fragen der Mutter. Und mit einem persönlichen Treffen der Beiden, wobei Überraschendes zutage kommt. Ich finde es schön, dass uns der Autor diese Dinge nicht vorenthalten hat. Das zeigt mir, dass er Menschen, die sich mit Fragen an ihn wenden, als Menschen ernst nimmt. Dass er überhaupt sehr menschlich ist, und dennoch über profundes Wissen verfügt.


    Man kann das Buch also auf zwei Arten lesen. Einerseits als persönliches Drama um ein totes Mädchen. Andererseits aber als eine Reflexion über den Datenschutz. Beides verbindet sich hier auf unterhaltsame und stringente Weise. Dabei ist das Buch keineswegs zu lang oder ausufernd. Ich kann es wirklich nur empfehlen.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)