Viet Thanh Nguyen - Der Sympathisant / The Sympathizer

  • Über den Autor:
    Viet Thanh Nguyen, geboren 1971 in Südvietnam, floh nach dem Fall von Saigon 1975 mit seinen Eltern in die USA. Er studierte Anglistik und Ethnic Studies an der Universität Berkley und arbeitet seit seiner Promotion 1997 als Hochschullehrer an der University of California. Er veröffentlichte 2007 einen Band mit Kurzgeschichten, für Der Sympathisant erhielt er zahlreiche Preise, darunter 2016 den Pulitzer-Preis und den Edgar Award.
    (Quelle: Klappentext)


    Buchinhalt:
    Im April 1975 wird eine Gruppe südvietnamesischer Offiziere unter dramatischen Bedingungen aus Saigon in die USA geflogen. Darunter ein als Adjutant eines Generals getarnter kommunistischer Spion. In Los Angeles soll er weiterhin ein Auge auf die politischen Gegner haben, ringt jedoch immer mehr mit seinem Doppelleben, den Absurditäten des Spionagewesens, der Konsumgesellschaft und seiner eigenen Identität: “Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern“, sagt er von sich selbst, „da ist es kein Wunder, dass ich auch ein Mann mit zwei Seelen bin.“

    Ein bewegender literarischer Politthriller über den Vietnamkrieg und seine Folgen, eine meisterhafte Aufarbeitung über die Missverständnisse zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
    (Quelle: Klappentext)


    Das Buch umfasst 523 Seiten unterteilt in 23 Kapitel. Das Cover passt hervorragend zur Geschichte.


    Meine Meinung:
    Ein Geständnis wird geschrieben, gegenüber wem wird erst ziemlich am Ende aufgelöst. Das Geständnis eines namenlosen Mannes, dem die Zerrissenheit bereits in die Wiege gelegt wurde. Zerrissenheit bleibt auch sein Problem in allen Lebenssituationen, denn nie gehört er dazu, immer bleibt er der Außenseiter – sei es durch Geburt, durch Ausbildung, durch seine politische Meinung oder sein Handeln, ganz gleich ob in Vietnam oder den USA. Er ist ein Maulwurf, ein Schläfer, ein Spion, der die eigenen Landsleute ausspioniert – von den Amerikanern ausgebildet, von den Südvietnamesen benutzt, von den Vietcong genutzt. Aber das ist nur der offensichtliche Rahmen der erzählten Geschichte, denn im Kern geht es um den verheerenden Vietnamkrieg und seine Folgen für das Land, die Region, die Menschen und vor allem darum, dass die Geschichte dieses Kriegs immer nur von den US-Amerikanern erzählt und gedeutet wurde, den Verlierern dieses Krieges. Niemals hörte man den Menschen zu, deren Land durch diesen Krieg ausgeblutet wurde und dessen Bevölkerung bis heute unter den Folgen dieses Krieges leidet. Bekam einseitige und kontrollierte Berichterstattung eigentlich erst durch die letzten Kriege im Nahen Osten öffentliche Aufmerksamkeit, so zeigt dieses Buch deutlich, dass das kein neues Phänomen ist. Sehr deutlich wird das z.B. an dem berühmten Helikopter-Foto, das viele von uns kennen. Der Fotograf betitelte es sinngemäß als „Evakuierung von Vietnamesen von einem Hausdach“, die Amerikaner machten daraus die „Evakuierung der amerikanischen Botschaft am Tag des Falls von Saigon“. Im Buch wird es offensichtlich in dem Teil, in dem die amerikanischen Regisseure und Filme und deren Deutungshoheit angegangen werden.
    Und dann ist dieses Buch auch die Geschichte der bedingungslosen Freundschaft dreier Männer, die ihr Leben lang füreinander einstehen ganz gleich, auf welcher Seite sie in diesem Krieg auch stehen.


    Aus dieser Zusammenfassung der Themen geht klar hervor, dass es sich hier nicht um einen Thriller der klassischen Sorte handelt, ich würde das Buch eher als politischen Roman beschreiben. Aber ganz egal, wie man ihn einordnet, er wirft ein klares Licht auf die Geschehnisse und die beteiligten Mächte, auf Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen, auf die Geschichte und Politik, aber damit auch auf unsere Gegenwart und wie wir mit Informationen umgehen oder sie ungefragt hinnehmen. In der Essenz geht es viel um Kritik an Informationspolitik, aber auch viel um Selbstkritik und die eigenen Einstellungen und Handlungen, die die Basis des Geständnisses darstellen. Der Erzähler bleibt namenlos, scheint aber in Teilen einem echten Spion nachempfunden zu sein. Überhaupt sind die geschilderten Geschehnisse, z.B. die Operation Frequent Wind, sehr gut recherchiert bis hin zu dem Versuch der Südvietnamesen, über Laos erneut in Vietnam einzufallen um das Land zurückzuerobern.
    Sprachlich wirkt der Roman wie eine direkte Erzählung Person-zu-Person, was an der Grundstruktur des Geständnisses liegt und auch daran, dass an Kapitelanfängen das Gegenüber, der Kommandant, öfter direkt angesprochen wird. Gegen Ende des Romans wird deutlich, warum das so ist. Namenlos bleiben nur der Erzähler und der Kommandant, alle anderen Figuren erhalten Namen, auch wenn z.B. der Name des Freundes „Man“ den Leser manchmal zum Stolpern bringt.
    In wenigen Teilen ist die erzählte Geschichte sehr grausam. Wer Grausamkeiten nicht aushalten kann, sollte das Buch nicht aufklappen. Immerhin reden wir von Krieg, von Spionage, von Folter, Mord und Totschlag, von Geheimdiensten und Verhören und der Entwicklung und Verfeinerung von Verhörmethoden, niedergeschrieben im Kubark. Aber wer das nicht scheut, hält ein meiner Meinung nach lesenswertes Buch in Händen.

  • Danke, Squirrel , darauf habe ich mit Spannung gewartet, zumal ich nächste Woche anfangen wollte zu lesen. Aber jetzt bin ich nicht mehr sicher.

    Wer Grausamkeiten nicht aushalten kann, sollte das Buch nicht aufklappen.

    Gerade Folter ist das Unerträglichste, das mir in Büchern begegnen kann. Andererseits interessiert mich das Thema sehr, weil ich bruchstückhafte Erinnerungen an die Nachrichtenbilder dieser Zeit habe .

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Gerade Folter ist das Unerträglichste, das mir in Büchern begegnen kann.

    Es ist vom Umfang her nicht so viel wie es bei diesem Thema sein könnte, aber deutlich und schonungslos,

    Andererseits interessiert mich das Thema sehr, weil ich bruchstückhafte Erinnerungen an die Nachrichtenbilder dieser Zeit habe .

    Das war auch mein Hauptgrund, dieses Buch zu lesen. Die Evakuierung Saigons hab ich als 11jährige in den Nachrichten gesehen, aber es sind nur bruchstückhafte Erinnerungen und der Rest ist geprägt durch westliche Berichterstattung. Ich fand die Sichtweise des Erzählers hier sehr spannend, da sie eben die andere Seite darstellt.

  • Ja und nicht nur das, wobei die Szene nicht einfach nur so aus Effekthascherei hineingeschrieben wurde, sondern an diesem Punkt eine "Funktion" hat.

  • Inhalt

    Viet Thanh Nguyens namenlos bleibender Icherzähler würde in China Banane genannt, nur außen gelb und innen weiß. Der Gefangene im Dienstgrad eines Captains, der im Zuge seiner politischen Umerziehung sein Leben niederschreiben muss, wuchs als Kind einer vietnamesischen Mutter und eines französischen Priesters auf. Der Junge wurde in der Schule vom Vater in die christliche Religion eingewiesen. Dass er seine Schüler ihrer eigenen Kultur entfremdete, hat der Vater vermutlich nicht reflektiert. Der junge Mann mit der Sozialisation zweier Kulturen kehrte nach einem Studium in den USA nach Vietnam zurück und harrt im Zuge des Falls der Stadt Saigon 1975 auf die Evakuierung durch die Amerikaner. In Rückblicken wird die veränderte Sicht auf den Zuwanderer deutlich, der als Student in den USA noch respektiert war, sich als Flüchtling jedoch nun mit allen Asien-Klischees dieser Welt konfrontiert sieht.


    Gearbeitet hat er im Krieg als Quartiermeister, später als Aide-de-Camp eines südvietnamesischen Generals, der wie andere Figuren des Romans hinter der generalisierten Maske einer ganzen Gruppe verborgen bleibt. Vom ersten Kapitel an zeigt der Berichterstatter sich als gebildeter, kritischer Charakter, der sich aufgrund seiner Biografie kultureller Gegensätze und der Widersprüchlichkeiten der USA und Asiens nicht nur bewusst ist, sondern der sie beinahe schon süffisant zu analysieren vermag. Spannung entstand für mich aus der Frage, was der junge Mann während des Vietnamkriegs erlebte und wer er eigentlich ist. Der Mann mit den zwei Gesichtern, der Mitläufer, Agent, Assistent eines hohen Militärs versprach schon zu Beginn sich als komplexer Charakter zu öffnen, der kluge Einsichten ins Verhältnis der USA zu Asien bieten könnte. Viet Thanh Nguyen reflektiert dieses Verhältnis u. a. am Einfluss von Hollywood-Filmen auf Asien und den Zusammenhang zwischen einem zunächst mit filmischen Mitteln erzeugten Bild eines Landes und einem Krieg der USA gegen dieses Land. Zuerst kommen die Bilder im Film, dann die Expansion … Wer schon mit Menschen konfrontiert war, die ihre Englisch- und USA-Kenntnisse hauptsächlich aus Filmen bezogen haben und sich damit für ausreichend gebildet hielten, kann die komplexen Zusammenhänge ahnen, die hier entfaltet werden. Eine erstaunliche Themenvielfalt platziert Viet Thanh Nguyen in seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Roman; von der Identitätssuche zwischen zwei Kulturen, dem Ost-Welt-Verhältnis, Krieg, Flucht, über Agenten-Thematik, bis zur Disneysierung gewachsener Kulturen, dem Hollywood-Film als Schule der Welt und unseren durch Filme geprägten Sehgewohnheiten.


    Fazit

    „Der Sympathisant“ wartet mit einer klugen, vielschichtigen Erzählerfigur auf und setzt beim Leser nicht nur Interesse am Vietnam-Krieg und interkulturellen Themen voraus, sondern auch die Bereitschaft, sich mit den Kriegen der USA im 20. Jahrhundert kritisch zu befassen. Mich hat das Buch stark beschäftigt.


    (19.6.2017 zur englischen Ausgabe)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Ravik Strubel - Blaue Frau

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow