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Wie konnte sich Anders Breivik, der im wohlhabenden Westen aufwuchs, zu einem perfiden Terroristen entwickeln? Åsne Seierstads ausgezeichnetes Buch ist gleichzeitig psychologische Studie und literarisches True Crime, gleichzeitig Würdigung der Opfer und eine messerscharfe Analyse einer Tat, die sich jederzeit und überall wiederholen könnte." - So schreibt Amazon.
Zuerst: Das Buch liest sich sehr gut und flüssig. Es ist sehr gut recherchiert und geht hervorragend mit Quellen um. Es ist spannend und unterhaltsam.
Trotzdem ist es für mich kein gutes Buch. Da stört zu viel. Da ist zum Einen die Geschichte des Kindes Anders. Schon nach wenigen Seiten wird klar, aus dem Jungen wird nichts. Das ist platt und viel zu sehr auf das Ende fokussiert. Man kann auch Außenseiter sein und spielsüchtig und nicht zum Massenmörder werden. Da hat sich Frau Seierstad selber in die Falle gelockt und den Fall vom Ende her betrachtet. In diesem Zusammenhang war es für mich auch störend, dass fast nur auf negative Seiten der Kindheit geschaut wurde, obwohl mir schien, dass es sehr wohl auch andere Seiten gegeben haben muss.
Dann beschäftigt sich ein großer Teil des Buches (für mein Gefühl fast ein Drittel) mit anderen Personen, späteren Opfern, die als hoffnungsvolle und liebevolle Menschen vorgestellt werden. Ich meine, dass dies aber zum Verständnis der Person Breiviks überhaupt nichts hinzufügt. Hier wird eine emotionale Ebene zu den Opfern aufgebaut, die ich als unangemessen empfinde. Man soll halt mit den Opfern ganz besonders mitfühlen. Für mich ein Verkaufstrick und nicht mehr. Irgendwann fing ich an, diese Kapitel nur noch diagonal zu lesen.
Sehr oft wird erwähnt, was die Hauptperson dachte. Auch wenn die Autorin dafür eine (dünne) Erklärung abgibt meine ich, dass sie das einfach nicht wissen kann und es nicht in eine seriöse Biografie gehört.
Es gibt eine Episode, in der Breivik ein erfolgreicher Geschäftsmann ist, die bleibt aber sehr blass obwohl gerade hier Überraschendes hätte zu Tage treten können; wie hat er die KOntakte geknüpft z.B.
Mir fehlten auch Erklärungen, warum immer wieder Freunde erwähnt wurden, während er andererseits als jemand beschrieben wurde, der meist gemieden wurde.
All das bewirkte für mich, dass ich das Buch so empfand, dass die Autorin zu einem großen Teil Vorurteile verstärken wollte und den Erwartungen der Leser einfach zu sehr entgegen gekommen ist. Ich hatte nach der Lektüre kaum das Gefühl, mehr über die Person und das Werden dieses Menschen erfahren zu haben. Das Verhalten habe ich nicht besser verstanden. - Und das ist ein sehr schwerwiegendes Argument bei einem solchen Buch.
Gefallen hat mir die Beschreibung der Gerichtsverhandlung und die Umstände dazu. Hierbei habe ich viel Neues erfahren und bekam eine viel genauere Vorstellung. Auch tauchten hier endlich wirkliche Fragen an das Selbstverstandnis des Massenmörders auf.
Trotz des versöhnlichen Schlusses überwiegt bei mir aber doch der Ärger über das Buch, das mit 26 Euro auch recht teuer ist.