Zum Autor (Quelle: wikipedia, verändert):
Der Autor, ein gebürtiger Baske, lebt seit 1984 in Hanmnover und arbeitete zunächst als Spanischlehrer. Seit 2009 verfasst er ausschließlich Bücher sowie Beiträge für spanische Zeitungen.
Große Aufmerksamkeit erregte Aramburu mit seinem Roman Patria (2016), der unter anderem mit dem „Premio nacional de narrativa“ und dem „Premio de la crítica“ ausgezeichnet wurde. In Spanien verkaufte sich der Roman mehr als 350.000 Mal (Stand: Anfang 2018). Die Geschichte spielt im Baskenland und behandelt den Terror und die Aussöhnung von Tätern und Opfern. Der Roman wird von HBO España als Serie verfilmt.
Zum Buch:
768 Seiten - Rowohlt Verlag - 16. 1. 2018 - Übersetzung von Willi Zurbrüggen
Klappentext:
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. "Patria" heißt Vaterland, Heimat. Aber was ist Heimat? Die beiden Frauen und ihre Familie, um die es in Fernando Aramburus Roman geht, sehen ihre Heimat mit verschiedenen Augen. Bittori sitzt am Grab ihres Mannes Txato, der vor über zwanzig Jahren von Terroristen erschossen wurde. Sie erzählt ihm, dass sie beschlossen hat, in das Haus, in dem sie wohnten, zurückzukehren. Denn sie will herausfinden, was damals wirklich geschehen ist, und wieder unter denen leben, die einst schweigend zugesehen hatten, wie ihre Familie ausgegrenzt wurde. Das Auftauchen von Bittori beendet schlagartig die vermeintliche Ruhe im Dorf. Vor allem die Nachbarin Miren, damals ihre beste Freundin, heute Mutter eines Sohnes, der als Terrorist in Haft sitzt, zeigt sich alarmiert. Dass Mirens Sohn etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat, ist Bittoris schlimmste Befürchtung. Die beiden Frauen gehen sich aus dem Weg, doch irgendwann lässt sich die lange erwartete Begegnung nicht mehr vermeiden.
Mein Lese- und Höreindruck:
Dieser Roman hat ein Kapitel der jüngsten spanischen Geschichte zum Thema, aber man kann ihn - Gott sei Dank - aber ohne jedes Vorwissen lesen.
Im April 2017 übergab die ETA ihre Waffen der französischen Justiz, und ein Jahr später kündigte sie ihre endgültige Auflösung an – und diese Auflösung geht einher mit dem Erscheinen dieses Romans, der zum ersten Mal den baskischen Terror thematisiert. Die Handlung des Romans setzt ein mit der Waffenauslieferung.
Die Zeitgeschichte bündelt sich kaleidoskopartig in einem kleinen spanisch-baskischen Dorf und in der Geschichte zweier befreundeter Familien, die in den Terror der ETA verwickelt werden.
Eine Familie wird zum Opfer, die andere stellt den Täter. Anhand dieser Familien – Aramburu wählt die Perspektive der kleinen Leute - rollt der Autor die Geschichte der ETA auf:
ihren Nationalismus bzw. Separatismus, ihr Kampf gegen politische und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, die merkwürdige Verbindung mit sozialistischen Parolen, ihre menschenverachtende Gewaltbereitschaft – aber auch die Folterpraxis der spanischen Polizei und die Zustände in den Gefängnissen.
Aramburu bemüht sich zwar um Neutralität und vermittelt dem Leser die Motivation der Mörder, aber seine Sympathie gehört deutlich den Opfern, dem Leid der Familien, das nicht verheilen kann. Aussöhnung? Nur ansatzweise.
An den einzelnen Familienmitgliedern wird die Geschichte der ETA aufgerollt. Die private Geschichte der Familien kollidiert hier mit der Zeitgeschichte, und die dadurch entstandenen Verwerfungslinien ziehen sich durch die Dorfgemeinschaft und durch die Familien hindurch – allerdings nicht linear, so einfach ist es nicht ! - , sondern auch innerhalb der Familien bilden sich komplexe Konflikte.
Es geht um Freundschaft, um Treue, um Loyalität, um Feigheit und Starrsinn, um Ausgrenzung, um Heldentum bzw. das, was der Betreffende darunter versteht, um Reue, es geht um die Scham der Opfer (!), um Trauer, die psychologisch ungemein sensibel vermittelt wird, und schließlich auch um Schuld und Verzeihung.
Das führt zu einer dichten, immer spannenden und emotionsgeladenen Erzählung.
„Emotionsgeladen“ heißt jedoch nicht, dass die Sprache des Buches emotional ist. Ganz im Gegenteil.
Eher sachlich und fast dokumentarisch verfolgt der Leser die Geschichte der einzelnen Figuren. Immer wieder schaltet sich auch der Erzähler mit Fragen an seine handelnden Figuren ein, ein origineller Kunstgriff, der den Roman irgendwie plastisch macht.
Der Autor erzählt nicht chronologisch, sondern das Buch wirkt wie aus Erinnerungsstücken zusammengesetzt.
Immer ein anderes Familienmitglied steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber das Zentrum, zu dem alle Erzählstränge immer zurückkehren , ist der Mord an Txato, und so erhält das Buch eine beeindruckende epische Dichte und Breite.
Das Hörbuch wurde eingelesen von Eva Mattes. Es ist ein großes Vergnügen, dieser Stimme zuzuhören. Perfekt.