Sachar Prilepin - Archipel Solowki / Obitjel / L'Archipel des Solovki

  • Original : Russisch, 2014


    INHALT :

    Die Solowki-Inseln, 160 km südlich des Polarkreises im Weißen Meer gelegen, (siehe auch :https://de.wikipedia.org/wiki/Solowezki-Inseln ) waren seit dem Mittelalter Ort eines Klosters mit zugehörigen Einsiedeleien, aber auch unter den Zaren schon beliebter Kerkerort für Unliebsame. Nach der Oktoberrevolution entstand genau hier schon ab 1920 der erste Gulag (von daher Solschenizyns riesiges Dokumentarbuch "Archipel Gulag").


    Und gegen Ende der 20iger Jahre siedelt also Prilepin diesen gewaltigen Roman an : einer Mischung von Genrebeschreibungen, metaphysischen Dialogen, Liebesgeschichte… Der an Personen reiche und bunte Roman hat letztlich Artiom, einen Vatermörder und eine karamazowsche Gestalt, zum Haupthelden und seinen Schicksalsweg. Insbesondere dann, wie er sich in eine seiner Wächterinnen und Schergen verliebt, die die Liebe zu erwidern scheint. Wirklich ? Welche Zukunft hat so etwas unter solch ungleichen Verhältnissen und Ausgangsbedingungen ? Kann so etwas von Dauer sein ?


    BEMERKUNGEN :

    Man könnte den Roman bei gewissen Genrebevorzugungen ja dann als Liebesroman zwischen Artiom Gorianow und Galia bezeichnen, aber angesichts des realistisch gezeichneten Umfelds und der Weite des Erzählens wäre dies eine Reduzierung. Im postsowjetischen, russischen Kontext ist dieser Rahmen nur verstehbar, wenn man gleichzeitig bewusst im Hinterkopf hat, welche reiche spirituelle, wenn auch teils ambivalente, Bedeutung die jahrhundertelange monastische Tradition im orthodoxen Russland hier hatte und hat. Ort eines « neuen Menschen », oder einer Form des Abgeschieden-, Getrenntseins ? Und wie dann genau dieser Ort schon ab 1920 von den Sowjets umgeschmiedet wurde in einen Ort, an dem andersförmig eine « neue Gesellschaft, ein neuer Mensch » erzogen werden sollte.


    Das Ambivalente durchzieht diesen Roman, und ist vielleicht eins der Stichwörter bei der Charakterisierung russischer/sowjetischer Verhältnisse ? Da wird einerseits krass und brutal ein Arbeit in einem Zwangslager beschrieben. Und dennoch ist gerade in den ersten Jahren des Lagers selbst hier zB ein Theater da, eine umfangreiche Bibliothek, wissenschaftliches Arbeiten. Man schüttelt den Kopf, könnte sich gar fragen, ob hier etwas gerechtfertigt wird ? Zumal Prilepin in seiner eigenen Ambivalenz als Mensch manchmal der Exzesse fähig ist. Doch anscheinend kann man den Beschreibungen nicht die Realitätsnähe absprechen.


    Das Leben im Roman, und auf dieser Insel, vereinigte Menschen unterschiedlichster Herkunft, sei es Weissgardisten, Aristokraten, Mönche und Priester, Anarchisten, aber eben auch einfache und schwere Verbrecher usw… Manche stehen untereinander auf Kriegsfuß, und manch Brutalität geht von Häftlingen aus, weniger von den Wächtern ? Dann wiederum wird die absolute Willkür gezeichnet : Lagerverantwortliche, die mal zur Abschreckung bei der Ankunft der Häftlinge auf der Insel einen abknallen um auszudrücken, was ein Leben zählt…


    Mitten in Gestalten des Abgrundes mischen sich hier dann Lichtfiguren, wie zB Vater Johan. Da erinnerte mich dieses Buch auch an die « Aufzeichnungen aus einem Totenhause » von Dostojewski, wie auch andere Elemente an den grossen Petersburger erinnern können.


    Prilepin hatte schon bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Schriftsteller ist (trotz seiner fragwürdigen politischen Haltungen). Hier weitet sich das Ganze in eine Art « Epos » und ein geschichtliches Umfeld, das noch mehr Meisterschaft verlangt. Sein Schreiben hat hier einen Fluss, ist sicherlich manchmal erschreckend, aber dann von unglaublichen Feinsinnigkeiten und Beobachtungen, von spirituellem Reichtum. Hat er "alles" gesagt? Wahrscheinlich nicht.

    Definitiv ist er selber solch eine widersprüchliche Figur und vereint Helles und Dunkles. Das Buch verlangt langen Atem, könnte aber einigen hier bei Erscheinung einer Übersetzung durchaus gefallen !


    AUTOR :

    Sachar Prilepin (russisch Захар Прилепин, * 7. Juli 1975 in Rjasan, Sowjetunion) ist ein russischer Schriftsteller, Redakteur und informelles Mitglied der verbotenen Gruppierung Nationalbolschewistische Partei Russlands.


    Prilepins Vater ist Hochschulprofessor, seine Mutter Krankenschwester. Er studierte Philologie und Linguistik an der Lobatschewski-Universität in Nischni Nowgorod. Er übte verschiedene Tätigkeiten aus, bevor er Mitglied der Polizeieinheit OMON wurde und mit dieser in den Jahren 1996 und 1999 in Tschetschenien an Antiterroreinsätzen teilnahm. In dieser Zeit stieß er zu den Nationalbolschewiken, die seit 2005 durch Gerichtsbeschluss als verfassungsfeindliche Organisation verboten sind (siehe auch Limonow : .



    2004 nahm Prilepin an zwei Schreibseminaren teil. Seit dieser Zeit ist er schriftstellerisch tätig. Einige seiner Veröffentlichungen wurden bisher preisgekrönt. In seinem Wohnort Nischni Nowgorod gehörte er 2010 zu den Organisatoren eines Protestmarsches gegen die Regierenden. Er gehörte zu den 34 Erstunterzeichnern des Manifests gegen Wladimir Putin mit dem Titel Putin muss gehen aus dem März 2010.


    Im Februar 2017 übernahm er die Funktion eines stellvertretenden Bataillonskommandeurs in der international nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“. Zuvor war er bereits einige Jahre als Berater des Volksrepublikführers Sachartschenko tätig.


    Zwischenzeitlich war Prilepin für die Zeitung Nowaja Gazeta tätig. Prilepin lebt mit Frau, zwei Töchtern und zwei Söhnen in Nischni Nowgorod.


    Mitte Februar 2017 stellte er in Moskau sein Buch Platoon. Officers and rebels of Russian Literature vor. Es soll von Literaten handeln, die auch mit der Waffe umgingen - von Derschawin bis Puschkin. Gleich danach zog der Autor an die Frontlinie bei Donezk um gegen das Ukrainische Regime zu kämpfen, wie er offen erklärte. Er hat sich damit selber für die Propaganda anerboten und bezeichnet sich selber offen als Imperialisten.



    Broché: 820 pages

    Editeur : Actes Sud Editions (27 septembre 2017)

    Collection : Lettres russes

    Langue : Français

    ISBN-10: 233008188X

    ISBN-13: 978-2330081881

  • Hier ein Link zu einer Ausgabe im russischen Original:


    Oбитель/Obitjel


    Hardcover

    Publisher: Ast (15 April 2014)

    Language: Russian

    ISBN-10: 5170844832

    ISBN-13: 978-5170844838


    Соловки, конец двадцатых годов. Последний акт драмы Серебряного века. Широкое полотно босховского размаха, с десятками персонажей, с отчетливыми следами прошлого и отблесками гроз будущего - и целая жизнь, уместившаяся в одну осень. Величественная природа - и клубок человеческих судеб, где невозможно отличить палачей от жертв. Трагическая история одной любви - и история всей страны с ее болью, кровью, ненавистью, отраженная в Соловецком острове, как в зеркале. Мощный текст о степени личной свободы и о степени физических возможностей человека.

    (Quelle : ozon.ru)

  • Tatsächlich ein interessantes Interview, das auch die Zwiespältigkeit der Rezeption zeigt. Leider schon übder dreieinhalb Jahre alt.


    Danke, Mara!

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Sachar Prilepin - Обитель (Obitjel)/L'Archipel des Solovki“ zu „Sachar Prilepin - Obitjel / L'Archipel des Solovki“ geändert.
  • Wird nun bald in deutscher Übersetzung vorliegen unter dem Titel "Archipel Solowki"!


    Über fünfhundert Jahre ein Kloster, wie eine Verheißung des Himmels – und dann eine der schrecklichsten Formen des sowjetischen Lagersystems: Das war Solowki, rund 160 Kilometer vom Polarkreis entfernt, das Vorbild für Alexander Solschenizyns Archipel Gulag, ein Lager, in das die junge Sowjetunion Pfarrer, Offiziere der weißen Armee, aber auch Abtrünnige der Roten Armee und jegliche Opposition einpferchte.

    Die Liaison des Häftlings Artjom mit einer Wächterin vermittelt die Hoffnung, man könne die Haftzeit glimpflich überleben. (...)


    Zakhar Prilepin gelingt mit dichter, sinnlicher Sprache ein außergewöhnliches Panorama von Lebensschicksalen. Der Roman verweist eindrücklich darauf, wohin sich die gesellschaftliche Zukunft Russlands entwickeln könnte.

    In den Worten von Prof. Dr. Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands, Universität St. Gallen: «Prilepin katapultiert mit ‹Archipel Solowki› den russischen Roman ins 21. Jahrhundert.»(bewußt zwei Sätze ausgelassen!)

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Sachar Prilepin - Obitjel / L'Archipel des Solovki“ zu „Sachar Prilepin - Archipel Solowki / Obitjel / L'Archipel des Solovki“ geändert.