James Baldwin - Von dieser Welt / Gehe hin und verkünde es vom Berge / Go Tell It on the Mountain

  • Vorab: Eigentlich ist dies kein neues Buch; das Buch erschien bereits 1953 unter dem Originaltitel "Go Tell It on the Mountain" und 1966 auf Deutsch: "Gehe hin und verkünde es vom Berge". Nun also die Neuübersetzung: "Von dieser Welt".


    Bevor man das Buch liest, lohnt sich evtl. die Lektüre des Wikipedia-Eintrags zu James Baldwin, der als einer der bedeutendsten afroamerikanischen Schriftsteller des 20. Jh. gilt.


    Zunächst lernt man den 14jährigen John Grime kennen. Ein schwarzer, empfindsamer Junge aus Herlem. Er hat nicht nur zu seinem Stiefvater ein sehr gespanntes Verhältnis, er hadert auch mit seinen Lebensumständen. Sein Umfeld ist geprägt von Armut und religiösem Eifer. Und auch vom Hass auf die Weißen. Schließlich befinden wir uns im Amerika der 1930er Jahre. John möchte sein Schicksal gerne selbst in die Hand nehmen und nicht von seinem Vater oder der Kirche fremdbestimmt werden. Als wäre das nicht genug, ist John auch sexuell unschlüssig...


    Das Buch erzählt im Wesentlichen nur von einem Tag. Dabei ist die Geschichte dreigeteilt: Zu Beginn führt es uns über John Grime ein in das Leben im schwarzen Ghetto von Harlem. Man erhält einen ersten Blick auf John und seine Familie. Der zweite, größere Teil erzählt von einem typischen Gottesdienst in dieser Gemeinde. Man schaut über die Gebete dreier Personen tief in deren Gedanken und erfährt viel über die Beziehungen der Personen in Johns Familie untereinander und auch über deren Vergangenheit. Der dritte, sehr kurze Teil ist praktisch der Heimweg der Protagonisten.


    Eigentlich also eine recht harmlose Erzählung. Aber James Baldwin kann erzählen! Selten wurde ich so kunstvoll in die Vergangenheit versetzt. Teilweise merkte ich erst ein paar Sätze später, dass man sich in einer Rückblende befindet. Selten wurden mir so raffiniert die Beziehungen zwischen den Personen geschildert. Manchmal habe ich mir im eBook Notizen gemacht wie "Wer ist jetzt das?" oder "Das kann doch nicht die ... sein?" nur um wenig später Gewissheit zu erlangen. Das Ende des Buches finde ich auch gelungen, wenngleich es etwas (oder sogar ziemlich) offen bleibt.


    Ein bisschen meckern möchte ich lediglich über eine doch arg ... bildhaft ... um nicht zu sagen ... biblisch/apokalyptisch ... geschilderte Szene. Das erinnerte mich sehr an die Offenbarung des Johannes aus der Bibel. Das war mir etwas zu viel des Guten. Na, man muss es gelesen haben. :wink:


    Für mich ist das Buch ein Highlight. Und es zeigt mir wieder mal, dass Büchersendungen wie der "Literaturclub" oder "Das literarische Quartett" gut und wichtig sind. Denn sonst hätte ich nie zu dem Buch gegriffen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Danke beedaddy für diese Rezension, ich bin bei Seite 90 ((eBook) irgendwann hängen geblieben :uups: werde mich jedoch beeilen und das Buch fertig lesen. Was ich schon zu Beginn sehr bemerkenswert fand zu lesen "Das Vorwort" - viele Aussagen welche noch lange nachhallen.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „James Baldwin - Von dieser Welt / Go Tell It on the Mountain“ zu „James Baldwin - Von dieser Welt / Gehe hin und verkünde es vom Berge / Go Tell It on the Mountain“ geändert.
  • Die Erzählung unterteilt in fünf Kapiteln, mit fünf Gebeten widmet sich jeweils einem neuen Protagonisten. Die Hauptfigur ist John, ein afroamerikanischer Junge welcher mit 14 Jahren inmitten des schwierigen Alters der Adoleszent steht. Das Geschichte findet, geprägt durch Rückblenden an einem einzigen Tag statt.

    John lebt mit seiner Familie, Vater Gabriel ein sehr strenger Mann, der Mutter, seinem Bruder Roy und den beiden jüngeren Schwestern in Harlem

    Dem Vater, Prediger und sehr an seine Religion gebunden gelingt es nicht, Verständnis aufzubringen dass seine Familie anders denken kann wie er, wobei er von Hass und Wut überwältigt seine Söhne wenn er es für notwendig hält schlägt. Denn er verlangt dass sich ihr Leben und ihre Ambitionen ausschliesslich auf den Herrn ausrichtet.

    Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der aktuellen Situation, in einem schmutzigen und gewaltätigem Harlem, John welcher eine gewisse Unruhe in sich spürt, ein Vater der hasst, und einer Mutter welche sich sehr herablassend gibt.

    In drei Zwischenkapiteln wird die Geschichte von Florence, Schwester von Gabriel, von Gabriel selbst und von Elisabeth der Mutter der Protagonistin geschildert, wobei das Leben dieser drei Charaktere so miteinander in Beziehung gesetzt wird, dass sich die enge Verbindung hervorhebt, die sie verbindet


    Ohne Zweifel ist die Religion das Hauptthema, der Hintergrund aller Ereignisse. Sie gibt den Menschen Halt in einer Welt voller Aggression und Intoleranz. Dennoch ganz von den Gedanken des Aberglaubens und der Heuchelei ist sie nicht befreit.


    Ein Thema das dem Autor sehr am Herzen liegt ist der Rassismus. Die Charaktere müssen sich täglich mit Diskriminierung aus der weissen Gemeinschaft auseinandersetzen. Aber es gibt Menschen wie John der begreift dass nur ein Teil von ihnen diese negative Haltung Ihnen gegenüber aufrecht hält um ihre Überlegenheit zu demonstrieren.

    Die Älteren jedoch, wie Gabriel, erinnern sich an Episoden ihrer Jugend, können nicht objektiv sein und verurteilen alle Weissen für jede Handlung und jeden Fehler, der von einem von ihnen begangen wird.

    Zitat

    »Siehst du?«, kam es jetzt von seinem Vater. »Das waren Weiße, welche von den Weißen, die du so gern hast, die wollten deinem Bruder die Kehle durchschneiden.

    Insbesondere in dieser Episode zeigt sich Gabriels Verzweiflung und Wut, als Johns jüngerer Bruder Roy nach einem Stich heimlich nach Hause kommt und der Vater, ohne die wahren Schuldigen zu kennen, den "schmutzigen Weissen" den Fehler zuschiebt

    Bis die ganze Situation eskaliert und in wüsten Beschimpfungen Schlägen ausartet.

    Solche Szenen gehen unter die Haut, man spürt die Hilflosigkeit der Familie gegenüber dem Vater.


    Fühlbar sind die Beschreibungen der Umgebung und der Bedingungen der Figuren, eine arme Gemeinschaft, die gezwungen ist, in Situationen zu leben am Rande einer akzeptablen Hygiene.

    Zitat

    Schmutz klebte an den Wänden und auf den Dielen und frohlockte unter der Spüle, wo die Kakerlaken nisteten, haftete in den feinen Rillen der Töpfe und Pfannen, die, täglich geschrubbt, mit schwarzgebrannten Böden über dem Herd hingen, klebte an der Wand, vor der sie hingen, und zeigte sich, wo die abgeplatzte Farbe abstand, in steifen Splittern und Kanten, deren Unterseite hauchdünn schwarz überzogen war. Schmutz steckte in jeder Ecke, jedem Winkel und Riss des riesigen Herds und hauste dahinter in rauschhaftem Verbund mit der verrotteten Wand



    James Balwin hat einen beeindruckenden Stil, kurze Sätze, bedeutungsvoll, oftmals angelehnt an biblische oder andere religiöse Texte. Die Dialoge sind sehr präzise, wohlproportioniert bis ins kleinste Detail. Vor allem die starke Charakterisierung der weiblichen Figuren der Geschichte ermöglicht es dem Leser sich mit ihnen zu identifizieren und ihnen zuzustimmen.


    Ein wunderbares Buch, ich bin froh dass es neu aufgelegt wurde. Somit konnte ich einen Autor kennen lernen welcher in der Lage ist eine Atmosphäre zu schaffen welche berührt. Ein Thema welches für die Zeit und die Geschichte Amerika in den 1930er Jahren relevant ist, teilweise unbekannt oder zu wenig bekannt.

    Einige Teile des Romans sind sicherlich obsessiv in ihrer Religiosität, nicht besonders leicht lesbar, besonders wenn der Autor sich in Gebete und Lieder ergiebig auslässt.

    Zitat

    Bedenken wir stets, dass der Tod der Sünde Sold ist, dass geschrieben steht, unerbittlich, welche Seele sündigt, die soll sterben. Bedenken wir stets, dass wir in Sünde geboren sind, in Sünde haben unsere Mütter uns empfangen – die Sünde beherrscht uns bis in die Fingerspitzen, die Sünde fließt durch jedes unreine Herz, die Sünde blickt uns aus den Augen, amen, und führt zu Wollust, die Sünde sitzt in unseren Ohren und führt zu Torheit, die Sünde sitzt auf unserer Zunge und führt zu Mord.

    Durch das sehr ausführliche Vorwort lernt man den Autor James Baldwin sehr gut kennen, und spürt wie wichtig ihm alle Aspekte des Zusammenlebens der Afroamerikaner und Weissen sind, ohne dass er Partei ergreift, dem Leser zu vermitteln.


    Wie James Baldwin den Wunsch veranschaulicht, dass nur Gerechtigkeit die Lösung einer friedvollen Gemeinsamkeit sein kann, klingt lange nach.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Als ich für eine Challenge zum Thema "Familiengeschichte" etwas lesen musste, verdrehte ich erst die Augen, hatte ich doch diese eher nicht meinem Lesegeschmack entsprechenden "typischen" Familienromane vor Augen. Auf die Buddenbrooks hatte ich auch gerade keine Lust. Doch dann wurde ich auf James Baldwin aufmerksam gemacht, seines Zeichens einer der berühmtesten Autoren Amerikas.

    Noch vor "Moonlight" und der immer aktueller werdenden Diskussion über die Rechte von Minderheiten schrieb Baldwin über das Leben als Schwarzer und die Homosexualität. "Von dieser Welt" ist ein stark autobiographischer Roman, in dem der Autor eigene Erlebnisse aus seiner Kindheit und Jugend verarbeitet. Und das in den prüden 50er- und 60er-Jahren!

    Dieses Buch hinterlässt Eindruck, selbst nachdem man es ausgelesen hat. Es spricht warm und deutlich direkt in unser Herz und zeigt, was eine dogmatische Religion alles anrichten kann. Dabei ist der Aufbau der Handlung von Anfang an sehr durchdacht und gekonnt inszeniert.

    Erst sind wir beim jungen John, der in seinem Leben sehr zu kämpfen hat. Danach nähern wir uns über andere Familienmitglieder der alles dominierenden Vaterfigur an. Hier erklären sich die Hintergründe, weshalb John so zu leiden hat. Es sind Erklärungen, keine Entschuldigungen. Doch werden diese dem Leser Schritt für Schritt eröffnet und erläutert.

    Oft frage ich mich, ob John es im 21. Jahrhundert besser hätte? Wahrscheinlich nicht, wenn man seine Lebensumstände betrachtet. Aber er hätte mehr Anlaufstellen, mehr Hilfe und würde vielleicht erfahren, dass er nicht alleine ist.

    Das Buch liest sich ziemlich schnell weg, da die Schrift relativ gross gehalten ist. Dennoch will das nicht heissen, dass es einer dieser Titel ist, die man liest und dann vergisst. Eher im Gegenteil. Baldwin beschreibt seine Erlebnisse derart intensiv, dass man richtiggehend in diese familiäre Misere hineingezogen wird. Loslassen wird einem das Buch bestimmt nicht mehr. Mich auf jeden Fall nicht.

  • Im ersten Teil (der Roman besteht aus drei Teilen, von denen der zweite Teil aus drei Abschnitten besteht) hatte ich noch die Befürchtung, der Roman werde eher brav werden – gerade wenn ich ihn unterbewusst mit dem überbordenden „Der unsichtbare Mann“ von Ralph Ellison (1953) und dem emotional aufwühlenden, etwas auf Effekt zielenden „Black Boy“ von Richard Wright (1945) vergleiche. Außerdem musste ich meine Erwartungshaltung – unterstützt durch die die Neuübersetzung flankierende Berichterstattung – erst einmal am Buch selbst abschleifen. Wer eine mustergültige Geschichte über Rassismus erwartet, könnte enttäuscht werden. Der Kern der Geschichte ist es nicht, Rassismus aufzuzeigen. Er wird eher miterzählt. Auch als Ikone der afroamerikanischen Literatur und der US-Bürgerrechtsbewegung hat Baldwin das Recht, noch andere Themen zu beackern!:wink: Stattdessen bekommt der Leser die Innenperspektive einer zerstörten Familie serviert. Und brav ist die Geschichte auch nicht, vielmehr kultiviert und mit großer Sprachbeherrschung erzählt. Was leicht und fließend wirkt, war sicherlich Schwerstarbeit am Schreibtisch: in großer Kürze ganze Lebensgeschichten zu erzählen. Wie man dahin kam, wo man jetzt ist.:thumleft:


    Gebündelt wird das im Rahmen eines Erweckungsgottesdienstes in einer Pfingstgemeinde in Harlem, in der der Stiefvater der 14-jährigen Hauptfigur John als Prediger wirkt. Anhand der Gedanken und Gebete werden in den drei zentralen Abschnitten des zweiten Teils die Vorgeschichten von Johns Tante Florence, die eine angenehm aufmüpfige Person ist, von Johns Stiefvater Gabriel, der ein dogmatischer und selbstherrlicher Mann ist, und Johns Mutter Elizabeth, die einiges über Johns wahren Vater Richard und sein trauriges Ende zu berichten weiß. Aus Florences Geschichte erfährt man einiges über Gabriels Vorgeschichte als Schwerenöter und aus Gabriels Geschichte erfährt man etwas über seine erste kinderlose Ehe mit Deborah, seinen Seitensprung zu der leichtlebigen Esther und das Schicksal seines Sohnes Royal. Der dritte Teil des Buches zeigt ein ekstatisch-religiöses Erweckungserlebnis Johns während des Gottesdienstes einschließlich Nahtoderlebnis und göttlicher Errettung. Das ist schon sehr bildhaft beschrieben!


    Wurde John – der sexuell unentschlossene Jugendliche - im ersten Teil gezeigt, wie er gedanklich aus der Familie ausschert (vor allem aus der Beziehung zu seinem selbstherrlichen Stiefvater, der den in die Ehe mitgebrachten Bastardsohn seiner Frau inzwischen verachtet, wo er selber einen ehelichen Sohn gezeugt hat, selbst wenn der eher zum Hallodri taugt), scheint diese Bewegung im dritten Teil fortgesetzt – nicht zuletzt durch eigene Entscheidung: Johns Erweckung als absolut individuelle Erfahrung geschieht vollständig ohne Vermittlung durch einen Priester oder Prediger, in diesem Fall also seinen gehassten, engherzigen Stiefvater. Entsprechend abweisend und kleinredend reagiert der Vater auch. Man kann davon ausgehen, dass die im ersten Satz des Romans geäußerte allgemeine Vermutung seines familiären und anderen sozialen Umfeldes, John würde in die Fußstapfen seines Vaters treten und Prediger werden, abschlägig entschieden wird: Jetzt, wo er durch seine religiöse Erweckung im Grunde eben dazu befähigt wäre, wird er diese Erfahrung wohl nur für sich selbst nehmen, um die Einflussspähre seines Vaters zu verlassen. John "braucht" seinen Vater nicht mehr, er ist ihm nun ebenbürtig. :)


    Ein großartiger, religiöser Roman mit famos durchgestalteten Innenperspektiven. Er zeigt sowohl, wie Religion in der Lage ist, einen Menschen zu tragen, als Weg zur Selbstermächtigung, als auch die zerstörerischen Kräfte der Religion, wenn Lebenswelten niedergemacht werden und das Leben innerhalb einer Familie oder Gemeinschaft in aufgepropften Schuldgefühlen und Abwertung verkümmert. Der Stiefvater, den sein zu vermutender Selbsthass über sein „sündiges Versagen“ zu übergroßem Dogmatismus und Engherzigkeit gegenüber anderen verleitet. Verdrängung der Selbstanalyse durch nach außen getragenen Hass. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und da kommt dann auch wieder der Rassismus der Gesellschaft zurück auf die Bühne, der in den Vorgeschichten ständig präsent war (Deborahs Gewalterfahrung und Richards Erfahrungen mit der Polizei). Also nicht gleich Plärren, wenn in einem Roman mal Religion stattfindet, :wink:sondern einfach mal diesen Baldwin lesen. Das ist sehr prägnant und pointiert. Ein echter Meistererzähler mit sehr eindrücklichen Innenperspektiven der Figuren.


    Die Übersetzung ist flüssig, kommt mir manchmal allerdings etwas sehr modern vor. Und ich frage mich wirklich, warum sie diesen langweiligen deutschen Titel gewählt haben, wenn man ihn auch weiterhin einfach „Gehe hin und verkünde es vom Berge“ hätte nennen können. Ich finde den neuen Titel sogar fast verkehrt. Dann was heißt den „von dieser Welt“ in einem religiösen Kontext? Weltlich vs. Geistlich? Eine solche Eindeutigkeit liegt Baldwin meiner Ansicht nach sehr fern!

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Jean van der Vlugt , das Buch liegt schon länger auf meinem Stapel - jetzt werde ich es hervorholen.

    Deine Rezension macht mir Dampf.

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • das Buch liegt schon länger auf meinem Stapel - jetzt werde ich es hervorholen.

    Da wünsch ich Dir viel Spaß! :winken:Es sollte mich wundern, wenn du enttäuscht wirst. Aber man weiß ja nie...


    Ich vermute aber doch, dass der Roman erzählerisch bei Baldwin noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Da geht sicher noch mehr! :)


    Mich würde ja die erste deutsche Übersetzung im Vergleich interessieren. Wie dort z.B. mit den sexuellen Anspielungen umgegangen. Und ob die Sprache "alttestamentarischer" ist. Oder im Grunde: Wie sich das im Original liest. Man darf nicht vergessen, dass das Buch über 70 Jahre alt ist!

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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  • Und ich frage mich wirklich, warum sie diesen langweiligen deutschen Titel gewählt haben, wenn man ihn auch weiterhin einfach „Gehe hin und verkünde es vom Berge“ hätte nennen können. Ich finde den neuen Titel sogar fast verkehrt. Dann was heißt den „von dieser Welt“ in einem religiösen Kontext? Weltlich vs. Geistlich? Eine solche Eindeutigkeit liegt Baldwin meiner Ansicht nach sehr fern!

    Da ich erst später erfahren habe wie der ursprüngliche Titel hiess, habe ich erst danach mich erkundigt wieso er geändert wurde. Deshalb für die Interessierten

    Ein schwieriger Titel

    Doch der Roman, der in Deutschland "Gehe hin und verkünde es vom Berge" hieß, hat nun den Titel "Von dieser Welt" bekommen. Man kann das durchaus für eine Missachtung des Autors und seiner Intentionen halten, für die "Verweltlichung" eines Romans, in dem es um die Verheerungen religiösen Wahns geht und um Menschen, die vor allem um eines kämpfen: um ihr Seelenheil und ihre wahre Identität als Schwarze in einer von Weißen beherrschten Gesellschaft.


    Baldwin hat jahrelang mit dem Roman gerungen und wusste lange nicht, wie er Thema und Sprache zusammenbringen sollte, er hat sich dann ganz bewusst für diesen Titel - "Go Tell it On The Mountain" - entschieden, der auf einen bekannten Gospel-Song anspielt und bereits andeutet, wovon der Roman im Kern handelt: Es ist ein Roman über den Zusammenhang von religiöser Verzückung und politischer Unterdrückung, ein Roman über den Glauben von Schwarzen, die sich einer von Weißen geprägten Religion und einem weißen Gott verschrieben haben und dabei nicht merken, dass sie mit der Sehnsucht nach dem Paradies ihre vermisste Freiheit ins Jenseits verschieben und mit der Verkündigung des christlichen Glaubens auch ihre eigene Unterdrückungsgeschichte akzeptieren und permanent fortführen.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Danke, serjena . :thumleft:Das ist ein guter Hinweis. Vor allem das Zitat:

    und dabei nicht merken, dass sie mit der Sehnsucht nach dem Paradies ihre vermisste Freiheit ins Jenseits verschieben und mit der Verkündigung des christlichen Glaubens auch ihre eigene Unterdrückungsgeschichte akzeptieren und permanent fortführen.

    hat mir gefallen. Ist ja gewissermaßen ein "gängiges Problem", wenn man die Verbesserung der Zustände, in denen man lebt, ins Jenseits aufschiebt. Aber in der Verbindung mit rassistischen Gesellschaften bekommt das Problem selbstverständlich gleich noch einen anderen Drall: Man vergisst, die diesseitige Hierarchie in Frage zu stellen.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

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  • Ein großartiger, religiöser Roman mit famos durchgestalteten Innenperspektiven.

    Ja. Absolut.

    Mir war die Darstellung des Erweckungserlebnisses zu lang, und dann fragt man sich natürlich, warum der Autor das so macht.

    Die Rolle der Religion bzw. der besonderen autonomen (mehr oder weniger) Gemeindeform ist offensichtlich die der Disziplinierung und der Kollektivierung. Die Gemeinde stabilisiert und ordnet, sie gibt dem Einzelnen einen festen sozialen Rahmen und achtet auf die Einhaltung dieses Rahmens. Sie stabilisiert allerdings auch die sozialen Verhältnisse, und der ständige Verweis auf die Sündhaftigkeit des Menschen trägt ebenfalls dazu bei. Das Gottesbild fand ich auch interessant - da blinkt immer wieder der alttestamentarische Rächergott durch.


    Mir hat die Darstellung der "sexuellen Unentschlossenheit", wie Jean van der Vlugt es nennt, sehr gut gefallen. Eigentlich ist John, der junge Protagonist, nicht unentschlossen, er weiß es selber nur noch nicht. Und die Verhaltenheit, die Diskretion, mit der der Erzähler auf diese innere Lage hinweist - also das ist sprachlich für mich große Kunst.

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • James Baldwin - Von dieser Welt

    Reifeprozess

    Dies ist kein einfacher Roman. Er verlangt Einiges von einem ab. Aber es ist eine wunderbare Sprache, eine Sprache die aus Bildern besteht, welche beim Leser Gedanken und Gefühle erzeugen. Es ist ein Roman von einer ungeheuren Intensität, die fast etwas abstößt, aber gleichzeitig auch ungeheuer neugierig macht. Es ist ein Roman von einem Virtuosen der Sprache, einem Großen seines Faches.


    Es ist ein Roman über die Schwarzamerikaner. Über ihr Leben in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In einem Land, das von Rassendiskriminierung geprägt ist, und damit ist der Süden, wie auch der Norden des Landes gemeint. Anfänglich wohnen die älteren Hauptakteure in den Südstaaten, wandern aber später in den verheißungsvolleren Norden aus, nach Harlem. Dieser Roman ist von ungeheurer Intensität geschrieben, man spürt diese Welt, man spürt wie es dem Autor in dieser Zeit ging. Man spürt seine Traurigkeit und auch seine Wut über die Ungerechtigkeiten des Lebens. Das zweite große Thema des Romans ist die Religion. Und die Kraft, die die Afroamerikaner aus diesem tiefen Glauben ziehen. Und man spürt die Intensität, die dieser Glaube für die Menschen hat. Man ist förmlich in der Kirche dabei, sieht die Menschen, sieht sie beten und singen. Manchmal klingt das Geschriebene schon sehr prophetisch. Aber dies untermauert nur die Stärke des Glaubens der Menschen. Und der Autor zeichnet seine Charaktere tief, mit allen Eigenschaften die Menschen haben, mit den Positiven, wie auch den Negativen. Das löst wiederum auch eine Bandbreite an Gefühlen beim Leser aus.


    "Nach und nach rief er ihren Namen. Dann drehte er sich um, und sie hielt ihn an ihrer Brust, während er schluchzte. Irgendwann schlief er ein, an sie geklammert, als würde er endgültig untergehen.

    Und es war endgültig. In der Nacht schnitt er sich mit einem Rasiermesser die Pulsadern auf und wurde am Morgen von seiner Wirtin tot unter dunkelroten Laken gefunden; seine Augen starrten lichtlos an die Decke."


    Und ich betone intensive Gefühle, die das Lesen teils etwas schwierig machen, damit meine ich für mich die Rolle des Stiefvaters, der mich schon sehr abgestoßen hat. Im dritten Thema des Buches geht es um die Weiterentwicklung eines Jungen, der seine Umwelt anfängt aus anderen Augen zu sehen, sich mehr seinen Gefühlen zu öffnen, ehrlich zu sich selbst zu sein und sich seiner sexuellen Orientierung zu öffnen und authentisch zu leben. Dieser Roman wird getragen von starken autobiographischen Zügen, Baldwin verarbeitet sein Leben in diesem Werk.


    Aber es ist ein Buch für das man bereit sein muss !

  • Meine Meinung:


    Erstmal vorweg muss man erwähnen, dass James Baldwin ein großartiger Erzähler ist, da gibt es wirklich nichts anderes zu sagen. Persönlich habe ich mich vor allem mit dem Thema Religion getan, dass zieht sich nämlich auch als großes Thema durch das Buch und das zweite persönliche Manko was ich habe sind Beziehungen, aber das ist hier nicht ganz so schlimm gewesen, denn es gibt ja nur die paar wichtigen Personen, die in Beziehungen stehen. Es war definitiv große erzählerische Kunst, aber sie wurde halt trotzdem getrübt durch das Thema und auch teilweise durch die Figuren an sich, denn Gabriel war ein echt großer Unsympath. Trotzdem konnte ich das Buch zu Ende lesen und werde mit ein bisschen Abstand auch seine anderen Werke lesen. Eine andere Zeit, eine andere Kultur, tiefer religiöser Glaube verpackt in großer Erzählkunst der von mir leider nicht ganz so honoriert werden kann, wie er es eigentlich verdient gehabt hätte.


    Fazit:


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: Feuerkind (Stephen King) 34 / 542 Seiten

    :study: 111 Pflanzen die man kennen muss (Klaudia Blasl) 240 / 240 Seiten

    :study: Mit Nachsicht (Sina Haghiri) 0 / 268 Seiten



    SUB: 857

  • (auf Englisch gelesen)


    James Baldwin – Go tell it on the mountain


    Original : Englisch/USA, 1952


    Was für eine Schreibe dieser Baldwin doch hat ! Und mE merkt man sehr schnell, dass er was zu sagen hat. Er passt seine Sprache dem Redner an, nimmt seinen Sprachschatz auf. Wenn er aber als auktorialer Erzähler beschreibt, kommt eine Klarheit zu Tage, die beeindruckend ist. Und man versteht, dass er unter die großen Intellektuellen und Denker zu zählen ist.


    Wenn er – zum Leidwesen einiger – hier in einer sehr religiös geprägten Sprache eine gewisse Atmosphäre beschreibt, dann weil sie unabdingbar zu dem von ihm erlebten und beschriebenen Alltag dazugehörte. Und hört sich vieles für uns seltsam an, so ist dies sicherlich eine Stimmung, die Baldwin quasi im Blute mitgegeben wurde. Das erfindet oder lernt man nicht. Das Buch ist nur so gespickt von Bibelzitaten und -andeutungen, die halt viele von uns nicht mehr zuordnen können, jedoch zeigen, dass Baldwin darin gebadet hat. Ich finde es übrigens schade, dass der neue deutsche Titel hier einfach woanders hindeutet… Welcher Mangel an Mut dahintersteht ?


    Er betrachtet an diesem Tage X im Jahre 1935 die jeweils persönlichen Geschichten mit Blenden zurück und nimmt jeweils den Standort des Protagonisten ein. Das passiert eigentlich vorurteilslos. Und Reverend Gabe, der auf den ersten Seiten schon eigentlich abgeschrieben war, erhält auch durch diese besondere Perspektive eine gewisse Form der Begründung für sein Handeln. Das fand ich schon besonders stark.


    @beedady lud zum Lesen der Bemerkungen zu Baldwins Person ein. Wer dies nicht tun sollte würde versäumen zu erahnen, inwieweit Baldwin hier eigene Jugend und Familienverhältnisse wiedergibt, so dass man durchaus von einem autobiographisch geprägten Roman sprechen kann. In seinen späteren Jahren hat sich Baldwin anscheinend distanziert vom Glauben dieser Jugendjahre, die er da beschreibt. Dennoch kommt in den letzten Seiten des Romans eine Dringlichkeit hoch, die den jugendlichen John sagen läßt, dass er diese Erlebnisse eben einmal erlebt hat, sie bestimm(t)en ihn.


    Ich hatte schon oft hier und da von Baldwin gehört oder kleine statements gelesen, aber dieses Buch ist schon echt spitze ! Und lädt mich zum "Mehr-Lesen" ein!