Milena Michiko Flasar - Herr Kato spielt Familie

  • Amazon Klappentext (Kurzversion):

    Endlich Zeit. Er könnte nun das alte Radio reparieren oder die Plattensammlung ordnen. Doch als er der jungen Mie begegnet, die ihm ein seltsames Angebot macht, beginnt er die Dinge anders zu sehen. Ein zarter Roman über einen späten Neuanfang und über das Glück.


    Zur Autorin (Quelle: Wagenbach-Verlag):

    Milena Michiko Flašar ist 1980 in St. Pölten geboren. Ihr Roman Ich nannte ihn Krawatte wurde über 100.000 Mal verkauft, als Theaterstück am Maxim Gorki Theater uraufgeführt und mehrfach ausgezeichnet. Er stand unter anderem 2012 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und wurde in zahlreichen Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien.

    Mein Eindruck:

    Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Buch ist kein Buch für jemanden, der Tempo, Aktionen, dramatische Zuspitzungen und dergleichen sucht. Dieses Buch ist eher etwas für einen Leser, der leise Töne mag und auch nichts dagegen hat, einen Satz zweimal zu lesen.


    Mir hatte Milena Flasars erstes Buch, Ich nannte ihn Krawatte, schon so gut gefallen. Auch dieses kleine Buch spielt wieder im Heimatland ihrer Mutter, und auch hier geht es wieder um soziale Bindungen, um soziale Zugehörigkeiten. In Krawatte ist es die Arbeitslosigkeit und der schulische Druck, die zur Ausgrenzung führen – und hier ist es das Erreichen des Rentenalters.


    Der Protagonist – alle Figuren bleiben ohne Namen – bekommt von seinen Kollegen einen Rollkoffer geschenkt, um seine lang geplante Reise nach Paris zu machen, aber daraus wird nichts. Statt dessen streift er durch seinen Vorort, langweilt sich, und leider attestiert ihm der Arzt auch Gesundheit. Krankheit wäre doch eine gute Beschäftigung! Soll er sich einen Hund anschaffen? Der Hund hat bereits einen Namen – aber nein, zu unpraktisch. Lieber tratzt er seine Frau, die ihm einfach nicht die zugenähten Hosentaschen auftrennt, und bemitleidet sich selber. Er ist auch bemitleidenswert: er weiß ohne berufliche Leistung nicht mehr, wer er eigentlich ist. Familie? War Sache seiner Frau.

    Er ist wahrlich kein Sympathieträger in seiner boshaften, misstrauischen und spießigen Kleinkariertheit.


    Schließlich lernt er auf einem seiner Spaziergänge die Inhaberin einer Agentur kennen, für die er als Freund bzw. Verwandter vermietet wird, um anderen Menschen das Vorgaukeln einer heilen Welt zu ermöglichen.


    Und damit ist die Autorin beim Thema:

    Welche Erwartungen haben wir an andere Menschen?

    Welches Bild haben wir von uns, welches die anderen Menschen von uns?

    Was wollten wir tun, und was haben wir getan?

    Der Protagonist kommt ins Grübeln. „Was ist schon wahr, und was nicht?“

    Schließlich hat er die Vision, dass die Rollen vertauscht sind: nicht er spielt Familie, sondern spielen vielleicht alle anderen eine Rolle, um ihn nachdenken zu lassen? Denn die Rollen

    seiner Parallelwelt wirken auf ihn zurück.


    Milena Michiko Flasar erzählt diese Geschichte in leichtem Ton, ein ironischer Unterton schwingt mit, und man merkt als Leser, dass dieser Spießer ihr sympathisch ist.


    Für mich war das Buch wie ein Sauerteig, mir fällt kein anderes Bild ein: man liest das Buch recht schnell, aber dann gärt der Inhalt in einem herum und entfaltet sich schließlich, und man erkennt die Verzweiflung eines Menschen, der sich im Hamsterrad dreht. Aber: ein tröstlicher, hoffnungsvoller Schluss.



    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Herzlichen Dank, drawe!

    Mir hatte Milena Flasars erstes Buch, Ich nannte ihn Krawatte, schon so gutgefallen. Auch dieses kleine Buch spielt wieder im Heimatland ihrer Mutter, undauch hier geht es wieder um soziale Bindungen, um soziale Zugehörigkeiten. In Krawatte ist es die Arbeitslosigkeitund der schulische Druck, die zur Ausgrenzung führen – und hier ist es dasErreichen des Rentenalters.

    Auch mir hatte dieses erste Buch ausserordentlich gut gefallen, und es wurde auch hier besprochen: Milena Michiko Flasar, Ich nannte ihn Krawatte Nun macht sie galso gut weiter! Erfreulich! Ist notiert!

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Milena Michiko Flasar, Herr Kato spielt Familie“ zu „Milena Michiko Flasar - Herr Kato spielt Familie“ geändert.
  • Nun macht sie galso gut weiter! Erfreulich!

    Ja, sie macht weiter. Im Nachwort entschuldigt sie sich bei ihren Lesern, dass sie so lang haben warten müssen, aber ich finde, das Warten hat sich gelohnt.

    Mal sehen, wie es weitergeht. Sie kann ja nicht immer über soziale Isolation schreiben ...?

    :study: Percival Everett, James.

    :musik: Agatha Christie, Mord im Pfarrhaus.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Endlich habe ich nun auch dieses Buch von Flasar gelesen und… sehr gemocht. Und es macht Hunger auf mehr ! Nach drawe s Worten brauche ich nicht komplett eine neue Rezi anzufangen.


    Von mir die Bemerkung, dass ich die Sprache sehr originell fand (das schlichte, aber schöne Cover ist ebenfalls schön) ! Ja, die Autorin beschreibt oft innere Zustände, oder die äußeren Anzeichen für sie und eine Handlung, auf die man erst kommen muss. Dabei kommt sie oft mit einem leichten Schelm im Nacken daher – ich finde keinen anderen Ausdruck. Oder eben Humor.


    Man könnte durchaus die Befindlichkeit von « Herrn Kato », und somit das Buch, in zwei Teile splitten, die seiner Beschäftigung entsprechen. Einerseits in die Zeit der Unbestimmtheit, scheinbar frei und selbstbestimmt, aber in Wirklichkeit ziellos und verbiestert. Und andererseits in jene Zeit der Übernahme einer Aufgabe, ja, einer Rolle, die plötzlich nicht nur immer mehr sinnstiftend im Drumherum wirkt, sondern wirklich befreiend und glücklichmachend. Diese simple Feststellung - oder muss man sagen These ? - mag zunächst überraschen. Damit rede ich nicht für eine Künstlichkeit oder gar Gekünsteltheit einer Unterordnung, sondern über die Entdeckung seiner Gaben im Sich Aneignen von den verschiedensten menschlichen Sorgen und Fragen.


    Eigentlich eine schöne Sache ! Ein gutes Buch !


    Und diese Autorin sollte man tatsächlich definitiv im Auge behalten !


    "Die Grundlage von Glück, so wie ich sie Ihnen auseinandergesetzt habe, ist in Wahrheit ein schwankender Boden, und es mag uns gelingen die Balance zu halten, dem einen mehr, dem anderen weniger, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er jederzeit unter uns einbrechen kann, und das zu wissen, ist schon das Meiste, was wir überhaupt leisten können, zu wissen, wir stehen mit beiden Beinen über einem Abgrund."

    (S. 84)