Jo Nesbø - Macbeth: Blut wird mit Blut bezahlt / Macbeth

  • Kurzmeinung

    Hirilvorgul
    Gelungene Adaption, die sich durch die Namensgebung aber selbst spoilert.
  • Kurzmeinung

    Marie
    Gelungene Mixtur aus Shakespeare und Harry Hole
  • EIgenzitat aus amazon.de


    “Das schottische Spiel“, das angeblich mit einem Fluch belegt ist, ist vielen ehemaligen Schülerinnen und Schülern bekannt, weil es das kürzeste der Shakespeare-Stücke ist und es darum gerne von Lehrkräften für den Unterricht verwendet wird. Die Geschichte um den schottischen Adligen, der auf Grund einer Prophezeiung dreier Hexen plötzlich Ambitionen entwickelt und – auch angestachelt von seiner Frau – alle tötet, die in der Herrschaftsfolge vor ihm stehen um König zu werden hat viele Generationen mit Shakespeare vertraut gemacht.


    Jo Nesbo hat nun diesen kürzeste Drama genommen und die bisher längste Adaption an moderne Zeiten geschrieben, die bisher im Hogarth-Shakespeare-Projekt veröffentlicht worden ist. In ihr ist Macbeth – kurz Mac für seine Freunde – der Kommandant einer SWAT-Einheit in einer herunterge-kommenen Industriestadt, die lange von einer korrupten Stadtregierung gesteuert worden ist – in Zusammenarbeit mit der „unsichtbaren Hand“ von Hecate, einem überaus gerissenen Gangsterboss. Polizeichef Duncan, sehr geschätzt von Macbeth, hat sich entschlossen nachdem er von seinem korrupten Vorgänger übernommen hat, die Stadt – und die Polizei – von Korruption zu reinigen.


    Nach einer missglückten Razzia von Duff, Macs alten Freund aus dem Waisenhaus, kann Macbeth mit seinen Leuten den ambitionierten Polizisten und seine wenigen Begleiter retten und eine große Ladung Drogen landet in einem Fluss. Als Reaktion darauf bekommt Macbeth die Leitung einer wichtigen neuen Abteilung auf die eigentlich Duff mit seiner Aktion gesetzt hatte. Bevor er selbst von dieser Position hören kann, wird sie ihm allerdings durch Mitarbeiter Hecates vorhergesagt – was ihn empfänglich für andere Vorhersagen des Verbrecherbosses macht. Und Lady, die Kasinobesitzerin, mit der Macbeth zusammenlebt – in einem Kasino namens Inverness – treibt ihn immer weiter an, da auch sie die Vorzüge der Macht allzu gut kennt. Und die Gefahr der Machtlosigkeit.


    Anders als in Shakespeares Stück bekommen wir hier zu allen Charakteren eine Menge biographi-schen Hintergrund und stellen fest, dass jeder und jede von ihnen ihren eigenen Ambitionen folgen und sehr gut darin sind, ihre Handlungen immer wieder vor sich selbst und vor anderen zu rationalisieren. Anders als im Stück gibt es in diesem überaus düsteren und mystisch durchsetzten Thriller keinen „weißen“ Ritter. Selbst die „Heldinnen und Helden“ haben überaus dunkle Punkt ein ihren respektiven Vergangenheiten oder in ihren Motivationen – und sie benötigen zum Teil ziemlich lange, um dies vor sich selbst zuzugeben. Was sie zu genauso diskutierbaren Charakteren macht, wie sie für Schülerinnen und Schüler Macbeth und seine Lady schon seit Generationen gewesen sind.


    Ein anspielungsreicher, spannender und überaus düsterer Thriller voller sprachlicher Schönheit und Wucht, den ich bestimmt noch einmal irgendwann genießen werde. Dringende Leseempfehlung. :study::study::thumleft:

  • Klappentext (Quelle: Amazon):

    Jo Nesbøs packender Thriller über die Gier nach Macht

    Er kennt seine Feinde nur allzu gut. Inspector Macbeth ist der taffste Cop in einer maroden Industriestadt im Norden. Einen Deal nach dem anderen lässt er hochgehen, die Drogenbosse beißen sich an ihm die Zähne aus. Doch irgendwann wird die Verlockung zu groß: Geld, Respekt, Macht. Schnell aber wird ihm klar, dass einer wie er, der schon in der Gosse war, niemals ganz nach oben kommen wird. Außer – er tötet. Angestachelt von seiner Geliebten, schafft er sich einen Konkurrenten nach dem anderen vom Hals. In seinem Blutrausch merkt er nicht, dass er längst jenen dunklen Kräften verfallen ist, denen er einst den Kampf angesagt hat.


    Mein Leseeindruck:


    Shakespeares „McBeth“ von 1606 ist ein faszinierender Stoff über die Jahrhunderte hinweg: die Tragödie eines Menschen, der in seinem Ehrgeiz Recht und Gesetz außer Kraft setzt und tief fällt, eine Geschichte um Vorherbestimmung und um Schuld.

    Wie Nesbo diesen Stoff im Rahmen desadaptiert, hat mich begeistert. Ausgangspunkt ist das Hogart-Shakespeare-Projekt aus Anlass des 400. Geburtstag von Shakespeare (https://en.wikipedia.org/wiki/Hogarth_Shakespeare) , an dem namhafte Schriftsteller wie Anne Tyler, Margaret Atwood und Gillian Flynn teilnehmen.

    Nesbo ist also in guter Gesellschaft!


    Nesbo übersetzt den Stoff in die 70er Jahre und in eine düstere, ständig verregnete Stadt, die von Korruption und Gewalt geprägt ist und ihren Bürgern keine Lebensqualität mehr bietet. Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit, Drogen, politische Intrigen sind der Alltag.

    McBeth stammt bei Nesbo aus kleinsten, asozialen Verhältnissen, ein underdog, dessen Lebensziel der Beruf des Messerwerfers ist – hier drängt sich die Assoziation an die Figur des Mackie Messer aus Brechts Dreigroschenoper direkt auf. Er läutert sich jedoch zum Polizisten und tritt mit dem Ziel an, seine Heimatstadt wieder zu einem lebenswerten Ort zu machen – um dann aufgrund seines wachsenden, fast maßlosen Ehrgeizes immer tiefer selber darin verstrickt zu werden.


    Natürlich muss die Adaption gelegentlich hakeln. Der schottische Königsthron kann nicht McBeths Ziel sein, wohl aber das Amt des Polizeichefs und schließlich das des Bürgermeisters. Die Adaption hakelt auch dann, wenn Nesbo gelegentlich Ursache und Folge vertauschen muss, oder wenn der Wahnsinn Ladys etwas plötzlich kommt und seine Ursache in ihrer eigenen Biografie hat. Manchmal zieht sich die Handlung auch etwas.

    Aber diese Schwächen sind eher marginal und dämpfen meine Begeisterung nicht.


    Nesbo übernimmt das Personal des Dramas und gestaltet alle Figuren weiter aus. Wir treffen auf gemischte Charaktere mit Licht und Schatten und ihrer eigenen Biografie. Da es in diesem Thriller nicht um das Herausfinden des Mörders gehen kann, rückt Nesbo damit die Frage nach dem Warum deutlich in den Mittelpunkt, die Frage nach dem, was die Menschen antreibt. Und so gelingt es ihm, dass jede seiner Figuren lebendig wird und völlig glaubwürdig agiert.


    Ungeheuer phantasievoll adaptiert Nesbo die in der Vorlage vorhandenen mythischen Elemente. Wunderbar, wie er die mythischen Figuren der Hecate und der Hexen in die Realität überführt– und vor allem, wie er die geheimnisvollen Prophezeiungen „übersetzt“!


    Und – last not least -: eine Sprache, lyrisch schön, dann wieder wuchtig, aber immer realitätsnah. Ein Vergnügen!


    Fazit:

    ein Roman, der sowohl als Thriller als auch als Shakespeare-Adaption absolut lesenswert ist.

    Ein imposantes Sittengemälde mit faszinierenden Charakteren!


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Osiel Gouneo, Black Romeo.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Sollte man sich vor dem Lesen einen Überblick über die Charaktere bei Macbeth verschaffen?

    Wenn ich das wüsste... Eine grobe Handlungsübersicht vielleicht?


    Ich denke, es kommt darauf an, wie man den Roman in erster Linie lesen will: als Thriller oder als Shakespeare-Adaption.


    Mir hat es einfach sehr viel Spaß gemacht, die Adaption zu beobachten, z. B. wie er die Figuren vertieft und psychologisiert.

    Ich habe daher immer wieder freiwillig während der Lektüre bei Wikipedia (ja, ich geb's zu) nachgeschaut.

    Manche Sätze haben mich an das Original erinnert, das habe ich dann auch genauer wissen wollen (z. B. Lady McBeth I,7, Motiv des Kindes).

    Oder die Prophezeiungen (Wald von Birnam etc.).


    Das wäre für das Verständnis aber nicht notwendig gewesen.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Osiel Gouneo, Black Romeo.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Sollte man sich vor dem Lesen einen Überblick über die Charaktere bei Macbeth verschaffen?

    Nun, es gibt einem einen gewissen Aha-Effekt, aber um die Geschichte als Krimi zu genießen ist das eigentlich nicht notwendig. Aber "macbeth" vorher einmal gelesen - oder besser gesehen - zu haben (aber nicht die letzte Verfilmung :roll: ) vertieft die Lesefreude noch. (Fürs Lesen empfehle ich die Cambridge School Edition, weil die alles so schön aufdröselt.)

  • es gibt einem einen gewissen Aha-Effekt,

    Das beschreibt es gut, denke ich.


    Mit dem Effekt spielt Nesbo aber auch.

    Beispiel: Er vermittelt den Eindruck, dass Fleance erschossen wird - man ist enttäuscht, verwirrt, weil das im Shakespeare doch ganz anders steht und außerdem gibt es da noch die Prophezeiung - und in der nächsten Szene rückt sich alles zurecht: er ist "nur" schwer verletzt.

    Na Gott sei Dank.

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Osiel Gouneo, Black Romeo.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Jo Nesbø - Macbeth“ zu „Jo Nesbø - Macbeth: Blut wird mit Blut bezahlt / Macbeth“ geändert.
  • Im Sumpf von Drogen, Gewalt und Machtgier

    Macbeth ist ein düsteres Szenario, in dem Nesboe versucht, Shakespeares Macbeth in die Gegenwart zu versetzen. Schauplatz ist eine heruntergekommene ehemalige Industriestadt voller Arbeitslosen und Drogensüchtigen. Bürgermeister und Chief Commissioner der Stadt sind gewissenlos und auf der Gehaltsliste des Drogenbosses Hecate. Inspector Macbeth, ursprünglich noch bestrebt, dem Sumpf aus Korruption und Drogen ein Ende zu setzen, verliert seine hehren Ziele bald aus den Augen. Angestachelt von der Machtgier seiner Partnerin Lady, einer ehemaligen Prostituierten und Casinobetreiberin, beginnt er ein beispielloses brutales Morden, denn sein Ziel ist es, selbst Chief Commissioner zu werden. Wie viele Menschen er auf dem Weg nach oben umbringt oder umbringen lässt, habe ich nicht mitgezählt, aber es sind Dutzende. Auch vor unschuldigen Frauen und Kindern macht er nicht halt. Leider krankt die Geschichte daran, dass vieles vollkommen unrealistisch ist. So sticht Lady dem ersten Opfer am Morgen nach der Tat erneut den Dolch in den Körper, um das Ganze echter wirken zu lassen. Forensiker würden auf den ersten Blick erkennen, dass dies erst nach dem Tod des Opfers geschehen ist, weil kein Blut aus der Wunde ausgetreten ist, aber die Forensiker in Nesboes Roman erkennen dies so wenig wie vieles andere, was auf Macbeth als Täter hinweist.

    In Anlehnung an das Original hat Macbeth Visionen von seinen geköpften und fürchterlich zugerichteten Opfern. Erklärt werden die Visionen damit, dass er (ebenso wie Lady) inzwischen der Droge Power verfallen ist. Lady sieht im Drogenrausch ihr Baby vor sich, das sie als Teenager umgebracht hat. In einer Minute ist sie noch eine vor sich hinbrabbelnde Irre, dann beschließt sie, die Drogen wegzulassen und im nächsten Moment ist sie wieder Macbeths kluge Beraterin, die wie eh und je Intrigen schmiedet. Auch das ist mehr als unrealistisch, wie so vieles in diesem Buch. Ich habe „Macbeth“ als Audiobuch gehört und es waren 19 unendlich lange Stunden voller Gewaltexzesse in einer Welt, in der die Bösen das Sagen haben und damit durchkommen. Ich habe mich durch dieses Hörbuch gequält. Wenn ich nicht Teil einer Hörrunde gewesen wäre, hätte ich es wahrscheinlich nach kürzester Zeit zur Seite gelegt, so habe ich mich bis zum bitteren Ende durchgekämpft. Nesboe war es wahrscheinlich leid, immer nur Harry Hole Krimis zu schreiben, aber er täte besser daran. Er hat sich ein ambitioniertes Projekt vorgenommen, das allerdings meiner Meinung nach grandios gescheitert ist. Schade um die Zeit, Finger weg von diesem Werk! :bewertungHalb:

  • Diese Shakespeare-Adaption war tatsächlich mein erster Nesbø-Thriller. Vielleicht war das nicht meine beste Entscheidung, denn mir fehlten die Überraschungen, die einen guten Thriller ausmachen und die der Autor bestimmt auch beherrscht. Die Story ist gut erzählt und die Umsetzung in unsere Zeit sehr gut gelungen. Aber dadurch, dass er die Namen konsequent in Shakespeares Sinn verwendet, spoilert er sich leider komplett, was den Ausgang betrifft. Daher meine klare Empfehlung: sollte man das Original nicht kennen, dieses auf keinen Fall vorher lesen. Nur so bleibt die Geschichte ein spannender Thriller. Für alle anderen ist es ein interessantes Lesevergnügen, dem ich gern :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: gebe.

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark