Diane Broeckhoven - Was ich noch weiß / Wat ik nog weet

  • Klappentext:

    Warmherzig und fein komponiert erzählt Diane Broeckhoven die Geschichte einer komplizierten Mutter-Sohn-Beziehung. Manon geht in ihrer Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter auf, bis ihr Mann sie plötzlich für eine jüngere Frau verlässt. Sie bleibt mit den drei Kindern zurück und muss von nun an allein für die Familie sorgen. Sieben Jahre später entdeckt ihr Sohn Peter durch einen Zufall, dass Manon kurz nach dem Tod ihrer Schwiegermutter eine Affäre mit ihrem Schwiegervater gehabt haben muss. In jugendlicher Empörung und ohne seiner Mutter Gelegenheit zu geben, sich zu erklären, zieht er zu seinem Vater.
    Die Kinder werden erwachsen und kurz bevor Peter mit seiner frischangetrauten Ehefrau für einige Zeit nach Japan ziehen will, erleidet Manon einen Schlaganfall und fällt ins Koma. Trotz ihrer früheren Differenzen legt Peter seine Pläne auf Eis, um für seine Mutter da sein zu können. Als Manon erwacht, muss sie sich ins Leben zurückkämpfen. Sie notiert, was sie noch weiß, und wird liebevoll von ihren Kindern und ihrem früheren Ehemann unterstützt. Ein Neuanfang wird möglich.
    Diane Broeckhoven versteht es, mit viel Einfühlungsvermögen die großen Lebensfragen in einer leicht zugänglichen Geschichte zu verdichten.

    Zur Autorin und Übersetzerin (Quelle: Verlag):

    Diane Broeckhoven, 1946 geboren, hat zahlreiche, vielfach ausgezeichnete Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Unter ihren Romanen für Erwachsene, etwa "Eine Reise mit Alice" und "Herrn Sylvains verschlungener Weg zum Glück", wurde "Ein Tag mit Herrn Jules" zu einem Bestseller. Das Buch ist inzwischen in sechzehn Ländern erschienen und wurde über 250.000 Mal verkauft. Diane Broeckhoven lebt in Antwerpen.

    Isabel Hessel, 1973 geboren, erhielt 2003 das Stipendium des LCB für Literaturübersetzer. Sie lebt und arbeitet in Antwerpen und übersetzte schon mehrere Bücher von Diane Broeckhoven für C.H.Beck. Ihre Spezialität sind flämische Autorinnen.


    Mein Eindruck

    Das Titelbild zeigt einen altmodischen roten Sessel – und dieser Sessel ist es, mit dem der kleine Roman beginnt und auch endet und der im Zentrum der Geschichte steht. Er ist Manons Insel, die niemand sonst betreten darf, und das Bild, dass sich in seinen Ritzen zwischen Lehne und Sitzpolster „Lebenskrumen“ finden, hat mir gut gefallen.

    Nach ihrem Wiedereintritt ins Leben sucht sie verbissen nach diesem Sessel, der für sie Heimat und Zuflucht bedeutet. Nur zwei Personen wagen es, diese Insel zu betreten: das ist zunächst ihr Schwiegervater und dann ihr Sohn. Diese beiden sind auch die einzigen Menschen, mit denen sich die Hauptperson emotional auseinandersetzt und die ihr „nahe rücken“.


    Zwei Personen kommen zu Wort: Manon und ihr Sohn Peter.

    Die Erzählerin nutzt die Ich-Perspektive und zeigt sehr differenziert, aber in wenigen Worten das Innenleben der Figuren. In kurzen Schlaglichtern und großen Zeitsprüngen erzählen beide die Geschichte ihrer Familie: einer Familie, die beide für unzerstörbar gehalten haben und die sich dennoch nur als eine relativ kurze Lebensphase entpuppt. Trotzdem halten die Bindungen. Wie tröstlich! Nach Manons Schlaganfall kümmern sich die Kinder hingebungsvoll um ihre Mutter, bis diese ihren „Verrat“ entdeckt: das Familienhaus mit allen Möbeln etc. wurde verkauft, um das Pflegeheim bezahlen zu können.

    Manon arbeitet sich wieder in das Leben zurück, auch wenn das nun anders aussieht.


    Was ist Familie?

    Manon selber sorgt für einen Bruch der üblichen Familienvorstellung, als sie unmittelbar nach dem Tod der Schwiegermutter ein Verhältnis mit ihrem Schwiegervater beginnt – einem eitlen, geschwätzigen, recht aktiven alten Herrn. (Ausgesprochen witzig schildert Peter die „Trauerreise“ mit seinem Großvater und einem ganzen Bus voll mit grauen Haaren, Hüft- und Knieprothesen.) Familie funktioniert offenbar auch unter wechselnden Vorzeichen. Liebe und Ablehnung gehören dazu, Distanz und Nähe, Sorge, Enttäuschung, Versöhnung und Neu-Anfang.


    Auch Sprachlosigkeit gehört dazu, es geht hier auch um die Sprache und das Miteinander-Sprechen. Peter ist eher schweigsam, er öffnet sich nicht, das Verhältnis zu seiner Mutter ist nicht einfach. Der Großvater redet ständig, weil er die Stille nicht erträgt – und Manon verliert ihre Sprache und muss sie sich mühsam wieder aneignen. Das Wieder-Aneignen ihrer Sprache wird in originellen Bildern erzählt: Beim Frühstück fiel unerwartet ein Wort auf mein Butterbrot, oben auf den Käse“.


    Die sachliche, schnörkellose Sprache hat mir gut gefallen. Ein menschenfreundlicher kleiner Roman über Alltägliches.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Joseph Roth, Hiob. MLR.

    :study: Vigdis Hjorth, Ein falsches Wort.

    :musik: Leonie Schöler, Beklaute Frauen.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Diane Broeckhoven, Was ich noch weiß“ zu „Diane Broeckhoven - Was ich noch weiß / Wat ik nog weet“ geändert.