Tom Wolfe - Die Helden der Nation / The Right Stuff

  • Der Autor (Q: Wikipedia): Der US-amerikanische Schriftsteller, Kritiker und Journalist Tom Wolfe wurde am 2. März 1931 in Richmond, Virginia als Thomas Kennerly Wolfe Jr. geboren. Nach Studium und Promotion in Yale war er Reporter bei verschiedenen Zeitungen (z.B. "Washington Post", "New York Herald Tribune") und seit 1968 Mitherausgeber des "New York Magazine". Seine Reportagen sind auch in Buchform veröffentlicht worden. Seit seinem Debütroman "Fegefeuer der Eitelkeiten" von 1987 hat er auch einige "reine Romane" verfasst. Zusammen mit Truman Capote, Norman Mailer, Hunter S. Thompson und Gay Talese gilt er als Gründer des "New Journalism", eines Reportagestils, der literarische Elemente in nichtfiktionalen Texten einsetzt. Der subjektive Blickwinkel und der an der literarischen Moderne orientierte Schreibstil stehen im Gegensatz zum sachlich-objektiven Stil gängiger Reportagen.


    Klappentext (Ullsteinausgabe von 1992 [die zeitlichen Bezüge klingen allerdings mehr nach der Zeit der dt. Erstausgabe von 1983]): Vor mehr als zwanzig Jahren begannen die Vereinigten Staaten das erste bemannte Raumflugprogramm, das ganz im Zeichen des großen Zweikampfes Sowjetunion - USA stand. Der Vorsprung der sowjetischen Raumfahrt hatte die Vereinigten Staaten in Weltuntergangsstimmung versetzt. Aber der durch Hysterie niedergemachte Patriotismus richtete sich an den selbstgeschaffenen Helden wieder auf: die "sieben Ersten", die "sieben Wunderbaren", die "sieben Heiligen", so wurde die erste auserwählte Astronautengruppe von der amerikanischen Öffentlichkeit genannte.
    Tom Wolfe schildert in seinem Reportageroman, wie die "glorreichen Einzelkämpfer" zu Versuchskaninchen degradiert wurden, schildert, was mit ihren Familien geschah. Er führt den Leser aber auch in eine prickelnde Atmosphäre hinein, lässt sie zum Zeugen von Orbitalflügen werden, bringt ihm die Gefühle der Astronauten wie die der Masse nahe. Er zeigt das ungeschminkte Gesicht Amerikas, seine Hochgefühle, seine religiöse Inbrunst, seine Ängste. Ein Buch, das gerade jetzt wieder eine besondere, bewegende Aktualität erlangt.


    Infotext (Q: Amazon): The right stuff - der Stoff aus dem die Helden sind - beschreibt ein Amerika auf der Höhe seiner Zeit und eine Gruppe waghalsiger Männer, die mit ihrem Mut das Abenteuer Raumfahrt möglich machten.


    Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel "The Right Stuff" 1979 im Verlag Farrar-Straus-Giroux in New York. Die deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen besorgte Peter Naujock. Sie erschien unter dem Titel "Die Helden der Nation" 1983 beim Verlag Hoffmann und Campe in Hamburg. Im selben Jahr wurde auch die Hollywood-Verfilmung "Der Stoff, aus dem die Helden sind" von Philip Kaufman in die Kinos gebracht. Spätere Taschenbuchausgaben gab es ab 1986 bei Ullstein in Frankfurt am Main und Berlin und 1996 bei Knaur in München. Im Oktober 2015 wurde der Reportageroman in der "ZEIT Bibliothek der verschwundenen Bücher: 12 wiederentdeckte Meisterwerke großer Erzähler" im Verlag Eder & Bach wiederveröffentlicht. Diese Ausgabe umfasst 460 Seiten.



    Wie in diesem Buch Geschichtsschreibung mit den Mitteln des Journalismus betrieben wird, ist außergewöhnlich gut: die Geschichtsschreibung eines schwer greifbaren Gefühls oder Zeitgeistes. Es geht um Ängste während des Kalten Krieges in den USA der frühen 1960er-Jahre und um die nationale Hoffnung auf Helden. Die bürgerliche Sehnsucht, über sich hinauszuwachsen. Teil einer großen Idee zu werden: Nach der Eroberung des Westen die Eroberung des Weltraums. :drunken:


    Es geht um das Mercury-Programm, das erste bemannte Raumfahrtprogramm der USA, das in Reaktion auf den "Sputnik-Schock" 1958 etwas hopplahopp übers Knie gebrochen wurde. Statt wirklichen Raketenflügen, bei denen Piloten eine Rakete starten, fliegen und landen, sollen die Mercury-Raketen katapultartig ins Weltall geschossen werden und von der Bodenstation aus gelenkt werden. Weswegen sich die militärischen Testpiloten seinerzeit eigentlich kaum dafür interessierten. Braucht man doch keine Piloten, sondern nur "Versuchskaninchen". Natürlich haben sich dann doch alle für den Auswahlprozess zum Astronauten gemeldet... :loool:


    Der Reportageroman ist sehr wortgewaltig, ein ständiger Strom. Wolfe schnappt sich bestimmte Figuren der Geschichte (z.B. auch mal die Ehefrau eines Piloten) und beleuchtet sie näher. Dann mäandert die Handlung chronologisch weiter oder folgt einer erklärenden Abschweifung. Wie daraus ein großer Hollywoodfilm werden konnte, ist mir noch ein Rätsel, muss doch aus dieser klar journalistischen Mammutarbeit erst einmal ein Fiktions-taugliches Personal herausgearbeitet werden. In der vorliegenden Form ist das Buch eine sehr gute Vorlage für eine große Dokumentation mit Off-Erzähler und Massen an Archivmaterial, aber nicht für einen Spielfilm.


    Die Erzählerstimme nimmt diverse subjektive Färbungen an, wird mal ironischer, mal ernster, beschreibt mal von außen, mal von innen, mit der Stimme der Öffentlichkeit oder der Stimme der Kollegen, Techniker, Ehefrauen, Politiker und umkreist dabei die Vorgänge mehrmals von allen Seiten. Aspekte, die dem Autor wichtig sind, werden - vielleicht manchmal ermüdend, aber auch sehr einprägsam - immer wiederholt und wenn nötig erneut erwähnt, als wenn ein weiteres Mosaikteil zu einer Beweiskette hinzugefügt würde, z.B. bezüglich des Unterschiedes von militärischen Testpiloten zu Mercury-Astronauten, die von "wahren Piloten" eher als Passagiere oder Versuchskaninchen bezeichnet werden würden. Und wie es sich dann ergibt, dass die Mercury-Astronauten den alten Flieger-Assen dann doch den Rang ablaufen. :P Für die alten Helden von damals interessiert man sich eben irgendwann nicht mehr: Wer hat nochmal als Erster die Schallmauer durchbrochen? (Nach Neil Armstrongs Schritten auf dem Mond war dann ja auch der erste Amerikaner im All vergessen. Die Halbwertzeit eines Helden...) :loool: Neben all dem medialen Zirkus, der um die "ersten Sieben" und ihre Familien abgefeuert wird, und der mit leichtem Spott nachgezeichnet wird, geht es eben vor allem um "das gewisse Etwas" (ein ständig auftauchender Ausdruck) - das gewisse Etwas, die Spreu vom Weizen trennt, das Menschen zu Heldentaten befähigt, um Charisma und Professionalität, kurzum um das Heldische.


    An folgender Szene lässt sich der "dichte" Schreibstil Wolfes sehr gut erkennen: Gerade fand die Pressekonferenz statt, auf der die "Mercury Seven", die sieben ausgewählten Astronauten für das Mercury-Programm, der Weltöffentlichkeit vorgestellt werden. Der Leser nimmt daran an der Seite einer bisher noch nicht aufgetauchten Figur teil, dem eher maulfaulen Piloten „Gus“ Grissom. Sehr geschickt gelingt es Wolfe in dieser Szene, sowohl das medienöffentliche Interesse und die öffentliche "Sehnsucht nach Helden" herauszuarbeiten, als auch einen tiefen Blick in die Psyche eines pragmatischen Piloten zu versuchen, der all dieses Trara nicht braucht und nicht begreifen kann. Direkt daran geknüpft wird ein Exkurs über das Heldische und den Zweikampf, in dem einige wenige Recken für die Allgemeinheit den Kopf hinhalten, was kulturwissenschaftlich an sich ja schon interessant ist und als Schablone für die damalige Weltraumbegeisterung eine mehr als nötige Anmerkung darstellt.


    Man wird mit Eindrücken, Tatsachen, Meinungen und Möglichkeiten geradezu bombardiert. Manche Szenen nehmen auf diese Weise kein Ende, wie die Schichten einer Zwiebel, wenn sich an ihnen gerade diverse Themen abarbeiten lassen. Das ist manchmal anstrengend, aber immer sehr anregend. Und wenn sich die konkret geschilderte Zeitspanne von etwa sieben, acht Jahren ihrem Ende neigt, das erste Raumfahrtprogramm der USA eingestellt wird, während am Horizont schon das Gemini-Programm, das zweite Raumfahrtprogramm, in den Startlöchern steht, und plötzlich alle Einzelteile des Buches wie vor einem ausgebreitet daliegen - wohlgemerkt ist die Geschichte über die ganzen 460 Seiten niemals in ihre Einzelteilfe auseinandergefallen -, dann hat man ein Bild "der amerikanischen Seele" vor Augen, eine Geistes- und Popkulturgeschichte der USA, wie sie nur sehr wenige Romanciers zu erzählen in der Lage sind. Insofern bleibt für mich kaum was anderes als die Höchstwertung übrig! :thumleft: An einem vergleichsweise schmalen Ausschnitt viel erzählt. :applause:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

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    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Eine englische Neuausgabe von 2005 unter dem Originaltitel "The Right Stuff".

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  • Eine französische Ausgabe in der Übersetzung von Paule Guivarch unter dem Titel "L'étoffe des héros".

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