Trezza Azzopardi - Das Versteck / The Hiding Place

  • Klappentext:
    Dolores ist die jüngste von sechs Töchtern. Als sie in den 1960er Jahren in Cardiffs ärmlichen Tiger Bay aufwächst, ist ihr Leben von Anfang an verflucht, als ihr Vater das Haus, in dem die Familie lebt, und das Café, das für ihren Lebensunterhalt sorgt, verspielt. Als Dolores älter wird, sehen wir diese seltsame Unterwelt durch ihre Augen: Die Hafengegend von Cardiff ist ein Ort der Spielhallen und Kneipen, der bröckelnden Häuser und brennenden Geheimnisse, und für Dolores und ihre Schwestern ist ihr Zuhause ein gefährlicher Ort, gleichermaßen von Angst erfüllt wie von Liebe. Dreißig Jahre später kehren die entfremdeten Schwestern zur Beerdigung ihrer Mutter nach Cardiff zurück. Es ist eine Zeit des Trostes, der Erinnerungen und Alpträume, und eine Chance für Dolores, die Tragödie zu verstehen, die ihre Existenz geprägt hat.
    „Das Versteck“ ist ein tief bewegender und intensiv lyrischer Roman über Liebe und Verrat. Er wurde für den Booker Prize 2000 nominiert und porträtiert das Leben eines Kindes, das für immer verurteilt wurde, das Zeichen einer sich auflösenden Familie zu tragen.
    (eigene freie Übersetzung des Klappentextes des englischen Originals)


    Zur Autorin:
    Trezza Azzopardi ist die Tochter eines Maltesers und einer Waliserin. Sie studierte Kreatives Schreiben an der University of East Anglia und anschließend Film- und Fernsehwissenschaften an der University of Derby. Mit „The Hiding Place“ debütierte sie im Jahr 2000 als Schriftstellerin. Sie erhielt Shortlist-Nominierungen für den Booker Prize sowie den James Tait Black Memorial Prize und wurde mit dem Geoffrey Faber Memorial Prize ausgezeichnet. Ihre Bücher wurden in insgesamt 17 Sprachen übersetzt.
    Aktuell lebt Azzopardi in der ostenglischen Universitätsstadt Norwich, wo sie an der University of East Anglia Kreatives Schreiben unterrichtet. (Wikipedia)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: The Hiding Place
    Erstmals erschienen 2000 bei Picador, London
    Aus dem Englischen übersetzt von Monika Schmalz
    Aus der Ich-Perspektive von Dolores erzählt
    19 Kapitel, vielfache Unterteilungen, manche davon mit Titeln
    369 Seiten


    Meine Meinung:
    Eine düstere Kindheit: Mit dem Tag von Dolores' Geburt ist für die Familie das bisherige Leben vorbei. Der Vater hat durch ein Missverständnis das Wohnhaus plus sein gesamtes Vermögen auf einen Sohn nach fünf Töchtern gewettet und verloren. Drei Wochen später bricht ein Feuer auf, das Dolores’ Hand und einen Teil ihres Gesichts verbrennt. Ihr Vater, gewalttätig und spielsüchtig, stiehlt bei Freunden und seiner Frau, ihre Mutter versinkt mehr und mehr in Schwermut. Von einer Schwester wird Dolores „Krüppi“ genannt und gespiesackt, eine weitere wird vom Vater an ihren vermeintlichen außerehelichen Erzeuger verschenkt, eine muss ins Heim, eine wird verheiratet. Dolores bleibt mit zwei Schwestern bei der Mutter, bis der Vater verschwindet und die Mutter in die Psychiatrie gebracht wird.
    Jahrzehnte später kommt Dolores zur Beerdigung ihrer Mutter zurück, verbringt ein paar Stunden allein in ihrem heruntergekommenen Elternhaus, ehe sie ihre Schwestern wieder trifft.


    Eine sehr interessante Erzählperspektive hat die Autorin in diesem Buch entwickelt: Eine Ich-Erzählerin, die Protagonistin ihrer Geschichte und gleichzeitig allwissende Erzählerin ist – ein eklatanter Bruch traditioneller literarischer Regeln. Trotzdem funktioniert es, dass die kleine 4-/ 5-jährige Dolores alles weiß und wiedergeben kann, was sich in ihrer Umgebung, in den Köpfen ihrer Eltern, ihrer Schwestern und der Nachbarn abspielt und was schon vor ihrer Geburt geschehen ist.


    Man weiß also als Leser, dass hier eine unzuverlässige Erzählerin am Werk ist – eine der Schwestern bestätigt später, dass Dolores’ Erinnerungen nicht der Wirklichkeit oder der Erinnerung der Schwester entsprechen – dennoch glaubt man dem kleinen Mädchen jedes Wort.
    Was ist passiert?
    Die Autorin setzt bravourös auf das Mitleid des Lesers: Ein ungewolltes Baby-Mädchen, im Alter von drei Wochen schwer verletzt und ins Leben zurückgekämpft, immer Schmerzen, immer gehandicapt durch eine verlorene Hand, kein Verlass auf Papa und Mama … da schmilzt doch das Herz eines Lesers dahin, und er (vor allem, wenn er eine SIE ist) möchte es nehmen und ihm ein besseres Leben schenken.


    Nein, leicht ist das Ganze nicht. Dolores steht im Haus ihrer Eltern, in ihrem Gedächtnis überlagern sich verschiedene Schichten der Erinnerungen, und sie schlüpft in die Haut verschiedener Personen. Als Leser muss man mitspringen. Was nicht so einfach ist, bis man die Figuren kennt und unterscheiden kann.
    Trotzdem ein lohnender Roman, der sich von anderen düsteren Kindheitsgeschichten vor allem durch Sprache und Bilder abhebt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)