Charles Dickens - David Copperfield (Start: 05.02.2018)

  • Im Haus des Sterbenden herrscht natürlich eine ernste und traurige Stimmung, wobei auffällt, dass sich Em'ly besonders eng an ihren Onkel hält und nicht mit Ham nach Hause gehen möchte.

    Sie scheint wirklich sehr verändert zu sein. Mir tat nur Ham leid, der sie in Schutz nimmt und auch noch Entschuldigungen für ihr Benehmen findet.

    Anfangs fand ich Szene wieder so witzig, als David sich mit Barkis Nachlass befasst, und ganz verwundert ist, dass er so viel von der Sache versteht.

    :loool: Plötzlich merkt er, dass er sein Wissen auch in der Praxis einsetzen kann. Ich hatte aber wirklich so eine Szene vor Augen, dass er total überrascht ist - wie ein Kleinkind, das plötzlich merkt, dass es laufen kann. :loool:


    Die Sterbeszene mit Barkis ging mir auch ziemlich nahe. :cry: Total schön fand ich, dass er auf dem Sterbebett seine Frau C.P. Barkis würdigt. Einen ordentlichen Batzen Geld hat er ja zusammengespart.

    Nun ist sie also fort, die kleine Em'ly, und will nur als Steerforthts Gattin wiederkehren.

    Tja, was soll man dazu sagen? :roll: Liebestolles, verblendetes Mädchen. :wuetend: Da hat ihr Steerforth ja einiges versprochen, aber ob er es halten wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Emily scheint sich in ihrem Brief ganz gut zu gefallen in ihrer ganzen Schlechtigkeit - zumindest habe ich das so empfunden. Denn wäre es wirklich Reue, hätte sie es ja nicht tun müssen. Ich bin mal gespannt, wie sich Littimers mysteriöse Rolle erklären wird. :scratch:

    Und da fällt mir ein, dass auch Familie Micawber nach Indien gehen könnte :-)

    :totlach: Und auch dort würden diese Lebenskünstler sich durch die Gesellschaft schmarotzen.

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

    :study: Taylor Jenkins Reid - Daisy Jones & The Six

  • Emily scheint sich in ihrem Brief ganz gut zu gefallen in ihrer ganzen Schlechtigkeit

    Das finde ich auch. Ich fand den Brief auch etwas eitel in dem Sinne, dass sie sich in dieser Rolle
    gefällt: die große Liebende, die alle gesellschaftlichen Konventionen über Bord wirft, die
    ihre sichere Position (hier als Hams Ehefrau mit fix und fertig eingerichtetem Haus!) aufgibt und alles
    hinter sich lässt - nur wegen der Liebe.
    So bisschen Anna Karenina en miniature....
    Das Schlimme (oder Schöne?) ist ja, dass es das tatsächlich gibt. Aber nicht jeder macht es so plakativ wie Emily.


    Vielleicht sollte man auch an David treffen: den hat die Liebe ja auch wie ein Blitz getroffen. Und so wird es bei Emily wohl auch sein.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • zu welcher Höchstform Mrs. Gummidge in dem allgemeinen Chaos nach Emilys Verschwinden aufläuft.

    ... und gehört damit zu jenen, die in Krisenzeiten Kräfte entwickeln, die sie sich vorher selbst nicht zugetraut hätten.
    Dickens bringt also auch diesen Charakter in seinem Roman mit ein, wirklich ein Sammelsurium aller nur erdenklicher Typen.

    Ich hatte aber wirklich so eine Szene vor Augen, dass er total überrascht ist - wie ein Kleinkind, das plötzlich merkt, dass es laufen kann.

    Ja, ich auch, total witzig fand ich diese große Erkenntnis.
    So ist mir aber auch in meinem Beruf schon ergangen. Plötzlich merkt man, dass man doch so einiges drauf hat. 8)

    Einen ordentlichen Batzen Geld hat er ja zusammengespart.

    Wovon nicht nur seine Witwe, sondern auch sein Schwager profitieren sollen, und David auch noch, wenn ich mich recht erinnere, obwohl ich nicht ganz verstehe, weshalb. Weil Peggotty mütterliche Gefühle für ihn hatte?

    Liebestolles, verblendetes Mädchen.

    nur wegen der Liebe.

    ... ja, ja, ihretwegen ist schon so manches passiert auf diesem Erdenrund ... :roll:

  • . ja, ja, ihretwegen ist schon so manches passiert auf diesem Erdenrun

    Na ja, Liebe - das ist ja eigentlich nur ein animalischer
    Sturm der Hormone!

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • das ist ja eigentlich nur ein animalischer
    Sturm der Hormone!

    Ja, nach diesen evolutionären Gesetzen sind wir angetreten, da gibt es kein Entrinnen.
    Und auch nichts von wegen großer Freiheit und Selbstbestimmung, ist alles nur ein chemischer Cocktail. :anstossen:

  • Ja, nach diesen evolutionären Gesetzen sind wir angetreten, da gibt es kein Entrinnen.
    Und auch nichts von wegen großer Freiheit und Selbstbestimmung, ist alles nur ein chemischer Cocktail.

    Ihr sprecht aber hier von "verliebt sein" nicht von Liebe. Die beweist sich meiner Meinung nach auf ganz andere Weise.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Ihr sprecht aber hier von "verliebt sein" nicht von Liebe.

    Aber damit fängt es an. Ich denke, dass Liebe etwas ist, das sich im Laufe des Beisammenseins entwickelt (oder auch nicht). Erstmals muss die Chemie stimmen, sonst geht gar nichts. Bei Em'ly waren diese Gefühle für Steerforth wohl ausschlaggebend.
    Sicher gibt es andere Arten von Liebe, die zu den Eltern, den Kindern oder anderen Lebewesen, aber davon ist hier ja nicht die Rede.

  • Em'ly waren diese Gefühle für Steerforth wohl ausschlaggebend.

    Richtig, aber ich fürchte, da liegt die Gefühlslage leider nur auf einer Seite. Die andere will kurzfristig Spass und Em`ly ist einfach zu unerfahren und zu verliebt (da isses wieder :wink: ).
    Sie glaubt tatsächlich, dass sie Lady Steerforth wird. Das kann nicht gutgehen und ich bin gespannt welches Ende Dickens da wählt.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • und Em`ly ist einfach zu unerfahren und zu verliebt

    Katastrophen passieren nun mal meistens aus der Verliebtheit heraus, was aber nicht heißt, dass nicht auch Liebe zu einer solchen führen kann. Wo Gefühle im Spiel sind, ist man leider nie ganz auf der sicheren Seite.

  • Ihr sprecht aber hier von "verliebt sein" nicht von Liebe. Die beweist sich meiner Meinung nach auf ganz andere Weise.

    Aber die Basis ist doch dieselbe :-k ?
    Und insofern wäre Emily mit Ham auf alle Fälle nicht glücklich geworden.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Und insofern wäre Emily mit Ham auf alle Fälle nicht glücklich geworden.

    Aber mit Steerforth wird es auch nicht aufgehen. Was für ein Dilemma.
    Was mich bei Em`ly ein wenig stört ist das Gerede von "I`ll come back as a lady" . Hat Steerforth ihr das eingeredet? Hat sie deshalb keine Lust mehr auf das
    einfache Leben mit Ham? Bei beiden Verbindungen ist es wohl so, dass nur einer verliebt ist. Ham in Em`ly und Em`ly aber in Steerforth. Wir wissen ja ob des
    Charmes von Herrn Steerforth und seiner Redegewandheit. All das ist wohl mittlerweile Stoff für eine Tragödie...........

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • Was mich bei Em`ly ein wenig stört ist das Gerede von "I`ll come back as a lady"

    Hormone machen blind - das ist das eine.
    Das andere ist das, dass Dickens sie als die Sentimentale zeichnet - siehe oben 684.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Was mich bei Em`ly ein wenig stört ist das Gerede von "I`ll come back as a lady" . Hat Steerforth ihr das eingeredet? Hat sie deshalb keine Lust mehr auf das
    einfache Leben mit Ham?

    Ob er ihr die Ehe versprochen hat, wissen wir noch nicht, aber sie wünscht es sich gewiss.
    Und das sie am guten Ham, für den sie wohl nie mehr als schwesterliche Gefühle aufbringen konnte, jedes Interesse verliert, als ein hübscher Jüngling auftaucht und ihr das Blaue vom Himmel verspricht, halte ich gar nicht für so verwunderlich.

    Hormone machen blind - das ist das eine.
    Das andere ist das, dass Dickens sie als die Sentimentale zeichnet

    Das ist schon alles wahr, aber ich kann auch verstehen, dass sich ein junges verliebtes Mädchen die Heirat mit dem Angebeteten wünscht, selbst, wenn sie nicht besonders sentimental ist.
    Und wäre ja auch im richtigen Leben schon ein paar Mal vorgekommen. :wink:

  • Das ist schon alles wahr, aber ich kann auch verstehen, dass sich ein junges verliebtes Mädchen die Heirat mit dem Angebeteten wünscht, selbst, wenn sie nicht besonders sentimental ist.
    Und wäre ja auch im richtigen Leben schon ein paar Mal vorgekommen

    Ich glaube, da schaust Du zu sehr durch die Brille unseres eigenen Jahrhunderts hindurch!
    Heute ist es möglich, dass ein Fitnesstrainer eine Prinzessin heiratet oder ein Prinz eine Unterwäschereklame -
    aber damals natürlich nicht. Und insofern ist Emilys Hoffnung vollkommen unrealistisch.
    Wie gesagt: die Hormone ...! Es ist ja nicht so, dass man Emily nicht versteht...


    Und auch heute ist es noch so, dass - statistisch gesehen - die Ehen am längsten halten, bei denen die
    Partner aus derselben Schicht stammen.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Heute ist es möglich, dass ein Fitnesstrainer eine Prinzessin heiratet

    Und insofern ist Emilys Hoffnung vollkommen unrealistisch.

    Du hast schon wieder mit allem recht, was Du sagst, aber wann waren Verliebte je realistisch oder gar vernünftig?
    Nicht mal Romeo und Julia haben das hingekriegt, da wollen wir es von der kleinen Em'ly erst gar nicht verlangen.
    Und die Hoffnung starb wahrscheinlich auch damals schon ganz zuletzt.

  • wann waren Verliebte je realistisch oder gar vernünftig?

    Ja - da sprichst Du ein gutes Thema an. Wir sind mit Dickens in einer sozial streng gegliederten
    Gesellschaft, und die Menschen waren es auch nicht anders gewöhnt, als sich in diese Stände-Ordnung oder
    dieses Klassen-System (oder wie immer man es nennen will) einzufügen. Natürlich gab es Aufstiegsmöglichkeiten, aber
    eben nicht so wie heute.
    Das meinte ich mit "unrealistisch". Emily wird diese Ordnung nicht außer Kraft setzen können.
    Denk doch nur mal an die arme Effi Briest, die das auch nicht konnte, und ihre Eltern bei aller
    Liebe auch nicht, (und bei denen es länger dauerte als bei Herrn Pegotty, der Übeltäterin zu verzeihen!)
    und die ihren Lebenswillen verlor. Der Fall liegt anders, aber sie fiel mir gerade ein.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Emily wird diese Ordnung nicht außer Kraft setzen können.

    Wird sie nicht können, aber warum taten die Romanheldinnen (und auch die aus Fleisch und Blut) dann überhaupt etwas, was gegen die Regeln der Gesellschaft verstieß? Oder warum begannen Frauen ihr Recht auf Bildung, auf das Wahlrecht, usw. einzufordern?
    Wohl aus dem tiefen Wunsch etwas an der bestehenden Ordnung zu ändern. Hätten sie es nicht getan, mag ich mir gar nicht vorstellen, wie wir heute dastehen würden.

  • Ich bin auch mal wieder da, nachdem ich diese Woche unterwegs war und auch andere Dinge anstanden. Aber ich hol Euch wieder ein.


    Ich gehe nicht weiter auf die Handlung ein, die habt Ihr ja weitestgehend durchgesprochen. Aber ein paar Kommentare gibt es natürlich von mir. Insgesamt fand ich die beiden kurzen Kapitel interessant, sind sie doch ein Dreh- und Angelpunkt für die weiteren Handlungen. David merkt, dass er langsam erwachsen wird und Em'ly bringt die fatalen Dinge ins Rollen. Der Rest der Charaktere bleibt weitestgehend ihren Grundzügen treu :-,

    Seine Abwesenheiten werden ihren Grund haben und vielleicht weiß er, dass seine Handlungen (was immer es ist) einen Schatten auf die Freundschaft legen werden.Auf jeden Fall eine für ihn sehr ungewöhnliche Aussage. Steerforth macht sich Sorgen. Klingt fast so als wäre ihm diese Freundschaft doch etwas wert.

    Na, jetzt wissen wir, warum er so agiert und Zweifel hat über den Fortbestand seiner Freundschaft mit David. In dem Moment hat er Em'ly ja schon becirct und ihre Abreise längst organisiert. Vielleicht war das Ganze auch grad in einem kritischen Stadium weshalb er David noch einen Tag länger von Yarmouth fernhalten wollte? :-k

    Wenn unsere Vermutungen stimmen, was ihn und Emly angeht, dann ist die Rechnung für ihn ja doch noch aufgegangen...

    Nee, die Rechnung geht nicht auf oder glaubst Du, dass David ihm das verzeiht und ihn als "Schwager" in die Familie aufnimmt? Ich glaub das nicht - ich denke, Steerforth ist bei David unten durch, denn nicht nur hat er die Pegottys hintergangen, Em'lys Zukunft zerstört und Hams damit auch, nein, er hat auch Davids Vertrauen und Freundschaft missbraucht durch seine Handlung, denn David hat ihn vertrauensvoll zu den Pegottys mitgenommen.

    trotz der ernsten Situation musste ich lachen als Mr. Omer zu David sagt, er rauche nur wegen seines Asthmas. Hustet wie eine alte Dampflok und meint, dass der Tabakqualm helfe. Außerdem bedauert er sein Los, dass er als Leichenbestatter ja bei den Kranken nicht anfragen könne, wie es ihnen gehe. Die Situationskomik hat Dickens wieder sehr gut getroffen, finde ich.

    Wobei das neben all der Komik ja leider auch wahr ist - es wäre sehr makaber, wenn der örtliche Leichenbestatter sich nach dem Zustand eines Kranken erkundigt :twisted: Die Komik ist wieder herrlich in dieser Szene, aber auch Dickens Fähigkeit, mit Worten zu spielen kommt am Ende des Kapitels wieder schön zum Vorschein als er Barkis als letztes sagen lässt "Barkis is willin'" - kann man das doch auch dahin interpretieren, dass Barkis jetzt bereit ist zu gehen. David ist da, Pegotty ist damit nicht alleine und Barkis kann jetzt loslassen und beruhigt sterben. Das fand ich sehr schön geschrieben. O:-)

    Peggottys Reaktion auf Emilies Durchbrennen ist sehr großzügig, finde ich. Emily ist ja nun ein "gefallenes Mädchen", aber er verzeiht ihr.

    Ich finde seine Reaktion für seinen Charakter völlig normal - er liebt Emily zu sehr um ihr böse zu sein und ich denke, er weiß sehr genau wie das abgelaufen ist. Darum kann er in ihr nicht die Schuldige sehen.

    Ganz bemerkenswert finde ich, zu welcher Höchstform Mrs. Gummidge in dem allgemeinen Chaos nach Emilys Verschwinden aufläuft. Ihre eigene Trübsinnigkeit ist wie weggeblasen, stattdessen legt sie eine Tüchtigkeit an den Tag, die man ihr nie zugetraut hätte. Sie blüht regelrecht auf in ihrer Fürsorge für Mr. Pegotty, so als hätte sie nur auf einen Anlass gewartet, um zu zeigen, was in ihr steckt.

    Mir kam dabei der Gedanke, dass sie nur deshalb so aufblüht weil jetzt endlich jemand genauso "lone and lorn" ist wie selbst :-k

    Plötzlich merkt er, dass er sein Wissen auch in der Praxis einsetzen kann. Ich hatte aber wirklich so eine Szene vor Augen, dass er total überrascht ist - wie ein Kleinkind, das plötzlich merkt, dass es laufen kann.

    Das fand ich herrlich - ganz langsam merkt David, dass seine Ausbildung nicht einfach nur ein Absitzen der Tage im Gericht ist sondern tatsächlich einen Nutzen hat. Mir kam er dabei auch nicht eingebildet oder überheblich vor, sondern eben wie jemand, der auf einmal Tatsachen registriert und merkt, dass er langsam in einer realen Welt angekommen ist, die sogar nützlich und nicht nur Schein ist.

    Ich bin mal gespannt, wie sich Littimers mysteriöse Rolle erklären wird.

    Ich halte ihn für den "Mittler", für denjenigen, der alles eingefädelt hat so dass Steerforth im Hintergrund und unsichtbar bleiben konnte. Wer weiß, was die Menschen in der Stadt sonst bemerkt hätten von dem Ganzen. Es muss ja schon länger eingefädelt worden sein, das war kein Handeln über Nacht, was Emily da abgezogen hat.

    Wovon nicht nur seine Witwe, sondern auch sein Schwager profitieren sollen, und David auch noch, wenn ich mich recht erinnere, obwohl ich nicht ganz verstehe, weshalb. Weil Peggotty mütterliche Gefühle für ihn hatte?

    Vielleicht einfach nur, weil er David mag? soll vorkommen :loool:

    Richtig, aber ich fürchte, da liegt die Gefühlslage leider nur auf einer Seite. Die andere will kurzfristig Spass und Em`ly ist einfach zu unerfahren und zu verliebt (da isses wieder :wink: ).Sie glaubt tatsächlich, dass sie Lady Steerforth wird. Das kann nicht gutgehen und ich bin gespannt welches Ende Dickens da wählt.

    kein gutes, befürchte ich...

    Was mich bei Em`ly ein wenig stört ist das Gerede von "I`ll come back as a lady" . Hat Steerforth ihr das eingeredet? Hat sie deshalb keine Lust mehr auf das
    einfache Leben mit Ham?

    Hat sie nicht bereits am Anfang - in dem Kapitel, in dem David mit Pegotty im Hausboot zu Besuch ist - schon als Kind immer davon geträumt, eine Lady zu werden? Man könnte das als kindliche Träume abtun, aber im Hinblick auf den Gang der Dinge hat für mich Dickens da bereits die Handlung angedeutet, indem er dem Kind schon diese Idee in den Kopf setzt

    Ich glaube, da schaust Du zu sehr durch die Brille unseres eigenen Jahrhunderts hindurch!
    Heute ist es möglich, dass ein Fitnesstrainer eine Prinzessin heiratet oder ein Prinz eine Unterwäschereklame -
    aber damals natürlich nicht. Und insofern ist Emilys Hoffnung vollkommen unrealistisch.

    ganz meine Meinung - es ist halt immer schwer, nicht die eigene Brille zu benutzen sondern sich in diese Zeit zurückzuversetzen. Ich muss auch immer aufpassen.

    Wird sie nicht können, aber warum taten die Romanheldinnen (und auch die aus Fleisch und Blut) dann überhaupt etwas, was gegen die Regeln der Gesellschaft verstieß? Oder warum begannen Frauen ihr Recht auf Bildung, auf das Wahlrecht, usw. einzufordern?Wohl aus dem tiefen Wunsch etwas an der bestehenden Ordnung zu ändern. Hätten sie es nicht getan, mag ich mir gar nicht vorstellen, wie wir heute dastehen würden.

    Die Frauen, die sich derart gegen die herrschenden Konventionen auflehnten und für ihre Rechte und Träume kämpften, waren aber aus anderem Fleisch und Blut als Emily, das kleine Träumerchen. 8-[


    so, jetzt noch das letzte Kapitel unseres Wochenpensums und ich bin wieder ganz bei Euch :)

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Die Frauen, die sich derart gegen die herrschenden Konventionen auflehnten und für ihre Rechte und Träume kämpften, waren aber aus anderem Fleisch und Blut als Emily, das kleine Träumerchen.

    Ja, das sehe ich auch so. Die würde ich jetzt nicht mit dem kleinen Kätzchen Emily vergleichen.
    Aber was wissen wir denn, welche Entwicklung der Herr Dickens ihr zuschreiben wird.
    Wie gesagt: ich sehe sie als Leiterin eines Heimes für gefallene Mädchen.
    Muss ja nicht in Indien sein :)
    Aber Emily hat einfach einen guten Kern, und der geht bestimmt nicht verloren.
    Wie @taliesin schon schrieb: was macht man nicht alles, wenn man jung ist!
    Schade, dass taliesin das nicht weiter ausgeführt hat :)
    Und nun mache ich es wie squirrel: ich läute den Feierabend ein, wir haben nichts vor, es darf gelesen werden.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Wow, was für ein Kapitel - da kommt ja viel Licht ins Dunkel.


    Der Pegotty-Clan hält ja verschworen zusammen und steht einander bei. Und ich revidiere meine Meinung über Mrs Gummidge - die Gute wächst ja wirklich weit über sich heraus und diese Entwicklung gefällt mir gut. Man weiß wohl nie, was in den Menschen steckt, wenn man sie nicht in einer Notlage kennen lernt - in Mrs Gummidge steckt eine Menge mehr als es schien.
    Eigentlich finde ich es fast beängstigend, welche stoische Ruhe und Bestimmtheit Ham und Mr. Pegotty ausstrahlen. Mag sein, dass es im Charakter von Seeleuten und Fischern drin steckt - aber zum Feind möchte ich sie wohl nicht haben. 8-[ Sollte Steerforth je die Idee haben, dort wieder aufzutauchen…..


    Viel Licht ins Dunkel bringt Miss Mowcher, die plötzlich und unerwartet auftaucht - durch sie wissen wir und David, wie sich das Ganze wohl wirklich abgespielt hat und von wie langer Hand es geplant war. Limmiters Rolle dabei ist wie vermutet eine sehr unfeine - und Miss Mowcher bestätigt auch Davids ungutes Gefühl, das er immer in Limmiters Gegenwart hatte. "Young Innocence" als Spitzname war bestimmt nicht so nett gemeint wie es sich anhört. [-( Ich mag die Zwergin und in meinem Ansehen ist sie durch ihr Verhalten immens gestiegen. Überhaupt war das auch ein tiefer Einblick in ihr Leben und ihre Psyche - sehr spannend. Ob David irgendjemandem von diesem Gespräch erzählt hat? Erwähnt wird es nicht, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass er es nicht tut. Doch er ist ja auch sehr gespalten Steerforth gegenüber - er liebt noch immer den Freund, aber so wie man einen toten Freund liebt und in Erinnerung behält. Tut er mir leid? Ich weiß es grad nicht….


    Mrs Steerforth in ihrem Dünkel könnte ich nur schütteln. Sie lässt sich zwar herab, Pegotty zu empfangen, aber ihr Verhalten? Ohne Worte - aber hier hat Dickens nicht nur mit dem Finger sondern gleich mit der ganzen Hand auf all den Dünkel hingewiesen, den die gesellschaftlich höher stehenden Schichten umgab und teils noch immer umgeben wird. Pegottys Worte an sie sind komplett verloren, sie wird sie einfach nicht verstehen. Und Rosa? Sie war und ist wohl immer noch in irgendeiner Weise Steerforth verfallen, anders kann ich mir ihre heftig emotionale Reaktion nicht erklären. Sie hat ihn zwar vorher in seine Schranken verwiesen, aber dieses Verhalten hier lässt für mich keine andere Deutung zu. So viel Hass und Verachtung hätte ich ihr allerdings nicht zugetraut.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier