Die Hauptstadt

Buch von Robert Menasse

  • Kurzmeinung

    mondy
    Nichts für Zwischendurch, sehr dicht, aber auch mit Witz, sehr durchdacht
  • Kurzmeinung

    Wuselsusi
    So richtig warm geworden bin ich mit dem Buch nicht, doch der kleine Blick hinter die Kulissen lohnt.

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Die Hauptstadt

In seinem großen europäischen Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen. Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen - »zu den Akten legen« wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar.
Weiterlesen

Bewertungen

Die Hauptstadt wurde insgesamt 25 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 3,4 Sternen.

(5)
(11)
(6)
(1)
(2)

Meinungen

  • Nichts für Zwischendurch, sehr dicht, aber auch mit Witz, sehr durchdacht

    mondy

  • So richtig warm geworden bin ich mit dem Buch nicht, doch der kleine Blick hinter die Kulissen lohnt.

    Wuselsusi

  • Dieses Buch trieft vor Biss und Sarkasmus, regt aber gleichzeitig zum Nachdenken an. Punktabzug wegen der losen Enden.

    Lavendel

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Die Hauptstadt

    Schweine und ein Fundament aus Asche
    Brüssel, Hauptsitz der Europäischen Kommission, ihres Zeichens supranationales Herz der Europäischen Union und Hüterin der Verträge. Die EU-Kommissare werden zwar von ihren jeweiligen Regierungen nominiert, sollen aber nicht nur nationale Interessen vertreten, sondern die gemeinsamen Ziele der Union.
    Union – also Einheit! –, gemeinsame Ziele? Welch hehres Ideal.
    Doch Menasse zeigt in seinem Roman gnadenlos, wie wenig die Realität diesem Ideal entspricht. Wie ein Leitmotiv zieht es sich durch das Buch: das gnadenlose Scheitern, das durch Zusammenarbeit hätte verhindert werden können, im Großen wie im Kleinen. Der moralische Bankrott. Absurd, lachhaft, aber das Lachen bleibt einem ab und an im Halse stecken.
    Da gönnen sich die Ressorts der Kommission gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot. Von Union keine Spur, man macht sich kaum die Mühe, Eigeninteressen zu verschleiern. Wen schert es schon, wenn die Suizidrate in Griechenland alarmierend steigt? Nur die Griechen. Und wenn es der eigenen Sache dient, wechselt man sogar die nationale Identität.
    Da kommt direkt mehreren Menschen eine Erleuchtung: Auschwitz als Geburtsort der Europäischen Kommission – Auschwitz als zwingender Grund dafür, dass nationale Interessen supranationalen Interessen weichen müssen, damit sich die Geschichte niemals wiederholt! Zwar begegnen sie sich, nichtsahnend, aber dennoch kommen sie nicht zusammen. Der Gedanke verliert sich in den Plattitüden von Menschen, für die Auschwitz nur noch ein lästiger Klotz am Bein ist, den man seit dem Zweiten Weltkrieg hinter sich herschleppt, oder bestenfalls eine Gelegenheit, in regelmäßigen Abständen die eigene Ergriffenheit zur Schau zu stellen.
    Und derweil sterben die letzten Zeitzeugen. Ein alter Mann streicht Name für Name von einer Liste, die überaus wertvoll hätte sein können, wäre sie zur rechten Zeit in die rechten Hände gelangt.
    Am ehesten sorgt noch das Schwein für Einheit, das durch die Stadt geistert – und sogar das fügt sich wieder in das Leitmotiv, gelingt es doch nicht, in einer gemeinschaftlich organisierten Aktion das Schwein einzufangen. Wer sich jedoch über das Schwein profilieren kann, der tut es. Das Schwein als verkörperte Bürokratie?
    Und dennoch: "Die Hauptstadt" ist meines Erachtens nicht anti-EU, sondern lediglich kritisch gegenüber deren Umsetzung. Als Leser fragt man sich, wie es weitergehen kann, soll, muss.
    Die Grundidee ist bestechend, die Umsetzung glänzt durch feinen Humor und genaue Beobachtung zwischenmenschlicher Nuancen. Ich kann durchaus nachvollziehen, warum diesem Buch der Deutsche Buchpreis verliehen wurde.
    Und dennoch.
    Das Fragmentarische der Handlung unterstreicht zwar die eklatante Uneinigkeit von Menschen, die sich von Berufs wegen der Einigung verschrieben haben, macht es aber auch ermüdend, den verschiedenen Handlungssträngen zu folgen. Menasse verliert sich im Detail, und bis zu einem gewissen Punkt war ich bereit, ebenfalls verloren zu gehen und zu sehen, wohin die Reise geht. Und tatsächlich: vieles ist hochinteressant, feinsinnig, bietet lohnende philosophische Denkansätze. Vieles liest sich aber auch wie eine Sammlung politischer Essays, die allerhöchstens lose verknüpft sind, angesiedelt irgendwo zwischen Sachbuch und Politsatire.
    Vieles ist grandios, keine Frage. Manche der Charaktere sind lebendig, komplex und glaubhaft – andere hingegen nur eine Handbreit vom Klischee entfernt. Der Schreibstil kann so wunderbar sein, dass man sich ganze Passagen abschreiben und an die Wand hängen will – dann wiederum merkwürdig flach und zugleich übertrieben. Allerdings hege ich bei beidem den Verdacht, dass Menasse in voller Absicht mit den Erwartungen des Lesers spielt, um die Absurdität gewisser Situationen herauszustellen! Die Europäische Kommission, war mein Eindruck, parodiert sich im Grunde selbst.
    Die Lesbarkeit wird erschwert durch einen generellen Mangel an Anführungszeichen in der direkten Rede und gleichzeitig eine Vielzahl an fremdsprachigen Sätzen, die nirgendwo erläutert, geschweige denn übersetzt werden. Soll auch das betonen, dass die innereuropäische Kommunikation nicht funktioniert? Wenn ja, vermittelt es zumindest einen Hauch der Frustration darüber.
    An manchen Stellen erschien mir die Symbolik zu gewollt. So versucht zum Beispiel ein Mitarbeiter der Kommission seiner Vorgesetzten die Bedeutung von Auschwitz für die Gründung der Kommission zu erläutern, sie indes hört ihm nur mit halbem Ohr zu – und wischt sich beiläufig Asche von der Bluse.
    Die Vermischung von Fakt und Fiktion funktioniert in meinen Augen meistens gut; da unterstützt das eine die Wirkung des anderen. Manchmal überschreitet Menasse jedoch die Grenze dessen, was für mich noch glaubhaft ist. Die Profilkiller des Vatikan wollten sich für mich zum Beispiel nicht so recht in die Handlung einfügen, außer vielleicht als Kontrapunkt zum europäischen Grundgedanken.
    Fazit:
    Mein Leserherz blutet – wollte ich diesen Roman doch eigentlich in den Himmel loben. Nicht nur hat es den Deutschen Buchpreis gewonnen, nein: der Autor wirkte bei der Verleihung so charmant verblüfft und überrumpelt, dass ich bereit war, sein Werk zu lieben. Stattdessen muss ich mich damit begnügen, dass ich es 'nur' gut finde... Ja, manches finde ich sogar wunderbar, aber eben nicht alles.
    Es ist in meinen Augen vor allem eine (selbst-)ironische Satire, angereichert durch philosophische Gedanken und Betrachtungen über den Grundgedanken der Europäischen Union und das Wesen des Menschen – mit einer Prise Krimi. Aber über lang(atmig)e Strecken geht es eben um Bürokratie: deren Fallstricke, Intrigen und absurde Auswucherungen. Und was sagt man über die Mühlen der Bürokratie? Richtig. Da kommt auch die turbulenteste Geschichte kreischend zum Stillstand.
    Was allerdings wiederum die Botschaft unterstreicht: Stillstand ist hier der Tod guter Ideen.
    Auch, wenn ich den Roman nicht so innig lieben konnte, wie ich es mir gewünscht hätte, ist er doch lohnend, wenn man sich für die Thematik interessiert. Bis auf kleinere Durststrecken fand ich die Geschichte durchaus unterhaltsam, sogar spannend, mit einem intelligenten feinen Humor und vor allem: zum Nachdenken anregend.
    Weiterlesen
  • Rezension zu Die Hauptstadt

    Robert Menasse schätze ich als europäischen Intellektuellen und Schriftsteller. In „Die Hauptstadt“ vereint er beide Qualitäten, indem er seine Vision für Europa aus der Vergangenheit aufbaut. Ob dieser zentrale Punkt der europäischen Idee Auschwitz sein muss, bleibt Menasse überlassen. Zumindest weiß er es gut darzulegen. Sein Protagonist David de Vriend ist kein Karikatur behafteter Mensch wie andere Figuren des Romans.
    Beim Lesen musste ich häufig an einen Spruch aus der 1968er Bewegung in Frankreich denken, «L’histoire ne se répète pas, elle bégaye.»(*) Bei Menasse wiederholt sich gekonnt die tragische Geschichte als Farce, wobei das Böse versteht sich zu verharmlosen. Das ist ihm schon in seinem Roman „Die Vertreibung aus der Hölle“ gelungen, wo er den Bogen vom 17. Jahrhundert über die NS-Zeit ins endende 20. Jahrhundert spannte. Jetzt steht für die Farce die europäische Wirtschaft am Beispiel des Fleischmarkts mit allen Mitspielern und deren Lobbyisten. Ich sag nur Schweinsohren, und muss schon schmunzeln wie schwülstig und doch greifbar nah Menasse an diesem Beispiel die aberwitzigen Kräfte zeichnet, die auf solch einem Markt mit- und gegeneinander wirken.
    Gefallen haben mir auch die einzelnen Referenzen zu Musils "Mann ohne Eigenschaften". Hätte ich doch nur die Zeit beide Romane nebeneinander wieder zu lesen. Da würden wahrscheinlich noch mehr Parallelen aufkommen, als wie sie mir bei einigen Anspielungen jetzt auffielen.
    Ich finde den Roman durchwegs gelungen und habe „Die Hauptstadt“ beim Lesen sehr genossen, daher auch meine großzügige Notierung.
    (*) Die Geschichte wiederholt sich nicht, sie stottert. (Dabei waren damals mit ‚Geschichte‘ die Streikbewegungen in Frankreich vom Frühjahr 1936 gemeint, die die Regierung des Front Populaire unter Léon Blum an die Macht brachten.)
    Weiterlesen
  • Rezension zu Die Hauptstadt

    Klappentext:
    In Brüssel laufen die Fäden zusammen – und ein Schwein durch die Straßen. Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an – die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; »zu den Akten legen« wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. In seinem neuen Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen. Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen – für das Schwein, das durch die Straßen läuft. Und David de Vriend bekommt ein Begräbnis, das stillschweigend zum Begräbnis einer ganzen Epoche wird: der Epoche der Scham. (Suhrkamp-Verlagsseite)
    Zum Autor:
    Robert Menasse wurde 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den »Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb«. Menasse lehrte anschließend sechs Jahre - zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie - an der Universität São Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u.a. über: Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien. (Suhrkamp-Verlagsseite)
    Allgemeine Informationen:
    Abschnittweise aus verschiedenen Perspektiven der Haupzpersonen erzählt
    Prolog, elf Kapitel, Epilog
    459 Seiten
    Träger des Deutschen Buchpreises 2017
    Meine Meinung:
    Natürlich sind wir froh, dass sich die europäischen Länder seit 1945 nicht mehr bekriegen und gegenseitig zu vernichten trachten. Natürlich sind wir froh, dass die europäischen Länder sich vertraglich zusammengeschlossen haben. Natürlich sind wir froh, Europäer zu sein.
    Trotzdem leidet die EU unter dem Ruf, vor allem sich selbst zu verwalten.
    Menasse bestätigt das Vorurteil: Konferenzen, Meetings, Termine – daraus besteht der Tagesablauf der meisten EU-Angestellten. Aufgaben werden von oben nach unten durchgereicht. Entscheidungen verzetteln sich zwischen nationalen Interessen. Was in den Kommissionen diskutiert und beschlossen wird, fällt im Parlament durch. Arbeit vertan, Energie vertan, Lebenszeit vertan.
    Ein Schwein läuft durch Brüssel, verursacht einen Medienrummel. Besteht Gefahr für die Bevölkerung durch ein frei laufendes Schwein? Soll man ihm nicht einen Namen geben? Das Schwein generell – nicht nur dieses eine konkrete – wird zum wieder kehrenden Motiv des Romans.
    Ein Mann wird in einem Hotel umgebracht, doch dem zuständigen Kommissar wird der Fall entzogen, denn es darf keinen Fall geben.
    Derweil rüstet man sich in den europäischen Kommissionen für ein Jubiläum, um das angeschlagene Image bei der Bevölkerung zu retten. Fenia, die bei der Kommission für Kultur arbeitet, delegiert die Planung an den Österreicher Martin Susmann, von Hause aus Archäologe. Für die europäische Kultur arbeiten nur diejenigen, die es nicht in die wichtigen Sparten wie Wirtschaft oder Finanzen geschafft haben. Susmanns Bruder ist Vorsitzender im Schweinezuchtverband und will die Unterstützung der EU für seine Geschäfte mit China.
    Man sollte sich beim Jubiläum an die unrühmliche Vergangenheit, v.a. den Holocaust erinnern und sich der heutigen besseren Zeiten freuen; schließlich ist die EU Garant für Frieden, Freiheit und Würde. Doch einer der letzten Überlebenden, David de Vriend, ist gerade ins Seniorenheim gezogen und kämpft gegen seine Demenz.
    Alois Erhart, emeritierter Professor für Ökonomie, soll einen Vortrag vor einem Think-Tank halten.
    Jeder Figur ordnet der Autor einen Handlungsstrang zu; diese Stränge laufen parallel, kreuzen sich einmal oder ständig und laufen am Ende lose zusammen oder bleiben offen.
    Mit zwinkerndem Auge, oft bissig und mit ironischem Unterton erzählt Menasse. „Deutsche Unterwäsche ist das Beste für Auschwitz!“ – braucht Mann für eine KZ-Besichtigung im strengen Winter.
    Oder, als Schrift auf einem Aschenbecher mit Afrikaner-Karikatur „Le Congo recoit la civilisation belge“ (der Kongo erhält die belgische Zivilisation).
    Es sind die kleinen eingestreuten Sätze ebenso wie die großen Handlungszusammenhänge, die den Esprit des Buches ausmachen.
    „Die Hauptstadt“ ist sicher kein leichtes Lesevergnügen. Aber ein Vergnügen ist das Buch. Und das ist mehr als man von vielen Prämierten des Deutschen Buchpreises sagen kann.
    Weiterlesen

Ausgaben von Die Hauptstadt

Hardcover

Seitenzahl: 459

Taschenbuch

Seitenzahl: 459

E-Book

Seitenzahl: 460

Hörbuch

Laufzeit: 00:14:21h

Besitzer des Buches 50

Update: