Ich nannte ihn Krawatte

Buch von Milena Michiko Flasar

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Ich nannte ihn Krawatte

Wer in einem Lachen nichts anderes als ein Lachen hört, der ist taub Ist es Zufall oder eine Entscheidung? Auf einer Parkbank begegnen sich zwei Menschen. Der eine alt, der andere jung, zwei aus dem Rahmen Gefallene. Jeder auf seine Weise, beide radikal, verweigern sie sich der Norm. Erst einem fremden Gegenüber erzählen sie nach und nach ihr Leben und setzen zögernd wieder einen Fuß auf die Erde. Milena Michiko Flašars Parkbank befindet sich in Japan und könnte doch ebenso gut anderswo in der westlichen Welt stehen. Dieser Roman stellt der Angst vor allem, was aus der Norm fällt, die Möglichkeit von Nähe entgegen – sowie die archaische Kraft der Verweigerung.
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Bewertungen

Ich nannte ihn Krawatte wurde insgesamt 21 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,2 Sternen.

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Meinungen

  • Gemeinsamer Lebensabschnitt zweier Unangepasster aus Japan!

    towonder

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Ich nannte ihn Krawatte

    Inhalt
    Der Mann sah aus wie ein Salaryman, so werden in Japan Büro-Angestellte genannt, und verspeiste auf einer Parkbank ein Frühstück aus einer Bentobox. Milena Michiko Flašar, Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters, schafft in ihrer stimmungsvollen Erzählung eine japanische Enklave. In welchem Land der noch namenlose Mann sein Lunchpaket öffnet ist nicht wichtig. Er handelt wie ein Japaner, wird mit japanischem Wortschatz beschrieben und seine Frau, die täglich Stunden vor ihm aufsteht, um den Inhalt der Bentobox frisch zuzubereiten, handelt traditionell wie eine japanische Ehefrau. Jeden Morgen bindet sie ihrem Mann die Krawatte, eher er das Haus verlässt. Beobachtet wird der Geschäftsmann im Park von einer anderen Bank aus durch einen jüngeren Mann, der dem Älteren den Spitznamen Krawatte gibt. Als Anzugträger oder Krawattenträger wird der so etikettierte Mann Teil einer gesichtslosen Masse. Der Jüngere will ursprünglich niemandem begegnen, sich nicht verwickeln, er ist ein Hikikomori. Seit zwei Jahren hat er sich dem Leistungsdruck der japanischen Gesellschaft entzogen, indem er sein Zimmer im Elternhaus einfach nicht mehr verlassen hat. Ein blasser Gefangener ist im Park auf Freigang, den die Welt in ihrer Farbigkeit nun förmlich anschreit. Beide Männer erzählen abwechselnd in der Ich-Form, nicht immer ist sofort klar, wer gerade spricht. Zunächst noch wortlos nähern die beiden Opfer einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft sich millimeterweise einander an, entdecken die Geschichte des jeweils anderen und vermutlich auch wieder Sinn in ihrem Leben. Eine Kultur des Ausweichens portraitiert die in Österreich lebende Autorin in knappen Worten, getragen durch Figuren wie die Mutter des jungen Hikikomori, die ihren Sohn schweigend versorgt. Dass in drangvoller Enge Strategien nötig sind, um wenigstens persönliche Distanz vorzugeben, wird aus dem Erleben des Jüngeren verständlich. Beide Männer haben miterlebt, wie der Druck der japanischen Gesellschaft Mitschüler direkt in den Tod trieb. Erst ihr Tod brachte private Dinge in die Öffentlichkeit, die sonst traditionell verborgen werden. Der Ältere blickt zudem auf eine Ehe zurück, die stets hinter den Ansprüchen seiner Firma zurückstehen musste, und auf seinen behinderten Sohn, auch er voller Scham verschwiegen. Beide Männer lüften allmählich ihre Masken, geben sich einander als Seelenzwillinge zu erkennen und verlieren sich wieder aus den Augen. Zurück bleibt - die gestreifte Krawatte.
    Fazit
    Flašars melancholische Erzählung gibt die Persönlichkeit der beiden Männer nur zögernd preis. Nachdem ich die letzte Seite des Buches gelesen hatte, habe ich sofort wieder von vorn begonnen, um mehr Vertrautes im Fremden zu entdecken, als es mir beim ersten Lesen gelungen ist. Ein ungewöhnlich lohnenswertes Leseerlebnis für Leser, die sich auf eine Erzählung einlassen wollen, ohne von ihr heitere Unterhaltung zu erwarten.
    Textauszug
    "Denn wie sollte man ein Gespenst zur Anzeige bringen? Wie sollte man erklären, dass einer verschwunden ist, der ohnehin schon verschwunden war? Wie beschreiben, dass man ihn vermisst, obwohl er schon lange davor abhängig gewesen war? Und doch wünschte ich mir, sobald der Morgen graute, nichts anderes als eben das: Dass man mich suchte und fände. Mich an den Schultern packte, mir ins Gesicht schlüge und fragte: Wie ist es dazu gekommen, dass wir uns dermaßen verfehlten?" S. 86/87
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  • Rezension zu Ich nannte ihn Krawatte

    Für Andreas
    Milena Michiko Flasar – Ich nannte ihn Krawatte
    Deutsch, 2012
    114 halb- bis zweiseitige, durchnumerierte Abschnittchen ; Dank ; Worterklärungen japanischer Ausdrücke und Begriffe
    (Danke an die obigen Rezis! Deswegen hier keine ganz vollständige Vorstellung, aber eine persönlicheMeinung:)
    Der « Ein- oder Abgeschlossene » der Inhaltsbeschreibung ist ein so genannter Hikikomori (siehe auch : https://de.wikipedia.org/wiki/Hikikomori ), wie es sie in der japanischen Gesellschaft anscheinend in erschreckender Anzahl gibt. Er ist hier der Ich-Erzähler. Circa zwei Jahre verbarg er sich daheim, bevor er erneut, aber wie als Taumelnder, Fremder vor die Tür kommt. Er sucht eine ihm aus der Kindheit bekannte Parkbank auf, sitzt dort täglich viele Stunden. Eines Tages taucht ein Firmenangestellter auf : auch er bleibt über Stunden. Was da wohl passiert ist ?
    Jener hat seinen Arbeitsplatz verloren, traut sich mit dieser Aussage und Tatsache nicht in den gewohnten Kreis zurück, sondern spielt den « Arbeitenden ». So wie es eben auch bei uns der Fall ist, bzw sein kann (BAP hat dazu mal ein tolles Lied gemacht!). So sind diese zwei Randfiguren uns näher als wir zunächst annehmen könnten : Angst vor dem Kontakt, dem « Teil eines Geflechtes » zus sein (wie es der Ich-Erzähler ausdrückt), vor dem Verbunden-Sein, vor dem Urteil der anderen, Erlebnisse von Niederlage…
    Die Erzählung ist zwar in Japan angesiedelt, doch hat universellen Charakter. Sicher dürfen wir an dieser Stelle auch auf die mehrwurzelige Herkunft von Flasar hinweisen ?! Sie hat eine japanische Mutter und ist väterlicherseits Österreicherin, dazu noch, wenn ich den Familiennamen richtig interpretiere, Angehörige der slowenischen Minderheit ? Siehe auch die Webseite der Autorin : http://www.milenaflasar.com/
    Nach und nach ergibt sich aus diesem puren äußeren « in-der-Nähe-gemeinsam-Sitzen » dieser Beiden eine Verbundenheit, die langsam wächst. Sich, wahrnehmen, winzige Gesten des Grußes, erste Worte, Austausch. Man kann die Begegnung dieser gesellschaftlichen Außenseiter als Wachsen einer Beziehung und einer Nähe lesen. Zunächst auch die Entdeckung einer gemeinsamen Melancholie, eines Außenseitertums. Dann auch die Empfindung einer vagen Verantwortung für den anderen, das erste miteinander Sprechen.
    Und dies macht Flasar auf ganz feine Weise in einer Vielzahl von nur halb- bis anderthalbseitigen Kapitelchen. Die Sprache ist nicht wirklich kompliziert, doch verbergen sich hinter dem Geschriebenen kleine Beobachtungen, Feststellungen, die sicherlich universalen Wert haben. Manches könnte man herausschreiben ! Es ist kein Wohlfühlbuch, wie man sie derzeit viele kennt : dafür war und ist das Drama (zu) nahe gewesen. Doch gibt es einen Hoffnungsschimmer, eine Aussicht auf Heilug der Wunden ?!
    « Wieder aus Augen schauen, die staunen. Ich meine, es sind meine Augen, die zuallererst krank geworden sind. Mein Herz ist ihnen lediglich nachgefolgt. »
    Das Buch könnte viele hier ansprechen !
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  • Rezension zu Ich nannte ihn Krawatte

    Seitenzahl : 135
    Inhalt (Klappentext):
    Ein junger Mann verlässt sein Zimmer, in dem er offenbar lange Zeit eingeschlossen war, tastet sich durch eine fremde Welt. Eine Bank im Park wird ihm Zuflucht und Behausung, dort beginnt er zu sprechen und teilt mit einem wildfremden Menschen seine Erinnerungen. Der andere ist viele Jahre älter, ein im Büro angestellter "Salaryman" wie Tausende. Er erzählt seinerseits, über Tage und Wochen hinweg, Szenen seines Lebens voller Furcht und Ohnmacht, Hoffnung und Glück. Beide sind Außenseiter, die dem Leistungsdruck nicht standhalten, die allein in der Verweigerung aktiv werden.
    Aus der Erfahrung, dass Zuneigung in Nahrung verpackt, Trauer im Lachen verborgen werden kann und Freundschaften möglich sind, stärken sie sich für einen endgültigen Abschied und einen Anfang.
    Allgemeines:
    114 kurze Kapitel
    Worterklärungen im Anhang
    Autorin:
    Milena Michiko Flasar, geboren 1980 in St. Pölten, hat in Wien und Berlin Komparatistik, Germanistik und Romanistik studiert. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters, lebt als Schriftstellerin in Wien und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache.
    Meine Meinung u. Bewertung:
    Ein junger Mann, Taguchi Hiro, verlässt nur noch sein Zimmer, wenn er ganz sicher ist, dass sich niemand im Haus befindet. So begegnet er nicht einmal seinen Eltern, die täglich sein Essen bereitstellen. Doch eines Tages drängt es ihn hinaus. Er schafft es auf eine Bank in einem Park und begegnet dort einem älteren Mann. Ohne Worte bieten sich beide einen vertrauten Anblick, es folgen kleine Gesten, dann begrüßen sie sich und ganz allmählich beginnen sie Gespräche über ihr tägliches Leben ohne Hektik,ohne Anspruch, Tag für Tag. Immer zur gleichen Zeit erwartet man den anderen, gibt dem Tag dadurch eine neue Struktur. Auch teilen sie das Bento (Mahlzeit zum Mitnehmen) von Kyoko, der Frau des Älteren.
    Der Roman kommt auf ganz leisen Sohlen daher, aber die Gedanken haben ihre eigene Lautstärke, ihr eigenes Gewicht. Manche Aussage ist verblüffend, so einfach und doch so eindringlich. Die Geschichte spielt in Japan, doch von den Eigennamen abgesehen, könnte sich diese Begegnung zweier aus der Bahn geworfener Menschen überall abspielen. Schuldzuweisung, Verzweiflung, Verlust bedrängen den Jungen, Versagen, Scham den Älteren. Beide fallen aus der gängigen Norm und geben sich gegenseitig neuen Halt und das zaghafte Gefühl für eine ungewöhnliche Freundschaft. Milena Michiko Flasar erzählt sehr einfühlsam, und auch sehr liebevoll. Sie verurteilt nicht, sondern wirbt um Verständnis. Was mir besonders gefallen hat, ist das Miteinbeziehen der Eltern in ihre gemeinsame Einsamkeit, die kleinen Schritte zueinander und die Erkenntnis, dass Leben in keine starre Form zu pressen ist, aber ein Neuanfang immer möglich.
    Fazit: Ein ruhiger, ungewöhnlicher Roman mit dem Finger auf dem Nerv der Zeit.
    Liebe Grüsse
    Wirbelwind
    Herman Koch, Sommerhaus mit Swimmingpool
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Ausgaben von Ich nannte ihn Krawatte

Taschenbuch

Seitenzahl: 144

E-Book

Seitenzahl: 145

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