Das Antwerpener Testament

Buch von Evelyn Grill

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Das Antwerpener Testament

    Das sagt amazon:
    Ein Jahrhundert, eine Familie, eine Ehe. Und nichts als Lügen.Als Henriette Stanley stirbt, ist die Familie, die sich um ihr Grab versammelt, schon nicht mehr groß: Da ist Harry, ihr geistesgestörter Sohn, auf dem einst die Hoffnungen der Familie, Reeder aus Antwerpen, lagen. Da ist ihre Tochter Ann mit ihrem deutschen Mann, deren Ehe Henriette nicht verhindern konnte, obwohl sie die Verbindung nach dem Krieg um ihr Erbe aus Belgien gebracht hat. Und da ist die Schwester ihres Mannes, der vor vielen Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Niemand spricht mit ihr, aber sie allein weiß, was aus ihrem Bruder geworden ist und was in dem Testament aus Antwerpen wirklich gestanden ist. Und sie weiß auch, dass jede Anstrengung, vergessen zu wollen, vergebens ist. Dieser Roman ist ein großes Gemälde, und Evelyn Grill beweist darin ihre ganze Meisterschaft. Sie erzählt die Geschichte einer Ehe, den Roman einer Familie voller Risse, in denen die Abgründe eines ganzen Jahrhunderts erkennbar werden.
    Über den Autor (amazon)
    Evelyn Grill, geboren 1942 in Garsten, lebt als freie Schriftstellerin in Freiburg im Breisgau. Ihre Romane „Hinüber“ (1999), „Ins Ohr“ (2002) und „Winterquartier“ (2004) erschienen bei Suhrkamp, seit 2005 veröffentlicht sie bei Residenz. Zuletzt erschienen: „Vanitas oder Hofstätters Begierden“ (2005, nominiert für den Deutschen Buchpreis) und „Der Sammler“ (2006). Ihr Roman „Wilma“ wurde 2007 im Residenz Verlag neu aufgelegt. Für „Der Sammler“ wurde sie mit dem Otto-Stoessl-Preis 2006 ausgezeichnet.
    Das sage ich:
    Freilich kenne ich die magische Kraft von Gerüchen, sich ins Gedächtnis eingrabend und dort unvergesslich versinkend. Dort wo es noch vorhanden ist, ist mein Haupthaar mittlerweile überwiegend grau, und trotzdem fühle ich mich, bei der Wahrnehmung bestimmter Düfte, in Sekundenschnelle an der Hand meiner geliebten und längst verstorbenen Oma, mit kleinen Schritten neben ihr durchs Landhaus trappelnd.
    Allerdings wünsche ich mir, nie in eine Lebens- und Empfindenssituation zu kommen, in der „der Geruch vor allem, mehr als alles andere das Gefühl von Daheimsein ausmacht“. So wird im Lauf der Handlung einmal (S. 91) das Fühlen von Ann, einer der Hauptprotagonistinnen des „Antwerpener Testamentes“ beschrieben.
    Unzweifelhaft: gemessen an der Lieblosigkeit, mit der die Handelnden mit sich selbst und mit anderen umgehen, mag sogar so mancher Gestank noch als vergleichsweise liebliches Heimatgefühl daher kommen.
    Henriette Stanley lebt eine faschistoide Art von Katholizismus. Die Hingabe, mit der sie nachfolgende Generationen auf emotionaler Ebene terrorisiert und zugleich in ihrem eigenen Leid schlammbadet, scheint mir manchmal durchaus von perverser Lust getragen. Ihre Kinder finden auch als Erwachsene kein Mittel, um ihre Wurzeln von dem Sumpfgift zu befreien, dass ihr Aufwachsen umgab. Auch Ulrich, der wegen seiner deutschen Herkunft von Henriette massiv abgelehnte Schwiegersohn, fehlt es an Kraft und Willen, um eine diesbezügliche Wende herbei zu führen. Vielmehr zerbricht letztendlich auch die von ihm und Ann gegründete Familie an Henriettes Eskapaden. Zu sehr ist er mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten beschäftigt, mit seiner Kriegsbehinderung und mit seinem zwiespältigen Verhältnis zu seiner zukünftigen wissenschaftlichen Karriere.
    Manche Dinge sind in den Fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, Gendertum und Patchwork in der Zukunft liegend, noch klar: links ist gegenüber von rechts, Frauen sind Frauen und Männer wissen, wo es lang geht. Letzteres ist deutlich in dem Bild gemalt, als Ann und Ulrich erstmals in die Nähe einer sexuellen Vereinigung kommen. Sie liebkosen und erkunden einander, und Ann „erweist sich als seine eifrige Schülerin“. Brav finde ich das: zwei kommen zusammen, beide haben keine Ahnung von Tuten und Blasen, aber sie ist die Schülerin bei dem Spiel. So gehört sich das.
    Gerne würde ich noch mehr über den anderen im Roman vorkommenden Familienzweig erfahren, über jenen von Ulrichs Cousine Lilly. Weil er mir wesentlich sympathischer ist und weil ich es historisch interessant finde, über Menschen zu lesen, die nach dem Krieg nach Amerika ausgewandert waren.
    „Gleichgültig, aus welcher Richtung der Wind wehte, es schien, dass er uns immer entgegenblies.“ Das erzählt Lilly an einer Stelle über ein Radfahrerlebnis in Holland. (S. 150) Ähnliches könnte man wohl für manche Strecken ihres und ihres Mannes Leben sagen. Anders als der in Europa verbliebene Ulrich scheinen sie mir Herausforderungen anzunehmen, um wenn irgend möglich etwas aus ihnen zu machen und das Blatt zu wenden, wo das in ihren eigenen Kräften steht. Eine Denkweise, die ich lieber weiter spinne, als Selbstzerfleischung und Familienterrorismus.
    In die Geschichte einzutauchen und einen Lesefluss zu finden fiel mir beim „Antwerpener Testament“ schwer, ist aber schließlich doch gelungen. Mit Lillys Erzählung begannen mich Handlung und Charaktere zu interessieren. Zu spät für ein Buch von dem ich mir wünsche, dass es mich von Anfang an in seinen Bann zieht. Manchmal war mir die Sprache zu langsam, wurden Details beschrieben, die ich im Falle ihrer Abwesenheit sicher nicht vermisst hätte. Die Charaktere sind mir scheinbar nahe gegangen, denn sie waren in der Lage, mich ernsthaft zu verärgern. Irgendwo zwischen dem anfänglichen Glauben, dass mir das Buch sicher nicht gefallen werde und der Überraschung, es streckenweise durchaus als gelungen zu empfinden, verharrt meine Befindlichkeit nachdenklich.
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Ausgaben von Das Antwerpener Testament

Hardcover

Seitenzahl: 320

Besitzer des Buches 1

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