Das Tagebuch der Nina Kosterina

Buch von Helen von Ssachno

Bewertungen

Das Tagebuch der Nina Kosterina wurde bisher einmal bewertet.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Das Tagebuch der Nina Kosterina

    Vom Verlag Neue Kritik habe ich bisher noch nie etwas gehört oder gelesen. Er begegnet mir erst mit diesem Buch, auf das ich durch eine Twitteraktion, bei der ich um Tipps von Tagebüchern/Briefen gebeten habe.
    Den Verlag gibt es schon seit 1965; mit "Frauenliteratur" beschäftigt er sich:
    Seit Mitte der 70er Jahre wird Literatur von und über Frauen zu einem eigenen Programmbereich: Verlegt werden biographische Texte von bzw. zu Sybilla Aleramo, Phoolan Devi, Adalgisa Conti sowie Bildbände über die Künstlerinnen Frida Kahlo, Tina Modotti, Camille Claudel, Toyen. Der 1979 veröffentlichte Band »Frida Kahlo« von Raquel Tibol ist die weltweit erste Monographie der mexikanischen Malerin. Vor diesem Hintergrund entsteht 1995 auch die Reihe »apropos«, in der unter anderem Lee Miller, Leonora Carrington, Edith Stein, Helena Rubinstein, Ethel Rosenberg, Rita Hayworth, Clara Haskil und Margarete Buber-Neumann porträtiert werden.
    Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Geschlechterfrage findet in »Die Liebe der Frauen« von Margrit Brückner und in »Nicht Ich« von Christina von Braun statt.
    Nun aber zum Tagebuch von Nina Kosterina.
    Nina wurde nur zwanzig Jahre jung. Ihr Tagebuch besteht aus vier Heften, in denen sie von sich erzählt. Von der Schule, den Freundinnen*, der ersten Liebe und den sich daraus ergebenen Komplikationen. Wir erfahren von ihrer Liebe zu ihrem Land, insbesondere zu ihrer Stadt Moskau. Wir erleben ihre Entwicklung vom jungen Mädchen zur jungen Frau, die am Ende ganz genau weiß, was sie will. Nämlich für die Freiheit ihres Landes kämpfen - als Partisanin.
    Als Nina geboren wurde, ging der russische Bürgerkrieg zu Ende und die Geburt des Kommunismus in Russland begann. Millionen Menschen mussten versuchen, sich zurechtzufinden. Der Vater war aktiver Bolschewist und wurde wegen seiner Tätigkeit beim Aufstand gegen den Zaren 1917 zweimal verhaftet und war drei Jahre im Gefängnis.
    Die Familie lebte seit 1922 in Moskau und unterstützte die neue Regierung. Ninas Ausbildung zur Kommunistin erfolgte sehr früh, beeinflusst vom Vater und dem kommunistischen Bildungssystem. Als 1925 Ninas Schwester Lelya (1936 folgte noch die Schwester Vera) geboren wurde, tobte ein Machtkampf zwischen dem sowjetischen Führer Wladimir Iljitsch Lenin und zwei anderen Spitzenführern, Leo Trotzki und Joseph Stalin, aus dem Stalin als Sieger hervorging. Es folgte eine Hungersnot. Das Experiment, marxistischen Prinzipien zu folgen und gleichzeitig die Wirtschaft des Landes zu retten, schlug fehl.
    Mit fünfzehn Jahren begann Nina ihr Tagebuch, als "gewöhnliches Mädchen" - wie sie sich selbst bezeichnet. Sie war ein nüchterner, nachdenklicher Teenager, der sich und die Welt ernst nahm. Sie interessierte sich leidenschaftlich für die Künste, entdeckte die Welt der Musik für sich. Und sie war eine leidenschaftliche Komsomolzin.
    Nina musste sich 1936 von ihrem Vater verabschieden, der in den russischen Fernen Osten geschickt wurde, sie sollte ihn nie wiedersehen. Er geriet während Stalins zunehmend paranoischer Regierung in Ungnade. Er wurde als "gefährliches soziales Element" in einen Gulag geschickt, ein Schicksal, das viele während der schlimmsten Stalin-Jahre erlitten haben. Während des Zweiten Weltkriegs blieb er inhaftiert.
    Aus dem Tagebuch:
    ... Fast hätte ich etwas äußerst Wichtiges vergessen, was uns Frauen alle angeht: Es ist ein Gesetz erlassen worden, das die Abtreibungen verbietet. Gestern las ich einen Bericht von drei Polinnen über das Leben der Frauen in Polen, die ihre Kinder in der Fabrikhalle, auf dem Felde, im Straßengraben bekommen. Mich hat das so aufgeregt, daß ich im Bett ins Kopfkissen heulen mußte...
    Nina machte 1939 ihren Schulabschluss, sie wollte unbedingt Geologin werden. Doch sie hatte Schwierigkeiten, einen Studienplatz zu erhalten. Es klappte erst, als ihre Mutter einen Brief an Stalin schrieb und ihn daran erinnerte, dass er versprochen hat, die Kinder nicht für die Taten der Eltern verantwortlich zu machen.
    Im Rahmen ihrer College-Ausbildung war sie in einem Sommercamp für Geologie. In dieser Zeit marschierte Deutschland in Russland ein. Ihre Familie floh aus Moskau, doch Nina entschied sich, zurückzukehren und sich als studentische Soldatin zu melden. Mit dem Fallschirm sprang sie im November hinter den feindlichen Linien ab und nahm etwa einen Monat lang an Partisanenmissionen teil. Partisanensoldaten – Männer und Frauen – griffen immer wieder die Deutschen in den von ihnen besetzten Gebieten bei heimlichen Nachtangriffen an. Sie arbeiteten als Sprengstoffexperten, Krankenschwestern, Funker, Kundschafter, Informationssammler und Verbindungsleute mit den Dorfbewohnern.
    Am 20. Januar 1942 erhielt die Familie die Nachricht von Ninas Tod:
    NKO UdSSR
    Generalstab KA
    20. Januar
    An Anna Michailowna Kosterina
    Benachrichtigung Nr. 54
    Ihre Tochter Nina Alexejewna Kosterina, Bürgerin der Stadt Moskau, ist, getreu ihrem Schwur, im Kampf für die sozialistische Heimat in Ausführung ihres Kampfbefehls im Dezember 1941 als Heldin gefallen
    Leiter des OK
    Oberst
    Kuprijanow
    Erst nach Jahren, als die Familie Zugriff auf Memoiren über Soldaten aus dem Krieg erhielt, erfuhr sie über Einzelheiten über ihren letzten Einsatz: Ein Mitglied ihrer Gruppe von 22 Partisanen schrieb darüber, wie sie am 19. Dezember zu einer Mission aufbrachen. Südlich von Moskau schlüpften sie hinter die feindlichen Linien. Tief im Wald fielen sie in einen deutschen Hinterhalt und stolperten über einen Draht, der eine Explosion auslöste. Mit Nina kamen 14 Partisanen ums Leben. Die anderen konnten die Mission beenden und zum Basislager zurückkehren. Über das Ziel der Mission erfuhren die Eltern nichts.
    Ninas Mutter und die Schwestern konnten nach dem Krieg in ihre Moskauer Wohnung zurückkehren; hier fanden sie Ninas Tagebuch. Sie verwahrten es sicher und erlaubten erst 1962 einer sowjetischen Zeitschrift, es zu veröffentlichen. Das war nur möglich, weil Nikita Chruschtschow begann, den Bürgern zu erlauben, offener über ihre Erfahrungen während der Stalin-Jahre zu sprechen. 1964 erschien es als Buch. Vier Jahre später wurde es durch die englische Übersetzung vom amerikanischen Verlag Crown Books zum Bestseller.
    Zu DDR-Zeiten gab es im Militärverlag ganz viel Literatur über den Zweiten Weltkrieg. Natürlich aus sowjetischer Sicht - von meist hochrangigen Militärs. Oder auch Kinder- und Jugendliteratur, in deren Geschichten von Partisanen erzählt wird. Wo sogar Kinder sich am Kampf beteiligen.
    Mit am bekanntesten ist wohl "Wie der Stahl gehärtet wurde" von Nikolai Ostrowski. Doch was ist wahr und wie viel Propaganda steckt in diesen Büchern. Kortschagin wurde ja von Ausgabe zu Ausgabe makelloser, mutierte zum Superhelden.
    Ich tu mich also mit einer Beurteilung schwer. Auf jeden Fall war es interessant, über das Leben von Nina zu lesen.
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Ausgaben von Das Tagebuch der Nina Kosterina

Taschenbuch

Seitenzahl: 122

Update: