Giganten: Große Wegbereiter der Moderne

Buch von Hans-Christian Huf

Bewertungen

Giganten: Große Wegbereiter der Moderne wurde bisher einmal bewertet.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Giganten: Große Wegbereiter der Moderne

    Worum es geht
    In sechs kurzen Portraits stellt der Herausgeber Hans-Christian Huf große Wegbereiter der Moderne vor. Seine Wahl fällt dabei auf Martin Luther, Johann Wolfgang von Goethe, Alexander von Humboldt, Ludwig van Beethoven, Sigmund Freud und Albert Einstein.
    Im Klappentext ist außerdem nachzulesen, dass jene Titanen europäischer Geistesgeschichte längst zu Denkmälern erstarrt seien, und in diesem Buch wieder ein lebendiges Gesicht bekämen. Jeder von ihnen habe auf seine Art (und durch sein Metier) die Welt bewegt, Musik, Literatur, Religion, Wissenschaft oder Forschung in neue Bahnen gelenkt. Doch seien nicht nur ihre Lebensgeschichten nachgezeichnet, sondern darüber hinaus auch ihr Werk in die Gegenwart gehoben worden.
    Wie es mir gefallen hat
    Oben beschriebenen Allgemeinplätzen gegenüber bin ich prinzipiell skeptisch eingestellt, angesichts der hochkarätigen Auswahl lohnt sich eine Überprüfung durch den kritischen Leser auf jeden Fall. Zuallererst stellte sich mir die Frage, ob es tatsächlich gelingen kann, anhand weniger Auserkorener den „Weg in die Moderne“ aufzuzeigen, und ob die Wahl auch als treffend bezeichnet werden darf. Alexander von Humboldt, Sigmund Freud und Albert Einstein erfüllen die Aufnahmekriterien meiner Meinung nach unbesehen, bei den anderen Kandidaten regen sich allerdings gewisse Zweifel, natürlich nicht im Hinblick auf ihre Leistungen, sondern eher hinsichtlich der „Werkserhebung“ in die Gegenwart.
    Nach beendeter Lektüre kann ich festhalten, dass mir alle Biografien sehr gut gefallen haben, weil sich die Autoren nicht in einseitiger Bewunderung ergehen, sondern jede der vorgestellten Persönlichkeiten auch in den Niederungen des Alltags facettenreich und lebendig darstellen.
    Besonders interessant fand ich den Blick auf Martin Luther (1483 – 1546), weil mir der Reformator entgegen aller Erwartungen ganz und gar nicht als „moderner Wegbereiter“ entgegentritt. Gerade durch dieses Portrait habe ich einen Mann kennengelernt, dessen Denken noch fest im Mittelalter verwurzelt ist. Sein Glaube an den Teufel, an Geister und Hexen (die unbedingt getötet werden müssen), sein unversöhnlicher Judenhass, seine Frauenfeindlichkeit, sein altertümlicher Staatsbegriff oder seine Rückständigkeit in sozialen Fragen ergeben generell ein haarsträubendes Weltbild, und wollen so gar nicht zu meiner bisherigen Vorstellung vom fortschrittlichen Religionserneuerer passen.
    Einen Giganten des Geistes stellt man sich doch irgendwie anders vor, zumindest aber humaner und toleranter. So sahen ihn wohl auch mehr als eine halbe Million deutscher Bundesbürger als sie ihn 2003 bei der Ermittlung „unserer Besten“ gleich hinter Konrad Adenauer auf den zweiten Platz wählten. Daraus kann man nur schließen, dass dem Durchschnittsbürger nicht bewusst ist, welche Geisteshaltung Luther tatsächlich vertrat. Seine theologische Botschaft kann es ebenfalls nicht gewesen sein, der er sein hohes Ansehen verdankt, weil sich die meisten Deutschen mit den von ihm vertretenen religiösen Inhalten heute nicht mehr identifizieren können. Was also erhebt Luther auf ein Podest, auf dem er eigentlich gar nicht stehen dürfte?
    Die Antwort liegt in der nationalen Identitätsfindung der Deutschen im 19. Jahrhundert, die ein Luther-Bild prägte, das auch die moderne Vorstellung bestimmt. Fast alles, was heute an allgemeinem Geschichtswissen über den Reformator kursiert, hat den Filter dieser nationalstaatlichen Interpretation durchlaufen. Die mittelalterliche Religiosität des Martin Luther ist dahinter kaum noch zu erkennen.
    Der Autor dieses Beitrags, Günther Klein, verweist auch immer wieder auf die Schwierigkeit, Luther in all seinen Facetten zu erfassen. Dennoch vermag er ihn als interessanten Charakter zu zeichnen, in dem sich Mittelalter und Neuzeit begegnen und für unser modernes Verständnis durchaus merkwürdig vermischen.
    Einen modernen Wegbereiter kann ich in Luther aber genauso wenig erkennen wie in Johann Wolfgang von Goethe. Dessen Werke muten ja - zumindest meinem Verständnis nach - besonders altertümlich an, aber nicht nur seine Bühnenfiguren, auch sein Romanpersonal konnte ich mir in der Realität noch nie vorstellen. Um zu erkennen, was die schriftstellerische Größe des Herrn Geheimrates ausmacht, verstehe ich von Literatur allerdings viel zu wenig.
    In seinem Lebensumfeld, zerrissen zwischen einer Beamtenlaufbahn und seiner Berufung zum Künstler und Naturwissenschaftler, zugleich aber auch als Schwerenöter, „Fürstenknecht“, Freigeist und Familienvater, finde ich den „Dichterfürsten“ von Ingo Hermann sehr gut porträtiert.
    Mit Ludwig van Beethoven geht es mir ähnlich wie mit Goethe. Im zweifellos großartigen Werk des Meisters kann ich absolut nichts entdecken, was mir den Weg in die Moderne weisen würde. Allerdings verfüge ich auch über kein näheres musikalisches Detailwissen, um eine Beurteilung abgeben zu können. Mir gefällt das symphonische Werk Beethovens und auch einige seiner Klaviersonaten sehr gut, inwiefern er damit als Erneuerer gelten kann, entzieht sich meiner Kenntnis.
    Besonders berührt hat mich hingegen einmal mehr das tragische Schicksal des Musikers, von Hermann Glaser eindrucksvoll geschildert. Gesundheitliche Probleme, finanzielle Sorgen, materielle Nöte und aufreibende Familienstreitigkeiten waren ständige Begleiter auf Beethovens Lebensweg. Das größte Unglück des Genies lag aber wohl im Verlust seines Gehörs, und doch konnte ihn das Schicksal, das zeitlebens so vehement an die Pforte klopfte, nicht bezwingen, schuf er doch einige seiner schönsten Werke in völliger Taubheit.
    Mit großer Begeisterung habe ich die Lebensbeschreibung Humboldts gelesen, mitreißend verfasst von Hans-Christian Huf, die mich in ihrer Einzigartigkeit immer wieder fasziniert. Welche Begeisterungsfähigkeit gepaart mit Intelligenz und Mut, welch unermüdlicher Forscherdrang, der keine Empfindlichkeiten kennt, welch menschgewordener Wegweiser der Naturwissenschaft in eine große Zukunft.
    Dennoch wäre mir persönlich lieber gewesen, die Wahl wäre auf Charles Darwin gefallen, meiner bescheidenen Meinung nach einer der größten Geistesriesen aller Zeiten.
    Großes geleistet hat unbestritten auch Sigmund Freud, der als „Vater der Psychoanalyse“ gilt, und sich mit der Erforschung der Seelenlandschaft in Tiefen vorwagte, die wohl noch kein Mensch vor ihm betreten hatte. Die Art, wie er die kultivierte Gesellschaft mit ihren dunklen Trieben, Instinkten, der Macht des Unterbewusstseins und dessen Sprache in Form von Träumen konfrontierte, fand nicht überall ungeteilte Zustimmung. Geradezu mit Empörung, Wut und Abscheu reagierte die Öffentlichkeit jedoch, als Freud die als engelsrein und unbefleckt geltende Kinderseele mit massiven Triebkräften und eindeutig sexuell geprägten Entwicklungsphasen ausstattete.
    Aber auch über den Privatmann weiß der Autor Hans Helmut Hillrichs Interessantes und Unbekanntes zu berichten. So wusste ich beispielsweise nicht, wie groß Freuds Leidenschaft für die griechischen, römischen und ägyptischen Altertümer war, wie viel Kraft er aus dieser Identifikation mit dem kulturellen Erbe für seine ungeheure Arbeitsleistung schöpfte. „Unser Herz zeigt nach dem Süden“ lautet bezeichnenderweise auch der Titel der Ausgabe von Freuds Reisebriefen.
    Wir lernen den berühmten Arzt und Forscher aber auch als liebevollen Familienvater kennen, dem es durch einen maßvollen Lebensstil möglich war, seine intensive Arbeit bis spät in die Nacht mit einer warmherzigen Aufmerksamkeit für die große Familie um ihn herum zu verbinden. In deren Zentrum steht Freuds Ehefrau Martha, die nicht nur den Haushalt in der Berggasse 19, sondern auch die sechs Kinder und die Hausangestellten mit sanfter Zentralregie lenkt.
    Unter der Parole „Gegen die seelenzerstörende Überschätzung des Sexuallebens – und für den Adel der menschlichen Seele übergebe ich den Flammen die Schriften eines gewissen Sigmund Freud“ wurden seine Bücher 1933 in Berlin ins Feuer geworfen. Freud, der sich der Brisanz und des gesellschaftlich Anstößigen seiner Erkenntnisse schon frühzeitig bewusst geworden war, besaß glücklicherweise auch einen ausgeprägten Spürsinn für die wachsende Bedrohung, und emigrierte 1938 mit seiner Familie nach London.
    Last but not least wird einer der ganz Großen seiner Zunft vorgestellt, einer, der das Weltbild der Zukunft entscheidend prägen sollte. Was Albert Einstein leistete, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, wenngleich der Laie auch immer nur ansatzweise verstehen wird, worum es bei der Relativitätstheorie überhaupt geht. Er selber hat sie seinem kleinen Sohn Eduard einmal folgendermaßen erklärt: „Wenn ein blinder Käfer an einem gekrümmten Ast entlangkriecht, merkt er nicht, dass der Ast gekrümmt ist. Ich hatte das Glück zu bemerken, was der Käfer nicht bemerkt hatte.“
    Schwungvoll und abwechslungsreich erzählt der Autor Gero von Boehm, vom Leben des genialen Physikers, der der Welt seine zu Formeln verarbeitete Gedanken in einem einzigartigen Kraftakt vermacht hat. Viele Anekdoten durchziehen den Beitrag, in dessen Mittelpunkt Einsteins gigantische Arbeitsleistung und seine zwiespältige Persönlichkeit stehen.
    In einem von Harmonie geprägten Elternhaus aufgewachsen, beginnt der kleine Albert dennoch erst mit drei Jahren zu sprechen. Doch dann setzt er seine Umgebung gleich mit einem vollständigen Satz in Erstaunen. „Die Milch ist zu heiß“ soll er gesagt, und auf die Frage seiner Eltern, warum er nicht schon früher gesprochen habe, erwidert haben: „Weil vorher alles in Ordnung war.“ Später hat Einstein immer wieder betont, dass sich auch sein Denken den Worten entziehe.
    Sein ausgeprägter Hang zum Alleinsein, seine Fähigkeit, vollkommen in einer Tätigkeit zu versinken, und die gleichzeitige Unfähigkeit, sich um praktische Bedürfnisse zu kümmern, haben die Vermutung laut werden lassen, dass Einstein möglicherweise autistische Züge in sich trage. Bindungsunfähigkeit und die Weigerung, sich um seine Kinder zu kümmern, kennzeichnen das soziale Umfeld des Erwachsenen, der sich sein kindliches Staunen, seine Neugier, seine Offenheit und die Freiheit seines Denkens jedoch zeitlebens bewahren konnte.
    1933 war es Nazideutschland schließlich gelungen, auch seinen größten Geist zu vertreiben. In Amerika war Einstein schon bei seinen vorherigen Reisen mit offenen Armen empfangen worden, wozu Charlie Chaplin eine nette Anekdote liefert: „Mir jubeln sie zu, weil mich jeder versteht, und Ihnen, weil Sie keiner versteht.“
    Bis zu seinem Tod wird Einstein im Exil nichts so sehr beschäftigen wie die Sorge, die Menschheit vor einer atomaren Katastrophe zu bewahren.
    Weil er nicht wollte, dass etwas von ihm bleibt, wird er verbrannt und seine Asche am Ufer des Delaware River verstreut. Albert Einstein wird wieder Teil des Kosmos, aus dem er gekommen ist, um das große Geheimnis zu lüften.
    „Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer hartnäckigen Illusion“, hat er kurz vor seinem Tod gesagt.
    Mir hat das Buch ganz hervorragend gefallen; jede einzelne Biografie ist eine in sich gelungene Komposition, die den jeweiligen Protagonisten - wie im Klappentext versprochen - sehr lebendig und menschlich darstellt. Neues und teilweise Erstaunliches habe ich erfahren, und konnte so mein Wissen erweitern, obwohl ich der Auswahl der Wegbereiter in die Moderne nicht in jedem Falle bedenkenlos zustimmen konnte. Diesen Umstand schreibe ich allerdings meiner literarischen und musikalischen Unkenntnis zu, weshalb ich sehr gerne die volle Punktezahl vergebe.
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Ausgaben von Giganten: Große Wegbereiter der Moderne

Hardcover

Seitenzahl: 352

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