Das Zeitalter der Roten Ameisen

Buch von Tanya Pyankova, Beatrix Kersten

  • Kurzmeinung

    drawe
    Die Geschichte des ukrainischen Holodomor, harter Tobak.

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Das Zeitalter der Roten Ameisen

Poltawa, Ukraine, 1932: Die junge Yavdokha versucht verzweifelt, sich und ihre Familie am Leben zu halten – doch der Hunger setzt nicht nur ihren Körpern zu, sondern immer mehr Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung greifen zu verzweifelten, unmenschlichen Maßnahmen im Kampf um das nackte Überleben. Nur wenige Kilometer von ihnen entfernt wird Solya, die wohlhabende Frau des ortsansässigen Parteivorsitzenden, von ihren eigenen, völlig unterschiedlichen Dämonen heimgesucht und scheitert daran, Gewicht zu verlieren – und Svyryd, ein Repräsentant der sowjetischen Kommunalverwaltung, nutzt seine Machtposition, um seine große Liebe Anna, Yavdokhas Mutter, zu manipulieren. In drei verschiedenen Erzählstimmen erschafft Tanya Pyankova das erschreckend aktuelle Psychogramm einer Zeit und einer Nation, das relevanter nicht sein könnte: Die von der Sowjetunion besetzte Ukraine erlitt eine Hungersnot, die das Leben vieler Millionen Menschen forderte – und die von den Besatzern als politisches Machtinstrument gezielt hervorgerufen worden war. Dieser Genozid ging als Holodomor ('Tötung durch Hunger') in die Geschichte ein.
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Bewertungen

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Meinungen

  • Die Geschichte des ukrainischen Holodomor, harter Tobak.

    drawe

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Das Zeitalter der Roten Ameisen

    Zur Autorin (Quelle: Verlag):
    Tanya Pyankova wurde 1985 in der Region Iwano-Frankiwsk in der Ukraine geboren. Sie ist Autorin mehrerer Romane und Gedichtbände, die in ihrer Heimat zahlreiche Preise gewonnen haben, außerdem ist sie Leiterin der Literaturagentur Potion sowie Organisatorin einer Vielzahl von Literaturfestivals, Theateraufführungen und Poesieperformances.
    Klappentext:
    Matschuchy, Ukraine, 1933: Die junge Jawdocha versucht verzweifelt, sich und ihre Familie am Leben zu halten – doch der Hunger setzt nicht nur ihren Körpern zu, sondern immer mehr Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung greifen zu verzweifelten, unmenschlichen Maßnahmen im Kampf um das nackte Überleben. Nur wenige Kilometer von ihnen entfernt wird Solja, die wohlhabende Frau des ortsansässigen Parteivorsitzenden, von ihren eigenen, völlig unterschiedlichen Dämonen heimgesucht und scheitert daran, Gewicht zu verlieren – und Swyryd, ein Repräsentant der sowjetischen Kommunalverwaltung, nutzt seine Machtposition, um seine große Liebe Hanna, Jawdochas Mutter, zu manipulieren.
    In drei verschiedenen Erzählstimmen erschafft Tanya Pyankova das erschreckend aktuelle Psychogramm einer Zeit und einer Nation, das relevanter nicht sein könnte: Die von der Sowjetunion besetzte Ukraine erlitt eine Hungersnot, die das Leben vieler Millionen Menschen forderte – und die von den Besatzern als politisches Machtinstrument gezielt hervorgerufen worden war. Dieser Genozid ging als Holodomor ("Tötung durch Hunger") in die Geschichte ein.
    Zum historischen Kontext:
    Durch die Reise der Außenministerin Anna-Lena Baerbock in die Ukraine, bei der sie auch das Holodomor-Denkmal besuchte, wurde die Erinnerung an den Holodomor, auf Deutsch „Tötung durch Hunger wieder lebendig. Zu Beginn der 30er Jahre fielen dieser Maßnahme allein in der Sozialistischen Teilrepublik Ukraine geschätzt 3,5 bis 7 Millionen Menschen zum Opfer. Die Ursachen können inzwischen eindeutig benannt werden: die chaotische Durchsetzung der Zwangskollektivierung, damit verbunden die Entkulakisierung, die Förderung der Industrialisierung zu Lasten der Landwirtschaft, der Abtransport der Getreideernten und des Viehbestandes, die Erhöhung der Abgabequoten, Ausreiseverbote u. a. Diese Maßnahmen wurden in der Ukraine mit besonderer Gründlichkeit durchgeboxt, um den Widerstandswillen des ehemals reichen und fruchtbaren Landes zu brechen.
    Der Holodomor wurde in der SU bis heute nicht aufgearbeitet, und in der Ukraine begann man erst im Rahmen der Perestroika, die mündlichen Überlieferungen schriftlich zu fixieren. Inzwischen wird die Tragödie von den meisten westeuropäischen Staaten als Genozid anerkannt.
    Mein Lese-Eindruck:
    Normalerweise liest man erst das Buch und anschließend das Nachwort. Trotzdem ist es sinnvoll, in diesem Fall sich erst dem Nachwort zuzuwenden, weil die Intention und Gestimmtheit der Autorin für das Buch wesentlich sind. Das Nachwort nimmt tatsächlich die Stelle eines Vorworts ein.
    „Dieser Roman“, sagt die Autorin, „handelt vom Unterschied zwischen den Ukrainern und den lügnerischen moskowitischen Horden, deren Methoden ständige Angriffskriege, Propaganda, Manipulation und Geschichtsfälschung sind“ (S. 287). Sie erhebt schwerste Vorwürfe gegen Russland. Sie sieht die aktuellen Kriegsereignisse als eine Fortsetzung des Genozids an, dem ihr Land und ihre Landsleute in den 30er Jahren ausgesetzt waren. Wieder „vergewaltigen russische Verbrecher ukrainische Frauen und Kinder, töten, zerstören, bestehlen sie mein Land, entwenden Getreide, setzen Felder in Brand“ (S. 286). Daher sei die Vergangenheit für sie aktueller denn je, denn „das durch den Völkermord verursachte Trauma“ (S. 287) sei nach wie vor spürbar und zeige sich nicht nur im öffentlichen Leben, sondern auch im privaten Bereich. Und hat man dieses Buch gelesen, wird einem wieder einmal klar, dass man die Vergangenheit kennen muss, um die Gegenwart zu verstehen.
    Die Autorin entfaltet ihre Geschichte mit drei Stimmen, mit denen sie die Bandbreite der damaligen Gesellschaft abdecken kann und die Opfer und Täter gleichzeitig zu Wort kommen lassen. Da ist einmal Dusja, die Kulakentochter, deren Vater wie so viele Bauern in die Zwangsarbeit verschickt wurde, während die Mutter in der Kolchose arbeitet, ohne mit dem Verdienst ihre beiden Kinder ernähren zu können. Ihre Stimme erzählt dem Leser von dem großen Sterben in ihrem Dorf und ihren Versuche, mit Gras, Baumrinde, Schuhsohlen das Aushungern zu überstehen. Eine andere Stimme gehört Solja, der Frau des verantwortlichen Kommissars, die auch unter Hunger leidet – aber im Unterschied zur Dorfbevölkerung hungert sie in einem Sanatorium, um ihr Übergewicht zu reduzieren. Sie ist das Sprachrohr ihres Mannes, ein Opfer der Propaganda, die die Kulaken als Staatsfeinde sieht, und sie bricht zusammen, als sie mit der Wirklichkeit konfrontiert wird. Die dritte Stimme gehört einem Dorfbewohner, der sich zum Handlanger der Bolschewiken macht und in ihrem Dienst arbeitet. Diese drei Stimmen sprechen jeweils für sich, aber im Verlauf der Handlung werden sie Stück für Stück immer dichter miteinander verwoben. Dazu kommt eine vierte Stimme, die die Autorin immer wieder zu Wort kommen lässt: das ist die Stimme des personifiziertem Hungers, der mit baumelnden Beinen auf dem Ofen sitzt, der die Menschen begleitet, sie quält und sie verhöhnt. So entsteht ein in sich stimmiges Gesamtbild.
    Das Gesamtbild ist schlimm. Wir lesen von Zwangsarbeit, von Propagandamaßnahmen und Täuschung, von der Zerstörung der Kirchen und ihres Kulturgutes, vom Personenkult um den „schnauzbärtigen Tod“ (S. 88), vom täglichen Einsammeln der Leichen, von gewalttätigen Requirierungen, von Treulosigkeit, Egoismus und vor allem von den verzweifelten Versuchen der Menschen, Nahrung zu finden: Frösche, Mäuse, Vögel, Insekten, Baumrinde, Gras, Erdwürmer, Spelzen etc., immer heimlich, um nicht angezeigt zu werden und den Roten Kommissaren in die Hände zu fallen. Wir lesen auch von Auswegen aus dieser Not, um die Essensrationen zu sichern: das Gemeinmachen mit den Kommissaren und die Erledigung von Hilfsdiensten und auch Prostitution. Wie Brecht schon sagte: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Oder wie Dusja sagt: „Wir verlieren, was uns zu Menschen macht“ (S. 221). Die Autorin verschont ihre Leser auch nicht vor grausamen Szenen wie Kindsaussetzung, der Ermordung von Neugeborenen und Kannibalismus.
    Das Bild der Ameisen zieht sich durch das ganze Buch hindurch. Es sind die Roten Ameisen, in Anspielung an die Roten Kommissare, die als Bild für die menschenverachtenden und im übertragenen Sinn „gefräßigen“ Kommunisten immer wieder zitiert werden.
    Das Buch enthält sehr viele innere Monologe und Reflexionen der drei Stimmen, und dadurch kommt es häufig zu Redundanzen. Hier wären Straffungen angebracht gewesen. Ein weiterer Kritikpunkt ist das Pathos, das natürlich verständlich ist (s. Nachwort), aber doch gelegentlich zu dick aufgetragen ist. Sätze wie „Ihre nackte Wehrlosigkeit trifft wie die Sichel des Todes die schwankende Ähre des Menschenschicksals“ (S. 254) empfand ich als überzogen, aber auf der anderen Seite zeigen sie auch die starke und bildhafte Sprache der Autorin, die durchgängig zu beobachten ist.
    Fazit: lesenswert!
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Rezensionen zum Hörbuch

  • Rezension zu Das Zeitalter der Roten Ameisen

    Über die Autorin:
    Tanya Pyankova wurde 1985 in der Region Iwano-Frankiwsk in der Ukraine geboren. Sie ist Autorin mehrerer Romane und Gedichtbände, die in ihrer Heimat zahlreiche Preise gewonnen haben, außerdem ist sie Leiterin der Literaturagentur Potion sowie Organisatorin einer Vielzahl von Literaturfestivals, Theateraufführungen und Poesieperformances.
    Übersetzung aus dem Ukrainischen:
    Beatrix Kersten
    Sprecherin des Hörbuches:
    Lena Drieschner
    Inhalt lt. Verlag:
    Poltawa, Ukraine, 1932: Die junge Yavdokha versucht verzweifelt, sich und ihre Familie am Leben zu halten – doch der Hunger setzt nicht nur ihren Körpern zu, sondern immer mehr Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung greifen zu verzweifelten, unmenschlichen Maßnahmen im Kampf um das nackte Überleben. Nur wenige Kilometer von ihnen entfernt wird Solya, die wohlhabende Frau des ortsansässigen Parteivorsitzenden, von ihren eigenen, völlig unterschiedlichen Dämonen heimgesucht und scheitert daran, Gewicht zu verlieren – und Svyryd, ein Repräsentant der sowjetischen Kommunalverwaltung, nutzt seine Machtposition, um seine große Liebe Anna, Yavdokhas Mutter, zu manipulieren.
    Mein Eindruck:
    Mich hat dieses Hörbuch beeindruckt und erschüttert. Über den Holodomor wusste ich vorher nichts. Mir war nicht bewusst gewesen was da einem ganzen Volk angetan wurde. In diesem Buch werden Grausamkeiten geschildert, die fast nicht zu erfassen sind. Mir wurde bewusst was Hunger, was verhungern bedeutet. Was es mit einem Menschen macht. Wenn man verzweifelt versucht am Leben zu bleiben und seine Kinder durchzubringen. Wenn man zum äußersten Greifen muss, um einen weiteren Tag zu überleben.
    Von drei Perspektiven aus wird die Geschichte erzählt und miteinander verflochten. Zum einen wäre da Yavdokha, genannt Dusja. Sie schildert all die Grausamkeiten, die sie in ihrem Umfeld sieht und erlebt.
    Solya, die Frau eines Repräsentanten, ist die zweite Erzählstimme. Bis fast zum Schluss weiß sie von nichts, versucht mit ihren persönlichen Problemen und Übergewicht fertig zu werden. In einem Sanatorium wird sie gezwungen abzunehmen. Das ist total verrückt, wenn die Insassen den Pferden Pfefferkuchen geben müssen und vor den Toren des Sanatoriums die Leute am Verhungern sind.
    Die dritte Stimme ist Svyryd Sutschok, ein Helfershelfer, verliebt in die Mutter Dusjas. Er fürchtet sich vor der Deportation nach Sibirien. Beteiligt sich deshalb an alle Schrecklichkeiten und schweigt.
    Und dann gibt es noch einen weiteren Protagonisten, den Hunger. Er tritt auf, verhöhnt und quält.
    Fazit:
    Tanya Pyankova hat für das nicht Begreifliche Worte gefunden. Das war teilweise schwer zu ertragen und doch wollte ich immer wissen was als nächstes noch passieren wird. In ihrem Nachwort wird Tanya Pyankova sehr deutlich was der Holodomor für ihr Volk und ihrer Familie bedeutet hat und zieht Vergleiche zur heutigen Zeit.
    Die Sprecherin des Hörbuches, Lena Drieschner, war die perfekte Wahl für das Buch. Sie verlieh den drei Protagonisten ihre jeweils eigene Stimme.
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Ausgaben von Das Zeitalter der Roten Ameisen

Hardcover

Seitenzahl: 400

Besitzer des Buches 4

  • Mitglied seit 26. Mai 2010
  • Mitglied seit 14. Juli 2009
  • Mitglied seit 10. Juli 2018
  • Mitglied seit 30. November 2017
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